Die EU am Wochenmarkt

Es gibt Momente in der europäischen Politik, da weiß man nicht, ob man applaudieren, lachen oder panisch den letzten Rest an Menschenwürde aus dem brennenden Haus der geopolitischen Selbstüberschätzung retten soll. Die jüngste Verkündigung der EU-Kommission, Europa solle künftig „gemeinsam Rohstoffe einkaufen“, gehört zweifellos zu jenen exquisiten Episoden des politischen Theaters, in denen Idealismus und Realitätsferne eng miteinander tanzen – so eng, dass man sich fragt, wer von beiden wem auf die Füße tritt. Denn während die Kommission feierlich ihre geballte Einkaufskraft beschwört – man darf sich das gern als gigantischen Wocheneinkauf mit 27 Einkaufszetteln vorstellen – schwingt gleichzeitig ein kaum verhülltes „Isch ’abe auch eine Drohung“ im Raum, gerichtet an jene Länder, die es wagen könnten, Europa nicht prioritär zu beliefern. Es ist der klassische EU-Moment: moralisch erhaben auftreten, ökonomisch entschlossen wirken – und dabei unfreiwillig Komik erzeugen.

Der Kontinent als Schnäppchenjäger

Ein Kontinent, der gemeinsam Rohstoffe einkauft – die bloße Vorstellung hat etwas rührend Hausmütterliches. Man sieht förmlich die EU-Kommissarinnen und -Kommissare mit Trolley und Jutebeutel über den globalen Wochenmarkt schlendern, hier ein seltenes Metall beäugend, dort ein Gasvorkommen kritisch prüfend, und zwischendurch empört nachfragend, ob dieses Lithium denn nun wirklich nachhaltig sei oder bloß nachhaltig im Werbeprospekt. Der Gedanke dahinter ist einfach: Wenn 27 Staaten zusammen auftreten, dann haben sie eine stärkere Verhandlungsposition. Und zweifellos stimmt das – zumindest in jener theoretischen Welt, in der alle 27 dieselben Interessen, dieselbe Geduld und dieselbe Vorstellung von Preis und Priorität haben. In der wirklichen Welt allerdings wird der gemeinsame Einkauf schnell zum geopolitischen Gruppentherapieexperiment, bei dem jeder Mitgliedstaat zwar gern Solidarität predigt, aber im entscheidenden Moment doch wieder fragt: „Und was genau bringt mir das?“

Immerhin lässt sich die EU dabei nicht lumpen. Denn wer könnte der Versuchung widerstehen, der Welt mit wohlig schwingender moralischer Überlegenheit zu erklären, dass Europa – dieses große, friedliebende, überall beliebte Europa – künftig seine Einkaufsliste diktieren will wie eine etwas zu selbstbewusste Kundin in einem Bioladen, die verlangt, dass der Kassierer weiß, was sie „sonst immer nimmt“.

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Wenn die sanfte Drohung mit dem Zeigefinger winkt

Doch hinter der freundlich-technokratischen Formulierung, man wolle „mit geballter Einkaufskraft Lieferengpässe verhindern“, steckt ein Subtext, der sich nur mit einer fein abgeschmeckten Portion Zynismus voll entfaltet. Denn die Kommission erklärt implizit: „Wenn ihr nicht anständig liefert, werden wir … ja, was eigentlich? Sehr enttäuscht sein? Den Handelspartner streng anschauen? Oder – Gott bewahre – womöglich den diplomatischen Zeigefinger heben?“

Die Andeutung einer Drohung wirkt dabei wie jene sanfte pädagogische Warnung, mit der Eltern ihrem Kind nahelegen, dass es jetzt aber wirklich gleich ins Bett müsse, sonst passiere … ja, sonst passiere etwas, das man nie konkret ausbuchstabiert. Die EU erklärt also entschlossen, aber nicht zu detailliert, dass andere Länder gefälligst ihre Rohstoffe herausrücken sollen. Dass diese Länder sich denken könnten: „Europa, du produzierst selbst kaum was davon, kritisierst unsere Politik täglich – und jetzt möchtest du bitte bevorzugt beliefert werden?“ … darüber schweigt man höflich.

Doch man muss fair sein: Die Weltlage ist ernst genug. Wenn China den Export bestimmter Metalle einschränkt und die USA sich wieder einmal in protektionistische Selbstfindungsseminare begeben, dann bleibt Europa nur, irgendeine Art „strategischer Autonomie“ zu improvisieren. Und wenn man keine Minen hat, dann, nun ja, kauft man eben gemeinsam ein – und hofft, dass Moral, Kaufkraft und charmantes Lächeln ausreichen, um afrikanische, südamerikanische oder asiatische Rohstoffnationen zu überzeugen, sich den europäischen Bedürfnissen zu beugen.

