Friedenssicherung mit Einschränkungen: Österreich auf diplomatischem Eiertanz

Die Neutralität – ein Mantel für alle Wetterlagen

Es gibt Länder, die sind groß. Es gibt Länder, die sind mächtig. Und dann gibt es Österreich – ein Land, das sich gern großmächtig fühlt, solange niemand auf die Idee kommt, das wörtlich zu nehmen. Die Neutralität, jenes sakrosankte Staatsprinzip, ist das Schweizer Taschenmesser der österreichischen Außenpolitik: geeignet für alles und nichts zugleich, jederzeit vorzeigbar, jedoch möglichst ohne es wirklich zu benutzen.

Klaudia Tanner, ihres Zeichens Verteidigungsministerin und Hüterin des vermutlich am wenigsten ausgelasteten Heeres westlich der Donau, hat nun in bedächtig-wohlüberlegter Tonlage verkündet, dass eine Beteiligung Österreichs an einer Friedensmission in der Ukraine nicht ausgeschlossen sei. Vorausgesetzt, es gibt einen Waffenstillstand. Und vorausgesetzt, es ist keine Mission im Kriegsfall. Und vorausgesetzt, die Verfassung lässt es zu. Und vermutlich auch vorausgesetzt, dass die Temperaturen angenehm, die Verpflegung biologisch und die Uniformen farblich abgestimmt sind.

Das ist bemerkenswert. Nicht etwa, weil Österreich jetzt die Weltbühne betritt, sondern weil es mit bemerkenswerter Präzision nichts sagt, dabei aber so tut, als wäre das eine relevante politische Handlung. Österreich möchte helfen, ja, aber nur, wenn es ungefährlich ist. Nur, wenn niemand schießt. Und nur, wenn es nicht auffällt.

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Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Friedensmission in einem der brutalsten Konflikte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg – aber nur, wenn kein Krieg mehr ist. Das ist, als würde die Feuerwehr beim Großbrand vor der Tür ankündigen: „Wir kommen, sobald es nicht mehr brennt.“ Eine Friedensmission im Kriegsfall sei ausgeschlossen, heißt es – was logisch klingt, aber bei genauerem Hinsehen eine absurde Bankrotterklärung ist. Denn wann, wenn nicht im Krieg, bräuchte es eine Friedensmission?

Doch Österreich versteht unter „Friedenssicherung“ offenbar ein humanitäres Panoramatraining mit Sicherheitsabstand. Der „Einsatz nach dem Einsatz“, eine Art moralisches Nachbeben, das auftritt, sobald alle anderen längst wieder abgezogen sind. Solange das Risiko null ist, die PR-Bilder hübsch und der Kaffee am Checkpoint trinkbar – dann kann man sich eine Beteiligung vielleicht überlegen.

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Geopolitisches Mitläufertum mit Sicherheitsabstand

Es ist kein Zufall, dass die österreichische Außenpolitik seit Jahrzehnten mit bemerkenswerter Leidenschaft an ihrer eigenen Irrelevanz feilt. Wo andere Staaten Interessen haben, hat Österreich Befindlichkeiten. Wo andere Position beziehen, gibt man hierzulande bekannt, prinzipiell offen für Gespräche zu sein – in alle Richtungen natürlich, neutral eben.

Diese Neutralität, einst ein kluger Schachzug in der Blockkonfrontation, ist mittlerweile zur Ausrede für außenpolitische Abstinenz verkommen. Sie dient als Tarnkappe für das Nichtstun, als Tarnnetz für geistige Bewegungslosigkeit. Während andere Länder liefern – Waffen, Hilfsgüter, politische Impulse – liefert Österreich Primärmitteilungen ohne Wirkung und die vage Aussicht, vielleicht irgendwann mal „dabei zu sein“.

Die Ukraine kämpft derweil ums Überleben, unter enormem Blutzoll. Aber Österreich gibt zu bedenken, dass die Neutralität keinen „Kriegseinsatz“ erlaube – als hätte das jemand verlangt. Niemand hat verlangt, dass Österreich Leopard-Panzer nach Kiew rollt oder Tarnkappenbomber über die Ostukraine schickt. Doch die wiederholte Betonung des „Nicht-Dabeiseins“ ist selbst zur Pose geworden – als sei das Fernbleiben eine Form moralischer Überlegenheit.

