
Ein absurdes Barometer der Freiheit
Es gibt eine eigenartige, beinahe schon rituelle Manie unter politischen Kommentatoren, Soziologen von der leichten Sorte und Twitter-Philosophen, die darin besteht, die Qualität liberaler Demokratien nach grotesk simplifizierten, fast schon kindlich zu nennenden Indikatoren zu bemessen. So liest man in der einschlägigen Rhetorik gelegentlich, die wahre Stärke einer Gesellschaft liege nicht in ihren Institutionen, nicht in der Unabhängigkeit der Justiz, nicht in der faktischen Teilhabe aller Bürger:innen am politischen Prozess, sondern vielmehr in der Anzahl der Queer-Klubs pro Quadratkilometer. Man muss hier innehalten, um die surreale Absurdität dieses Gedankengangs voll zu erfassen: Die liberale Demokratie als Nachtleben. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als tanzende Körper in Neonlicht getaucht, deren pulsierender Herzschlag über die Existenz von Bürgerrechten entscheidet. Die Logik dahinter ist so schlicht, dass sie fast wieder brillant wirkt: Wer viel Clubkultur hat, muss schließlich tolerant sein. Wer tolerant ist, muss eine funktionierende Demokratie haben. Wer eine funktionierende Demokratie hat, kann getrost die Anzahl der Queer-Klubs zählen, um die politische Stabilität zu prognostizieren. Dass in dieser Kette der Erkenntnis das Wort „Komplexität“ wie ein missliebiger Fremdkörper wirkt, stört offenbar niemanden.
Die Fetischisierung des Sichtbaren
In Wahrheit offenbart diese skurrile Fixierung auf das Sichtbare – neonbeleuchtete Schilder, glitzernde Garderoben und die obligaten Regenbogenflaggen – vor allem eines: eine tiefe intellektuelle Bequemlichkeit. Der politische Beobachter muss nicht verstehen, wie Gesetzgebung funktioniert, wie Korruption gemildert oder Machtstrukturen ausgehebelt werden; er muss nur den Spaziergang durch die Innenstadt wagen und ein paar Instagram-taugliche Bilder der „wahren Freiheit“ machen. Es ist die Fetischisierung des Sichtbaren, die in dieser Betrachtung triumphiert: Freiheit als Konsumgut, Demokratie als Lifestyle-Accessoire. Je mehr Queer-Klubs, desto „liberaler“ die Stadt. Je weniger, desto totalitärer die Tendenz – ein lineares, hypnotisches Denken, das keinerlei Toleranz für das Unsichtbare, für die schwer messbaren Dimensionen von Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit oder Bildung hat. Man könnte fast von einer perversen Form der statistischen Voyeurismus-Kultur sprechen, in der man die pulsierenden Herzen von Menschen als Messinstrument der politischen Reife missbraucht. Und natürlich wird der humorvolle Beobachter in diesem Zusammenhang nicht müde, über die offensichtliche Ironie zu lachen: Dass gerade diejenigen, die sich selbst als besonders aufgeklärt und kritisch geriert haben, in der Praxis zur trivialen metrischen Verzerrung greifen, die jede ernsthafte politische Analyse verspottet.
Liberalismus im Spiegel der Tanzfläche
Doch es wäre unfair, diese Haltung bloß als lächerlich zu entlarven, ohne ihre poetische Qualität anzuerkennen. Denn die Vorstellung, dass Freiheit messbar sei an der Fähigkeit einer Gesellschaft, Queer-Klubs zu beherbergen, hat eine gewisse, zynische Schönheit. Sie reduziert die komplizierte, manchmal unerträglich sperrige Demokratie auf das, was sie zugleich am lebendigsten zeigt: ihre Tanzflächen. Hier zeigt sich die Metaphorik: Liberalismus als Raum der Körper, als erlaubtes Chaos, als feierliche Unordnung, die sowohl sichtbar als auch flüchtig ist. Die Queer-Klubs werden so zu einem Symbol, zu einer Allegorie für alles, was an liberalen Demokratien schillernd, laut und lebenslustig ist – und gleichzeitig zu einem Alarmsignal: Denn wo man beginnt, diese Symbole zu zählen, hat man bereits aufgehört, die Mechanismen zu verstehen, die Freiheit überhaupt ermöglichen. Der Zynismus liegt auf der Hand: Man feiert die Freiheit, während man sie quantifiziert; man applaudiert der Pluralität, während man sie in Quadratkilometern misst. Das Augenzwinkern ist unvermeidlich, denn der satirische Reflex entsteht genau aus dieser Diskrepanz.
Schlussgedanken zwischen Tanz und Statistik
Am Ende ist die Queer-Klub-Metrik mehr als nur ein groteskes Maß für politische Reife. Sie ist ein Spiegelbild unserer Neigung, das Komplexe in verdauliche, Instagram-kompatible Häppchen zu zerlegen. Sie erinnert uns daran, dass wir oft lieber die Oberfläche polieren, als uns in die Untiefen demokratischer Realität zu wagen. Und sie lädt, trotz all des Zynismus, zu einer kleinen, heimlichen Freude ein: Es gibt Orte, an denen die Freiheit sichtbar ist, pulsierend, leuchtend, unordentlich – und wenn wir sie zählen, tun wir das nicht nur, um zu messen, sondern um uns selbst daran zu erinnern, dass Demokratie manchmal einfach nur tanzt.