Die große europäische Selbstbehauptungsoper

In Wahrheit ist die Ankündigung der EU-Kommission ein weiterer Akt in jenem langatmigen, doch stets dramatisch inszenierten Versuch, Europa als geopolitischen Akteur darzustellen, der mit den Supermächten mithalten kann. Man könnte meinen, der Kontinent stehe auf einer Theaterbühne mit USA und China, während diese beiden sich mit Laserkanonen duellieren – und Europa versucht, mit einer besonders eindrucksvollen PowerPoint-Präsentation Eindruck zu schinden.

Die Idee der gemeinsamen Rohstoffbeschaffung erinnert an jene legendären Momente der EU-Historie, in denen man glaubte, durch institutionelle Eleganz geopolitische Härte ersetzen zu können. Doch der globale Rohstoffmarkt ist kein Debattierclub, und auch kein Seminar für wertebasierte Außenpolitik, sondern ein knallhartes, oft schmutziges Geschäft, in dem Macht, Zugang und Infrastruktur zählen. Da hilft es wenig, wenn die EU ihre „strategischen Bedürfnisse“ in wohlklingenden Papieren formuliert. Ein Bergbaukonzern in Indonesien oder Chile mag höflich nicken – und trotzdem verkaufen, an wen er will.

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Die Schönheit der Ironie liegt jedoch in der Tatsache, dass die EU politisch stets dorthin strebt, wo sie am wenigsten glaubwürdig ist. Ein kontinentales Einkaufszentrum? Großartig. Eine geopolitische Speerspitze? Nun ja. Ein Ressourcenimperium? Höchstens im PowerPoint-Format. Doch zumindest beweist Europa einmal mehr seinen unbeirrbaren Optimismus: Wenn schon nicht pragmatisch, dann wenigstens feierlich.

Die moralische Großmacht mit Einkaufswagen

Es wäre unfair, den europäischen Ansatz ausschließlich zu belächeln. Ein gemeinsamer Einkauf kann tatsächlich helfen, die Preise zu stabilisieren, Abhängigkeiten zu verringern und die Verhandlungsmacht zu erhöhen. Doch Europa wäre nicht Europa, wenn es nicht gleichzeitig glauben würde, dass man mit moralischem Anspruch geopolitische Physik überlisten könnte. Die EU sieht sich gern als Hort der Werte, der Transparenz, der fairen Partnerschaften. Doch der Rohstoffmarkt ist ein Tummelplatz jener Realität, die sich für Werte nur interessiert, wenn sie sich in Dollar, Yuan oder zumindest Kupferdraht umrechnen lassen.

So entsteht jene köstliche Diskrepanz, die dieses gesamte Projekt zur Satire macht: Ein Kontinent, der weder die Rohstoffe besitzt noch deren Abbau forcieren will und gleichzeitig gegenüber der Welt die moralische Messlatte hält, möchte nun „mit geballter Einkaufskraft“ auftreten – vermutlich mit demselben Ausdruck auf dem Gesicht, mit dem man einem überforderten Einzelhändler erklärt, das Haltbarkeitsdatum des Sojajoghurts entspreche nicht den EU-Anforderungen.

Und dennoch: Die EU meint es ernst. Sie will keine Bittstellerin mehr sein. Keine politische Vegetarierin in einer Welt der geopolitischen Fleischfresser. Keine moralische Kommentatorin, die am Rand steht, während andere handeln. Nein, Europa möchte endlich etwas tun, das nach Macht aussieht – selbst wenn es am Ende nur ein ziemlich großer, ziemlich komplizierter Einkauf wird.

Schlusswort eines wohlmeinenden Zynikers

Vielleicht ist das der wahre Kern des Ganzen: Europa versucht, die eigene Ohnmacht mit kollektiver Organisation zu übertönen. Und das ist – im besten Sinne – zutiefst menschlich. Denn wer kennt es nicht: Wenn man keine echte Kontrolle hat, beginnt man eben Listen zu schreiben, Einkaufsgruppen zu gründen und sich gegenseitig in der Illusion zu bestärken, dass gemeinsames Auftreten Stärke bedeutet.

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Vielleicht funktioniert es. Vielleicht wird Europa tatsächlich unabhängiger. Vielleicht werden die Lieferketten stabiler. Oder vielleicht wird die Kommission in ein paar Jahren erklären, dass die Welt leider nicht angemessen kooperiert habe und man nun eine „gemeinsame strategische Reflexion“ anstrebe.

Aber bis es so weit ist, bleibt uns zumindest ein gewisses Maß an Unterhaltung: Ein Kontinent im kollektiven Einkaufsrausch, moralisch aufgeladen, politisch ambitioniert – und herrlich unfreiwillig komisch. Ein Europa, das versucht, mit einem Einkaufswagen die Weltpolitik neu zu ordnen. Ein Bild, das so absurd ist, dass es fast schon wieder poetisch wirkt.

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