
Wenn Banales zur Offenbarung wird
Man stelle sich vor: Ein erwachsener Mensch erklärt feierlich, seine größte Herausforderung sei es, nicht gegen die Wand zu laufen, wenn er durch eine Tür gehen möchte. In etwa so klingt Murat Kaymanns ernster Befund: „Wir Muslime müssen herausfinden, wie wir mit Menschen umgehen wollen, die nicht so glauben wie wir.“ Ach was. Die Frage ist nicht, wie man mit Andersgläubigen umgeht, sondern warum das überhaupt eine Frage sein soll.
Christen oder Juden kämen im 21. Jahrhundert kaum auf die Idee, ein „interreligiöses Symposium“ zu veranstalten, um zu klären, wie man Atheisten, Veganer oder Pastafaris erträgt. Die Antwort liegt auf der Hand: Gar nicht. Man erträgt sie nicht – man bemerkt sie schlicht nicht. Religion ist Privatsache. Ende der Debatte.
Vom Nichts eine Tragödie machen
Wenn man schon keine echten Probleme lösen will, schafft man sich eben künstliche. Was Klimawandel? Was soziale Ungleichheit? Was Bildungskatastrophe? Nein, die wahre Nagelprobe der muslimischen Seele liegt darin, nicht in dauerhafter Schnappatmung zu verfallen, sobald jemand nebenan „Frohe Weihnachten“ ruft oder ein schwules Paar Händchen haltend durch die Fußgängerzone spaziert.
Und dann die schwerfällige Rhetorik: „Wir müssen eine Antwort finden.“ – Als ginge es darum, einen metaphysischen Rubikon zu überqueren. Dabei liegt die Antwort schon seit Jahrhunderten bereit, in aller Schlichtheit: „Ist mir egal.“ Fertig. Ende. Weitergehen.
Heroisierung des Normalen
Aber genau das ist das Problem: Man macht aus dem Normalsten der Welt ein heroisches Projekt. „Wir müssen lernen, Andersgläubige nicht abzuwerten.“ – Entschuldigung, aber das ist kein Meilenstein, das ist Kindergartenpädagogik. Man stelle sich vor, ein Erwachsener feiert sich dafür, dass er gelernt hat, nicht mehr auf den Teppich zu pinkeln. Man könnte ihm gratulieren – oder man könnte fragen, warum das je eine Frage war.
Der polemische Witz daran ist: Indem man diese Selbstverständlichkeiten zu „Herausforderungen“ erklärt, inszeniert man sich als moralische Heldengestalt. „Seht her, wie schwer es ist, niemanden zu hassen, und seht her, wie tapfer wir uns dieser Aufgabe stellen!“ – Bravo, Applaus, Goldmedaille im 100-Meter-Lauf der Zivilisation, an der Startlinie von allen anderen längst hinter sich gelassen.
Opferpose deluxe
Natürlich, unterschwellig läuft dabei immer die altbekannte Opferpose: „Die Gesellschaft verlangt von uns Unmenschliches – nämlich, nett zu sein.“ Man hört die unausgesprochene Klage: „Wie sollen wir bloß in einer Welt zurechtkommen, in der Frauen nicht schweigen und Schwule nicht verschwinden?“
Das klingt, als würde ein notorischer Brandstifter jammern: „Die größte Herausforderung für mich ist, kein Streichholz anzuzünden, wenn ich ein Haus sehe.“ – Ja, schwierig. Unzumutbar fast.
Die groteske Asymmetrie
Denn stellen wir uns das einmal umgekehrt vor: Juden oder Christen würden öffentlich debattieren, wie sie mit Muslimen umgehen wollen. Und zwar nicht im Sinne von „friedlich zusammenleben“, sondern im Tonfall: „Das ist unsere größte Herausforderung, und ohne eine Lösung wird unsere Religion hier nichts Positives beizutragen haben.“ – Man stelle sich die Empörung vor. Zeitungsseiten voller Skandal-Schlagzeilen.
Aber wenn ein Muslim genau diesen paternalistischen Duktus über Andersgläubige benutzt, gilt das als differenziertes Nachdenken.
Der eigentliche Skandal
Die Wahrheit ist bitter: Solange diese „Frage“ überhaupt gestellt wird, ist das Problem nicht gelöst, sondern immanent. Wer ernsthaft darüber nachdenkt, ob er den Nachbarn, der kein Kopftuch trägt, wie einen Menschen behandeln soll, hat sich schon disqualifiziert.
Und noch bitterer: Wer diese Überlegung als nobel und diskussionswürdig verkauft, zeigt damit vor allem, dass er nicht die westlichen Werte in Frage stellt, sondern die eigene Fähigkeit, die simpelsten Regeln menschlichen Anstands zu internalisieren.
Die Offenbarung des Banalen
Die Pointe: Alles, was gefordert ist, hat mit Religion nichts zu tun. Respektiere Gesetze. Respektiere Frauen. Respektiere Homosexuelle. Respektiere Juden. Fertig. Wer das nicht als Grundlage des Menschseins begreift, braucht kein theologisches Symposium, sondern Nachhilfeunterricht in Grundschulethik.
Und so bleibt der Eindruck: Hier wird das Einmaleins des Anstands als hochkomplexe Algebra verkauft – damit man sich selbst weiterhin für einen Mathematiker halten darf, obwohl man nicht einmal die Finger richtig zählen kann.