Ein Gott, ein Volk, ein Führer

Es gibt Momente in der Geschichte, da steht die Kirche nicht auf, sondern stramm. Der Nationalsozialismus war eine solcher Momente. Während draußen Bücher brannten, schwieg man drinnen zu den Flammen. Während Menschen deportiert wurden, betete man für den Führer. Während der „totalitäre Mensch“ geschaffen wurde, zeigte sich das „Haus Gottes“ erschreckend offen für neue Mieter. Es war eine seltsame Koexistenz: das Kreuz in der einen, der Gruß in der anderen Hand. Zwischen Kanzel und Komplizenschaft lag oft nur ein feierliches Nicken.

Natürlich gab es auch Widerstand. Den aufrechten. Den mutigen. Bonhoeffer, Niemöller, die Bekennende Kirche. Aber sie waren die Ausnahme – nicht die Regel. Die Regel war: Arrangieren. Anpassen. Abnicken. Und am besten noch einen Segen dazu. Die Institutionen, jahrhundertelang geübt in weltlicher Nähe und heiliger Fernsicht, taten das, was sie am besten konnten: überleben.

Schwarzbraune Frömmigkeit – Von der Volksgemeinschaft zur Volkskirche

Die Kirchen im Dritten Reich – ob evangelisch oder katholisch – standen nicht auf der Anklagebank der Macht, sondern saßen oft mit im Zuschauerraum. Die evangelische Kirche? In Teilen begeistert. Die „Deutschen Christen“ etwa wollten Jesus gleich vollständig arisieren – aus dem Jüdischen entfernen, als könne man das Christentum einfach durch ideologische Dialyse reinigen. Ein Kreuz ohne Davidstern. Eine Religion ohne Wurzel. Die Bibel: entschärft. Der Glaube: gleichgeschaltet.

Und die katholische Kirche? Diplomatisch, gewunden, ängstlich – aber zu oft auch zu willig. Das Reichskonkordat von 1933 war kein Triumph der Diplomatie, sondern ein moralischer Offenbarungseid. Der Vatikan erkaufte sich institutionelle Sicherheit – und schwieg. Man wollte seine Sakramente behalten und verlor dabei seine Seele.

Wenn Gewissen zur Beichte wird – und Moral zur Metapher

Man darf nicht vergessen: Die Kirchen verstanden sich als überstaatliche, ja überzeitliche Institutionen. Und genau das war ihre Schwäche. Wer zu sehr auf Ewigkeit schielt, übersieht leicht das Unrecht der Gegenwart. Die Gleichschaltung wurde nicht als moralische Katastrophe erkannt, sondern als göttliche Prüfung gedeutet. Man sah sich als Opfer – selten als Mitläufer, nie als Profiteur. Dabei waren Kirchen auch Orte der Stabilität im Chaos. Orte, an denen Menschen Trost fanden – ja. Aber auch Orte, an denen man sich moralisch entlasten konnte, ohne sich historisch zu verantworten.

TIP:  Die obere Mittelschicht des Mittelmaßes

Die Predigt wurde zum Spagat zwischen Gewissen und Gefährdung. Man sprach vom Leiden Christi, aber selten vom Leiden der Juden. Man beschwor die Nächstenliebe – und schwieg zum Hass auf die „Volksfeinde“. Wer sich äußerte, riskierte viel. Aber die Mehrheit riskierte: nichts.

Bonhoeffer und die einsame Klarheit

Er war die Ausnahme. Dietrich Bonhoeffer. Theologe. Denker. Widerständler. Hingerichtet im KZ Flossenbürg. Für ihn war Glauben nicht Meditation, sondern Konsequenz. Er sprach nicht nur vom Bösen – er nannte es beim Namen. Sein Gott war nicht der Gott der Anpassung, sondern der Entscheidung.

Was Bonhoeffer dachte, war unbequem. Auch heute noch. Er sagte: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Wie viele haben damals geschrien? Wie viele heute singen – ohne je zu schreien?

Nach 1945 – Von der Beichte zur Beschwichtigung

Und nach dem Krieg? Da wurde viel von Schuld gesprochen – aber noch mehr von Überforderung. Die Kirchen verpassten den Moment, sich radikal zu befragen. Die meisten Pfarrer kehrten zurück auf ihre Kanzeln, als sei nichts geschehen. Viele Bischöfe taten so, als hätten sie das ganze Reich einfach verschlafen – oder falsch verstanden.

Es dauerte Jahrzehnte, bis eine echte Auseinandersetzung begann. Der Begriff der „Mittäterschaft“ wurde sorgfältig umschifft. Man sprach lieber von „Verführbarkeit“, von „Zwängen der Zeit“, von „moralischen Dilemmata“ – als wäre das Dritte Reich ein philosophisches Experiment gewesen und kein beispielloser Zusammenbruch aller ethischen Prinzipien.

Die Moral von der Geschichte: Wenn Gott schweigt, muss der Mensch sprechen

Was bleibt? Die Kirchen haben versagt. Nicht in allem, nicht überall – aber im Ganzen. Sie haben das Evangelium eingetauscht gegen das Evangelium der Angepasstheit. Sie haben auf das Jenseits gehofft – und das Diesseits preisgegeben.

Aber wer glaubt, der darf nicht nur glauben. Er muss handeln. Sonst wird das Kreuz zum Symbol des Wegsehens. Und der Glaube zur Floskel. Die Geschichte der Kirchen im Nationalsozialismus ist keine Anklage, sondern ein Spiegel. Und er zeigt: Wer seine Stimme nicht erhebt, wird Teil des Schweigens. Und Schweigen, wenn es laut genug wird, ist die tödlichste aller Beichten.

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