EU-Truppen in die Ukraine

Der letzte Tango der europäischen Selbstverleugnung

Manchmal fragt man sich, ob die Geschichte wirklich ein lineares Narrativ ist oder ob wir uns stattdessen in einer endlosen Schleife der politischen Kurzsichtigkeit befinden. Die jüngsten Diskussionen über die Entsendung europäischer Truppen in die Ukraine wirken wie das surreale Echo eines historischen Traumas, das sich weigert, zu verblassen. Großbritannien und Frankreich, jene beiden Altmeister des geopolitischen Schachspiels, sollen laut Le Monde ernsthaft in Erwägung ziehen, ihre Soldaten in ein Land zu entsenden, das seit Jahren ein Synonym für verbrannte Erde ist. „Wir schließen keine Option aus“, ließ Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot jüngst verlauten. Eine Aussage, die in ihrer Vagheit nur von ihrer Absurdität übertroffen wird.

Doch wie lässt sich diese Eskalation rechtfertigen? Offiziell ist es Solidarität mit der Ukraine, ein Akt europäischer Stärke gegen russische Aggression. Inoffiziell scheint es eher eine Flucht nach vorne zu sein – ein verzweifeltes Manöver, um die eigene sicherheitspolitische Relevanz unter Beweis zu stellen, während man gleichzeitig darauf spekuliert, dass der Krieg doch bitte irgendwie vorbei sein möge, bevor die ersten „Leiber“ heimtransportiert werden müssen.

Das Symbol der Solidarität oder das neue Sündenbock-Syndrom?

Man könnte meinen, dass ein Land wie Frankreich, das in den letzten Jahrzehnten mehr als einmal an der Komplexität internationaler Konflikte gescheitert ist, ein gewisses Maß an Demut entwickelt hätte. Doch weit gefehlt: Präsident Emmanuel Macron sinniert offenbar seit Monaten über die „Notwendigkeit“ europäischer Truppen in der Ukraine. Es sei „unsere Verantwortung als Europäer“, heißt es in den öffentlichen Bekundungen – eine Phrase, die mehr nach moralischer Erpressung als nach strategischer Einsicht klingt. Wer diese Verantwortung genau definiert, bleibt nebulös.

Gleichzeitig baut der britische Verteidigungskonzern Babcock bereits einen Standort in der Ukraine, um militärische Ausrüstung zu warten. Ein nahezu komödiantischer Anblick: Während die Soldaten in einer Hand die Waffe halten, klopfen sie mit der anderen an die Werkstatt, um ihre Panzer überholen zu lassen. Man fragt sich unweigerlich, ob dies die Vorboten eines „schleichenden Engagements“ sind – jener verhängnisvollen Dynamik, die bereits Afghanistan und den Irak in ein Fass ohne Boden verwandelte.

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Sozialhilfe statt Frontdienst

Inmitten dieser Entwicklungen stellt sich die unweigerliche Frage, wie die europäischen Entscheidungsträger es rechtfertigen wollen, dass junge Männer aus Kiew, Lwiw oder Odessa in den westlichen Städten Europas Sozialhilfe beziehen, während britische und französische Soldaten auf ukrainischem Boden sterben. Was wie ein satirischer Sketch klingt, ist in Wahrheit eine bittere Realität: Zehntausende Ukrainer im wehrfähigen Alter genießen in Westeuropa Schutz und finanzielle Unterstützung, während ihre Landsleute an der Front kämpfen – und nun möglicherweise von europäischen Soldaten ersetzt werden sollen.

Ein Paradebeispiel dafür, wie man moralische Argumente in ihre eigene Karikatur verwandelt. Der Gedanke, dass ausgerechnet die Länder, die bereits über ihre unzureichend ausgestatteten Militärs klagen, nun ihre Männer und Frauen in einen Konflikt schicken könnten, dessen Ausgang alles andere als sicher ist, wirkt wie ein makabrer Witz. Aber ein Witz, der zunehmend Realität werden könnte.

Ein Lehrstück in Hybris und Realitätsverlust

Die Idee, EU-Truppen in die Ukraine zu entsenden, ist eine Mischung aus moralischem Größenwahn, strategischer Unbedarftheit und geopolitischer Selbstüberschätzung. Der Versuch, Stärke zu demonstrieren, indem man die eigenen Soldaten in einen fremden Krieg schickt, könnte zum endgültigen Beweis der europäischen Schwäche werden. Die Tatsache, dass diese Debatte überhaupt geführt wird, ist ein Indiz dafür, wie sehr die politischen Eliten in ihrer Blase der vermeintlichen Alternativlosigkeit gefangen sind.

Es bleibt zu hoffen, dass die Vernunft siegt – oder zumindest der Selbsterhaltungstrieb. Denn eines ist sicher: Der Krieg in der Ukraine wird nicht durch mehr Tote entschieden, sondern durch den klugen Einsatz von Diplomatie, Ressourcen und, ja, auch militärischer Unterstützung. Aber eben einer Unterstützung, die Grenzen respektiert – sowohl geografisch als auch moralisch.


Quellen und weiterführende Links:

  1. Le Monde: Bericht zur Diskussion über EU-Truppen in der Ukraine (Französisch)
  2. BBC-Interview mit Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot
  3. Analyse zu militärischen Reparaturstandorten in der Ukraine – Reuters
  4. Bericht zur EU-Unterstützung der Ukraine – EU Observer
  5. Hintergrundinformationen zu europäischen Verteidigungsstrategien – European Defence Agency
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