
I. Die Rede, die das Blut verklärt
Es gibt Momente, in denen die Sprache stirbt — nicht, weil sie zu wenig benutzt, sondern weil sie zu oft missbraucht wird.
Judith Butler ist eine jener Priesterinnen, die an ihrem Leichnam noch eine Fußnote anbringen.
Sie steht auf einer Bühne in Paris, dort, wo man einst über „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ philosophierte, und erklärt mit der süßen Sanftmut der moralisch Unfehlbaren:
Der 7. Oktober war kein Terror, sondern „bewaffneter Widerstand“.
Wie elegant das klingt, wenn man nicht danebensteht.
Wie rein, wie kontextualisiert, wie dekonstruiert.
Die Wirklichkeit – das ist bekanntlich das, was im Seminarplan keinen Platz mehr findet.
Butler, die Hohepriesterin des Postkolonialen, hat eine seltene Gabe: Sie kann das Unaussprechliche nicht nur aussprechen, sondern zugleich entgiften, indem sie es in Diskurs auflöst.
Blut ist für sie kein Beweis, sondern ein Text.
Und Tote sind keine Opfer, sondern narrative Instanzen der imperialen Grammatik.
II. Das Sakrament der Reinwaschung
Karl Kraus sagte einst, die Presse habe den Geist des Krieges erfunden, indem sie den Mord in die Syntax kleidete.
Butler nun hat die Syntax zur Waffe veredelt – sie mordet nicht mit Worten, sondern sie erlöst mit ihnen.
Ihre Philosophie ist die Liturgie des modernen Waschzwangs: Kein Blut soll unkommentiert bleiben, kein Opfer ohne Anmerkung, kein Täter ohne Diskurs.
Wenn sie „Widerstand“ sagt, dann ist das kein Wort, es ist ein Alibi.
Es schützt vor dem Anblick der Leichen, die die Theorie nicht vorgesehen hat.
Es erlaubt, in Harvard oder Paris mit gerunzelter Stirn von „Strukturen“ zu sprechen, während irgendwo ein Körper in der Sonne aufquillt.
Man kann es als moralisches Yoga verstehen:
Die totale Entspannung der Verantwortung bei maximaler Dehnung des Begriffs.
III. Vom Nutzen der Täter für das gute Gewissen
Sloterdijk hätte seine Freude an diesem Phänomen:
Der moderne Intellektuelle, so seine Diagnose, lebt in einem „Luftkurort der Gesinnung“.
Butler ist dort Stammgast, mit Dauerkarte.
In diesem Höhenluftmilieu zirkuliert kein Sauerstoff, nur Empörung.
Und so wird die Hamas, dieser blutige Witz aus dem Abgrund, zur „antikolonialen Bewegung“, die Hisbollah zum „Akteur der Selbstbestimmung“.
Das nennt man bei uns nicht mehr Realitätsverlust, sondern Haltung.
Denn wer Israel kritisiert, darf alles entschuldigen – sogar das Entschuldbare.
Es ist der neue Ablasshandel des akademischen Abendlands: Wer den Imperialismus oft genug verflucht, dem wird auch der Terror vergeben.
Das moralische Konto stimmt, solange man auf der richtigen Seite der Geschichte steht – egal, wie viele Massengräber auf dieser Seite liegen.
IV. Die moralische Klimaanlage
In Butlers Welt ist nichts, wie es scheint.
Ein Massaker ist ein „Narrativ“, ein Pogrom ein „Akt der Gegenhegemonie“, ein ermordetes Kind eine „Dekonstruktion der Subjektivität“.
Sie redet über die Welt, als habe sie nie stattgefunden.
Das alles funktioniert, weil sie die Luft im Raum reguliert.
Butler ist die Klimaanlage der akademischen Empfindsamkeit:
Sie kühlt jedes Entsetzen auf Zimmertemperatur.
Nie zu heiß, nie zu kalt.
Ein kontrolliertes Entsetzen, das nicht schwitzt.
So verwandelt sie den Schrei der Opfer in ein semantisches Phänomen, das man zitieren, analysieren, aber nicht hören muss.
V. Die Theologie der Verwundbarkeit
Butlers Lieblingsdogma lautet: Wir sind alle verletzlich.
Eine sanfte Wahrheit, die erst dann zum Skandal wird, wenn sie als Ersatz für Gerechtigkeit dient.
Denn wenn alles Leiden gleich ist, dann ist auch jedes Verbrechen gleich erklärbar.
Die Hamas? Verwundet.
Israel? Privilegiert.
Die toten Zivilisten? Ein tragischer, aber unvermeidlicher Kollateralschaden der Dialektik.
So entsteht aus Mitgefühl Gleichgültigkeit – die vielleicht raffinierteste Form des Zynismus.
Sloterdijk hätte das „anthropotechnische Verfahren der Empathieerschöpfung“ genannt.
Kraus hätte einfach gesagt: Das Denken hat aufgehört, zu denken.
VI. Das Publikum der Gerechten
Was aber wäre Butler ohne ihr Publikum – jene akademisch geläuterte Gemeinde, die im Beifall stets das Gewissen wäscht?
Sie sitzen da, die Intellektuellen von Paris, New York, Berlin,
nickend, notierend, in ethischer Verzückung:
Endlich sagt’s mal jemand!
Endlich hat das Leiden Struktur!
Endlich kann man das Morden wieder erklären, ohne sich schuldig zu fühlen!
Es ist die große Messe des moralischen Narzissmus.
Denn wer klatscht, beweist nicht Zustimmung, sondern Reinheit.
Das ist das wahre Dogma dieser neuen Religion: Ich empöre mich, also bin ich unschuldig.
VII. Der Rausch der Dekonstruktion
Man könnte Butler fast beneiden.
Wer sonst schafft es, die Realität so vollständig in Begriffe zu verwandeln, dass selbst das Ungeheuerliche zur Fußnote wird?
Die Dekonstruktion, einst als Methode der Befreiung gedacht, ist bei ihr zur Droge geworden – eine intellektuelle Halluzination, die alle Grenzen zwischen Täter und Opfer, zwischen Blut und Tinte, zwischen Leben und Theorie verwischt.
Sie dekonstruiert, bis nichts mehr da ist, das dekonstruiert werden könnte – nicht einmal der Schrei.
VIII. Epilog: Die Ethik des Augenzwinkerns
Am Ende bleibt ein Bild:
Judith Butler, stehend vor einem Pariser Publikum, den Blick mild, die Stimme ruhig,
wie jemand, der das Inferno aus sicherer Distanz beschreibt.
Hinter ihr flackern die Schatten derer, die keine Theorie mehr brauchen,
weil sie längst tot sind.
Sie spricht über „Widerstand“ – und die Welt hört ihr zu.
Man könnte lachen, wäre es nicht so perfekt choreographiert.
Karl Kraus hätte gesagt: Wenn die Sprache sich prostituiert, nennt sie das heute Diskurs.
Sloterdijk hätte hinzugefügt: Die Menschheit hat sich von der Scham befreit – und nennt es Emanzipation.
Und so bleibt die Philosophie Judith Butlers das, was sie immer war:
Ein System zur moralischen Selbsterwärmung im Winter des Mitgefühls.
Eine Betriebsanleitung für jene, die lieber recht behalten als recht handeln.
Ein Monument der Unschuld, errichtet auf den Ruinen des Begriffs.