Donald Trump ist für Europa so etwas wie ein schlecht gelaunter Onkel auf der Familienfeier: Man weiß, er wird irgendwann etwas Unangenehmes sagen, man hofft trotzdem, er möge dieses Mal bitte einfach nur schweigend Kartoffelsalat essen, und wenn er dann doch lospoltert, ist das Entsetzen groß, die Empörung noch größer und die nachträgliche Selbstvergewisserung, dass man selbst moralisch, intellektuell und zivilisatorisch selbstverständlich auf der richtigen Seite der Geschichte steht, rettet den Abend. Die europäischen Medien haben diese Rolle längst perfektioniert. Trump ist dort wahlweise Möchtegerndiktator, geistiger Tiefflieger oder gieriger Geschäftemacher mit schlecht sitzender Krawatte. Dass er für Europa mehr Teil des Problems als der Lösung sei, gilt als ausgemachte Sache, fast schon als Naturgesetz, etwa so unumstößlich wie die Tatsache, dass man in Brüssel grundsätzlich mehr Verordnungen liebt als klare Sätze. Und doch ist da dieses leise Unbehagen: Was, wenn der Mann mit der groben Wortwahl und dem diplomatischen Feinsinn eines Presslufthammers nicht nur Unsinn redet, sondern Dinge ausspricht, die man hierzulande lieber unter dicken Teppichen aus Betroffenheitsrhetorik und Selbstbetrug verschwinden lässt?
Stilfragen und Substanzfragen
Natürlich gibt es an Trump reichlich zu kritisieren. Sein Politikstil ist brachial, seine Sprache oft infantil, seine Lust an der Provokation pathologisch. Er sagt Dinge, die man so nicht sagen sollte, und er sagt sie genau deshalb. Diplomatie ist für ihn kein Instrument, sondern ein Hindernis. Aber Europas Lieblingsfehler besteht darin, Stilfragen mit Substanzfragen zu verwechseln. Weil der Ton nicht gefällt, erklärt man den Inhalt für irrelevant. Weil der Absender unsympathisch ist, verweigert man die Annahme der Nachricht. Das ist bequem, emotional befriedigend und politisch folgenlos – jedenfalls für die, die sich an diese Verweigerungshaltung gewöhnt haben. Denn Trump hält Europa einen Spiegel vor, und dieser Spiegel zeigt kein heroisches Gemälde eines aufgeklärten, dynamischen, zukunftssicheren Kontinents, sondern eher ein etwas verblasstes Passfoto eines Gemeinwesens, das sich in Bürokratie, Selbstzweifel und moralischer Selbstüberschätzung verheddert hat.
Nein, der Bote ist nicht schuld
Es gehört zu den ältesten menschlichen Reflexen, den Überbringer schlechter Nachrichten zu hassen. Schon in der Antike war das keine besonders gute Idee, und es ist heute nicht klüger geworden. Als Trump in einer neuen sicherheitspolitischen Standortbestimmung der USA auch Europa ins Visier nahm, war das Geschrei groß. Man empörte sich über den Ton, über die Arroganz, über die angebliche Einmischung in innere Angelegenheiten. Was man auffällig selten tat: die vorgebrachten Punkte sachlich zu widerlegen. Dass der wirtschaftliche Anteil Europas an der Welt schrumpft, ist keine bösartige Erfindung eines amerikanischen Präsidenten, sondern eine nüchterne statistische Tatsache. Dass Überregulierung, ein hypertropher Verwaltungsapparat und ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber unternehmerischem Risiko ihren Anteil daran haben, wird hinter vorgehaltener Hand sogar in Brüssel eingeräumt – solange bitte kein Mikrofon eingeschaltet ist. Und dass Europas sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA seit Jahrzehnten größer wird, während man sich gleichzeitig moralisch überlegen fühlt, ist ein Widerspruch, der nur deshalb so selten thematisiert wird, weil er so unerquicklich ist.
