
Sie können ihre eigene Geschichte simulieren, aber sie können unsere nicht umschreiben!
Geschichte ist bekanntlich kein strenger Buchhalter mit sauber geführten Spalten und doppelt geprüften Quittungen, sondern eher ein leicht beschwipster Archivar, der gelegentlich vergisst, in welchem Aktenschrank er die Wahrheit abgelegt hat. Wenn er sich dann Jahre später in den Keller verirrt, zieht er einen Ordner hervor, pustet den Staub ab und sagt mit der Überzeugung des selbsternannten Experten: „So war’s!“ – während die halbe Menschheit, die oben im Büro sitzt, mit verschränkten Armen seufzt: „Ach, bitte nicht schon wieder diese Version.“
Es gibt nämlich jene historische Ironie, die so grotesk ist, dass sie schon fast zur Farce wird. Und dann gibt es den Versuch, diese Farce nachträglich in einen moralisch astreinen Heldendrama-Direktorenschnitt umzuschneiden – nur dass das Publikum, das zufällig die Uraufführung gesehen hat, nicht vergisst, wie der Vorhang damals wirklich fiel.
1936: Beethoven mit Davidstern
Beginnen wir mit einer Szene, die heute so viele politische Lager in Schnappatmung versetzen würde, dass man schon prophylaktisch Sauerstoffzelte aufstellen müsste: Das „Palästinensische Symphonieorchester“ anno 1936. Wer saß dort mit Geige, Horn und Oboe? Palästinenser, jawohl – nur eben jene, die ihre Namen vorzugsweise mit Rosenfeld, Bernstein oder Weizmann unterschrieben. Ein Ensemble von Juden, die nach britischem Mandatspassport „Palästinenser“ hießen. Die Realität ist manchmal so boshaft pointiert, dass kein Satiriker sie besser erfinden könnte.
Heute würde man vermutlich sofort einen „Kontextfilter“ drüberlegen: „Das war doch nur eine historische Zufälligkeit! Das hat nichts mit dem heutigen Diskurs zu tun!“ – Ach ja? Dieselben, die sonst auf jedes Gramm historischen Erbes pochen wie ein Antiquar auf die Provenienz jedes Bilderrahmens, geraten plötzlich ins Stammeln, wenn sich die Vergangenheit nicht zur aktuellen Empörungskampagne falten lässt.
1939: Elf Juden im Trikot „Palestine“
Drei Jahre später: Die Fußballnationalmannschaft Palästinas – auch hier wieder ein Kuriosum, das in keiner Netflix-Doku Platz finden würde, weil es einfach zu sehr nach Monty Python klingt. Alle Spieler waren Juden. Elf Mann, die sich ein Palästina-Trikot überstreiften und den Ball kicken durften, während der Rest der Welt kurz davor stand, in die größte Apokalypse der Menschheitsgeschichte zu stürzen.
Und jetzt stellen Sie sich vor, man blättert 2025 durch eine radikal-propalästinensische Twitter-Timeline und schreibt drunter: „Fun Fact: Das erste Team Palästinas bestand ausschließlich aus Juden.“ – Der digitale Mob würde kollektiv hyperventilieren, der Algorithmus würde Schnappatmung simulieren, und irgendwo in einem deutschen Seminarraum würde ein Professor mit Kreidehänden ins Schwitzen geraten, weil der Satz in kein heutiges Seminar-Skriptum passt.
1947: „Free Palestine“ – ein zionistisches Bonmot
Dann die nächste historische Pointe: Der Slogan „Free Palestine“. Heute getragen auf T-Shirts, keck gerufen auf Demos, wo Menschen so tun, als hätten sie den Satz gestern Nacht im WhatsApp-Gruppenchat erfunden. Tatsächlich stammt er aus der Werkzeugkiste der Zionist Organization of America, 1947, gegen die Briten gerichtet. Ja, Sie haben richtig gelesen: ein zionistischer Schlachtruf.
Wer das heute in eine Talkshow einwirft, erlebt ein Schauspiel sondergleichen: Die einen reagieren mit dem betretenen Schweigen, das sonst nur deutsche Familien beim Thema „Opa 1944“ draufhaben. Die anderen lächeln süß-sauer und murmeln: „Das war aber ein anderes Free Palestine!“ – als ließe sich Geschichte mit der Semantik von veganem Käse retten.
Der Traum von der nachträglich umgeschriebenen Realität
All dies zeigt ein Muster, das in der politischen Folklore unserer Tage zum Dauerbrenner geworden ist: Man wünscht sich eine Vergangenheit, die man wie ein PowerPoint-Template beliebig umgestalten kann. Heute klickt man ein Bild weg, morgen kopiert man ein anderes hinein, und voilà: Schon erscheint Geschichte als moralisch makelloser Netflix-Dreiteiler, produziert von den Guten, für die Guten, gegen die Bösen.
Das Problem: Geschichte ist kein Dokument im Google-Drive-Ordner der Gegenwart, den man nach Belieben editieren darf. Sie ist da, hartnäckig, widersprüchlich, unbequem – und je mehr man sie leugnet, desto mehr lacht sie einen aus den Fußnoten an.
Simulieren dürft ihr, aber nicht umschreiben!
Man darf seine eigene Geschichte simulieren. Theaterstücke schreiben, Mythen erfinden, Lieder singen, die von einer Heimat träumen, die man vielleicht nie so gesehen hat. Das ist legitim, das ist menschlich, das ist kulturell sogar wertvoll. Aber man darf nicht die Geschichte der anderen umschreiben, um die eigene sauberer aussehen zu lassen.
Denn wenn die Geige des „Palestine Orchestra“ 1936 schon von Juden gestrichen wurde, wenn der Elfmeter von 1939 von Juden verwandelt wurde, und wenn selbst der Slogan von 1947 zuerst zionistische Tinte trug – dann ist das nicht nur eine Fußnote, sondern eine Fußfessel für all jene, die heute so tun, als hätte die Vergangenheit nie einen Sinn für Ironie gehabt.
Die Geschichte ist kein Wunschkonzert. Aber manchmal spielt sie uns eine Melodie, die so absurd ist, dass sie nur als Satire verstanden werden kann.