
Der Versuch, das 21. Jahrhundert mit Tools aus der Nachkriegszeit zu verwalten
Es gehört zu den bemerkenswerteren Ironien der Gegenwart, dass wir versuchen, ein globales Phänomen zu regulieren, das in seiner Dimension und Dynamik historisch einzigartig ist – mit den verwitterten Instrumenten einer Welt, die es nicht mehr gibt. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, das Protokoll von 1967, das internationale Seerecht, das Asylrecht, das Völkerrecht – allesamt Produkte einer Ära, in der ein Pass noch ein in Leder gebundenes Stück Papier war und nicht ein QR-Code im Handy. Die UN-Charta von 1945, das EMRK-Instrumentarium von 1953 – das sind feine juristische Kunstwerke, geschaffen für eine Zeit, als das moralische Weltbild noch relativ übersichtlich war: Man hatte gerade Auschwitz gesehen, man hatte Dresden brennen sehen, man wollte verhindern, dass die Welt erneut in Schutt, Asche und Leichenbergen versinkt.
Nur: Damals gab es drei Milliarden Menschen. Heute sind es über acht. Damals hatte Afrika keine 300 Millionen Einwohner, heute marschiert es stramm auf 1,5 Milliarden zu – und wächst weiter, als gäbe es kein Morgen.
Und trotzdem tun wir so, als könne man das 21. Jahrhundert mit den ethischen und rechtlichen Betriebssystemen des Kalten Krieges steuern. Als könnte man „Avatar“ auf einem IBM PC 5150 rendern, mit 640 KB RAM und Diskettenlaufwerk. Es quietscht, es raucht, es stürzt ab – aber niemand zieht den Stecker. Stattdessen gibt man dem veralteten Rechner einen neuen Anstrich und nennt es Humanität.
Der neue Darwinismus – Survival of the Fittest im NGO-Schlauchboot
Man redet gerne von den Schwachen. Vom „Schutzbedürftigen“. Vom „Verfolgten“. Das klingt gut, das beruhigt das Gewissen, das macht sich hervorragend in Talkshows. Nur hat die Realität, wie so oft, andere Pläne. Denn wer es heute aus einem afghanischen Bergdorf, aus einem sudanesischen Flüchtlingscamp oder aus der marokkanischen Provinz in ein Schlauchboot über das Mittelmeer schafft, der ist per Definition kein Schwacher.
Er ist ein Sieger. Ein Überlebender des globalen Auswahlprozesses, den man im Tierreich „natürliche Selektion“ nennen würde, bei uns aber aus PR-Gründen lieber „Flucht vor Not und Elend“. Der Schwache, der Alte, der Kranke bleibt zurück. In den Lagern. In den Dörfern. In den Slums. Er stirbt dort, wo keine Kameras sind. Wer hingegen bis Europa durchkommt, ist stark. Jung. Männlich. Widerstandsfähig. Und vor allem: mobil.
Migration ist kein Wunschkonzert, aber sie ist auch kein humanitärer Akt mehr. Sie ist knallharte globalökonomische Realität. Es geht um Chancen, Ressourcen, Perspektiven – und das Recht des Stärkeren, nicht das des Schwächeren. Das klingt zynisch? Das ist es auch. Nur eben auch: wahr.
Die Moral als Wohlstandsbürgerpflicht – Oder: Warum wir uns so gerne belügen
Natürlich erzählen wir uns andere Geschichten. Der gute Mensch liebt es, sich selbst zu feiern. Er hängt Seenotrettungsplakate ins Fenster, spendet für NGO-Boote, die an den Küsten Libyens kreuzen und dafür sorgen, dass der Verkehr auf der Mittelmeerroute nicht ins Stocken gerät – und streicht sich dafür innerlich einen Orden an die Brust.
Die Wirklichkeit ist weniger dekorativ. Wer die Schleuserindustrie am Leben erhält, wer den Sog-Effekt verstärkt, der sorgt dafür, dass noch mehr Menschen aufbrechen – wissend, dass viele auf dem Weg sterben werden. Er akzeptiert, dass das Geschäft mit der Hoffnung ein Geschäft mit der Verzweiflung ist.
