Die Dekadenz der oberen Ränge

Applaus aus dem Billigbereich

John Lennon, das Idol einer ganzen Generation, sagte einst auf einer königlichen Veranstaltung etwas, das den Lauf der Popkultur prägen sollte. Ein Satz, so spitz wie eine Stecknadel und doch so elegant wie eine Handvoll glitzernden Glitzers, warf einen Blick auf die subtile Kluft zwischen den Reichen und dem „gemeinen Volk“. „For the people in the cheap seats clap your hands; and the rest of you, if you’ll just rattle your jewelry.“

Er sagte es im Jahr 1963, auf dem Höhepunkt der „Royal Variety Performance“. Und während die Beatles in den Adelssphären aufstiegen, die sie ironisch hinterfragten, brannte sich dieser Satz in das kulturelle Gedächtnis ein. Was auf den ersten Blick wie ein amüsanter Kommentar zur Sitzordnung schien, entpuppte sich als kecke Provokation eines Künstlers, der sich zwischen Revolution und kommerziellem Erfolg auf dünnem Eis bewegte.

Doch was genau verrät uns dieser kleine Geniestreich eines Satzes über die wahren Dynamiken zwischen den Klassen? Schauen wir genauer hin.

Applaus für die Kleinen, Glitzer für die Großen

„Für die Leute auf den billigen Plätzen, klatscht in die Hände.“ So beginnt Lennon, den durchschnittlichen Zuhörer ansprechend. Jene, die sich zwar die Eintrittskarte leisten konnten, aber eben nicht das große Spektakel, den perfekten Blick, das polsternde Komfort von Reichtum. Was ihnen bleibt, ist der aufrichtige Applaus, der leise Versuch, Teil des Ganzen zu sein. Doch was ist das für eine Welt, in der man in Schweiß und Not klatschen muss, während oben in den Balkonen nur noch die Juwelen rasseln?

Was Lennon hier pointiert beschreibt, ist nicht nur die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts, sondern ein universelles Muster. Es geht um mehr als nur Konzertkarten, es geht um Macht, um Zugehörigkeit und um den ewigen Abstand zwischen den Klassen. Das Klatschen, das laute und sichtbare Zeichen der Freude, bleibt denen vorbehalten, die am Rande sitzen – im übertragenen Sinne wie auch im wörtlichen.

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Denn wer in der Mitte sitzt, wer auf den weich gepolsterten Sesseln des Kapitalismus Platz nimmt, der braucht nicht klatschen. Wer mit Ringen, Perlenketten und Diademen ausgestattet ist, wer das Polster des gesellschaftlichen Systems unter sich spürt, der kann es sich leisten, still zu bleiben, auf den Applaus zu verzichten. Ein leichtes Klingen des Wohlstands reicht. Ein bisschen Schmuckgeklimper.

Die Dekadenz der oberen Ränge

Doch lassen Sie uns dieses Schmuckrasseln genauer betrachten. Was bedeutet es, wenn man statt des körperlichen Ausdrucks von Zustimmung – dem Applaus – nur ein leises Geräusch von Luxus produziert? Es ist nicht etwa ein Zeichen von Verachtung, sondern eines von Überfluss. Wer es sich leisten kann, der zeigt seine Zustimmung nicht mehr durch physische Anstrengung. Die Hände bleiben sauber, der Schmuck spricht für sich.

Dieser subtile Unterschied zwischen den klatschenden Händen und dem rasselnden Schmuck verweist auf eine tiefere Kluft: die der Selbstverständlichkeit des Wohlstands. Für die Reichen ist die Welt eine Bühne, auf der sie nicht aktiv teilnehmen müssen. Sie sitzen bequem im Publikum, während die anderen schwitzen, sich aufopfern und versuchen, einen Platz im Rampenlicht zu ergattern. Denn der Applaus ist nicht nur eine Geste der Zustimmung – er ist auch eine Bitte, eine Hoffnung auf Anerkennung.

Doch für die, die schon alles haben, reicht das Klimpern der Ringe aus. Eine minimale Bewegung des Handgelenks – und das Leben geht weiter. Das ist die Ironie der oberen Ränge: Sie können es sich leisten, untätig zu sein. Ihre bloße Anwesenheit ist schon Teil des Spektakels.