Friedenspolitik auf rhetorischem Tretboot

Man kann das Ganze auch so lesen: Österreich möchte schon gern irgendwie relevant sein, sich aber auf keinen Fall dabei die Finger verbrennen. Eine Friedensmission? Ja, vielleicht, irgendwann, wenn es keine Risiken mehr gibt, und man vorher rechtzeitig sagen kann, dass man immer für Frieden war. Es ist die klassische Kunst der politischen Ambiguität: so formulieren, dass man später in jedem Fall sagen kann, man habe es ja gesagt – ganz egal, was tatsächlich geschieht.

Diese Form des „aktiven Abwartens“ ist bezeichnend für eine politische Klasse, die jede Aussage sofort mit zwei Fußnoten relativiert. Wer so spricht, will keine Verantwortung, sondern Rückversicherung. Tanner möchte offenbar helfen, aber nur, wenn sichergestellt ist, dass niemand merkt, dass Österreich mitgemacht hat – oder mitmachen wollte. Das ist Außenpolitik im Modus des Ghostings: Signale senden, aber nie zurückrufen.

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Vom humanitären Reflex zur PR-Pose

Der Begriff „Friedensmission“ ist dabei ohnehin ein sprachliches Nebelgranatlein. Was genau bedeutet das? Sanitäter? Blauhelme? Beobachter? Feldpostbeamte mit Yoga-Ausbildung? Oder vielleicht doch nur eine kleine Delegation mit Pressematerial und symbolischem Zelt? Man weiß es nicht. Und genau das ist wohl auch der Punkt. Solange die Debatte über mögliche Eventualitäten schwebt, muss man keine Entscheidungen treffen. Politik als hypothetisches Schachspiel auf einem Brett, das gar nicht aufgebaut ist.

So wird aus einer potenziellen humanitären Aktion eine PR-Strategie. Eine PR-Strategie, die vor allem verhindern soll, dass jemand den Verdacht äußert, Österreich sei nicht empathisch genug. Man ist empathisch, selbstverständlich. Nur eben nicht so weit, dass man sich körperlich einbringen müsste. Moralische Präsenz ja – aber bitte kontaktlos.

Ein Land übt sich im Wegschauen

In Wahrheit ist die Frage, ob Österreich sich theoretisch an einer hypothetischen Friedensmission nach einem Waffenstillstand beteiligen könnte, eine politische Nullnummer. Der Satz sagt nichts, bedeutet nichts und kostet nichts. Und gerade deshalb ist er so beliebt.

Was bleibt, ist ein Staat, der sich aus allem heraushalten will, aber bitte mit Applaus. Ein Staat, der von Frieden spricht, solange er sich nicht bewegen muss. Der auf Neutralität pocht, aber nicht erklären kann, wofür sie eigentlich noch nützlich ist. Und der eine Ministerin hat, die jeden möglichen Einsatz mit so vielen Einschränkungen versieht, dass nur noch ein PR-Besuch mit Fototermin in Frage kommt.

Fazit: Wer zu spät kommt, darf immerhin noch zuschauen

Österreichs außenpolitische Linie in der Ukraine-Frage ist die diplomatische Variante des Wartens auf besseres Wetter. Nur dass der Sturm bereits tobt – und der Regenschirm längst weggeflogen ist. Die Welt bewegt sich, aber Österreich sitzt im Gartenstuhl der Geschichte, murmelt etwas von „Neutralität“ und rührt im lauwarmen Verlängerter.

Und vielleicht ist genau das das österreichische Erfolgsrezept: Durch Untätigkeit auffallen. Durch Abwesenheit Eindruck machen. Und durch maximale Zurückhaltung maximale Bedeutungslosigkeit kaschieren.

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Friedensmission? Gern. Aber nur nach Voranmeldung. Und bitte ohne Risiko.

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