
Die Generalität, die gegen den Strom schwimmt
In einer Zeit, in der deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wie ein Schiff ohne Kompass durch stürmische Gewässer irrt, ist es erfrischend, auf Stimmen zu stoßen, die nicht dem allgegenwärtigen Chor der Konsenshörigkeit folgen. Stimmen, die sich trauen, gegen den Strom zu schwimmen – auch wenn dieser Strom in deutschen Diskursen gerne mal als das einzig Richtige, Moralische und Alternativlose verkauft wird. Drei dieser Stimmen kommen aus der Riege der ehemaligen Generäle der Bundeswehr: Erich Vad, Harald Kujat und Kay-Achim Schönbach. Man könnte meinen, sie hätten ihren Ruhestand in den friedlichen Gefilden der sicherheitspolitischen Konformität verbringen können, doch stattdessen scheinen sie sich darauf spezialisiert zu haben, Störenfriede im wohlgeordneten Konzert der außenpolitischen Selbstgefälligkeit zu sein.
Waren sie in ihren aktiven Dienstzeiten noch getreu der Hierarchie und den politischen Vorgaben verpflichtet, so sprechen sie jetzt, im Dunstkreis des Ruhestands, mit einer Direktheit und Klarheit, die in der deutschen Politik oft wie ein Schuss in die Panzerung wirkt – schmerzhaft und ungern gesehen. Aber Vorsicht! Was diese Generäle sagen, ist weder Laiengehabe noch Stammtischgepolter. Es ist durchdacht, fundiert und – vor allem – unbequem. Genau deshalb scheint man sich in Berlin am liebsten taub zu stellen.
Der nüchterne Mahner im nebligen Kanzleramt
Erich Vad, Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr und ehemaliger militärischer Berater der Kanzlerin, ist kein Mann großer Gesten. Er ist kein Haudegen, kein lauter Schreihals – er ist vielmehr das, was man einen nüchternen Strategen nennen könnte. Vielleicht liegt genau darin seine Brisanz. Denn in einer Zeit, in der die deutsche Politik gerne in moralischen Übertreibungen und wohlklingenden, aber inhaltsleeren Phrasen badet, erinnert Vad an die harte Realität: Kriege werden nicht mit Absichtserklärungen gewonnen, und Sicherheitsstrategien erfordern etwas mehr als moralisches Schulterklopfen auf internationalen Konferenzen.
Während seiner Zeit im Bundeskanzleramt war Vad der Strippenzieher im Hintergrund, einer, der den Finger am Puls der militärischen Realitäten hatte – und der bis heute keinen Hehl daraus macht, dass er so manche sicherheitspolitische Entscheidung seiner ehemaligen Chefin Angela Merkel für katastrophal hält. Besonders in Bezug auf die Ukraine-Krise hat sich Vad als einer der schärfsten Kritiker der deutschen Haltung positioniert. Nicht aus einem irrationalen Drang heraus, sondern weil er – ganz General – eine strategische Fehlkalkulation wittert, die Europa noch teuer zu stehen kommen könnte.
Vad ist der Typ General, der sich nicht mit der Logik des ewigen Waffenlieferns und der Eskalationsspirale anfreunden kann. Seine Forderung nach einer diplomatischen Lösung, nach einem Dialog mit Russland – einem Dialog, der in den Kreisen der politischen und medialen Elite gerne als naiv abgetan wird – basiert auf einer bitteren Erkenntnis: Der Krieg in der Ukraine wird nicht durch westliche Waffenlieferungen entschieden, sondern an den Verhandlungstischen, die immer mehr in die Ferne rücken. Aber wer hört schon auf den, der keinen Sessel mehr im Kanzleramt hat?
Der Mann, der die NATO kannte wie kein Zweiter
Harald Kujat, General a. D., ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, ist kein Mann für halbe Sachen. Wenn Kujat spricht, dann gibt es keine verschwurbelten Formulierungen oder diplomatisch verwässerte Statements. Nein, Kujat ist brutal direkt – so direkt, dass man sich in den Berliner Büros gerne mal am Kaffee verschluckt. Denn Kujat, der jahrzehntelang in den höchsten Militärkreisen unterwegs war, weiß, wovon er spricht, wenn es um die NATO geht – und er weiß auch, dass nicht alles Gold ist, was mit dem NATO-Emblem versehen ist.
Als Kujat seine Kritik an der NATO-Strategie und der deutschen Außenpolitik äußerte, war die Empörung groß. Man könnte fast meinen, der General hätte das ungeschriebene Gesetz der politischen Etikette verletzt, das besagt: „Die NATO ist unantastbar, und Deutschland soll artig nicken.“ Doch Kujat, der wohl mehr Zeit in NATO-Gremien verbracht hat, als die meisten Politiker in ihrem gesamten Berufsleben, sieht das anders. Besonders die Osterweiterung der NATO war ihm stets ein Dorn im Auge – nicht, weil er sie grundsätzlich ablehnt, sondern weil er die strategische Kurzsichtigkeit dahinter erkannte.