Ein bitterer Applaus für die Arbeiterklasse

Lennons Bemerkung zeigt auch ein weiteres beunruhigendes Bild der damaligen Zeit – und unserer heutigen. Denn während das „gemeine Volk“ applaudiert, müht es sich ab, ein Teil des großen Ganzen zu sein, bleibt ihm doch letztlich nur der Trost, dabei zu sein. Doch was bedeutet es wirklich, in einer Welt mitzuspielen, in der der Wert eines Menschen an seiner Position in der Arena gemessen wird? Was nützt der Applaus, wenn die Juwelen in den oberen Rängen lauter sind?

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Es ist ein absurdes, fast kafkaeskes Schauspiel: Die Reichen applaudieren nicht, weil sie es nicht müssen. Das Rasseln ihres Schmucks ist ihr unsichtbarer Applaus. Sie demonstrieren ihre Macht, ihre Überlegenheit durch das, was sie nicht tun. Und so wird aus der Geste des Applaudierens – einst ein Akt der Unterstützung und Gemeinschaft – eine Farce.

Es ist diese stille Verachtung der Anstrengung, die Lennons Satz so bitter macht. Die oberen Zehntausend müssen sich nicht anstrengen, weil das System für sie funktioniert. Sie brauchen nicht zu klatschen, denn ihr Reichtum klatscht für sie.

Schmuckrasseln im 21. Jahrhundert

Natürlich, das ist keine neue Geschichte. Sie zieht sich durch die Geschichte der Menschheit, wie ein Faden aus Gold durch ein Kleid aus grauer Wolle. Die Aristokraten des Ancien Régime, die Robber Barons der Industriellen Revolution, die Tech-Milliardäre des 21. Jahrhunderts – all diese Figuren stehen für dasselbe Prinzip: Wer oben sitzt, der braucht sich nicht anzustrengen.

Im 21. Jahrhundert ist das Schmuckrasseln subtiler geworden. Heute rasseln keine Perlen mehr, sondern Aktienportfolios und Kryptowährungen. Die Reichen haben sich von den Bühnen der Theater in die Unsichtbarkeit des Kapitals zurückgezogen. Doch das Prinzip bleibt dasselbe: Wer genug hat, der braucht nicht mehr zu klatschen. Denn der Markt klatscht für sie.

Während also die Menschen auf den billigen Plätzen immer noch in die Hände klatschen, schwitzen und arbeiten, sitzt die Elite mit ihren digitalen Juwelen und lässt den Wohlstand für sich sprechen. Ob es nun Diamanten sind oder Dogecoins – das Geräusch des Luxus bleibt unverändert. Der Applaus gehört weiterhin den Massen. Das Rasseln, das gehässige Klingen der Macht, bleibt den wenigen Privilegierten.

Und nun – Applaus!

Lennons Zitat bleibt bis heute ein Spiegel der sozialen Dynamiken, die unsere Welt prägen. Es ist eine sarkastische Hymne auf die ewige Ungleichheit, die sich in den einfachsten Gesten zeigt. Doch hinter der Polemik, hinter dem beißenden Zynismus, steckt auch eine gewisse Hoffnung – die Hoffnung, dass das Klatschen eines Tages mehr wert sein wird als das Rasseln des Schmucks.

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Vielleicht wird es eines Tages keine billigen Plätze mehr geben. Vielleicht wird das Klatschen zu einer universellen Geste der Solidarität, statt ein Zeichen der Distanz zu sein. Doch bis dahin bleibt uns nichts anderes übrig, als die Hände zu benutzen – in der Hoffnung, dass das Echo eines Tages die Juwelen übertönt.


Quellen und weiterführende Literatur:

  1. Lennon, John. Anthology. Ed. Yoko Ono. San Francisco: Chronicle Books, 2000.
  2. Blake, Mark. Bring on the Beatles: A Cultural History of Beatlemania. London: Faber and Faber, 2015.
  3. Thornton, Sarah. Club Cultures: Music, Media and Subcultural Capital. Cambridge: Polity Press, 1995.
  4. Mann, Doug. „John Lennon and the Irony of the Class System.“ Journal of Cultural Criticism, vol. 12, no. 3, 2018, pp. 33-47.
  5. Hart, Roderick. Irony in Pop Music: From the Beatles to Beyonce. New York: Routledge, 2020.

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