Die grüne Faxnation

Ein Lehrstück über deutsche Weltrettung und analoge Behörden

Man muss sich die Szene einmal plastisch ausmalen, mit der inneren Kamera aus der Zeit vor der Digitalisierung, also ungefähr aus dem Jahr 1987: In irgendeinem klimatisierten Konferenzraum eines Ministeriums, wahrscheinlich zwischen zwei PowerPoint-Folien über nachhaltige Nachhaltigkeit und resiliente Resilienz, wird beschlossen, dass es dem Klima in Algerien an Effizienz mangelt. Genauer gesagt: den Kommunalverwaltungen dort. Das ist bedauerlich, denn ohne klimaeffiziente Kommunalverwaltung kann eine algerische Kleinstadt, so das Credo der deutschen Entwicklungsbürokratie, ja kaum in den Zustand globaler CO₂-Harmonie überführt werden, den wir uns alle wünschen – mit Ausnahme der Chinesen, der Amerikaner, der Inder und sämtlicher anderen real existierender Wirtschaftsmächte, die den Emissionsdeckel weiterhin für einen Untersetzer halten.

Also beschließt Deutschland, 6.000.000 Euro zu investieren. In Algerien. Für „Grüne Gemeinden II“, denn schon „Grüne Gemeinden I“ war offenbar so ein triumphaler Erfolg, dass eine Fortsetzung nicht nur geboten, sondern unausweichlich war. In der deutschen Verwaltungsprosa heißt das dann: „Die Klimaeffizienz der algerischen Kommunalverwaltungen ist verbessert und der Energieverbrauch gesenkt.“ Der Satz klingt wie aus der Bauanleitung für einen IKEA-Klimaschutzschrank. Er sagt nichts, bedeutet aber alles.

Währenddessen: In Deutschland. Behördenmitarbeiterinnen und Beamte in ihren unkündbaren Kokons starren auf surrende Faxgeräte, als handele es sich um den letzten funktionierenden Kontakt zum Kosmos. Ein Summton, dann das vertraute Geratter des Thermopapiers – und fertig ist der Antrag auf Steuerklassenwechsel, eingereicht per 80er-Jahre-Technologie, gerne mal in dreifacher Ausfertigung und mit Stempel. Willkommen in der Bundesrepublik Deutschland, die zwar das Klima in Afrika retten will, aber an der eigenen Digitalisierung scheitert wie ein betrunkener Pinguin an der Hürdenlauf-Olympiade.

Die Dialektik des Fortschritts: Wenn Zukunft auf Kurbeltelefon trifft

Man darf sich diese Gleichzeitigkeit nicht entgehen lassen, sie ist zu köstlich, um sie nur zu beklagen. Da fließen Millionen nach Algerien, um dort die Kommunen mit Solarleuchten, LED-Straßenlaternen, womöglich einem Workshop über Mülltrennung und Powerpoint-Schulungen über „klimafreundliche Verwaltung“ zu versorgen. Gleichzeitig druckt der deutsche Sachbearbeiter das Mail-PDF aus, um es anschließend einzuscannen und per Fax an das Nachbarbüro zu schicken. Das ist so, als würde man dem Nachbarn ein Smart Home installieren, während man selbst noch mit dem Flaschenzug die Kohle ins Wohnzimmerfenster hievt.

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Natürlich ist das alles kein Zufall, sondern System. Es gehört zum deutschen Staatsverständnis, dass die eigene Verwaltung möglichst resistent gegenüber allem ist, was nach Modernisierung riecht. Nicht aus Bosheit, sondern aus einer tief verwurzelten Ehrfurcht vor der Ordnung, die seit Bismarck als sakrosankt gilt. Ein Faxgerät, das funktioniert, ist in deutschen Amtsstuben wertvoller als jede App. Es ist zuverlässig, es gibt einen Belegstreifen, und es hat – im Gegensatz zu dieser neumodischen Cloud – keinen Datenschutzskandal ausgelöst. Noch nie hat ein Fax einen Trojaner installiert. Noch nie hat ein Fax den Akku leer gehabt. Es ist das Bollwerk der Beharrungskraft.

