Die Ästhetik des Abgrunds

Wenn Bilder lauter lügen als Worte schreien

Es beginnt, wie alles beginnt in der Gegenwart: mit einem Tweet. Ein Bild, ein Satz, eine Meinung – ach was, ein Urteil – hinausgeschleudert in die algorithmische Agora, wo Beifall in Form von Herzen gezählt und Entrüstung mit Retweets belohnt wird. Da ist sie also, diese eigentümliche Collage der Verdammnis: eine Hakenkreuzfahne – das universal erkennbare Symbol des industriell rationalisierten Grauens – gleichberechtigt platziert neben einer blauen Flagge mit Davidstern – dem Symbol eines Volkes, das, historisch betrachtet, darunter besonders zu leiden hatte. Darunter ein computergenerierter Hamas-Kämpfer, in der ikonischen Pose des amerikanischen Football-Protests: ein Knie auf dem Boden, der Blick entschlossen, irgendwo zwischen Opferpose und Moral-Apokalypse. Was soll das sein? Ein Sinnbild? Ein Mahnmal? Ein digitales Daumenkino für die moralische Selbstvergewisserung der Postironie? Nein, es ist schlimmer: Es ist das Meme als Meinungsbombe, die Zivilisation als GIF.

Moralisches Bodybuilding für Empörungsjunkies

Die Unterzeile liest sich wie ein theologisches Urteil aus der Unterwelt der Hashtags: „Wenn das, was Gaza seit fast zwei Jahren erduldet, kein Völkermord ist, dann erklären Sie uns bitte, was genau das ist.“ Der Ton ist inquisitorisch, die Frage rhetorisch, der Anspruch moralisch unanfechtbar – zumindest für diejenigen, die sich bereits in der moralischen Komfortzone der digitalisierten Entrüstung eingerichtet haben. Der Hamas-Kämpfer als Engel? Da reibt sich selbst Dante im Grab die Augen und fragt sich, in welchem Höllenkreis Satire eigentlich endete, und Propaganda begann. Was hier als Widerstand etikettiert wird, trägt die Aura der Heiligsprechung von Sprengstoffgürteln und Kindersoldaten. Die Sprache lügt mit Pathos, der Tonfall ist heilig, aber der Inhalt ist durch und durch nihilistisch.

Der Holocaust als Metapher für alles und nichts

Die Kombination von Hakenkreuz und Davidstern ist keine Provokation, sie ist eine Obszönität. Nicht, weil sie verboten wäre – das ist sie mitunter auch – sondern weil sie das tut, was man in der Moralphilosophie das ultimative Verbrechen nennt: die semantische Verwischung. Wenn der Davidstern zur ästhetischen Stellvertreterin eines neuen Nationalsozialismus stilisiert wird, dann ist nicht nur Geschichte getilgt, sondern auch jede Möglichkeit, aus ihr zu lernen, zerstört worden. Auschwitz wird zur PowerPoint-Folie im digitalen Widerstand. Shoah-Pornografie als Instagram-Story. Es ist die Entwertung des Grauens durch inflationäre Analogien. Wenn alles „Völkermord“ ist, dann ist nichts mehr Völkermord. Und wenn Hamas-Kämpfer Engel sind, dann war wohl auch Himmler bloß ein Verwaltungsbeamter mit dysfunktionalem Mitgefühl.

TIP:  Ein Riss und Aus

Die moralische Regression der Aufgeklärten

Die Krönung dieser bildgewordenen Blasphemie ist nicht das Bild selbst, sondern seine Rezeption. Da sitzen sie nun, die jungen Aufgeklärten, zwischen Soja-Latte und Marx-Reader, und nicken sich zustimmend zu: Endlich sagt es mal jemand! Endlich zeigt jemand den Mut, das Unaussprechliche auszusprechen, auch wenn er dabei auf den Leichenhaufen der Geschichte steigt wie auf eine Rednertribüne. Was zählt, ist die moralische Pose. Haltung ist wichtiger als Inhalt, Empörung ersetzt Analyse, und die Geschichte – dieses lästige Archiv kollektiver Scham – wird zum Servierwagen für ideologischen Fingerfood. Was früher auf Mahnmalen stand, steht heute auf T-Shirts. „Nie wieder“ wird zu „Nie wieder außer wenn es gegen Zionisten geht“, und plötzlich sind Antisemiten wieder salonfähig – nur diesmal im Gewand der Gerechtigkeit.

Die postmoderne Unschuld der Täter-Ästhetik

Es ist eine perfide Unschuld, die sich hier breitmacht: Die Unschuld der Opfer als Projektionsfläche, die Unschuld der Täter als ästhetische Requisite. Der Hamas-Kämpfer im BLM-Knie ist kein Widerständler, sondern ein PR-Produkt. Eine menschenverachtende Organisation, die Schwule von Dächern wirft, Frauen einsperrt und Kinder in Waffendepots versteckt, wird zum ikonischen Symbol des Widerstands gegen das Böse. Warum? Weil Bilder mehr zählen als Biografien, weil Haltung reicht, wenn man nichts mehr wissen will. Die Hamas als Antifa des Südens – das ist nicht nur grotesk, es ist der endgültige Triumph der Marketingabteilung über die Moral.

Wenn Satire stirbt, bleibt nur Zynismus

Was als Satire daherkommt, ist in Wahrheit ein Manifest des moralischen Bankrotts. Es ist nicht komisch, es ist nicht klug, es ist nicht kritisch – es ist bloß bequem. Es dient nicht der Aufklärung, sondern der Erregung. Es erklärt nichts, sondern stilisiert, simplifiziert, sentimentalisiert. Und während die echten Toten unter Schutt, Bomben, Maschinengewehren und Drohnen begraben werden, feiern sich ihre digitalen Stellvertreter in den Kommentarspalten als Märtyrer eines moralischen Faschings.

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