Wie man im Zeitalter der Empfindlichkeit den Humor retten könnte (wenn man denn dürfte)
John Cleese, dieser hochgewachsene britische Fossil aus einer Zeit, als man noch lachen durfte, ohne anschließend zur öffentlichen Beichte geladen zu werden, steht wie ein trotziges Denkmal im Sturm der Empörungszyklen. Der Mann, der uns einst mit Monty Python’s Flying Circus in die geistige Anarchie führte, verteidigt heute nicht mehr den Witz – sondern das schlichte Recht, überhaupt noch einen zu machen.
Die Szene, um die sich der ganze Zirkus dreht, ist jene mit der „Loretta“, der Trans-Frau avant la lettre, die vor über vierzig Jahren für Lacher sorgte und heute in den Feuilletons als Fallbeispiel für strukturelle Mikroaggression behandelt wird. Es ist die Szene, in der eine Männergruppe im Sand der Antike diskutiert, ob man ein Kind austragen dürfe, obwohl man keine Gebärmutter hat. Damals eine Absurdität, heute eine „sensible Angelegenheit“. Und Cleese, dieser altmodische Narr, wagt es tatsächlich, auf der Bühne nichts zu ändern.
Dass er sich weigert, die Szene umzuschreiben, gilt in manchen Kreisen als Sakrileg. Schließlich lebt man in Zeiten, in denen jedes Lachen ein Antrag auf moralische Prüfung ist. Doch Cleese zuckt nur mit den Schultern und konstatiert trocken, dass in vier Jahrzehnten niemand sich je beschwert habe – bis jetzt. Man könnte daraus schließen, dass nicht der Sketch sich verändert hat, sondern die Gesellschaft, die ihn betrachtet. Aber wer will schon so weit denken?
Das Tribunal der Gefühlsempfindsamen
Was einst das Publikum war, ist heute ein Tribunal. Wo früher gelacht, gepfiffen, applaudiert wurde, wird heute bewertet, verurteilt und kontextualisiert. Die Bühne ist kein Ort des Experiments mehr, sondern ein Minenfeld, in dem jedes Wort auf seine moralische Sprengkraft geprüft wird.
„Man muss doch sensibel sein“, ruft der Zeitgeist mit sanfter Stimme, während er das Messer der Selbstzensur wetzt. „Kunst darf nicht verletzen!“ – ein Satz, der, wäre er wahr, das Ende der Kunst bedeutete. Cleese, der alte Satiriker, weiß das. Er hat die Kirche, die Politik, den Tod, die Bürokratie und das britische Wesen selbst verspottet – und alle haben überlebt. Es ist ein trauriges Paradox, dass die Generation, die sich für „offen“ hält, die geschlossenste gegenüber Ironie geworden ist.
Natürlich, man könnte argumentieren, dass Cleese einfach alt ist, weiß, reich und männlich – eine toxische Kombination in der modernen Hierarchie der moralischen Empfindlichkeiten. Doch vielleicht ist es auch genau dieser Außenseiterstatus, der ihn frei macht. Frei, sich zu weigern, an der kollektiven Umerziehung zur Humorlosigkeit teilzunehmen.
Die Tragödie der Selbstzensur
In Wahrheit geht es nicht um Cleese, nicht einmal um Das Leben des Brian. Es geht um eine Kultur, die verlernt hat, sich über sich selbst zu amüsieren. Die Ironie, jene zarte Form des Selbstzweifels, ist abhandengekommen und ersetzt worden durch moralischen Dogmatismus in Smileysprache.
Früher hieß es: „Man darf über alles lachen, nur nicht mit jedem.“ Heute heißt es: „Man darf über nichts lachen, wenn sich jemand finden ließe, der es krumm nehmen könnte.“ Das ist Fortschritt, sagen manche. In Wirklichkeit ist es das Gegenteil: Regression zur Empfindlichkeit.
Selbstzensur tarnt sich als Rücksicht, als Fortschritt, als moralische Hygiene. Aber sie ist, wie alle Formen der Angst, eine Kunstvernichterin. Wenn Cleese sagt, er habe 40 Jahre lang keine Beschwerden gehört, dann klingt das nicht nach Sturheit, sondern nach stillem Entsetzen. Denn plötzlich steht er in einer Welt, in der man sich für dieselben Sätze entschuldigen muss, für die man einst gefeiert wurde.
Vom Witz zur Wunde
Das Problem ist nicht, dass Menschen heute sensibler sind – das wäre ja durchaus begrüßenswert, wenn es nicht so selektiv wäre. Man darf sich verletzt fühlen, solange es im Trend liegt. Die Gefühle des anderen sind jedoch nur dann relevant, wenn sie sich in die richtige Richtung biegen. Das nennt man dann Empathie – aber es ist eine dressierte Empathie, eine politisch korrekte, algorithmisch bestätigte.
Cleese’ Weigerung, die „Loretta“-Szene zu ändern, ist also keine Rebellion gegen Minderheiten, sondern eine Rebellion gegen das Prinzip, dass jede Minderheit das Drehbuch der Welt umschreiben darf. Kunst, so scheint es, soll heute keine Fragen mehr stellen, sondern Antworten liefern, und zwar gefällige. Der Künstler wird zum Dienstleister für das moralische Wohlbefinden seiner Zuschauer.
Aber der Witz war nie harmlos. Er war immer ein kleines Messer, das unter den Rippen der Wirklichkeit kratzt. Und Cleese weiß das. Er verteidigt nicht eine Szene – er verteidigt die Zumutung.
Ein Hoch auf die Zumutung
Vielleicht ist das das Tragisch-Komische an der Sache: dass ein alter Komiker zum letzten Verteidiger der Freiheit des Lachens wird. John Cleese steht da wie Don Quijote im Anzug, kämpfend gegen Windmühlen aus Hashtags und Triggerwarnungen, während hinter ihm die Generation Z bereits mit dem Empörungsschwert wedelt.
Man muss ihn nicht lieben, um ihn zu verstehen. Aber man sollte ihm danken, dass er uns erinnert: Humor ist keine Therapieform, sondern eine Waffe. Und manchmal ist der Witz, der weh tut, der einzige, der noch etwas heilt.
Also, ein Hoch auf Mr. Cleese – den letzten Clown im postironischen Zeitalter. Möge er weiter stolpern, poltern, provozieren. Denn wenn selbst das Lachen sich entschuldigen muss, bleibt nur noch das Schweigen. Und das, liebe Zeitgeistgemeinde, ist wirklich nicht komisch.