
Es gibt Länder, in denen man die Todesstrafe in den Geschichtsbüchern findet, vergilbt und mit einem Warnhinweis versehen, so wie Asbestplatten oder Zigarettenwerbung aus den 60ern. Und dann gibt es Saudi-Arabien. Dort ist sie kein Relikt, sondern eine Betriebsanweisung. Die aktuelle Rekordmarke an vollstreckten Urteilen liest sich wie eine makabre Statistik aus einem Paralleluniversum, in dem der Fortschritt vor allem darin besteht, wie schnell und effizient man Menschen das Leben nehmen kann. Mord, Drogenhandel, Waffenschmuggel – das sind die offiziell akzeptierten Türöffner zum letzten Gang unter freiem Himmel. Die inoffiziellen? Nun, die Liste ist kreativer: ein Tweet, der die falsche Meinung enthält, ein Gedanke, der nicht ins Herrschaftsnarrativ passt, eine Demonstration, deren Teilnehmerzahl im besten Fall einstellig bleibt, weil man im schlimmsten Fall anschließend einstellig unter der Erde liegt.
Geständnisse werden dabei gern wie in einem besonders makabren Kochrezept gewonnen: ein paar Stunden Schlafentzug, eine Prise Isolation, eine großzügige Portion Folter – und schon serviert der Angeklagte das gewünschte Schuldeingeständnis, garniert mit gebrochenen Knochen. Der Rechtsweg ist kurz, weil er nicht gepflastert, sondern planiert ist: keine Anwälte in der Untersuchungshaft, keine Besuche von Angehörigen, dafür jede Menge juristischer Nebel, der sich hervorragend dazu eignet, Willkür als Rechtsfindung zu tarnen.
Die politische Beilage: Meinungsäußerung à la carte
Wer glaubt, es ginge hier nur um schwere Verbrechen, irrt. Politische Anklagen sind das stille Rückgrat der saudischen Justizmaschine. Hochverrat? Aufwiegelung der öffentlichen Meinung? Teilnahme an einer Demonstration? In anderen Ländern sind das Schlagzeilen in der Lokalzeitung – in Saudi-Arabien sind es die letzten Einträge im Lebenslauf. Ein flapsiger Kommentar in den sozialen Medien kann zu einer unfreiwilligen Begegnung mit dem Henker führen, der im Gegensatz zum Algorithmus kein Problem mit Ironie hat, sondern sie schlicht nicht versteht.
Es ist diese Mischung aus mittelalterlicher Härte und digitaler Überwachung, die das Ganze so zeitgenössisch wirken lässt. Die Guillotine 2.0, jetzt mit WLAN.
Die Kunst des Wegschauens: Deutsche Wirtschaftsethik
Und während drinnen die Klingen fallen, poliert draußen jemand die Mercedes-Sterne. Denn trotz aller Schreckensmeldungen ist Saudi-Arabien kein Paria, sondern ein gern gesehener Geschäftspartner. Deutsche Unternehmen lieben ihre saudischen Kunden – die kaufen schließlich nicht nur Autos, sondern auch Maschinen, Chemieprodukte, feinmechanische Präzisionswunderwerke. Der Export läuft wie geschmiert, und das Öl für diese Mechanik fließt nicht aus der Erde, sondern aus den prall gefüllten Staatskassen in Riad.
Das Ganze wird offiziell unter dem freundlichen Etikett „Wirtschaftskooperation“ geführt. Das German Saudi Arabian Liaison Office (GESALO) sorgt dafür, dass man in Riad weiß, wie man „Made in Germany“ buchstabiert, und die Gemischte Wirtschaftskommission (GWK) ist eine Art höflicher Stammtisch, bei dem man sich auf Augenhöhe zuprostet – allerdings ohne die lästigen Nebensätze zu Menschenrechten. Denn Menschenrechtsdebatten sind in diesem Kontext wie Sand im Getriebe: unangenehm, störend, und vor allem schlecht fürs Geschäft.
Moral – bitte nur im Konjunktiv
Natürlich gibt es in Deutschland noch Stimmen, die anmahnen, man solle Menschenrechtsverletzungen zumindest ansprechen. Julia Duchrow, zum Beispiel, erinnert die Bundesregierung daran, dass die Todesstrafe geächtet gehört. Aber „ansprechen“ ist so ein herrlich elastisches Wort – es kann bedeuten, dass man es energisch in einer Pressekonferenz sagt, oder dass man es beiläufig zwischen Dessert und Espresso erwähnt, wenn man in Riad gerade über neue Handelsabkommen plaudert. Der Unterschied ist in der Außenwirkung minimal, in der Innenwirkung praktisch unsichtbar.
Das Ganze erinnert an einen gut erzogenen Gast, der beim Abendessen feststellt, dass das Fleisch leicht angebrannt ist – und statt es auszusprechen, höflich lächelt, damit der Gastgeber sich nicht schämt. Nur dass es hier nicht um Fleisch geht, sondern um Menschenleben. Aber das ist ja nur eine Nuance.
Fazit: Eine perfekte Symbiose aus Öl, Stahl und Schweigen
So leben wir also in einer Welt, in der Maschinen aus Deutschland in Saudi-Arabien glänzen, während dort die Guillotine niemals Rost ansetzt. Eine Welt, in der die politische Moral gerne an der Passkontrolle hängenbleibt, wenn im Handgepäck profitable Verträge liegen. Und eine Welt, in der man den Wert eines Menschenlebens offenbar daran misst, ob es in Euro, Dollar oder Barrel Öl umgerechnet werden kann.
Die Saudis liefern Öl, wir liefern Technik. Sie liefern Hinrichtungen, wir liefern Schweigen. Eine Win-Win-Situation, wie sie in keinem Wirtschaftslehrbuch schöner beschrieben werden könnte. Nur dass das „Win“ hier so selektiv verteilt ist, dass es manchen Menschen schlicht den Kopf kostet.