Die bittere Wahrheit

Du bist keine Minderheit, nur weil du minderintelligent bist

Es gibt Wahrheiten, die schmecken bitter wie kalter Espresso aus dem Pappbecher der Erkenntnis. Man nippt daran, verzieht das Gesicht und schiebt den Becher hastig beiseite, um stattdessen einen süßen Mythos zu bestellen: den Mythos der eigenen Verfolgung. Denn nichts ist heute so begehrt wie der Status der Minderheit, dieses moralische All-inclusive-Armband, das nicht nur vor Kritik schützt, sondern jede persönliche Unzulänglichkeit in strukturelle Benachteiligung umlackiert. Und so stehen sie da, die neuen Leidtragenden der Geschichte, die sich mit bebender Stimme und festem Blick in den Spiegel erklären: Ich bin nicht unfähig, ich bin marginalisiert. Ein Satz, so tröstlich wie falsch, so bequem wie ein Sofa aus Ausreden. Doch hier beginnt die bittere Wahrheit, und sie ist unerquicklich: Nicht jede Dummheit ist ein politisches Schicksal, nicht jede intellektuelle Flaute ein historisches Unrecht. Manchmal ist der Himmel grau, weil Wolken da sind, nicht weil das Universum dich hasst.

Die Inflation der Opferrolle

Die Opferrolle hat Konjunktur. Sie wird gehandelt wie eine Kryptowährung der Moral, volatil, aber mit enormem symbolischem Wert. Wer sie besitzt, darf laut sprechen und muss wenig erklären. Wer sie beansprucht, immunisiert sich gegen Zweifel und Kritik, denn Kritik wäre ja – wie praktisch – ein weiterer Beweis der Unterdrückung. In dieser ökonomischen Logik der Selbstentlastung ist Minderintelligenz kein Makel mehr, sondern ein Identitätsmerkmal, das man stolz vor sich herträgt wie einen Orden, der im Schützengraben der Kommentarspalten verdient wurde. Man ist dann nicht schlecht informiert, sondern „anders informiert“. Man ist nicht begriffsstutzig, sondern „kognitiv divers“. Und man ist ganz gewiss nicht falsch – man ist nur „zum Schweigen gebracht worden“. Dass man allerdings nie besonders viel zu sagen hatte, wird großzügig unter den Teppich der Systemkritik gekehrt, wo sich bereits andere Staubflocken der Selbsttäuschung tummeln.

Die Verwechslung von Quantität mit Qualität

Ein besonders hübsches Kunststück dieser Selbstverklärung ist die Verwechslung von Masse mit Bedeutung. Wenn viele etwas glauben, so die naive Hoffnung, muss es doch wahr sein. Und wenn viele dasselbe nicht verstehen, dann liegt der Fehler natürlich nicht bei ihnen, sondern bei der Sache selbst. So wird Komplexität zur Zumutung erklärt und Differenzierung zum elitären Akt der Ausgrenzung. Der Gedanke, dass manche Dinge schwierig sind, weil die Welt schwierig ist, erscheint in diesem Weltbild geradezu obszön. Stattdessen fordert man die Vereinfachung bis zur Unkenntlichkeit und nennt das dann „Demokratisierung des Wissens“. Dass dabei am Ende nur noch triviale Parolen übrig bleiben, ist kein Unfall, sondern das Ziel. Denn wo alles gleich flach ist, kann niemand mehr untergehen – außer vielleicht der Gedanke selbst.

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Bildung als vermeintlicher Klassenfeind

Besonders unerquicklich wird es, wenn Bildung selbst zur verdächtigen Größe erklärt wird. Wissen gilt dann als Machtinstrument, Intelligenz als Herrschaftsform, Nachdenken als Akt der Gewalt. Der Gelehrte wird zum Unterdrücker, das Argument zur Mikroaggression, der Hinweis auf Fakten zur Majestätsbeleidigung des gefühlten Weltbildes. In dieser verdrehten Dramaturgie ist der Uninformierte nicht mehr jemand, dem etwas fehlt, sondern jemand, dem etwas angetan wurde. Dass Lernen Mühe macht, dass Verstehen Arbeit ist und Irrtum ein notwendiger Begleiter des Denkens – all das passt schlecht in eine Kultur, die Anstrengung mit Ungerechtigkeit verwechselt. Und so bleibt man lieber stehen, erklärt das Stehenbleiben zur Haltung und wundert sich, warum die Welt dennoch weitergeht.

Die zynische Pointe der Selbstentmündigung

Die eigentliche Tragik – und hier erlaubt sich das Essay einen Anflug von Mitleid – liegt in der freiwilligen Selbstentmündigung, die hinter all dem steckt. Wer sich zur Minderheit erklärt, um seine Defizite zu adeln, gibt zugleich den Anspruch auf Entwicklung auf. Man verzichtet auf das Recht, klüger zu werden, um das Privileg zu genießen, niemals falsch zu liegen. Das ist bequem, aber teuer. Denn es kostet Neugier, Selbstkritik und am Ende auch Würde. Ironischerweise ist es gerade diese Haltung, die echte Minderheiten verächtlich macht, indem sie deren reale Kämpfe mit dem Theater persönlicher Unzulänglichkeiten verwechselt. So wird das große Drama der Geschichte zur Kulisse für das kleine Drama des eigenen Denkfaulheitskomforts.

Ein augenzwinkerndes Schlusswort wider die intellektuelle Bequemlichkeit

Man darf dumm sein. Wirklich. Dummheit ist menschlich, allgegenwärtig und erstaunlich gleichmäßig verteilt. Sie wird erst problematisch, wenn sie sich für verfolgt hält und Applaus verlangt. Die bittere Wahrheit lautet daher nicht, dass Minderintelligenz verachtenswert wäre – sie ist lediglich kein politisches Argument. Wer klüger sein will, muss denken; wer denken will, muss zweifeln; und wer zweifelt, muss aushalten, dass er nicht immer recht hat. Das ist keine Unterdrückung, das ist Erwachsenwerden. Und vielleicht, nur vielleicht, liegt in dieser unbequemen Einsicht ein kleiner Trost: Man ist keine Minderheit. Man ist einfach auf dem Weg. Oder man bleibt stehen und nennt es Widerstand. Das Ergebnis sieht dann ähnlich aus – nur ohne Fortschritt, aber mit sehr viel Lärm.

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