
Von der Kunst, mit Würde belogen zu werden
Es beginnt, wie alles beginnt – mit einem Lächeln. Nicht jenem warmherzigen, das einem echten Gefühl entspringt, sondern jenem geübten, kalkulierten Zucken der Mundwinkel, das sich so glatt anfühlt wie eine Pressmitteilung nach einem Korruptionsskandal. In dieser Demokratie, die sich gern als gläsernes Haus präsentiert, werden die Fenster mit Milchglas verklebt, während man uns predigt, Transparenz sei das höchste Gut – gleich nach dem Bruttoinlandsprodukt und dem Börsenwert von Rheinmetall. Die Wahrheit, so heißt es, sei ein hohes Ideal. Und wie das mit Idealen nun einmal ist: Man strebt sie an, erreicht sie nie, aber schmückt sich gern mit ihnen – wie ein Politiker mit einem Klimaversprechen im Wahlkampf oder ein Fernsehintendant mit dem Etikett „unabhängig“.
Denn wer hierzulande glaubt, er würde noch über „Fakten“ informiert, der glaubt auch, dass Lobbyisten einfach nur interessierte Bürger mit Anzug und Zugang sind. Die Informationslage ist wie ein dreifach gefilterter Latte Macchiato: geschäumt, gezuckert, dekoriert – aber letztlich hohl. Was als Nachricht daherkommt, ist oft PR in Maßanzug, geschnürt mit der Seidenschleife staatsnaher Redaktionstreue. Und das Publikum? Es sitzt da, nickt weise, klatscht gelegentlich, und bestellt die nächste Lüge im To-go-Becher. Denn was soll’s – Hauptsache, sie ist schön verpackt.
Wahrheit als Altlast: Warum Aufklärung nur in Museen stattfindet
Man stelle sich für einen Moment vor, es gäbe eine Art fossile Wahrheit, archäologisch konserviert, aus einer Zeit, in der Worte noch Gewicht hatten und Politiker gelegentlich aus Scham zurücktraten, statt sich mit einem LinkedIn-Post für ihre „neue spannende Herausforderung in der Wirtschaft“ zu feiern. Diese Wahrheit, einst hoch gehandelt wie Gold oder Anstand, liegt heute in den Kellern der Archive, versteckt zwischen Regierungsprotokollen und geleakten E-Mails, und ist ungefähr so präsent im öffentlichen Diskurs wie ein unbequemer Historiker in der Talkshowrunde mit fünf Spin-Doktoren.
Wer die Wahrheit heute ausspricht, gilt entweder als Träumer, Verschwörungstheoretiker oder Kabarettist. Letzteres ist dabei die angenehmste Variante – denn wer als Satiriker lügt, darf das, weil er es ja „nicht ernst meint“. Wenn aber ein Whistleblower mit ernster Miene ans Mikro tritt, wird er entweder ausgelacht, diffamiert oder nach Moskau verbannt – ironischerweise in jenes Land, das im Westen als Hochburg der Propaganda gilt. Was für ein köstliches Paradoxon: Der Westen feiert seine Pressefreiheit wie ein Veganertreffen eine Bio-Sojawurst, während Julian Assange in einer fensterlosen Zelle langsam zu Staub zerfällt.
Die Lüge als Systemkomponente: Über das tägliche Theater der Täuschung
Die Lüge ist nicht das Gegenteil der Wahrheit – sie ist ihre notwendige Ergänzung. In einem System, das von permanentem Widerspruch lebt – Wirtschaftswachstum gegen Klimaschutz, Freiheitsrechte gegen Überwachung, soziale Gerechtigkeit gegen Shareholder Value – braucht es die Lüge wie das Orchester den Dirigenten: zur Koordination des Unvereinbaren. Der moderne Staat ist dabei weniger Leviathan als vielmehr Maskenball: Jeder spielt seine Rolle, alle wissen, dass es ein Spiel ist, aber wehe, jemand reißt sich die Maske herunter – das wäre unschicklich.
Die Politiker lügen, weil sie müssen. Die Medien lügen, weil sie sollen. Und das Volk? Das lügt sich selbst an, weil es will. Denn nichts ist angenehmer, als in der bequemen Illusion zu verharren, man sei informiert, frei und beteiligt – während man in Wahrheit lediglich zwischen Pest, Cholera und FDP wählen darf. Demokratie ist zu oft das Angebot, sich die Farbe der Handschellen auszusuchen, mit denen man sich an das Narrativ der Zeit kettet. Und wehe, jemand stellt die falsche Frage – etwa, warum Rüstungsausgaben plötzlich „Sicherheitsinvestitionen“ heißen oder warum Grundrechte immer genau dann „diskutabel“ werden, wenn man sie gerade bräuchte.
Fazit ohne Fazit: Oder warum Ironie die letzte Zuflucht des Realisten ist
Es ist vielleicht kein Wunder, dass Ironie die bevorzugte Stilfigur der Gegenwart ist. Wer noch bei Verstand ist, kann das Weltgeschehen nur mit einem Augenzwinkern betrachten – oder mit einem Nervenzusammenbruch. Zwischen Talkshows, die inhaltsleerer sind als die Wahlprogramme ihrer Gäste, und Expertenrunden, in denen die Wirklichkeit wie ein lästiger Zwischenrufer weggemoderiert wird, bleibt dem denkenden Menschen nur eine Option: die Flucht nach vorn, ins Zynische.
So sitzen wir also hier, alle miteinander, in einem grotesken Kabinett der Widersprüche, heben unser Glas auf die „Faktenlage“ und schmunzeln über die „objektive Berichterstattung“, während wir uns im Flimmerlicht des nächsten Skandals wärmen. Vielleicht, nur vielleicht, sind wir ja gar nicht Opfer der Lügen – sondern ihre stillen Komplizen. Weil es einfacher ist, belogen zu werden, als hinzusehen. Und bequemer, die Wahrheit zu belächeln, als sie zu ertragen.