Die falsche Frage als bequeme Ausrede

Die Frage, ob „der Islam“ zu Österreich, Deutschland oder zu Europa gehört, ist die falsche – schon deshalb, weil sie eine metaphysische Entität an den Zollschranken der Geschichte kontrollieren möchte, als käme da ein Weltanschauungscontainer mit Übergepäck an und der Beamte müsse nur entscheiden, ob er durchgewinkt wird oder zurück nach Abstraktistan muss. „Der Islam“ gehört so wenig oder so sehr zu Europa wie „das Christentum“ oder „die Aufklärung“ oder „der Barock“: als vielstimmige, widersprüchliche, historisch gewachsene Chiffre, die sich nie in eine einzige Antwort sperren lässt. Die falsche Frage ist bequem, weil sie Verantwortung externalisiert. Sie erlaubt es, mit dem Zeigefinger auf ein Ding zu zeigen und nicht auf Menschen, nicht auf Institutionen, nicht auf die mühseligen Regeln des Zusammenlebens. Wer sie stellt, hofft insgeheim auf ein Ja oder Nein, auf ein Ordnungsamt der Identitäten, das endlich sagt: gehört oder gehört nicht. Doch das Leben ist kein Vereinsregister, und Kultur kein Meldezettel.

Zugehörigkeit als Einbahnstraße

Die bessere, ungemütlichere Frage lautet: Will der Islam – will wollen können – zu Österreich, Deutschland oder Europa gehören? Und noch präziser: Wollen es seine Institutionen, seine Prediger, seine Verbände, seine informellen Autoritäten, seine Elternabende und Freitagspredigten, seine WhatsApp-Gruppen und Gemeindefeste? Zugehörigkeit ist keine naturrechtliche Eigenschaft, sondern eine Praxis. Sie besteht aus dem alltäglichen Einüben von Regeln, die gerade dann gelten, wenn sie wehtun. Europa, dieses stets unfertige Projekt zwischen Kant und Kantine, hat eine besonders unhöfliche Regel: Es erlaubt, ja schützt die Beleidigung von Ideen. Es schützt sie nicht aus Sadismus, sondern aus Erfahrung. Die Erfahrung lautet, dass Ideen, die nicht beleidigt werden dürfen, früher oder später Menschen beleidigen, disziplinieren, unterwerfen. Die Meinungsfreiheit ist kein Kuscheltier, sie ist ein Stachelschwein: Wer sie umarmt, muss mit Pieks rechnen. Die Frage ist also nicht, ob jemand verletzt wird – das wird er. Die Frage ist, ob er die Verletzung aushält, ohne zum Messer zu greifen, zum Gesetz zu rufen oder zum Boykott der Moderne.

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Satire als Stresstest der Zivilisation

Satire ist der Lackmustest einer offenen Gesellschaft, weil sie dort kratzt, wo es juckt. Sie macht sich lustig über das Heilige, nicht weil sie es hasst, sondern weil sie es ernst nimmt – ernst genug, um es der Ironie auszusetzen. Europa hat gelernt, dass Götter, die nicht ausgelacht werden dürfen, sehr schnell anfangen, zurückzulachen, und zwar mit Feuer. Das Lachen ist also kein Luxus, sondern eine Brandschutzmaßnahme. Wer nun fragt, ob alle Gläubigen bereit sind, friedlich hinzunehmen, dass im Namen von Meinungsfreiheit, Kunst oder Satire auch ihr Glaube beleidigt werden darf, stellt keine Provokation, sondern eine Eintrittsfrage. Sie gilt nicht nur Muslimen, sie gilt Christen, Juden, Atheisten, Veganerinnen, Nationalromantikern und Fußballfans. Die Antwort darf nicht lauten: „Ja, aber…“ Denn dieses Aber ist der Spalt, durch den die Zensur hereinkriecht, geschniegelt, geschniegelt von guten Absichten.

