Die verbale Keule als Grundnahrungsmittel

Überall Nazis und Hammerbanden

Es gehört inzwischen zur politischen Grundausstattung wie Salz zur Suppe oder Empörung zum Frühstückskaffee: die verbale Keule. Sie liegt griffbereit auf dem Tisch jeder Debatte, geschniegelt, poliert und stets einsatzbereit. Kaum öffnet jemand den Mund, kaum wagt ein Gedanke sich aus der Deckung der Selbstzensur, da saust sie auch schon nieder, begleitet vom moralischen Pfeifen der Luftverdrängung. Argumente werden nicht mehr widerlegt, sie werden erschlagen, und zwar möglichst geräuschvoll, damit auch der letzte Unbeteiligte im Nebenraum weiß: Hier wurde gerade Haltung gezeigt. Unsere politische Diskussionskultur hat sich von einem Austauschraum zu einem Schaukampfplatz entwickelt, auf dem nicht mehr Wahrheit oder Erkenntnis zählen, sondern die Frage, wer wen zuerst als Unmensch, Nazi, Kommunist, Faschist, Volksverräter oder wahlweise als unrettbaren Trottel etikettieren kann. Das Gespräch ist tot, lang lebe das Schlagwort.

Brüderlichkeit unter Vorbehalt

„Willst du nicht mein Bruder sein, so schlage ich dir den Schädel ein“ – dieser Satz wirkt wie eine groteske Übertreibung, und doch beschreibt er mit erschreckender Präzision das emotionale Grundmuster unserer Zeit. Die Einladung zur Gemeinschaft ist bedingt, die Solidarität befristet, die Toleranz widerrufbar. Bruder ist nur, wer nickt. Schwester nur, wer dieselben Parolen murmelt. Wer abweicht, wird nicht als Irrender betrachtet, sondern als Feind. Der Diskurs kennt keine Grautöne mehr, nur noch Lichtgestalten und Dämonen. Und wer fragt, warum, gilt bereits als verdächtig. Das politische Wir hat sich in eine Art Sekte verwandelt, die ihre Zugehörigkeit durch Abgrenzung definiert und deren innere Wärme ausschließlich aus der Kälte gegen andere gespeist wird.

Nazis überall und nirgends

Es ist eine eigentümliche Inflation zu beobachten: Nazis sind plötzlich überall. Sie sitzen im Bus, sie twittern, sie wählen falsch, sie stellen Fragen, sie zweifeln. Der Begriff, einst mit historischer Schwere beladen, wird heute wie Konfetti geworfen – bunt, laut und weitgehend folgenlos. Wer alles zum Nazi erklärt, erklärt am Ende nichts mehr. Die begriffliche Abrissbirne hat die feinen Unterschiede eingeebnet, und übrig bleibt eine moralische Wüste, in der jede Abweichung als Extremismus gilt. Gleichzeitig fühlen sich die tatsächlichen Extremisten bestens aufgehoben in diesem Nebel aus Übertreibung, denn wo alles Nazi ist, ist nichts mehr besonders schlimm. Die Diskursverrohung schützt ausgerechnet jene, die sie angeblich bekämpfen will.

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Hammerbanden und die Romantik der gerechten Gewalt

Auf der anderen Seite marschieren sie auf, die selbsternannten Antifaschisten mit Faustrecht und Heiligenschein. Die Hammerbande als urbanes Märchen, halb Robin Hood, halb Straßenkampfseminar. Gewalt wird hier nicht als Problem, sondern als pädagogisches Mittel verstanden. Man schlägt nicht aus Hass, nein, man schlägt aus Liebe zur Demokratie. Die Faust wird zum Argument, der Stein zum moralischen Imperativ. Wer widerspricht, hat offenbar noch nicht genug Schläge gesehen, um die Wahrheit zu erkennen. So entsteht eine bizarre Allianz aus Autoritarismus und Selbstgerechtigkeit, die jede Kritik als Verrat brandmarkt und sich dabei einbildet, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen – ein Ort, der interessanterweise immer dort liegt, wo man selbst gerade steht.

Empörung als Ersatzhandlung

Empörung ist billig, jederzeit verfügbar und benötigt keinerlei intellektuelle Investition. Sie funktioniert wie Fast Food für das Gewissen: kurz sättigend, langfristig schädlich. In sozialen Netzwerken hat sie sich zur Leitwährung entwickelt. Wer nicht empört ist, existiert nicht. Wer differenziert, langweilt. Wer schweigt, macht sich schuldig. Also empört man sich im Akkord, teilt, liked, verurteilt und geht anschließend beruhigt schlafen, in dem festen Glauben, etwas Wichtiges getan zu haben. Die politische Diskussion verkommt zur rituellen Selbstvergewisserung der eigenen moralischen Überlegenheit, während die realen Probleme geduldig warten und sich fragen, warum niemand mehr mit ihnen spricht.

Der Verlust des Zweifels

Am schmerzlichsten ist vielleicht der Verlust des Zweifels. Zweifel galt einst als Tugend, als Zeichen von Denkbeweglichkeit und intellektueller Redlichkeit. Heute wirkt er wie ein Makel, ein Zeichen von Schwäche oder gar von illoyaler Gesinnung. Wer zweifelt, stört die klare Frontlinie, verwässert die Parole, gefährdet den Zusammenhalt der Empörten. Dabei ist es gerade der Zweifel, der Demokratie lebendig hält, der verhindert, dass Überzeugungen zu Dogmen und Meinungen zu Glaubenssätzen erstarren. Ohne Zweifel bleibt nur noch die Gewissheit – und die war historisch selten ein guter Ratgeber.

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Ein augenzwinkernder Abgesang

Vielleicht bleibt uns am Ende nur der Humor, dieses kleine, widerspenstige Gegengift gegen die allgegenwärtige Verbissenheit. Ein Lachen, das nicht verhöhnt, sondern entlarvt. Ein Augenzwinkern, das sagt: Wir könnten auch anders. Wir könnten wieder reden, statt schlagen, zuhören, statt etikettieren, widersprechen, ohne zu vernichten. Es wäre ein Anfang, kein großer, kein heroischer, aber ein menschlicher. Bis dahin schwingen wir weiter die Keulen aus Worten, verteilen Nazis wie Rabattmarken und träumen von einer Diskussionskultur, die wir selbst gerade mit Hingabe demolieren – selbstverständlich im Namen des Guten.

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