
oder: Wie ich lernte, die Stasi zu lieben
Es war einmal ein Land, in dem man sich bei den Falschen nicht zu laut räuspern durfte. Dieses Land hieß DDR, was nicht, wie viele heute glauben, für „Die Demokratie rockt“ stand, sondern für „Denunziation, Diktatur, Repression“. Damals, als es noch für eine Aktentasche voll Akten ein Schulterklopfen gab, schrieb eine gewissenhafte Frau unter dem Tarnnamen „Marion“ fleißig Berichte über Menschen, die dachten, sie seien ihre Freunde. Heute, ein paar Regime und Erinnerungen später, ist Marion auferstanden – nicht in Gestalt einer Mahnerin für das, was war, sondern als Tugendwächterin dessen, was sein darf.
Maja Wiens, Jahrgang 1952, gebürtige DDR-Bürgerin, gelernte Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit, ist heute das, was man in geförderten Broschüren „zivilgesellschaftliches Engagement“ nennt. Einst führte sie Protokoll über das subversive Verhalten ihrer Umwelt – zum Beispiel unbewilligte Lektüre westlicher Zeitschriften, falsche Freunde oder fragwürdige Liedtexte. Heute führt sie Protestzüge gegen Faschismus und Rassismus an – mit akkurat dekliniertem Plakat und einem unerschütterlichen Blick, der sagt: „Ich weiß, was du letzten Sommer gewählt hast.“
Wer einmal denunziert hat, dem glaubt man nicht
Früher war es der Klassenfeind, heute ist es der politische Feind, der ins Visier gerät. Man könnte fast meinen, es handle sich um eine durchgängige Karriere im selben Berufszweig – nur dass der Dienstherr gewechselt hat und der Etat heute vom Familienministerium stammt, statt vom Ministerium für Staatssicherheit. Was sich nicht geändert hat: der Furor, mit dem die Abweichler vom rechten Weg identifiziert und angeprangert werden.
Natürlich könnte man sagen: Menschen ändern sich. Reue ist möglich, Läuterung auch. Doch davon spricht Maja Wiens nicht. Sie gibt sich nicht als geläuterte Täterin, sondern als moralische Instanz – die letzte Verteidigungslinie gegen die Finsternis, gegen alles, was nicht in ihren antifaschistisch-korrekt kalibrierten Kompass passt. Dass ihre eigene Vergangenheit dabei nicht stört, sondern offenbar qualifiziert, lässt tief blicken – vor allem in die Mechanik heutiger Erinnerungskultur.
Die Reinwaschung der Vergangenheit: Jetzt mit Bio-Siegel
Denn die Geschichte von Maja Wiens ist auch die Geschichte einer beunruhigenden Amnesie. Eine Gesellschaft, die sich als antifaschistisch definiert, scheint bereit, so ziemlich jede Biografie zu verzeihen – solange das Narrativ stimmt. Das heißt: Wer heute gegen rechts ist, kann kaum zu Unrecht je gegen links gewesen sein. Die DDR? Ein Betriebsunfall. Die Stasi? Ein Missverständnis. Die IM-Akte? Ein dunkles Kapitel, aber das Buch hat doch ein gutes Ende. Happy End mit Förderantrag.
Es verwundert da kaum, dass Wiens 2024 den Aachener Friedenspreis bekam – ein Preis, der schon öfter mehr für Gesinnung als für Gewissen verliehen wurde. Der Thüringer Demokratiepreis folgte, als wäre er auf ihre Biografie maßgeschneidert: vom Spitzel zur Demokratin in nur vier Jahrzehnten – ganz ohne öffentliche Entschuldigung, aber mit medienwirksamem Einsatz gegen die AfD. Wer braucht schon Läuterung, wenn man Haltung hat?
Wenn Moral zur Währung wird
Maja Wiens ist nicht die Ausnahme. Sie ist das Symptom. Ein Paradebeispiel für eine Zeit, in der Moral nicht mehr aus der Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld erwächst, sondern aus dem richtigen Feindbild. Wer gegen rechts ist, ist automatisch gut. Und wer gut ist, bekommt Preis, Presse und Projektmittel. Dass die gleichen Methoden zur Anwendung kommen – Beobachtung, Denunziation, soziale Ächtung – ist kein Widerspruch, sondern fast schon ein ironischer Zirkel der Geschichte.
Es braucht keine Stasi mehr, wenn die Zivilgesellschaft bereitwillig ihre Rolle übernimmt. Heute schreibt man keine Akten mehr, man schreibt Tweets. Früher landete man in der Personalakte, heute auf einer Watchlist antifaschistischer Blogs. Die Methoden ändern sich, das Prinzip bleibt: Wer anders denkt, muss beobachtet werden. Wer anders spricht, ist verdächtig. Und wer fragt, warum eine ehemalige Stasi-Mitarbeiterin zur demokratischen Lichtgestalt stilisiert wird, ist ohnehin schon ein Fall für die nächste Zoom-Sitzung der „Omas gegen Rechts“.
Fazit: Die Revolution frisst ihre Kinder – und spuckt sie wieder aus, wenn sie nützlich sind
Man könnte über Maja Wiens lachen, wäre ihre Geschichte nicht so exemplarisch für einen gefährlichen Trend. Statt aus der Geschichte zu lernen, inszeniert man die Vergangenheit als modulares Legoset, in dem man sich die passenden Bausteine heraussucht. Der Rest wird als „nicht hilfreich“ in die Lade mit den Altpapieren gelegt – oder in die Rubrik „rechte Narrative“, wenn jemand wagt, sie zu thematisieren.
Wiens ist nicht die letzte ihrer Art. Sie ist ein Prototyp. Eine Figur, die in ihrer Mischung aus moralischem Eifer, historischer Unschärfe und öffentlicher Förderung zeigt, wie dünn der Lack demokratischer Selbstvergewisserung geworden ist. Und wie bereitwillig wir jene zu Heiligen erklären, die einst bereit waren, andere zu opfern – für die richtige Sache, versteht sich.
Denn in einem Land, das sich so sehr für seine Vergangenheit schämt, dass es sich ständig neue Heldinnen erfindet, ist selbst eine alte IM wie „Marion“ noch zu gebrauchen – solange sie im Dienst der richtigen Gesinnung steht. Und damit schließt sich der Kreis: Der antifaschistische Schutzwall ist zurück. Nur dass er heute nicht aus Beton besteht, sondern aus PR, Preisverleihungen – und einer gehörigen Portion Vergessen.