Die Stunde der Feldherren

Roderich Kiesewetter und die Kunst der Fernbedienungskriegführung

Vom Oberst zur Schießbudenfigur

Es gibt in der deutschen Politik eine seltene Spezies, die sich selbst als sicherheitspolitischen „Vordenker“ versteht und von der Öffentlichkeit als sicherheitspolitisches Echo empfunden wird. Einer, der immer dann tönt, wenn es gerade besonders knallt. Einer, der militärische Planspiele auf Talkshow-Sofas entwirft wie andere Menschen Kreuzworträtsel lösen. Sein Name: Roderich Kiesewetter, CDU, einst Oberst a.D., heute Oberst im Ankündigungsdienst. Er gehört zu jenen Figuren, die sich in Talkshows nicht setzen, sondern lagern – wie Generäle in Napoleon-Filmen –, den Blick auf unsichtbare Landkarten gerichtet, während sie mit der Hand über den Imaginationsglobus fahren und sich fragen: Warum steht da noch ein Gebäude in Moskau?

Kiesewetter, der inzwischen offenbar als eine Art zivilmilitärischer Eventmanager für Eskalationsrhetorik fungiert, sagte jüngst, was viele sich nicht mal im innersten Stammtischtrauma zu denken trauen: Der Krieg müsse „nach Russland getragen werden“. Ziel: Russische Ölraffinerien, Ministerien, Hauptquartiere, Kommandoposten, Gefechtsstände – kurz gesagt: Alles, was brennt oder sich koordinieren lässt. Die Liste seiner präferierten Einschlagsziele liest sich wie der Wunschzettel eines strategischen Bombers, der das Zeitalter der Diplomatie für einen Betriebsunfall hält.

Man könnte meinen, Kiesewetter habe beim großen Basar der Bellizisten ein All-You-Can-Bomb-Menü gebucht. Außenpolitik als Highscore-Spiel im geopolitischen Arcade-Simulator – mit ihm als Commander-in-Chief im Ledersessel des Morgenmagazins. Der Unterschied zwischen Kiesewetter und einem Computerspiel liegt allerdings darin, dass bei Kiesewetter reale Menschen sterben würden. Aber vielleicht ist gerade das der Reiz für manche, die schon mit Clausewitz als Gute-Nacht-Lektüre einschliefen.

Die Sehnsucht nach der großen Entscheidung

Der Satz „Der Krieg muss nach Russland getragen werden“ hallt durch den deutschen Diskurs wie eine schlecht schallgedämpfte MG-Salve durch eine Bibelstunde. Was Kiesewetter hier vorschlägt, ist nichts Geringeres als die freiwillige Bewerbung Deutschlands als Co-Belligerent. In der Sprache des Völkerrechts klingt das wie ein Eintrittsgesuch ins Clubhaus der Beteiligten. In der Sprache der deutschen Nachkriegspolitik klingt es wie der vollständige Gedächtnisverlust.

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Denn während andere noch darüber diskutieren, wie man einen Dritten Weltkrieg verhindern kann, hat Kiesewetter offenbar schon die Einladungskarten gedruckt. Das ist konsequent, wenn man davon ausgeht, dass der historische Fehler des 20. Jahrhunderts nicht der Krieg war, sondern seine unzureichende Führung.

Man spürt in seinen Aussagen die fast kindliche Sehnsucht nach dem „großen Wurf“, nach der „letzten Entscheidung“. Der Krieg als ordnendes Prinzip, als „ultima ratio“, das lateinische Feigenblatt, hinter dem sich die blutige Nacktheit der Gewalt verbirgt. Endlich keine lästige Diplomatie mehr, keine langen Verhandlungen, keine normativen Schwurbeleien. Stattdessen: präzise Einschläge und klare Botschaften.

Man könnte meinen, Kiesewetter habe bei Netflix die Serie „Der Zweite Weltkrieg in Farbe“ gebinged und sich dabei gedacht: „Schade, dass es vorbei ist. Aber vielleicht geht da ja noch was.“

Strategie aus der Fußgängerzone

Nun ist Roderich Kiesewetter kein ungebildeter Mann. Er hat gelernt, er hat gedient, er hat gebrüllt, er hat gebuckelt, er hat befohlen. Er weiß, was Krieg ist – oder zumindest wusste er es einmal. Und genau das macht seine jüngsten Äußerungen so irritierend. Denn wer so genau weiß, was Zerstörung bedeutet, der sollte sich vielleicht zweimal überlegen, ob er sie im öffentlich-rechtlichen Sendeformat propagiert wie den Wetterbericht.

Aber vielleicht sind das gar keine echten Vorschläge, sondern rhetorische Pyrotechnik für das sicherheitspolitische Spektakelpublikum. Ein bisschen wie Schausteller auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, die mit künstlichen Explosionen werben, um den Sicherheitsgurt des Zuschauers enger zu schnallen.

