
Ein Staatssekretär, ein Audi A8, vier Betrunkene und der Holocaust-Vergleich: Die Operette der Verantwortungslosigkeit
I. Die Schwere eines Fahrzeugs in Tonnen – und in Symbolik
Es gibt Autos und es gibt Allegorien. Der Audi A8 in Langversion – jenseits der 120.000 Euro, durchsetzt mit Massagefunktion, klimatisierten Ledersitzen und einem Kühlschrank für genau jene Weißweine, die man später rhetorisch zu viel getrunken haben könnte – ist beides. Wenn ein Staatssekretär (jene seltsame hybride Lebensform zwischen Aktenstaub und Machtgelüsten) sich in dieses Fahrzeug setzt, dann fährt er nicht einfach. Nein, er schwebt. Über dem Pöbel, über den Lebensrealitäten seiner Wähler, ja sogar über dem Gesetz der Gravitation des gesunden Menschenverstands. In diesem A8 fährt keine Privatperson – hier rollt der Staat selbst, gepanzert gegen Anstand, mit Vierradantrieb in Richtung Selbstzerstörung.
II. Vier Betrunkene steigen ein – der Anfang einer mittelmäßigen Anekdote
Man stelle sich nun die Szene vor: vier alkoholisierte Jugendliche, vermutlich mit billigen Bierfahnen und einem Weltbild, das irgendwo zwischen Mario Barth und Telegram verschwimmt, betreten das Zugabteil. Ein Staatssekretär – sagen wir, mittleren Alters, mit dem Habitus eines Mannes, der einmal Goethe gelesen hat, aber ihn in der Steuererklärung nicht wiederfand – wird Zeuge ihrer Provokationen. Statt jedoch in souveräner Gelassenheit zu verharren oder sich an die nüchterne Verantwortung seiner Rolle zu erinnern, greift er zum sakrosankten Vergleichs-Vorschlaghammer der deutschen Erinnerungskultur: dem Holocaust.
III. 85 Jahre zurück – oder: Die instrumentalisierte Angst des privilegierten Mannes
„Ich hab mich so gefühlt wie vor 85 Jahren“, säuselt der Staatssekretär und sieht sich dabei offenbar im eigenen inneren Schwarz-Weiß-Film: Es ist 1938, er ist ein armer verfolgter Mensch, und diese vier Betrunkenen sind… die SA? Die Gestapo? Oder einfach nur betrunkene Halbstarke mit verbaler Diarrhöe?
Man muss schon sehr tief in seinem Empathiekonto überzogen haben, um eine Situation, in der man sich aus einem Bahnabteil entfernen könnte, mit dem Zustand der totalen Rechtlosigkeit und Vernichtungsgefahr unter dem NS-Regime zu vergleichen. Ein solcher Vergleich ist nicht nur geschmacklos – er ist intellektuell faul, moralisch korrupt und historisch ignorant. Es ist, als würde ein Millionär beim Anblick einer Steuerprüfung „Enteignung“ rufen oder ein Influencer seinen Algorithmusverlust mit „Zensur“ gleichsetzen.
IV. Der moralische Offenbarungseid im Monat der Befreiung
Dass diese Äußerung ausgerechnet im Mai fiel, jenem Monat, in dem sich die Befreiung der Konzentrationslager jährt, ist kein bedauerlicher Zufall, sondern ein bitterer Beleg für die emotionale Unbildung eines politischen Funktionärs. Es zeigt: Erinnerungskultur ist keine Immunisierung gegen moralische Abstürze. Und wenn jemand, der mit öffentlichem Geld, öffentlicher Würde und öffentlicher Repräsentation betraut ist, sich derart entblößt, dann ist nicht nur Rücktritt geboten – dann müsste man über die Rückrufbarkeit von Charaktereigenschaften diskutieren.
V. Ein Rücktritt wäre ein Anfang – aber kein Trost
Die Frage ist nicht nur, ob der Mann zurücktritt, sondern warum es überhaupt erst so weit kommen konnte. Wer ins hohe Amt berufen wird, ohne sich der Tiefe der Geschichte bewusst zu sein, ist wie ein Flugkapitän, der Höhenangst hat – es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Absturz kommt.
Aber wie sagte einst Kurt Tucholsky, der viel besser wusste, wie man Satire in Anstand verpackt: „Satire darf alles – nur nicht langweilen.“ Und langweilig ist das Spektakel nicht. Es ist entlarvend, es ist grotesk, es ist eine Schelle mit Horn – laut, peinlich und doch bezeichnend für den Zustand eines Landes, das sich in Sonntagsreden seiner Vergangenheit rühmt und sie werktags instrumentalisiert.