Doch darüber reden wir nicht. Denn wir sind die Guten. Und wer das infrage stellt, ist der Böse. Das macht die Debatte so gemütlich einfach. Ein Schwarz-Weiß-Film, in dem wir die Helden sind – während die Realität längst in Technicolor läuft.
Juristische Fossilien im Zeitalter des globalen Migrationsmarktes
Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde 1951 geschrieben, da hatten viele Europäer noch Ruinen als Wohnzimmer. Das Abkommen war nie dafür gedacht, Armutsmigration zu regeln. Es war für politisch Verfolgte gemacht. Für Dissidenten, für Widerständler, für Menschen, denen Folter, Haft und Tod drohten.
Heute aber ist der Begriff des „Flüchtlings“ zu einem Universal-Schlüssel geworden, mit dem man sämtliche Grenzen aufschließen möchte. Man tut so, als wären Hunger, Armut, Perspektivlosigkeit, Gewalt und Korruption stets politisch verfolgungswürdig – obwohl sie in Wahrheit der Normalzustand großer Teile der Welt sind.
Das ist tragisch. Aber es ist kein Rechtsgrund für dauerhaften Aufenthalt in Österreich, Deutschland, Schweden oder den Niederlanden. Es sei denn, man definiert die Welt als globales Sozialamt – wobei sich der Sitz des Amtes zufällig in der EU befindet.
Seerecht für Schlauchboote – Oder: Der Missbrauch des Rettungsgedankens
Das internationale Seerecht kennt die Pflicht zur Seenotrettung. Doch es wurde nicht für Massenmigration in Gummibooten geschrieben. Es stammt aus einer Zeit, in der Seeleute Schiffer in Seenot retteten – nicht globale Wanderungsströme logistisch unterstützten.
Heute funktioniert das so: Man setzt sich absichtlich in seeuntaugliche Boote, ruft dann per Satellitentelefon nach Hilfe, um sich von NGOs oder Küstenwachen retten zu lassen – mit anschließendem Eintritt in den europäischen Rechtsraum. Das ist kein Zufall, sondern System. Ein Geschäftsmodell, das sich perfekt eingespielt hat zwischen Schleusern, Aktivisten und Politikern, die dankbar sind, dass sie ihre Hände in der humanitären Unschuld waschen können.
Man stelle sich vor: Der Rettungsring wird zum Fährticket. Nur dass niemand das offen sagen darf, weil es zu hässlich klingt.
Reden wir endlich. Aber ehrlich.
Ja, man wird reden müssen. Aber nicht mit dem moralischen Tremolo, das jeden Widerspruch als Rechtsradikalismus diffamiert. Sondern mit nüchternem Blick. Mit der Bereitschaft, die Komplexität zu akzeptieren.
Man wird darüber reden müssen, dass Migration keine Lösung für das demografische Problem Afrikas ist. Dass Europa nicht die Rettungsinsel für eine Welt sein kann, die sich selbst demografisch in die Luft sprengt.
Man wird reden müssen über Grenzen. Über Selektion. Über das Recht auf Nein. Und darüber, dass nicht jede Hilfe eine gute Hilfe ist. Man wird sich fragen müssen, ob es ethisch vertretbar ist, Menschen Hoffnung zu machen, wo in Wahrheit nur Frustration wartet.
Man wird reden müssen über Realismus. Über Ehrlichkeit. Über die Frage, wie viel Belastung ein System tragen kann, bevor es selbst zusammenbricht. Und darüber, was mit den Menschen passiert, die dann nichts mehr haben – weder Schutz noch Heimat noch Solidarität.
Und ja: Man wird auch darüber reden müssen, ob das alles überhaupt noch Migration ist – oder längst ein globales Wettrennen um den Zugang zu den letzten sicheren Flecken der Erde.
Bis dahin aber trinken wir weiter fair gehandelten Kaffee, klicken auf Petitionen, hängen Refugees-Welcome-Plakate ins Fenster und tun so, als wären wir die moralische Avantgarde einer neuen Weltordnung.
Während wir in Wahrheit nur versuchen, mit einem rostigen Völkerrecht-Oldtimer durchs digitale, globalisierte 21. Jahrhundert zu fahren – der Kühler dampft schon, das Getriebe ächzt. Aber keiner will aussteigen. Weil wir uns dann eingestehen müssten: Das Ziel, das wir ansteuern, gibt es nicht.