Kiesewetters Strategie ähnelt der eines Spielzeugpanzers, den man mit viel Getöse über den Asphalt der Talkshow-Kulisse schiebt, während man ruft: „Jetzt wird zurückgeschossen!“ Dabei ist der Unterschied zwischen Krieg führen und Krieg fordern ungefähr so groß wie der zwischen einem Scharfschützen und einem Mann, der mit der Fernbedienung auf den Fernseher zielt.

Es ist die Strategie der Fußgängerzone: große Worte, lauter Ton, möglichst martialisch. Der Soundtrack dazu: Pathos auf 180 Dezibel, garniert mit dem altbewährten „Wir dürfen keine Angst haben“-Narrativ, das traditionell immer dann ausgepackt wird, wenn es darum geht, anderen den Kopf hinzuhalten.

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Die Moralphilosophie des Marschflugkörpers

Natürlich verkauft Kiesewetter seine Vorschläge nicht als Kriegshetze, sondern als Moralpflicht. Er verpackt sie in das Etikett des „Schutzes der Ukraine“, des „Einfrierens des Konflikts“, des „Schwächens der russischen Kriegsmaschinerie“. Das klingt alles sehr nach ethischer Verpflichtung, nach Kant mit Kalaschnikow. Nur dass Kant am Ende des „Kategorischen Imperativs“ nicht das Wort „Luftschlag“ stehen hatte.

Doch genau in diesem moralischen Selbstüberhöhungslabor werden die gefährlichsten Ideen geboren. Wer den Marschflugkörper mit Gewissen versieht, der verliert schnell den Überblick über die Trümmerlandschaften, die er erzeugt. Denn wenn der Krieg nicht mehr nur Mittel ist, sondern plötzlich Tugend – dann gibt es keine Grenze mehr zwischen Verteidigung und Angriff, zwischen Notwehr und Eskalation. Dann wird der Präventivschlag zur Wohltat, der Angriff zur Fürsorge, der Krieg zur Therapie.

Kiesewetter liefert uns das in Reinform. Der Krieg muss nach Russland getragen werden – nicht aus Lust am Zerstören, nein, sondern aus einer geradezu pädagogischen Verpflichtung heraus: Der böse Putin muss „lernen“. Das klingt fast so, als hätte man einen lauten Nachbarn, den man nun aus Erziehungsgründen mit der Abrissbirne besucht.

Applaus vom Balkon der Verantwortungslosigkeit

Die Reaktionen auf Kiesewetters Vorschläge sind bezeichnend: Einige applaudieren, andere schweigen, wieder andere zucken mit den Schultern und sagen: „Naja, irgendwer muss es ja mal sagen.“ Dass dieser Satz meistens der Vorbote für Desaster ist, hat die Geschichte bewiesen. Aber in Zeiten der medialen Empörungskonjunktur kann man mit sowas eben Quote machen.

Der moralische Balkon, von dem Kiesewetter seine Wortsalven abfeuert, ist hoch, sehr hoch. Er steht dort oben, weht das Fähnchen der Verantwortung und schreit in den Hof der Realpolitik hinab: „Jetzt seid doch endlich mal mutig! Zieht mit!“ Dass unten auf dem Boden Menschen leben, sterben, frieren, fliehen – das fällt von da oben schwer auf.

Finale Furiosa

Man kann von Roderich Kiesewetter halten, was man will. Ein Dilettant ist er nicht. Ein Leisetreter auch nicht. Er ist vielmehr der Vertreter jener deutschen Post-Helmut-Kohl-Sicherheitselite, die den Krieg als politisches Werkzeug rehabilitieren will, um endlich nicht mehr als Zauderer dazustehen. Lieber „verantwortungsvoll eskalieren“ als „nichts tun“, lautet die Devise. Das klingt klug, solange man sich nicht überlegt, was „alles tun“ eigentlich konkret bedeutet. Oder wie viele Menschenleben dieser „Krieg, den wir nach Russland tragen“, kosten wird – und wessen Leben genau. Spoiler: Vermutlich nicht das von Kiesewetter.

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Und so bleibt am Ende der Eindruck eines Mannes, der mit dem Schwert der Moral fuchtelt, während er auf der geopolitischen Bühne steht und ruft: „Ich will nur helfen!“ Aber wer mit solchen Vorschlägen hilft, der sollte sich nicht wundern, wenn am Ende kein Feuer gelöscht, sondern der ganze Kontinent abgefackelt wird.

Der Krieg nach Russland? Vielleicht fangen wir erst einmal damit an, den Wahnsinn zu Hause zu lassen.

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