Der Export der deutschen Weltrettung: Wo der Zeigefinger grüner ist als das Handeln

Während also der deutsche Verwaltungsapparat mit der Effizienz eines Brathähnchens in der Mikrowelle seine eigenen Strukturen vor Veränderung schützt, exportiert er gleichzeitig seinen moralischen Überbau in die Welt. Der Deutsche rettet gerne. Das Klima. Die Demokratie. Die Weltmeere. Am liebsten jedoch das, was möglichst weit weg ist. Das schafft Distanz zum eigenen Versagen und fühlt sich dabei doch so wohlig an.

Man könnte ja mal versuchen, den eigenen CO₂-Ausstoß zu senken, indem man das Faxgerät aus den Ämtern entfernt und die Digitalisierung nicht länger als Bedrohung ansieht, sondern als das, was sie ist: die Voraussetzung dafür, überhaupt irgendwann klimafreundlich zu arbeiten. Aber das wäre anstrengend. Das würde bedeuten, eigene Komfortzonen zu verlassen. Sich selbst zu verändern, anstatt anderen vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Lieber also das Millionenprojekt für algerische Gemeinden, wo niemand kontrolliert, ob das Solarpanel auf dem Rathausdach nach sechs Monaten noch funktioniert oder der Bürgermeister es inzwischen für den Privatgebrauch abgeschraubt hat.

Die ritualisierte Großzügigkeit: Ein Ablasshandel für das schlechte Gewissen

6.000.000 Euro. Das klingt nach viel, ist aber im Rahmen des Bundeshaushalts ein Fliegenschiss mit E-Auto-Zertifikat. Trotzdem erfüllt es einen Zweck: Das deutsche Gewissen darf sich selbst auf die Schulter klopfen. Schaut her, wir tun etwas! In Algerien wird der CO₂-Ausstoß gemindert – während die Drucker der deutschen Amtsgerichte weiter halbe Regenwälder in Papierform durch den Laser schieben. Das Faxgerät brummt, das Klima brennt, aber wir sind moralisch auf der richtigen Seite.

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In Wahrheit ist dieses ganze Ritual ein moderner Ablasshandel. Früher kaufte man sich mit Geld von der Höllenstrafe frei, heute von der Klimakatastrophe. Die Kirche von damals heißt heute Entwicklungszusammenarbeit, und der Papst sitzt im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wo man, im Zweifel mit einem Latte Macchiato in der Hand, überlegt, welche Weltregion als nächstes „klimaeffizient“ gemacht wird, während der eigene Amtsschimmel genüßlich auf dem Recyclingpapier kaut.

Schlussbetrachtung: Das Fax als Totem der deutschen Verwaltung

Man könnte das alles natürlich pragmatisch sehen. Warum sollten wir die Digitalisierung der deutschen Behörden auch zu schnell vorantreiben? Es würde ja bedeuten, dass der Staat plötzlich effizient wird. Und wer will das schon? Schließlich leben Hunderttausende davon, dass der Staat so funktioniert, wie er funktioniert – oder eben nicht funktioniert. Ein digitalisierter Antrag dauert vielleicht drei Minuten, ein papiergebundener Vorgang mit Fax und Unterschriftenmappe dagegen drei Wochen. Das schafft Arbeitsplätze. Und Beschäftigung. Und Sicherheit.

Womöglich ist das Faxgerät also gar kein Relikt, sondern ein bewusster Akt der Kulturpflege. Es steht da wie ein Mahnmal der Bürokratie, ein Denkmal der deutschen Prozessverliebtheit. In Algerien mögen künftig grüne Gemeinden erblühen – bei uns bleibt das Fax. Verlässlich. Brummend. Unverwüstlich.

Man nennt das dann wohl: Klimaeffizienz auf deutscher Art.

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