Die Reinheitsprüfung

oder: Wie man mit Demokratie die Demokratie ausradiert

Prolog mit Preußenschwärze: Wenn der Staat Gesinnung schnüffelt

Man muss, ich wiederhole es mit allem Nachdruck, kein Freund der AfD sein. Man kann diese Partei für reaktionär, revisionistisch, gefährlich, dumm, opportunistisch, rassistisch, antieuropäisch, demokratiezersetzend und im Habitus latent faschistoid halten – was ohnehin schwerfällt, sich nicht irgendwann zu denken, wenn man sich einmal nüchtern mit ihrem Programm und ihren Protagonisten beschäftigt hat. Doch genau das ist der Prüfstein: „Nüchtern.“ Denn wer nüchtern bleibt in einem politischen Klima, das zunehmend nach Kaltverformung riecht, muss auch den kalten Hauch erkennen, der plötzlich aus einer anderen Richtung weht. Aus jener Richtung, die sich als die gute, richtige, aufrechte bezeichnet. Die Seite der Demokratie. Der Menschenrechte. Der Gerechtigkeit.

Und gerade dort, in dieser warm beleuchteten Zone des moralischen Bessermenschentums, brennt jetzt eine kalte Lampe.

Michael Ebling, Innenminister von Rheinland-Pfalz, hat beschlossen, dass die AfD ab sofort auf einer Liste steht. Einer Liste der extremistischen Organisationen. Und wer dort steht, ist raus. Raus aus dem Staatsdienst, raus aus der Chance, Lehrer, Polizist, Verwaltungsbeamter oder Zugbegleiter in Uniform zu werden.

Klingt nachvollziehbar, oder? Schließlich will man ja keine Demokratiefeinde im Staatsapparat haben.

Klingt vernünftig – wenn man gerade aus einem schlechten dystopischen Film kommt und das Popcorn noch zwischen den Zähnen knackt.

Die Logik der Gesinnungsprüfung: Wer nicht hüpft, ist kein Demokrat

Was hier eingeführt wird, ist keine banale Schutzmaßnahme. Es ist der Einstieg in ein Denken, das man längst überwunden glaubte: die amtliche Prüfung innerer Überzeugungen, die administrative Einordnung politischer Identität, die Verknüpfung staatlicher Loyalität mit weltanschaulicher Reinheit. Es ist – man muss es so sagen – eine zivilisierte Neuauflage dessen, was man früher „Unzuverlässigkeit“ nannte.

Willkommen im demokratischen McCarthyismus der BRD 2.0. Die Parole lautet: Du darfst wählen, was du willst, aber wehe, du willst das Falsche. Dann darfst du nicht mehr sein, was du willst. Schon gar nicht Staatsdiener.

TIP:  Privatstädte

Wer glaubt, das sei eine notwendige Abwehr gegen rechte Unterwanderung, der sollte kurz innehalten und sich fragen, warum man dann nicht einfach das Verbot dieser Partei vollzieht – mit ordentlichen Verfahren, mit gerichtlicher Kontrolle, mit Beweisen und nachvollziehbaren Schritten. Stattdessen macht man etwas viel Heimtückischeres: Man deklariert eine demokratisch legitimierte Partei zur Extremismusmarke und versieht sie mit einem stillen Berufsverbot.

Künftig soll jeder Bewerber eine Erklärung unterschreiben, dass er keiner extremistischen Organisation angehört – und die Definition, was extremistisch ist, liegt beim Ministerium. Dort steht jetzt eben auch die AfD. Morgen vielleicht die Linke. Übermorgen Fridays for Future oder Amnesty International. Wer weiß? Die Listen kann man erweitern. Irgendjemand wird schon klatschen.

Der Staat als Gesinnungsschnüffler – ein sozialdemokratischer Albtraum

Dass ausgerechnet die SPD diesen Schritt geht, ist eine besonders bittere Pointe. Dieselbe Partei, die in den 1970er Jahren mit dem sogenannten Radikalenerlass hunderttausende junge Menschen unter Generalverdacht stellte, weil sie Mitglied in der DKP oder nur Leser der konkret waren – sie führt nun die Gesinnungsliste wieder ein, diesmal unter dem Schutzschild des Antifaschismus. Das ist keine Ironie. Das ist Tragik.

Wer sich erinnert: Damals wurde lange nachgedacht, diskutiert, debattiert, gestritten. Heute reicht ein Tweet, ein Presserummel, eine ministeriale Mitteilung.

