
Wenn Namen Programm sind – oder auch nicht
Beginnen wir mit dem Namen. „Haiʾat Tahrir asch-Scham“ – zu Deutsch: „Komitee zur Befreiung der Levante“. Ein Name, der auf der Zunge zergeht wie Poesie, nur dass er, wie so viele politisch aufgeladene Namen, so ziemlich alles verspricht, was die Realität konsequent verweigert. Die „Befreiung der Levante“ – klingt großartig, oder? Fast wie ein Abenteuerfilm aus Hollywood, in dem gut frisierte Helden auf weißen Pferden durch die Ruinen Palmyras reiten und lachenden Kindern Schokolade und Demokratie reichen. Aber wer sich auch nur einen Moment die Mühe macht, die Buchstaben hinter diesem wohlklingenden Titel zu entwirren, wird schnell feststellen, dass „Befreiung“ hier nicht etwa Frieden, Sicherheit oder gar Freiheit meint, sondern eine explosive Mischung aus Ideologie, Gewalt und geopolitischer Schachspielerei.Das eigentliche Problem mit solchen Namen ist, dass sie wie überteuerte Parfums wirken: Sie mögen gut klingen, aber sie überdecken nur den eigentlichen Gestank. „Tahrir“ (Befreiung) klingt groß und bedeutungsvoll, aber was wird hier eigentlich befreit? Die Levante – ein poetisches Synonym für den Mittelmeerraum und sein östliches Hinterland – ist weniger eine Region als ein ewiger Kriegsschauplatz, in dem sich Religion, Politik und der unersättliche Appetit globaler Mächte über Jahrtausende hinweg verbrüdert haben. Und doch bleibt der Name: ein leeres Versprechen, ein zynisches Augenzwinkern in Richtung all derer, die immer noch glauben, dass es im Nahen Osten um Freiheit geht.
Die Ironie der Namen
Nomen est omen – „Der Name ist ein Zeichen.“ Aber was signalisiert dieser Name eigentlich? Die Befreiung von Diktatoren? Die Befreiung von Kolonialmächten? Oder die Befreiung von jeglicher Hoffnung auf Frieden und Stabilität? Die Antwort ist simpel: alle drei. Doch bevor man sich von dem wohlklingenden Titel blenden lässt, sollte man bedenken, dass die Geschichte voll ist von Gruppen und Organisationen, die mit heroischen Namen groß ankündigten, was sie nie leisten konnten.
Wer erinnert sich nicht an die „Alliierten Befreier Europas“, die zwar den Faschismus besiegten, aber gleich danach Europa in Ost und West zerschnitten? Oder die „Befreiungsfronten“ Afrikas, die nach dem Kolonialismus häufig nur neue Formen der Unterdrückung etablierten? Und jetzt, in der Levante, verspricht uns ein „Komitee“, die Region von … ja, wovon eigentlich? Vom Terror? Von westlichen Einflüssen? Von moderatem Islam? Vielleicht ist es an dieser Stelle einfacher, zu fragen, was es nicht zerstören will.
Schauplatz ewiger Ironie
Die Levante, diese kulturelle Wiege der Menschheit, ist heute nicht mehr als eine blutige Bühne für das große Theater der Geopolitik. Sie ist ein Begriff, der nach Tausendundeiner Nacht klingt, nach Gewürzen, Palästen und endlosen Horizonten. Doch sie ist längst zu einem Landstrich verkommen, der sich wie ein Mahnmal anfühlt – nicht an die glorreiche Vergangenheit, sondern an die gebrochene Gegenwart.
Und genau hier kommt das „Komitee zur Befreiung der Levante“ ins Spiel. Eine Gruppierung, deren Name suggeriert, dass sie sich um die Wiederherstellung eben jener verlorenen Pracht bemüht, während ihre Methoden das Gegenteil bewirken. Das ist, als würde ein Feuerschlucker versprechen, ein brennendes Haus zu löschen, indem er eine weitere Ladung Benzin schluckt. Die Levante wird nicht befreit; sie wird zerrissen, geplündert und verkauft – und zwar immer unter einem Deckmantel, der so poetisch ist, dass man fast über die Absurdität hinwegsehen könnte.
Euphemismen als Kriegswaffen
Wenn man etwas von Gruppen wie HTS lernen kann, dann die hohe Kunst der sprachlichen Manipulation. Sie sind Meister darin, Wörter zu verwenden, die großartig klingen, aber wenig bedeuten. „Befreiung“ ist ein Begriff, der so dehnbar ist wie ein alter Gummiband, der jeden Zweck erfüllen kann, den man ihm zuschreibt.
Die Realität ist jedoch weitaus weniger romantisch. Es geht nicht um Befreiung im klassischen Sinne, sondern um Macht, Kontrolle und Ideologie. Es geht darum, neue Grenzlinien zu ziehen, neue Regime zu etablieren und neue Konflikte zu säen. In der Levante, wo jeder Stein eine Geschichte erzählt, schreibt HTS eine weitere Geschichte – eine, die mit Blut und Staub geschrieben ist, aber mit Worten wie „Befreiung“ verziert wird, um die Tragödie zu verschleiern.
Was kann man noch erwarten
Die eigentliche Frage ist: Was kann man im Mittelmeerraum noch erwarten? Die Antwort: wenig. Denn die Levante ist längst zu einem geopolitischen Schachbrett verkommen, auf dem die Figuren zwar Namen tragen, die Hoffnung wecken, aber von Spielern gelenkt werden, deren Ziele nur selten mit dem Wohl der Region übereinstimmen.
Die Levante ist nicht länger eine Region, sondern eine Metapher – für das Scheitern, für die Vergeblichkeit, für die Ironie des menschlichen Daseins. Und während HTS von „Befreiung“ spricht, wissen wir alle, dass es nicht um Freiheit geht, sondern um die nächste Runde in einem endlosen Machtspiel.
Ein Name wie ein schlechter Witz
„Komitee zur Befreiung der Levante“ – ein Name, der so groß klingt, dass er fast die Realität übertönt. Aber wie alle Namen, die mehr versprechen, als sie halten können, wird auch dieser irgendwann in sich zusammenfallen. Die Levante wird nicht befreit, und die Namen ihrer „Befreier“ werden nur als Fußnoten in die Geschichte eingehen – Fußnoten, die von einer Zeit erzählen, in der Worte ihre Bedeutung verloren haben und die Menschheit nichts aus ihren Fehlern gelernt hat.
Vielleicht ist das der wahre Zynismus des Nahen Ostens: dass er uns immer wieder daran erinnert, wie leer Worte sein können, wenn die Taten nicht mit ihnen übereinstimmen. Nomen est omen? Wohl eher: Nomen est nihil.