Ein Konto namens Vertrauen

oder: Wie ich lernte, die Verwaltung zu lieben

Es beginnt, wie alles beginnt in diesem Land, mit einem Vorschlag. Einem harmlosen, pragmatischen, effizient gebürsteten Vorschlag, der aus dem Mund eines Anzugträgers dringt, begleitet von einem PowerPoint-Slide, auf dem das Wort Bürgerkonto prangt wie das Logo einer neuen Bank, nur dass hier nicht investiert, sondern über Sie investiert wird. Das „digitale Bürgerkonto“ also. Ein Portal, ein Profil, ein Zugang zur großen Bundescloud, mit dem sich das Leben vereinfachen soll, und wer könnte dagegen etwas haben? Das Bürgerkonto, sagt Friedrich Merz, sei „ein Quantensprung in Sachen Entbürokratisierung“. Und das stimmt, wenn man die Quantensprünge der Physik kennt: unglaublich klein, dafür mit unkalkulierbarer Wirkung.

Willkommen in der Ära der Verpflichtenden Vereinfachung. Denn der entscheidende Trick der neuen Regierung, die sich nicht mehr Ampel nennen muss, weil man in Zukunft ohnehin immer nur grün bekommt – für das, was der Staat will –, liegt in der Umkehrung der Sprache. Bürokratie wird nicht abgebaut, sie wird digitalisiert. Kontrolle wird nicht ausgeweitet, sie wird effizienter gestaltet. Der Bürger wird nicht überwacht, er wird verwaltet. Und der Staat wird nicht neugierig, er wird serviceorientiert. Nur wer etwas zu verbergen hat, kann gegen ein solches Konto sein, nicht wahr? Und seien wir ehrlich: Wir alle haben doch längst unsere Seele bei PayPal, unsere Gedanken bei Google und unsere Libido auf TikTok ausgelagert. Da kann das Konto beim Bund doch auch nicht mehr stören.

Der Staat als Daten-Daddy – Jetzt auch mit Dashboard!

Es ist faszinierend, mit welch seligem Grinsen die politische Klasse von Nutzerfreundlichkeit spricht, wenn sie meint: Unumgänglichkeit. Wer ein Bürgerkonto freiwillig einrichtet, ist bald so frei wie ein Passagier, der freiwillig den Notausgang blockiert – nicht, weil er will, sondern weil er muss. Steuererklärung, Krankenkasse, Elterngeld, Punkte in Flensburg, bald auch Impfstatus, CO₂-Fußabdruck und Streaming-Gewohnheiten: Alles läuft über dieses eine Konto. Ein zentrales Portal der Selbstvermessung, das aussieht wie ein Service, aber in Wirklichkeit ein System ist. Wer es nicht nutzt, ist verdächtig. Wer es nutzt, ist verwundbar. Wer es kritisiert, ist ein Dinosaurier, ein Verweigerer, ein Datenschutzromantiker, der noch glaubt, dass der Staat sich nicht für die Vorlieben seiner Bürger interessiert – es sei denn, es geht um Steuern, Waffenbesitz, oder wie viele Malteser man als Haustier anmeldet.

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Merz, der alte McKinsey-Mönch, verkauft das Ganze als Effizienzoffensive. Verwaltung 4.0. Deutschland auf Speed. Endlich raus aus der Faxhölle, hinein in die Ära der Push-Benachrichtigung. Und doch: Die Frage, die im Raum schwebt wie der Duft kalter Pommes in einem Behördenflur, lautet nicht: Was kann dieses Bürgerkonto?, sondern: Was könnte es alles, wenn man wollte?

Weil sie es können – Das Machtversprechen der Technik

Hier liegt der Hund begraben, und zwar tief im Serverkeller des Bundesamts für digitale Euphemismen. Denn die Technik ist neutral, sagen sie – aber das war die Guillotine auch. Alles, was digitalisierbar ist, wird digitalisiert. Alles, was digital ist, kann getrackt, bewertet, priorisiert oder blockiert werden. Und was verpflichtend ist, wird zur Infrastruktur des Zwangs. Natürlich sagt niemand „Repression“, man sagt „vernetztes Regierungshandeln“. Man sagt „schnellerer Zugriff“. Man sagt „Proaktive Gefahrenabwehr“. Und es klingt so beruhigend wie ein Warnhinweis auf einer Medikamentenpackung: In seltenen Fällen kann es zu vollständiger Transparenz und plötzlicher Ausbürgerung kommen.

Es wäre naiv zu glauben, dass ein derart mächtiges Instrument nicht auch für etwas anderes genutzt wird. Vielleicht erst nur zur besseren Steuerung. Dann zur Kontrolle von Falschangaben. Dann zur automatisierten Sperrung von Leistungen bei „Unregelmäßigkeiten“. Und schließlich zur politisch konformen Selektion: Wer sich querstellt, wer zu oft fragt, wer zu laut denkt, bekommt vielleicht irgendwann nur noch „eingeschränkten Zugang“. Nicht, weil er schuldig wäre, sondern weil es geht. Weil sie es können.

Zynismus als Selbstverteidigung – Und ein Rest von Hoffnung

Natürlich, das alles ist überzeichnet, satirisch, polemisch – und doch: Wie oft in der Geschichte war das, was gestern noch Satire war, heute Gesetz und morgen Gewohnheit? Der Mensch gewöhnt sich an alles, sogar an das Bürgerkonto. Erst murrt man, dann nutzt man es, dann liebt man es – und bald kann man sich ein Leben ohne gar nicht mehr vorstellen. Dann wird es das Bürgerkonto Plus geben, mit Treuepunkten für vorbildliches Verhalten, und später das Bürgerkonto Safe, mit Gesichtserkennung und Gedankenprotokoll, optional natürlich. Nur für Ihre Sicherheit.

TIP:  Im Fluss der Gewinne

Aber lachen wir drüber. Noch dürfen wir das. Noch ist Ironie nicht steuerpflichtig. Noch ist dieses Essay kein Gefährdungspotenzial. Noch.

Denn so sehr das alles auch nach dystopischer Schwarzmalerei klingt – es ist eben auch ein Spiegel. Einer, der uns zeigt, wie verführbar wir sind, wenn man uns sagt: Es ist alles zu deinem Besten. Und manchmal, ja manchmal, hilft dann nur noch Zynismus als letzte Bastion des freien Denkens. Ironie als Notwehr. Und Satire als Bürgerpflicht.

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