
Vom Pazifismus zur Panzerseele – Ein deutscher Weg
Deutschland ist zurück auf dem Kriegsschauplatz der Rhetorik – mit schusssicherer Entschlossenheit und der moralischen Selbstgewissheit des Guten. Jahrzehntelang galt „Nie wieder Krieg“ als politisches Mantra, mühsam aus den rauchenden Trümmern Berlins gekratzt und in den Beton europäischer Gipfeltreffen eingegossen. Doch siehe da: Der Wind hat sich gedreht, und die alten Lehrsätze hängen schlaff an den Flaggenmasten wie vergessene Friedensfahnen nach einem Platzregen.
Jetzt also: Wieder bereit zu töten. Boris Pistorius, der Mann mit der Anmut eines gepanzerten Mannschaftstransportwagens, sagt es frei heraus. Und zwar auf Englisch, in der Financial Times – schließlich muss der neue deutsche Kriegswille global vermarktet werden. Wer nur auf Deutsch ankündigt, dass deutsche Soldaten bald wieder schießen werden, verpasst den transatlantischen Markt.
Pistorius‘ Botschaft ist so klar wie ein NATO-Doktrin-Dokument: Wenn Russland angreift, schießen wir zurück. Und wenn Russland nicht angreift? Nun, auch dann kann man sich ja schon mal warm machen. Denn Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude, auch in der Kriegswirtschaft.
Diplomatie ist für Weicheier – Die neue Sprache der Macht
Was früher als diplomatische Zurückhaltung galt, wird heute als Schwäche diffamiert. Wer heute noch das Wort „Friedensverhandlung“ in den Mund nimmt, muss damit rechnen, vom nächsten sicherheitspolitischen Frühschoppen ausgeladen zu werden. „Dialog“? Das klingt verdächtig nach Appeasement. „Abrüstung“? Ein Relikt aus einer Zeit, als man noch glaubte, Konflikte seien verhandelbar.
Stattdessen also: 162 Milliarden Euro für den Verteidigungshaushalt bis 2029. Das ist nicht nur ein Haushalt, das ist eine Kriegserklärung ans eigene Gewissen. Der Deutsche lernt gerade wieder, was es heißt, nicht nur Weltmeister im Mülltrennen, sondern auch in der Rüstungsproduktion zu sein. Und wer braucht schon Kitas, Pflegepersonal oder Schulen, wenn stattdessen die Panzer durch Litauen rollen können?
Die neue deutsche Außenpolitik ist so simpel gestrickt wie der Krawattenknoten eines Generals: Stärke zeigen, aufrüsten, abschrecken. Der Feind versteht nur die Sprache der Gewalt, heißt es. Vielleicht ist das ja eine Projektion: Schließlich ist das die einzige Sprache, die der Westen selbst noch spricht.
Ein bisschen Weltuntergang darf’s schon sein – Der geopolitische Koller
Die Ironie der Geschichte ist so zynisch, dass man fast geneigt ist, darüber zu lachen – wenn es nicht so bitter wäre. Deutschland, das Land, das sich nach 1945 schwor, nie wieder in Kriege zu ziehen, erklärt jetzt stolz, dass es wieder bereit ist, russische Soldaten zu töten. Das nennt man dann wohl Fortschritt.
Die Bundeswehr übt derweil schon für den Ernstfall. In Litauen stehen deutsche Brigaden Spalier, bereit, dem Ivan die Stirn zu bieten – oder wenigstens die Mündung des G36. Das ist praktisch, denn so muss der Krieg nicht erst ins eigene Land kommen. Man verlegt ihn einfach nach Osten. Aus den Augen, aus dem Sinn. Und wehe dem, der fragt, wie viele Tote auf beiden Seiten das wohl kosten wird. Der wird sogleich als „Putin-Versteher“ an den medialen Pranger gestellt.
Dabei wäre es vielleicht einmal an der Zeit, genau diese Fragen zu stellen. Gibt es noch eine Exit-Strategie außer dem kollektiven Untergang? Oder glauben wir inzwischen ernsthaft, dass der Dritte Weltkrieg eine coole Gelegenheit ist, um mal die neuen Drohnen zu testen?
Die Rüstungslobby dankt, die Rhetorik rollt
Natürlich: Krieg ist auch immer ein Konjunkturprogramm. Die Aktienkurse der Rüstungsindustrie steigen in den Himmel wie die Raketen auf dem Truppenübungsplatz. Rheinmetall baut seine Kapazitäten aus, Krauss-Maffei lässt die Leopard-Ketten rasseln, Airbus rüstet die Eurofighter auf – und alle klatschen Beifall. Selbst die Grünen, die einst barfuß für den Frieden demonstrierten, stehen heute in solider Kampfstiefelpose hinter Pistorius. Wer hätte gedacht, dass aus der Friedenspartei eine Rüstungsagentur wird?
Die politische Klasse hat den Ernstfall längst internalisiert. Es wird marschiert, nicht mehr diskutiert. Kritische Stimmen? Werden als naiv abgetan. Die Frage, ob das Eskalationsmanagement nicht irgendwann an seine physikalischen Grenzen stößt – sprich: in einem heißen Krieg endet –, wird konsequent verdrängt. Wer jetzt noch „Entspannungspolitik“ sagt, bekommt bestenfalls ein mitleidiges Lächeln, schlimmstenfalls einen Vortrag über hybride Kriegsführung.
Der Schuss, der nach hinten losgehen könnte
Pistorius’ Satz – „Ja, deutsche Soldaten könnten russische Soldaten töten“ – ist ein Satz, der sich in die deutsche Geschichte eingravieren wird. Ein Satz, den man in den kommenden Jahren vielleicht noch öfter hören wird. Vielleicht in Sonntagsreden, vielleicht in Gedenkfeiern, vielleicht in Grabreden.
Man könnte auch fragen: Gibt es eigentlich noch einen Plan B? Oder ist Plan A der einzige Plan, weil Krieg eben alternativlos ist? Angela Merkel erfand einst das Wort der „Alternativlosigkeit“ für die Bankenrettung. Heute ist es das Totschlagargument der Aufrüstung.
Das Denken in Kategorien wie „Feind“ und „Freund“, „Abschreckung“ und „Eskalation“, „Schuss“ und „Gegenschuss“ führt in eine Sackgasse, aus der es kein bequemes Zurück mehr gibt. Der Schuss, den man abfeuert, hat die unangenehme Eigenschaft, irgendwann zurückzukommen. Ballistik ist nun mal keine Einbahnstraße.
Ein letzter, sarkastischer Wunsch
Vielleicht sollte man den neuen deutschen Verteidigungsminister mal daran erinnern, dass man Kriege in der Regel nicht gewinnt, sondern nur überlebt – wenn man Glück hat. Und dass Diplomatie nicht der Feind der Abschreckung ist, sondern ihr notwendiges Korrektiv. Aber wahrscheinlich ist das inzwischen eine nostalgische Idee aus einer fernen Vergangenheit, in der Worte noch mehr galten als Waffen.
Ein jeder Russ’, ein Schuss – das klingt nach Bierzeltparole, nach Stammtischschnapsidee. Aber es ist die neue deutsche Realität. Lächelnd, schulterzuckend, mit einem Hauch von Pragmatismus. Fast, als wäre das alles gar nicht so schlimm.
Doch vielleicht ist das der größte Skandal: Dass wir es nicht einmal mehr skandalös finden.