Die hohe Kunst des Sitzplatz-Offerierens: Ein längst vergessenes Ritual

Früher, so scheint es, war alles einfacher: Da betrat eine ältere Dame den Bus, und man sprang vom Sitz auf, als ginge es um die Rettung der Titanic. Ein reflektorischer Akt, der so selbstverständlich war wie das morgendliche Brötchenholen. Ein Zücken der sittlichen Flagge, ein leises Signal „Ich bin anständig!“, vor allem aber ein Beleg von Respekt – oder zumindest der resignierten Anerkennung, dass man mit jugendlicher Kraft (und nicht nur mit eingebildeter) gesegnet sei. Doch halt, wir schreiben das Jahr 2025, und mit ihm kommen neue Wahrheiten und eine neue, noch unerhörte Expertenschar, die uns ganz „modern“ belehren will, was es bedeutet, den lieben Alten tatsächlich zu helfen. Oder eben nicht.

Experten raten: Keinen Sitzplatz anbieten! Die Revolution der Rücksichtslosigkeit?

Man stelle sich das vor: Sir Muir Gray, seines Zeichens Oxford-Professor und Sprecher des Gesundheitsamtes, hat entschieden, dass der edle Akt des Sitzplatzofferierens quasi ein Relikt der Altmodigkeit ist. Die Devise lautet: Lassen wir die Greise stehen! Jawohl, stehen soll das neue Sitzen sein – quasi ein Fitnessprogramm mit Umsonst-Bonus. Der „Sitzplatzexperte“ fordert, dass die Alten nicht nur im Bus, sondern auch im Leben aktiv bleiben, am besten ohne „Lifts und Fahrstühle“ – steil bergauf, Treppensteigen bis zum Horizont, als ob sie mit jeder Stufe der Zeit ein Schnippchen schlagen könnten. Die nüchterne Logik dahinter: Der Körper der Alten profitiere von dieser Art „sanfter Zwangsexercise“; also ein Hoch auf die soziale Kaltblütigkeit, die sich im Mantel der Fürsorge tarnt!

Bussitzplatz-Experte: Ein Beruf mit höchsten ethischen und physischen Anforderungen

Nun könnte man sich fragen: Wie wird man eigentlich zum Bussitzplatz-Experten? Wer setzt die Kriterien, wer erteilt das Diplom? Schließlich ist es ein delikates Balance-Akt zwischen gesellschaftlicher Rücksichtnahme und gesundheitsförderlicher „Härte“. Ist es ein angeborenes Talent, das in jungen Jahren durch das tägliche Pendeln mit überfüllten Verkehrsmitteln kultiviert wird? Oder gibt es geheime Seminare, in denen man lernt, in Sekundenbruchteilen zu entscheiden: Stehen lassen oder Sitz anbieten? Wie viel Mimik und Gestik sind erlaubt? Muss man dabei die innere Zerreißprobe überstehen, wenn der eigene Sitzplatz doch so verlockend ist?

TIP:  Im Theater der Absurden: Zwei Männer, ein Ultimatum, null Verstand

Vielleicht gibt es ja einen geheimen Orden der Bussitzplatz-Experten, die mit strengem Blick über das stehende Volk wachen, wissend, dass wahre Expertise nicht im bloßen Aufstehen besteht, sondern im eleganten Verweigern. Der Profi erkennt in Sekunden, wer tatsächlich „fit genug“ ist, den Stehplatz zu ertragen – und wer nicht. Er schätzt das Alter, die Haltung, die Körpersprache, den Atemgeruch, sogar die Schuhsohlenabnutzung – all das sind unsichtbare, aber untrügliche Signale. Ein Bussitzplatz-Experte ist somit ein moralischer Feingeist, ein Athlet der sozialen Intelligenz und ein Meister der Situationskomik.

Der Balanceakt zwischen Höflichkeit und Fitness-Wahnsinn

Die neue Doktrin der Gesundheitsexperten stößt natürlich auf Widerstand: Wie soll ein Mensch, der auf sein schon schweres Knie aufpassen muss, plötzlich wie ein Hochleistungssportler den Bus nur noch stehend bewältigen? Ist das nicht der Weg zu einem zynischen Zeitalter, in dem Empathie zugunsten von „praktischer Gesundheitsvorsorge“ geopfert wird? Andererseits – und hier kommt der bitterböse Humor ins Spiel – vielleicht ist es ja genau das, was wir brauchen: Eine Gesellschaft, die sich von übertriebener Zartbesaitetheit verabschiedet und die Alten endlich dazu zwingt, ihre innere Standfestigkeit unter Beweis zu stellen. Ein letztes Training für den großen Showdown mit der Schwerkraft.

Doch halt! Darf man nicht trotz aller Gesundheitsempfehlungen sagen, dass manchmal auch eine kleine Geste der Höflichkeit – ein einfaches Aufstehen, ein Verschieben der Tasche – ein Ausdruck von Menschlichkeit bleibt, der sich nicht allein in Fitnessparametern messen lässt? Oder sind wir schon so weit, dass der Bussitzplatz zum Symbol eines kalten Fitness-Kults geworden ist, in dem menschliche Wärme auf der Strecke bleibt?

Fazit: Wie zum Teufel wird man Bussitzplatz-Experte?

Man wird Bussitzplatz-Experte durch jahrelange Übung im urbanen Dschungel, durch tägliche Grenzerfahrungen an der Schnittstelle zwischen Höflichkeit und Zynismus, und durch die begleitende Lektüre von Professorenmeinungen, die das Stehen zum Fitnessprogramm erklären. Man lernt, die Balance zu halten zwischen Empathie und knallhartem Gesundheitsdogma, zwischen Tradition und Fortschritt. Und vor allem lernt man eines: Dass der Bus nicht nur ein Verkehrsmittel ist, sondern eine Bühne, auf der sich die großen Fragen unserer Zeit abspielen – nämlich: Wie viel Rücksicht können wir uns leisten, ohne uns selbst zu verlieren?

TIP:  Asteroid 2024 YR4

Und bis dahin: Halten Sie sich gut fest, stehen Sie auf – oder eben auch nicht. Denn wer weiß schon, was der nächste Experte rät?

Please follow and like us:
Pin Share