
Die heilige Kuh in der Sackgasse
Es war einmal ein Land, in dem das Auto mehr war als ein Fortbewegungsmittel. Es war ein Fetisch. Eine Identität. Ein Heiligtum auf vier Rädern. Und in diesem Land, so will es die Legende, schleuderten Ingenieure mit dem Temperament von Altphilologen seit Jahrzehnten Drehmomente auf die Weltmärkte, während Vorstände sich beim Neujahrsempfang gegenseitig die CO₂-Bilanzen in die Lackschicht scratchten. Und nun?
Nun rollen die Götzen von einst schnaufend in die Gegenwart – und prallen auf eine Wand aus Realität. Zölle? Störend. China? Schwierig. Der Dollar? Schwach. Der Gewinn? Noch schwächer. BMW vermeldet einen Einbruch um fast ein Drittel. Damit steht BMW allerdings immer noch stabiler da als die anderen deutschen Automobilkonzerne: VW hatte – wie seine Tochter Audi – im ersten Halbjahr mehr als ein Drittel, Mercedes-Benz sogar mehr als die Hälfte des Gewinns eingebüßt, Porsche gleich um 91 Prozent – also praktisch ein monetäres Totalschaden-Gutachten in Excel-Form. Es ist, als hätte man ein Jahr lang auf dem Nürburgring mit angezogener Handbremse versucht, die Weltherrschaft zurückzuerobern. Spoiler: Hat nicht geklappt.
Vom Exportweltmeister zum Reklamationsbeauftragten
Früher prahlte Deutschland mit seinen Exportzahlen wie ein Influencer mit seinen Bauchmuskeln. Heute muss der Exportweltmeister zur Kenntnis nehmen, dass die Welt nicht mehr ungeduldig auf das nächste übermotorisierte Statussymbol aus Bayern wartet – schon gar nicht, wenn ein chinesischer BYD für den halben Preis mehr Technik, weniger Arroganz und gratis Hafermilchkaffee in der Mittelkonsole bietet.
Dass das Geschäft in China „schwierig“ sei, ist dabei eine bemerkenswert untertriebene Formulierung – so, als würde man sagen, die Titanic habe ein kleines Navigationsproblem gehabt. In Wahrheit hat die chinesische Regierung mit subtiler, aber tödlicher Eleganz damit begonnen, den deutschen Autobauern ihre Schwächen zurückzuspiegeln: zu schwerfällig, zu überheblich, zu spät.
Und so klammern sich die Konzerne an die alte Gewissheit, dass man nur „Premium“ genug brüllen muss, um den Markt zum Zittern zu bringen. Dumm nur, dass das Wort „Premium“ in Shenzhen mittlerweile eine Gähn-Reaktion auslöst – vergleichbar mit einem Blackberry im Jahr 2012.
Innovation? Nur mit Zulassung und Kantinenplan
Natürlich gibt es im Innersten der deutschen Automobilindustrie noch Ideen, Fantasie, ja sogar Visionen. Sie werden liebevoll auf DIN-A4-Papier dokumentiert, dann in Sitzungen totprotokolliert, mit Datenschutzbedenken sterilisiert und schließlich von einem Konzernjuristen mit einem Vermerk „noch mal prüfen“ in der Schublade versenkt.
Innovationskultur? Ja, sicher – aber bitte nicht vor dem Tarifabschluss. Lieber wird ein millionenschweres SUV mit eingebautem Rückfahrassistenten für moralische Verantwortung auf den Markt geworfen, statt endlich ein ernstzunehmendes E-Auto zu bauen, das nicht aussieht, als sei es aus einem IKEA-Bausatz gefallen.
Inzwischen haben Tesla, Hyundai und eben jene vielgescholtenen Chinesen längst gezeigt, wie man Elektromobilität radikal und sexy denken kann. Und während BMW noch damit beschäftigt ist, die historische Wichtigkeit des Sechszylinders in einer Wanderausstellung zu erklären, entscheidet sich die nächste Generation für ein Auto, das sie nie besitzen, sondern nur abonnieren will. Was bei BMW ungefähr so beliebt ist wie vegane Weißwürste.
Der deutsche Traum vom stotternden Reichtum
Doch die vielleicht tragischste Pointe dieses Trauerspiels ist: Es geht nicht nur um Zahlen. Es geht um Menschen. Rund 800.000 Beschäftigte hängen hierzulande direkt von der Autoindustrie ab – was in der politischen Argumentation gerne klingt wie ein moralischer Airbag gegen jede Veränderung.
Die Industrie steckt also in einer absurden Zwangslage: Einerseits weiß sie, dass die Transformation kommen muss, andererseits fürchtet sie sich vor ihren eigenen Beschäftigten, den Betriebsräten, den Subunternehmern, den Wählern, den Gewerkschaften. Kurz: vor allen.
Und so bleibt man lieber auf halber Strecke stehen – dort, wo man noch glitzernde Imagekampagnen mit dem Begriff „Zukunft“ schmücken kann, ohne sie wirklich betreten zu müssen. Das hat in etwa die Konsequenzkraft eines Fallschirms, der sich weigert, sich beim Absprung zu entfalten, weil man ja sonst nass werden könnte.
Fazit: Kein Ausweg aus der Einbahnstraße ohne Rückwärtsgang
Wenn das Auto jemals das Symbol deutscher Ingenieurskunst war, dann ist sein Niedergang nun das Symbol für ihre Unbeweglichkeit. Und obwohl BMW – noch – vergleichsweise stabil dasteht, ist auch hier längst klar: Das Fundament bröckelt.
Und vielleicht ist das auch gut so. Denn in dieser Krise steckt die Chance, endlich ehrlich zu werden. Sich einzugestehen, dass es nicht mehr reicht, der Vergangenheit ein Facelift zu verpassen, um sie als Zukunft zu verkaufen. Dass „Made in Germany“ nicht automatisch bedeutet, dass der Rest der Welt sich artig hinten anstellt. Und dass E-Mobilität mehr ist als ein Benziner mit Batterie.
Bis dahin bleibt die Industrie auf der Bremse. Mit Vollgas.
Aber immerhin: Die Fensterheber funktionieren noch.