Der Russland-Ukraine-Konflikt? Auch hier ist Kujat der Meinung, dass die deutsche und westliche Haltung die Lage nur verschärft habe. Kujat plädiert für mehr Realpolitik und weniger moralische Hochglanzrhetorik. Eine Position, die man in den Kreisen der außenpolitischen Moralapostel gerne als „putinversteherisch“ diffamiert – ein Wort, das in seiner plumpen Vereinfachung so typisch deutsch ist, dass man fast glauben könnte, es sei eigens für den Diskurs um Kujat erfunden worden.
Der Admiral, der in der Realität anlegte
Wenn man von Offizieren spricht, die gegen den Strom schwimmen, dann ist Kay-Achim Schönbach ein wahrer Schwimmer der Extraklasse. Vizeadmiral a. D., ehemaliger Inspekteur der Marine, wurde international bekannt, als er während einer Diskussion in Indien so ziemlich alles sagte, was man in Deutschland nicht sagen darf. Er äußerte sich zur Krim und Russland in einer Weise, die das deutsche Establishment in Schockstarre versetzte. Dabei war seine Kernaussage denkbar simpel: „Russland wird die Krim nicht aufgeben – und das sollten wir akzeptieren.“
Schönbach hatte den Schneid, das Offensichtliche auszusprechen, während die deutsche Außenpolitik sich in Schönwetterphrasen verlor. Er argumentierte, dass Russland ein wichtiger Akteur in der internationalen Sicherheitsarchitektur sei, den man nicht einfach durch Sanktionen und Isolation aus dem Spiel drängen könne. Diese pragmatische Sichtweise brachte ihm nicht nur Kritik, sondern auch seinen vorzeitigen Abschied. Schönbach warf das Handtuch – oder vielmehr wurde es ihm freundlich gereicht, nachdem er gegen den Strom geschwommen war.
In der Bundesrepublik gilt es als Todsünde, das Narrativ der unbedingten Konfrontation mit Russland zu hinterfragen. Doch Schönbach ist ein Mann, der weiß, dass Seefahrt etwas mit Navigation zu tun hat – und ein guter Navigator weiß, dass es manchmal klüger ist, um einen Sturm herum zu segeln, als sich mitten hinein zu stürzen. In der deutschen Politik scheint man diesen Grundsatz aber wohl vergessen zu haben.
Gegen den Strom – Die unerwünschten Mahner
Was vereint diese drei Männer? Vad, Kujat und Schönbach sind keine romantischen Pazifisten, keine naiven Idealisten. Sie sind Offiziere, die ihre Karriere damit verbracht haben, militärische und sicherheitspolitische Realitäten zu durchdenken, zu gestalten und zu verantworten. Und doch sind sie es, die heute von der öffentlichen Debatte an den Rand gedrängt werden – als Querulanten, die nicht verstehen wollen, dass der Wind der Zeiten sich gedreht hat.
Ihre Kritiker werfen ihnen vor, sie seien zu alt, zu weltfremd, zu sehr der alten Schule verhaftet. Doch was wirklich hinter dieser Ablehnung steckt, ist die schlichte Tatsache, dass diese Generäle unbequem sind. Sie fordern das von der deutschen Außenpolitik, was am seltensten ist: Realitätssinn. Und in einer politischen Kultur, die sich lieber in moralischen Höhenflügen als in der harten Realität bewegt, ist Realitätssinn ein Gut, das nur selten geschätzt wird.
Stattdessen wird die deutsche Außenpolitik von Menschen geführt, die – so scheint es zumindest – die ständige Konfrontation als Lösung aller Probleme sehen. Diplomatie? Das ist doch nur etwas für Schwächlinge, oder? Und so liefern wir weiter Waffen, verlängern einen Krieg, der auf dem Schlachtfeld nie entschieden werden kann, und reden uns ein, dass dies der einzige Weg sei.
Der Strom der Geschichte – Quo vadis?
Die Geschichte lehrt uns, dass jene, die gegen den Strom schwimmen, oft erst im Nachhinein als weitsichtig erkannt werden. Vad, Kujat und Schönbach könnten schon bald in diese Kategorie fallen. In einigen Jahren, wenn der Rauch sich verzogen hat und die Realitäten sichtbar werden, könnte man sich an ihre Mahnungen erinnern – dann aber wird es zu spät sein, um ihre Ratschläge noch zu befolgen.
Die Frage ist, ob die deutsche Politik die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkennt. Werden wir uns weiter in eine Sackgasse manövrieren, oder werden wir lernen, dass Krieg und Konfrontation nicht die einzigen Instrumente der Außenpolitik sind? Vad, Kujat und Schönbach haben ihre Antworten gegeben – auch wenn man sie nicht hören will.
Quellen und weiterführende Links:
Bundeszentrale für politische Bildung: Deutsche Außenpolitik und Sicherheit – Die Debatte der Generäle, abrufbar unter www.bpb.de.
Erich Vad: Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert – Ein Mahnruf aus der Praxis. Verlag für Politische Bildung.
Harald Kujat: Die NATO und Deutschland – Rückblick und Ausblick. Mittler & Sohn.
Kay-Achim Schönbach: „Die Krim-Frage – Realitäten der geopolitischen Ordnung“, Rede auf der India Defence Conference, 2022.
Der Spiegel: „Die Kritik der Generäle – Was Vad, Kujat und Schönbach wirklich sagen“, online verfügbar unter www.spiegel.de.
Die Zeit: „Der ungehörte Weckruf der Generäle“, verfügbar unter www.zeit.de.