
Bevor wir zur eigentlichen, staatsgefährdenden, Demokratiezersetzenden und zweifellos von finsteren Mächten ferngesteuerten Kritik schreiten – und ja, ich verwende hier bewusst das Wort „Kritik“, auch wenn das in Zeiten wie diesen einem Brandanschlag auf das Grundgesetz gleichkommt –, sei eine Vorbemerkung gestattet. Wer in dieser Republik heute das Wagnis eingeht, einen Gedanken zu Ende zu denken, bevor er ihn mit einem moralischen Filter systemkonform weichspült, gilt bestenfalls als „Querulant“, schlimmstenfalls als „Gefährder“, und in der Mitte des Spektrums wartet der folkloristische Tritt in die soziale Ächtung. Darum sei an dieser Stelle gleich klargestellt: Alles, was folgt, ist natürlich nicht ernst gemeint. Es ist Satire. Ironie. Kunst. Literatur. Humor. Und selbstverständlich ein Ausdruck tiefster Loyalität zur einzig wahren, ewig jungen, moralisch unangreifbaren Demokratie 2.0.
Die Metamorphose der Kritik: Vom Diskurs zum Delikt
Es war einmal ein Land, in dem man Dinge sagen durfte, ohne sie erst in genderneutrale Watte zu wickeln. Wo man im Fernsehen noch über Politiker lachen konnte, ohne dabei das Risiko einzugehen, dass eine Faktencheck-Taskforce mit Rammbock und Hashtag durchs Wohnzimmerfenster krachte. Damals nannte man das: Meinungsfreiheit. Heute hingegen ist Meinungsfreiheit eine Art nostalgischer Fetisch – man redet gern darüber, stellt sie zur Schau, nennt sie ununterbrochen beim Namen, aber wehe, jemand benutzt sie tatsächlich. Dann wird’s ungemütlich.
Denn Kritik ist heute kein Bestandteil mehr des demokratischen Diskurses – sie ist ein Angriff. Nicht etwa auf eine konkrete Entscheidung, nicht auf ein Gesetz oder eine Maßnahme, sondern auf das heilige Prinzip der Demokratie selbst. Wer sich etwa erdreistet, eine Regierungsentscheidung in Zweifel zu ziehen, stellt sich damit – laut offizieller Sprachregelung – außerhalb des „demokratischen Konsenses“. Und weil dieser Konsens inzwischen so eng gezogen ist wie die Jeans eines Influencers, reicht ein falscher Halbsatz, um auf ewig aus der Herde verstoßen zu werden.
Die neue Theologie: Demokratie als dogmatisches Unfehlbarkeitskonstrukt
Die Demokratie, so wurde uns einst beigebracht, lebt vom Streit, vom Widerwort, vom Zweifel. Heute lebt sie – glaubt man den Verteidigern der „offenen Gesellschaft“ – vom Beklatschen, vom Konsens, vom immerwährenden Nicken. Kritik ist nicht mehr der Sauerstoff des Diskurses, sondern dessen CO₂. Sie vergiftet das Klima, sorgt für „Verunsicherung“ und nährt „Narrative“, dieses neue Lieblingsschimpfwort der Wohlmeinenden. Ein „Narrativ“ ist heute nichts anderes als eine Meinung, die der Regierungsmehrheit nicht gefällt.
Demokratie ist zum neuen Sakralobjekt geworden. Sie darf nicht mehr angefasst werden, schon gar nicht mit schmutzigen Händen. Kritik ist Blasphemie. Und wie alle Religionen in ihrer Endphase hat auch diese ihre Inquisition entwickelt. Die Heiligen heißen heute „Verfassungsschützer“, die Ketzer heißen „Demokratiefeinde“, „Delegitimierer“, „Schwurbler“ oder einfach nur: „besorgte Bürger“ – was mittlerweile ein derart sarkastischer Kampfbegriff ist, dass man sich fragt, ob er aus einer besonders zynischen Comedy-Redaktion stammt.
Die Talkshow als Tribunal, das „Wir“ als Urteil
Man kennt das Schauspiel: Eine Person – sagen wir ein Autor, ein Mediziner, ein Professor – äußert einen kritischen Gedanken. Nicht hetzerisch, nicht verfassungsfeindlich, sondern einfach: nachdenklich. Was dann folgt, ist die ritualisierte Abwicklung. Die Talkshow lädt ihn ein – nicht um zuzuhören, sondern um vorzuführen. Die anderen Gäste, handverlesen aus dem Stamm der Unerschütterlich-Überzeugten, rollen die Augen, atmen tief durch, machen besorgte Gesichter. Der Moderator, einst Diener der offenen Debatte, mutiert zum Staatsanwalt in einem Gericht ohne Berufungsinstanz.
Dann fällt der Satz: „Aber das ist doch Wasser auf die Mühlen der …“. Damit ist alles gesagt. Denn das Argument ist nicht mehr relevant. Nur noch dessen mögliche Wirkung zählt. Und weil die Wirkung – irgendwo, theoretisch, hypothetisch – gefährlich sein könnte, muss auch der Gedanke selbst gefährlich sein. Logik? Egal. Hauptsache, die Moral bleibt sauber.
Von der Kritik zur Kategorie: Wer widerspricht, gehört nicht mehr dazu
Die perfideste Methode der Kritikvermeidung ist nicht die Widerlegung – es ist die Kategorisierung. Man sagt heute nicht mehr: „Das Argument ist falsch.“ Man sagt: „Ah, das ist ja wieder so eine typische Erzählung von XY.“ Und XY ist wahlweise: rechts, links, antisemitisch, russlandfreundlich, neoliberal, klimaleugnend, verschwörungsideologisch – je nach Kontext und Tagesform. Der Trick ist einfach: Wer kritisiert, wird nicht mehr als Stimme innerhalb des Diskurses gesehen, sondern als Vertreter eines Lagers. Und Lagersprache ist Lagerdenken. Damit hat man ihn erledigt, ohne je auf seine Argumente eingehen zu müssen.
So entsteht das, was man den „Konsens der Anständigen“ nennt. Ein Konsens, der so stabil ist, dass er jeden Widerspruch nicht widerlegt, sondern aussortiert. Der Diskurs endet nicht, weil keiner mehr reden will, sondern weil keiner mehr zuhört. Und wer trotzdem redet, bekommt keine Antwort, sondern ein Etikett.
Schlussbetrachtung mit bitterem Nachgeschmack und einem Hauch Hoffnung
Natürlich, dieser Text ist überzogen. Polemisch. Zynisch. Einseitig. Und, wie eingangs gesagt, selbstverständlich nicht ernst gemeint. Denn wer wäre so töricht, in einem Land wie diesem wirklich zu glauben, dass Kritik an Regierungshandeln automatisch als Delegitimierung der Demokratie gilt? Wer würde ernsthaft behaupten, dass offene Debatte heute durch ein Korsett aus politischer Korrektheit, moralischer Überhöhung und mediengetriebener Cancel Culture ersetzt wurde?
Nein, das wäre ja absurd.
Viel wahrscheinlicher ist, dass dieser Text bald zitiert wird – in einem Dossier über Demokratieverachtung, Desinformation und rechte Narrative. Und das wäre doch ein schöner Abschluss: Wenn die Kritik an der Kritik der Kritik zur Bestätigung genau jener Zustände wird, die sie eigentlich bloß – mit einem Augenzwinkern – beschreiben wollte.