Ein Kontinent ist falsch abgebogen
Europa liebt es, seine Probleme als schicksalhafte Entwicklungen zu beschreiben: Globalisierung, Demografie, technologische Umbrüche – alles Dinge, die „passieren“, gegen die man kaum etwas tun könne. Diese Haltung ist nicht nur falsch, sie ist gefährlich. Wenn die Wirtschaftsleistung der USA heute deutlich stärker wächst als jene der Europäischen Union, dann liegt das nicht an einem göttlichen Plan, sondern an politischen Entscheidungen. An einer Regulierungswut, die Innovation nicht lenkt, sondern erstickt. An einem Green Deal, der mehr moralische Selbstvergewisserung als industriepolitische Strategie ist. An einem Steuer- und Abgabensystem, das Leistung misstrauisch beäugt und Mittelmäßigkeit mit Förderanträgen belohnt. In den Zukunftstechnologien, die über Wohlstand und Souveränität entscheiden werden, spielt Europa bestenfalls zweite Geige – oft nicht einmal das. Raumfahrt, künstliche Intelligenz, digitale Plattformen: Hier dominieren andere. Europas unangefochtener Exportschlager ist derzeit vor allem eines: der erhobene Zeigefinger.
Migration, Identität und die große Verdrängung
Besonders hysterisch reagiert Europa, wenn Trump die Migrationspolitik anspricht. Das liegt weniger an der Unsachlichkeit der Kritik als an der Tiefe der Wunde. Jahrzehntelang hat man Migration moralisiert, romantisiert und entpolitisiert, bis jede nüchterne Debatte als unmenschlich galt. Die Folgen sind sichtbar, gerade in der Weihnachtszeit, die einst als Inbegriff europäischer Kultur galt und heute vielerorts von Betonpollern, bewaffneter Polizei und einem latenten Gefühl der Bedrohung geprägt ist. Antisemitische Demonstrationen, israelfeindliche Parolen, Anschlagspläne – all das ist nicht „bunt“, nicht „vielfältig“ und schon gar nicht Ausdruck einer selbstbewussten europäischen Zivilisation. Wenn Trump hier von zivilisatorischer Erosion spricht, mag das zugespitzt sein. Aber Zuspitzung ist kein Synonym für Unwahrheit. Sie ist oft nur eine Form, Dinge zu benennen, die andere nicht mehr auszusprechen wagen.
Der Kontinent der Heulsusen
Besonders unerquicklich wird es, wenn Europa auf Kritik reagiert. Dann verwandelt sich der Kontinent gern in ein trotziges Kind, das empört ruft, man möge sich gefälligst nicht einmischen. Souveränität wird dann beschworen wie ein Zauberspruch, der allerdings nur noch in Sonntagsreden wirkt. Gleichzeitig erwartet man von den USA Sicherheitsgarantien, militärische Präsenz und politische Rückendeckung. Diese Mischung aus Anspruchsdenken und Empfindlichkeit ist unerquicklich, aber symptomatisch. Umso wohltuender ist es, wenn gelegentlich jemand den Mut hat, das Kind beim Namen zu nennen. Die Bezeichnung „Kontinent der Heulsusen“ mag hart sein, sie trifft aber einen Nerv. Jammern über amerikanische Zumutungen ist einfacher, als die eigenen Versäumnisse zu korrigieren. Empörung kostet nichts, Reformen schon.
Ein Spiegel, den man nicht zerschlagen sollte
Was also tun mit Donald Trump? Ihn weiter karikieren, verdammen und moralisch abkanzeln, das ginge natürlich. Es hat nur den kleinen Nachteil, dass es nichts ändert. Oder man könnte, bei aller berechtigten Kritik an Stil und Person, den unbequemen Kern seiner Botschaften ernst nehmen. Dass Europa wieder europäisch werden soll, sein zivilisatorisches Selbstvertrauen zurückgewinnen und sich von der Illusion verabschieden müsse, man könne sich zu Tode regulieren und dabei gedeihen – was ist daran eigentlich falsch? Vielleicht ist der größte Skandal nicht, dass Trump diese Dinge ausspricht, sondern dass sie in Europa selbst so selten mit Konsequenz diskutiert werden. Ein guter Vorsatz für die kommenden Jahre wäre daher nicht, den Spiegel zu zerschlagen, sondern einen zweiten Blick hineinzuwerfen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt – aber sie stirbt schneller, wenn man sie mit Empörung und Selbstzufriedenheit erstickt.