Ein Land zwischen Selbstbild und Wirklichkeit

Die Bundesrepublik Deutschland im Zeitalter der Verwirrung

Es gibt Länder, die wachsen. Und es gibt Länder, die wachsen nicht. Dann gibt es noch Deutschland – ein Land, das schrumpft und gleichzeitig so tut, als hätte es eine Wachstumsallergie, die ärztlich verordnet wurde. Deutschland, dieses geographische Meisterwerk der Bürokratie, des Formulardrucks und der Bedenkenträger, taumelt im 21. Jahrhundert mit einer Mischung aus technokratischer Arroganz, moralischer Überheblichkeit und digitaler Rückständigkeit, wie ein leicht beschwipster Beamter auf dem Heimweg von der Betriebsfeier. Wer das Glück (oder Pech) hat, außerhalb Deutschlands zu leben, aber regelmäßig mit Deutschen spricht – ob in Brüssel, Davos oder bei irgendeinem internationalem Kongress zur Rettung der Welt –, der wird bemerken: Deutschland ist überzeugt, alles besser zu wissen, obwohl es bei fast allem ins Straucheln gerät. Die Internetgeschwindigkeit liegt zwischen post-sowjetischer Nostalgie und steinzeitlicher Taubenschlag-Kommunikation, das Wirtschaftswachstum existiert nur noch als Echo aus besseren Jahren, und die Industrie – ehemals die strahlende Lokomotive Europas – wirkt heute wie ein rostiger Güterwaggon, dessen Bremsen quietschen und dessen Ziel unklar ist.

Digitalisierung? Lieber Faxgerät mit Datenschutzsiegel.

Deutschland und Digitalisierung – das ist wie ein Vegetarier beim Spanferkelessen: fehl am Platz, aber mit Prinzipien. In keinem anderen entwickelten Land der Welt gilt das Faxgerät als modernes Kommunikationsmittel mit so hohem moralischem Wert wie in deutschen Amtsstuben. Man glaubt fast, das Gerät sei heilig, geweiht von Datenschutzbeauftragten, die jede Form von Cloud-Speicherung als Vorhof der Hölle betrachten. Während Rumänien Glasfaserkabel verlegt, als hätte Dracula persönlich zur Digitalisierung aufgerufen, wühlt sich Deutschland durch Aktenschränke mit dem Eifer eines Archivars auf Zeitreise. Die Bürgerportale? Funktionieren manchmal. Die Verwaltung? Digital nur dort, wo man sich für eine neue Mülltonne bewerben kann. Der digitale Führerschein? Wird irgendwann nach 2030 erwartet, möglicherweise in einer Beta-Version mit elfseitigem PDF-Antrag, unterschrieben in dreifacher Ausführung, natürlich per Fax.

Moralweltmeister mit Wirtschaftshühnerbrust

Trotz oder gerade wegen all dieser Absurditäten versteht sich Deutschland als eine Art moralische Supermacht mit wirtschaftlichem Kleingärtner-Ehrgeiz. Man exportiert nicht nur Autos und Maschinen, sondern auch Verhaltensregeln, Energiemodelle und pädagogisch aufgeladene Handlungsanweisungen für ganze Kontinente. Die deutsche Außenpolitik gleicht einem Schulaufsatz in Ethik: gut gemeint, schlecht recherchiert, voller Konjunktive und mit erhobenem Zeigefinger. Dass die wirtschaftliche Grundlage für diesen missionarischen Übereifer langsam aber sicher unter den Füßen wegbröselt – geschenkt. Man lebt gern vom Kapital der Vergangenheit, solange man dabei mit verkniffener Miene in die Zukunft deuten darf. Die Realität, dass China längst das Spiel bestimmt, die USA den Ton angeben und selbst Länder wie Polen oder Tschechien in manchen Bereichen vorbeiziehen, wird dabei großzügig übersehen. Stattdessen diskutiert man in Talkshows über Gendersternchen auf Baustellenschildern, während das Baugewerbe wegen Bürokratie, Fachkräftemangel und Materialkosten kollabiert.

TIP:  Mozart dreht sich im Grab

Industrie am Tropf: Der Patient klagt nicht, er schweigt.

Die deutsche Industrie, einst der muskulöse Arm der europäischen Wirtschaft, wirkt heute wie ein Kettenraucher nach der dritten Lungenoperation. Noch produziert sie, aber mit schwerem Atem und wachsender Unlust. Energiepreise, Regulierungsexzesse und ein politisches Klima zwischen Klimaneurose und Wirtschaftsvergessenheit drücken auf die ohnehin gebeutelten Unternehmen. Doch wer wagt es, laut zu klagen? Die DAX-Vorstände haben sich in eine Art Stockholm-Syndrom geflüchtet: Sie danken brav für jede neue Auflage, für jede neue ESG-Vorschrift, für jede steuerliche Daumenschraube. Und in dieser seltsamen Co-Abhängigkeit zwischen Wirtschaftsstandort und politisch-moralischem Theater findet eine absurde Choreografie statt: Unternehmen investieren lieber in Texas oder Vietnam, während deutsche Politiker stolz verkünden, dass es dem Standort gut geht – wenn man nur genug glaubt. Es ist ein bisschen wie beim Tanzen mit gebrochenem Bein: Man hält die Fassade aufrecht, aber die Schmerzen sind deutlich.

Die hohe Kunst des Belehrens – Made in Germany

Trotz aller Widrigkeiten bleibt eine Fähigkeit ungebrochen stark: Deutschlands Talent zur internationalen Belehrung. Ob es um Migration geht, Energiepolitik, Finanzdisziplin oder Landwirtschaft – Deutschland weiß es besser. Die Welt möge bitte die deutsche Wärmepumpe preisen, die deutsche Mülltrennung verehren und die Energiewende als Heilslehre adaptieren – auch wenn sie de facto eher einem Abwrackprämien-Marathon gleicht. Dass andere Länder ganz eigene geografische, wirtschaftliche oder politische Voraussetzungen haben, wird dabei elegant ignoriert. Denn in der deutschen Selbstwahrnehmung ist jeder Staat ein potenzielles Hessen mit leicht korrigierbarem Fehlverhalten. Man hält Reden in Brüssel, als wäre man der Klassensprecher der gesamten EU, ohne zu bemerken, dass der Klassenraum längst die Schule gewechselt hat.

Fazit: Zwischen Tragödie und Kabarett

Deutschland ist kein gescheitertes Land. Es ist ein hochfunktionaler Irrtum. Es lebt von seinem Ruf, seinen Ideen – und von einer kollektiven Selbsttäuschung, die in ihrer Komplexität fast schon bewundernswert ist. Man wähnt sich als Vorbild, während man in Wirklichkeit zuweilen nur noch ein Mahnmal der eigenen Hybris ist. Und doch: Es gibt Hoffnung, denn mit der gleichen Ernsthaftigkeit, mit der Deutschland seine Skurrilitäten pflegt, könnte es sich auch eines Tages reformieren. Vielleicht. Falls es jemandem gelingt, ein digitales Formular zur Modernisierung des Landes auszufüllen – leserlich, in Druckbuchstaben, mit Stempel und Durchschlag.

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