Der neue Puritanismus verlangt keine Argumente mehr, sondern Eide. Loyalität zur Verfassung soll nicht mehr in Haltung und Verhalten sichtbar werden, sondern in Form einer Selbstauskunft. Wer lügt, fliegt. Wer bekennt, darf bleiben – vielleicht. Denn auch der Bekenner kann im Zweifel verdächtig bleiben, falls das Parteibuch nicht gefällt. Und was ist mit ehemaligen Mitgliedern? Mit jenen, die „reumütig“ sind? Wird es ein Reintegrationsformular geben, ein Entnazifizierungsseminar, ein Demokratietreue-Screening beim Verfassungsschutz?

Man sieht: Das ist keine Linie mehr. Das ist ein Abgrund.

Vom Extremismus zur Exkommunikation: Die postliberale Demokratie

Was hier still und beinahe beiläufig vollzogen wird, ist nicht bloß ein Angriff auf eine Partei, sondern auf das Prinzip pluralistischer Demokratie. Wenn der Staat entscheidet, wer inhaltlich zur Demokratie gehört – und nicht mehr nur formal die Regeln ihrer Spielweise garantiert – dann kippt das System. Dann wird der demokratische Staat zur ideologischen Kirche, und die Exkommunikation zur Verwaltungsmaßnahme.

TIP:  Und wieder die Ukraine – eine nie versiegende Quelle von Absurditäten

Man stelle sich das umgekehrt vor: Ein konservativer Innenminister erklärt, Mitglieder der Linkspartei dürften nicht mehr in den Staatsdienst, weil sie mit der DDR sympathisierten. Oder ein zukünftiger libertärer Populist verweigert Klimaaktivisten den Beamtenstatus, weil sie „staatsfeindlich“ agieren.

Wer nun sagt, das sei nicht vergleichbar – der beweist nur, dass er nicht bereit ist, das Prinzip zu verteidigen, sondern nur die eigene politische Hegemonie.

Und das Lächeln dabei – der neue autoritäre Humanismus

Was diese Entwicklung so perfide macht, ist ihr gutmenschlicher Gestus. Sie kommt nicht mit Panzern und Stahlhelmen, sondern mit gendergerechter Sprache und regenbogenfarbenen Logos. Sie tarnt ihre Exklusion als Schutzmaßnahme. Sie spricht nicht von Säuberung, sondern von „Verfassungstreue“. Und sie klatscht sich selbst Beifall, weil sie ja nur das Richtige will.

Dabei ist es ganz einfach: Wer anderen Menschen Berufsrechte entzieht, nicht wegen ihrer Tat, sondern wegen ihrer Mitgliedschaft – der betreibt Kollektivschuld. Wer Gesinnungen bewertet, bevor ein Mensch gehandelt hat – der betreibt Präventivjustiz. Wer Parteien ächtet, statt sie offen zu bekämpfen – der betreibt politische Willkür.

Und wer das alles mit einem Lächeln tut, mit dem Brustton moralischer Überlegenheit – der ist gefährlicher als jeder brüllende AfD-Stammtisch.

Epilog: Die Demokratie stirbt nicht durch ihre Feinde – sondern durch ihre Freunde

Wir leben in Zeiten, in denen die Demokratie zunehmend in Watte gepackt wird – aus Angst, sie könnte zerbrechen. Doch in Wahrheit wird sie durch diese Umarmung erstickt. Demokratie lebt nicht davon, dass nur Demokraten an ihr teilnehmen. Sondern dass auch ihre Gegner in ihr sichtbar, kontrollierbar und kritisierbar bleiben. Wer sie ausschließt, macht sie nur dunkler. Wer sie tabuisiert, macht sie nur attraktiver für jene, die sich als Verfolgte inszenieren wollen – mit leider wachsendem Erfolg.

Nein, man muss wahrlich kein Freund der AfD sein, um das, was hier geschieht, als gefährlich zu erkennen. Es reicht, ein Freund der Freiheit zu sein. Und ein Feind jeder Form von moralischem Autoritarismus – ganz gleich, welche Farbe er trägt.

TIP:  Zwischen Ideologie und Physik

Denn am Ende ist es immer gleich:

Wer Listen anlegt,
verliert zuerst das Vertrauen,
dann die Freiheit,
und schließlich –
die Demokratie selbst.

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