
Lea Weber betritt Wien durch eine Schleuse aus Sensoren und Kameras. Drohnen surren über der Altstadt, scannen jede Bewegung, jeden Blick. Sie fühlt den ESC (European-Social-Credit) auf ihrer Haut – jeder Punkt, jede Entscheidung wird gemessen. Sie hält ihr Tablet fest, das EUDI-System (European Digital Identity) blinkt unaufhörlich. Die Digital-Identity der Union registriert jede Geste, gleichzeitig ist sie ihr Zugang zu Informationen, zu Ressourcen, zu virtuellen Parlamenten, in denen Entscheidungen längst vorhersagbar sind.
Fabriken stehen still, nur die Sonne und der Wind diktieren Produktion. Verbrennerautos sind verboten, die Straßen leise. Supermärkte glänzen, aber die Regale sind leer. Ein verspäteter eEuro-Transfer, ein falscher Klick in einer App – und schon drohen Boot-Camps oder Boomer-Camps (je nach Alter). Europa lehrt, dass Freiheit nur eine Funktion von Compliance ist, dass Kontrolle gleichbedeutend mit Leben ist.
Ursula I. – Die Dirigentin der Union
„Big Sister“ Ursula I. – Dirigentin der Union nach der Vereinigung aller „demokratischen Parteien“ zur SED (Soziale Europäische Demokratie) – sitzt in ihrem Büro, umgeben von flimmernden Bildschirmen, die Daten aus allen Mitgliedsstaaten ausspucken. ESC-Werte, Produktionsquoten, soziale Spannungen: Alles fließt in Echtzeit in ihre Entscheidungen ein. Jede Bewegung ist inszeniert, jede Entscheidung choreografiert. Sie spricht in virtuellen Parlamenten von digitalen Amazonas, synchronem Dehnen der Bürger, ökologischen Ritualen. Wer nicht folgt, verliert Punkte; wer widerspricht, wird „umgeschult“.
Für Ursula ist Politik Performancekunst. Konflikte inszeniert sie, religiöse Strukturen integriert sie, Medienströme lenkt sie wie ein Orchester. Der Islam wird als EU-Institution unter dem Sharia Kommisar Mohammed Halal gleichberechtigt, Feiertage gelten EU-weit, Moscheen werden staatlich gefördert – und doch überwachen Algorithmen jede haram Abweichung. Jede Störung fließt in die ESC-Bewertung ein. Europa ist gleichzeitig tolerant und repressiv, utopisch und kafkaesk, ein Kontinent der strikten Inszenierung.
Wolodymyr – Der Provokateur im Schatten
In einem abgelegenen Büro der Großrepublik Bandera (die Vereinigung Ukraine/Russland) sitzt Wolodymyr und lächelt. Auf seinen Bildschirmen laufen Simulationen, Social-Media-Shitstorms, gefälschte Nachrichten. Jede Provokation erzeugt Spannungen, die Ursula I. herausfordern. „Sie glauben, sie kontrollieren alles“, murmelt er, „aber sie spielen nach Regeln, die ich breche.“
Wolodymyr inszeniert Cyberangriffe, militärische Manöver und diplomatische Provokationen. Europa steht auf einem Pulverfass. Jeder Fehler der Union könnte den ESC destabilisieren, jeden Schritt der Bürokratie durchkreuzen. Doch die Algorithmen sind blind für menschliche Kreativität, für versteckte Wege, die das System umgehen.
Boot-Camps und Boomer-Camps
In einem abgelegenen Trainingslager sitzen Jugendliche auf gestuften Holzbänken, Augen gesenkt, ihre EUDI-Punkte auf Tablets blinkend. „Boot-Camps“ heißen sie willkommen. Körper und Geist werden diszipliniert, Loyalität programmiert, soziale Interaktionen bewertet. Parallel leben die Älteren in „Boomer-Camps“, ein „sanftes Umerziehen“, streng reglementiert, damit die Vergangenheit die Algorithmen der Gegenwart nicht stört.
Lea beobachtet sie aus der Ferne, sieht, wie Widerstand im Verborgenen entsteht: heimliche Gespräche, verborgene Nachrichten, flüchtige Begegnungen zwischen Menschen, die das System umgehen. Kleine Inseln der Freiheit, unregistriert, kaum messbar, aber real.
Alltag zwischen Algorithmus und Inszenierung
Die Straßen Wiens sind ein Theater der Absurdität. Drohnen patrouillieren über Solarparks, Windräder summen wie Orgeln. Menschen hetzen auf Sonnenstrom-Rollern zu Ladestationen, Apps diktieren, wann sie duschen oder kochen dürfen. Die Industrie produziert nur, wenn die Energie stimmt, das Leben richtet sich nach Algorithmen.
In Soja-Cafés diskutieren Bürger über Trinkgeld in eEuro oder Solarpunk-Tokens, während Kinder lernen, Papier nur bei passenden Windstärken zu recyceln. Jeder Sonnenstrahl, jeder Windstoß, jede digitale Transaktion könnte den ESC verändern. Jeder Schritt kann über Boot-Camp oder Boomer-Camp entscheiden. Die Realität ist Performance, Ritual und Überwachung zugleich.
Inseln der Freiheit
Lea Weber findet kleine Wege, das System zu umgehen. Sie verschickt unregistrierte Nachrichten, markiert geheime Treffpunkte, organisiert Gemeinschaftsgärten auf Dächern, improvisierte Solarinstallationen. Diese versteckten Akte der Autonomie sind winzig, doch sie genügen, um Menschlichkeit zu bewahren.
Sie beobachtet Ursula I., die immer noch die Union dirigiert, und Wolodymyr, der aus dem Schatten provoziert. Zwischen digitaler Überwachung und realem Hunger entstehen stille Proteste, unsichtbare Netzwerke, Momente, in denen die Menschen einen Atemzug außerhalb des Systems nehmen können.
Europa 2035 lebt zwischen Hightech-Utopie und kafkaesker Bürokratie, zwischen ritualisierter Macht und realer Not, zwischen symbolischer Energie und knappen Lebensmitteln. Ursula dirigiert, Wolodymyr provoziert, und Lea Weber navigiert, sucht kleine Freiheiten, erlebt Momente der Autonomie in einem Kontinent, der Ordnung, Kontrolle und Inszenierung perfektioniert hat.
Die Stadt summt im Takt der Windräder. Drohnen kreisen. eEuro klimpern leise. Und irgendwo dazwischen atmet ein Mensch frei, wenn auch nur für einen kurzen flüchtigen Moment.