Ganz mein Humor

Polizeischutz als Normalzustand

Es gehört inzwischen zur bundesrepublikanischen Folklore wie der Tatort am Sonntag oder das betretene Schweigen bei Familienfeiern: Jüdisches Leben findet unter Polizeischutz statt. Nicht punktuell, nicht an hohen Feiertagen, sondern routinemäßig, dauerhaft, wie eine zweite, unfreiwillige Architektur jüdischer Existenz. Synagogen sind befestigte Zonen, Gemeindehäuser sicherheitsüberprüfte Areale, Kindergärten Objekte mit Zufahrtssperren. Wer hier von „Normalität“ spricht, meint eine Normalität mit Maschinenpistole. Der Zentralrat der Juden rät davon ab, in bestimmten Vierteln offen jüdische Identität zu zeigen – nicht aus modischer Zurückhaltung, sondern aus Sicherheitsgründen. Die Kippa, einst religiöses Symbol, ist zur Risikokennzeichnung geworden. Und wer bei einer Veranstaltung eine israelische Fahne schwenkt, sollte sich weniger um den Wind als um Fluchtwege sorgen. Das alles sind keine polemischen Zuspitzungen, sondern nüchterne Hinweise aus der Praxis. Die Pointe daran ist nur: Man hat sich daran gewöhnt. Die Sirene im Hintergrund ist zum Grundrauschen der Republik geworden.

Die unsichtbare Selbstverständlichkeit der Gefahr

Es ist eine eigentümliche Leistung der politischen und kulturellen Elite, diese Lage gleichzeitig zu benennen und zu neutralisieren. Man weiß, dass es gefährlich ist, Jude zu sein, aber man weiß es auf eine so sanfte, abgefederte Weise, dass daraus keine Zumutung für das eigene Weltbild entsteht. Antisemitismus wird verurteilt, selbstverständlich, aber möglichst abstrakt, möglichst historisch, möglichst entkoppelt von aktuellen Milieus. Dass bestimmte Formen des Judenhasses heute vor allem aus bestimmten sozialen und kulturellen Kontexten kommen, gilt als unschickliche Präzisierung, als Störung der wohltemperierten Empörung. Lieber spricht man vom „gesellschaftlichen Klima“, von „Spannungen“, von „Herausforderungen“. Das ist der Moment, in dem Sprache nicht mehr aufklärt, sondern polstert. Die reale Gefahr wird in Watte gepackt, damit sie niemanden piekst, der sich ideologisch ungern piksen lässt. Der Preis dafür ist eine merkwürdige Verkehrung: Diejenigen, die bedroht sind, sollen vorsichtig sein, während diejenigen, aus deren Umfeld die Bedrohung häufig kommt, vor allem sensibel behandelt werden.

TIP:  Ein Satz wie ein Flächenbrand

Zusammenhalt als semantischer Weichzeichner

Und dann tritt der Staat auf die Bühne, genauer: der Berliner Senat, diese institutionalisierte Mischung aus Ernstfallverwaltung und performativer Moral. „Den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken“ lautet das erklärte Ziel, ein Satz so weich und rund wie ein gut gekneteter Pizzateig. Wer wollte dagegen sein? Zusammenhalt ist das politische Äquivalent zu Vitaminen: immer gut, nie falsch dosierbar, nie konkret. Folgerichtig erklärt man den 15. März offiziell zum Tag gegen Islamophobie. Ein Akt symbolischer Fürsorge, der vor allem eines beweist: Symbolpolitik ist dann am schönsten, wenn sie sich nicht mit der widerspenstigen Wirklichkeit anlegen muss. Während jüdische Einrichtungen geschützt werden müssen wie gefährdete Arten, richtet man den staatlichen Fokus auf die gefühlte Verletzlichkeit einer anderen Gruppe – nicht, weil diese keine Probleme hätte, sondern weil dieses Thema bequemer ist. Es verlangt keine Auseinandersetzung mit importierten Ressentiments, keine konfliktreiche Debatte über Werte, Normen und Grenzen. Es erlaubt moralische Erhabenheit ohne Risiko. Kannste nicht erfinden, möchte man sagen, aber genau das ist es: eine erfundene Prioritätensetzung.

Die Ironie der wohlmeinenden Schieflage

Die eigentliche Satire schreibt sich hier selbst, ganz ohne literarische Anstrengung. In einer Stadt, in der jüdische Eltern ihre Kinder nicht ohne Sicherheitskonzept in die Schule schicken, erklärt die Politik einen Aktionstag gegen Islamophobie zum Beitrag des Zusammenhalts. Das ist, als würde man bei Hochwasser einen Workshop über die Gefühle der Deiche veranstalten. Natürlich gibt es Islamfeindlichkeit, natürlich sind pauschale Verdächtigungen falsch und gefährlich. Aber der politische Witz liegt in der Asymmetrie: Die reale, statistisch belegbare Bedrohung jüdischen Lebens wird verwaltet, während die symbolische Kränkung anderer Gruppen zelebriert wird. Der Staat agiert wie ein Gastgeber, der den brennenden Vorhang ignoriert, um sich ausführlich um die Befindlichkeiten der Gäste zu kümmern. Das ist keine Böswilligkeit, sondern eine Mischung aus Angst vor Konflikten und der Lust an moralischer Selbstvergewisserung. Man möchte auf der richtigen Seite stehen, koste es, was es wolle – zur Not auch die intellektuelle Redlichkeit.

TIP:  DANKE, GENOSSE ANDI!

Satire als letzter Realismus

Vielleicht bleibt am Ende nur der zynische Humor als Überlebensstrategie. Ein Augenzwinkern, das weniger aus Heiterkeit als aus Ermüdung geboren ist. Wenn der Staat „Zusammenhalt“ beschwört, während er faktisch Parallelrealitäten absichert, dann ist das kein Skandal mehr, sondern Routine. Die Polizei vor der Synagoge, der gut gemeinte Aktionstag im Kalender, die wohlfeilen Erklärungen – alles greift ineinander wie Zahnräder einer Maschine, die erstaunlich reibungslos läuft, solange niemand fragt, wohin sie eigentlich fährt. Satire hat hier die undankbare Aufgabe, das Offensichtliche auszusprechen, ohne dabei in platte Anklage zu verfallen. Sie zeigt auf die Absurdität einer Lage, in der Schutz zur Normalität geworden ist und Symbolpolitik zur Ersatzhandlung. Lachen kann man darüber nur noch mit einem leichten Ziehen im Magen. Aber vielleicht ist genau dieses Lachen, halb bitter, halb trotzig, der letzte Rest von Zusammenhalt, der nicht verordnet werden kann.

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