Die Kränkung als Bürgerpflicht

Kränkung ist in Europa eine Bürgerpflicht. Sie gehört zum Erwachsenenprogramm der Demokratie wie das Warten an der roten Ampel, auch wenn niemand kommt. Wer glaubt, sein Glaube sei ein Sonderfall, verwechselt Respekt mit Unantastbarkeit. Respekt heißt, den Menschen ernst zu nehmen; Unantastbarkeit heißt, die Idee in Watte zu packen. Das eine ist Voraussetzung des Zusammenlebens, das andere dessen Ende. In einer Gesellschaft, die Kunstfreiheit ernst meint, wird es Bilder geben, die beleidigen; Texte, die schmerzen; Witze, die nicht lustig sind. Das Recht, sich zu empören, ist unantastbar. Das Recht, andere zum Schweigen zu bringen, ist es nicht. Wer Zugehörigkeit will, muss diese Asymmetrie akzeptieren: Die Freiheit der anderen endet nicht an der eigenen Empfindlichkeit.

Der Mythos der homogenen Gläubigen

„Sind alle seine Gläubigen bereit?“ – schon diese Formulierung stolpert über die Realität. Es gibt nicht „alle“. Es gibt eine bunte Landschaft von Haltungen, von liberal bis dogmatisch, von gelassen bis glühend. Die Pointe ist: Europa verlangt keine Gesinnungsprüfung, sondern Verhaltensregeln. Niemand muss Satire mögen, niemand muss Karikaturen feiern, niemand muss die Avantgarde verstehen. Man muss sie ertragen. Das ist der Deal. Wer ihn unterschreibt, gehört dazu, unabhängig davon, wie oft er betet oder was er isst. Wer ihn aufkündigt, stellt sich selbst an den Rand – nicht, weil er ausgeschlossen wird, sondern weil er sich exkludiert. Zugehörigkeit ist kein Geschenkpaket, es ist ein Vertrag mit Kleingedrucktem.

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Das europäische Versprechen und seine Zumutung

Europa verspricht Freiheit und zumutet Gelassenheit. Es verspricht Gleichheit vor dem Gesetz und zumutet Ungleichheit der Gefühle. Es verspricht Würde und zumutet Spott. Das ist kein Widerspruch, sondern der Preis der Freiheit. Wer ihn nicht zahlen will, wird nicht verfolgt, aber er wird sich fremd fühlen. Und Fremdheit ist kein Verbrechen, sondern ein Gefühl, das man bearbeiten kann – mit Bildung, mit Dialog, mit Humor. Humor vor allem. Denn Humor ist die eleganteste Form der Selbstrelativierung. Er sagt: Ich bin mir wichtig, aber nicht so wichtig, dass ich dich zum Schweigen bringen muss.

Schluss ohne Trost, aber mit Zwinkern

Die falsche Frage nach der Zugehörigkeit des Islam ist eine Einladung zur Bequemlichkeit. Die richtige Frage nach der Bereitschaft zur Freiheit ist eine Einladung zur Reife. Sie richtet sich an alle, die hier leben wollen, gleich welcher Überzeugung: Könnt ihr es aushalten, wenn man euch widerspricht, euch parodiert, euch verletzt – und trotzdem gemeinsam den Müll trennt, Steuern zahlt und die Ampel respektiert? Wenn die Antwort Ja lautet, dann gehört ihr dazu, ohne Anführungszeichen. Wenn sie Nein lautet, dann gehört ihr vielleicht zu etwas anderem, das weniger lacht, aber strenger liebt. Europa aber liebt unordentlich, laut und manchmal verletzend. Wer das aushält, darf bleiben. Wer es nicht aushält, darf bleiben – und lernen. Denn auch das ist Europa: ein pädagogisches Projekt mit offenem Ausgang und der festen Überzeugung, dass ein Witz mehr bewirken kann als ein Verbot.

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