Der nackte Bürger im Nebel der Normen

Es gibt Orte, an denen der Mensch sich freiwillig entkleidet, um – paradox genug – zu sich selbst zu kommen. Die Sauna gehört dazu, jener feuchte Zwischenraum aus Holz, Dampf und sozialdemokratischer Gleichheit, in dem Professorinnen neben Paketboten schwitzen, der Körper seine Titel verliert und die Brille beschlägt. Man glaubt dort, für einen kurzen Moment, dem allgegenwärtigen Blick der Welt entkommen zu sein. Und dann steht da einer mit dem Handy. Heimlich. Diskret. Unsichtbar sichtbar. Willkommen im deutschen Strafrecht, wo Nacktheit offenbar erst dann schützenswert ist, wenn sie unter einem Rock stattfindet oder hinter einer verschlossenen Toilettentür.

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Leipzig, ein Verfahren wegen heimlichen Filmens nackter Frauen in einer öffentlichen Sauna einzustellen, ist mehr als eine juristische Fußnote. Sie ist ein literarisch anmutendes Gleichnis über den Zustand eines Rechts, das mit bewundernswerter Präzision regelt, wann ein Rock zu kurz und ein Raum zu privat ist, dabei aber ausgerechnet dort ins Stottern gerät, wo der Mensch am verletzlichsten ist: nackt, arglos, im Dampf. Dass die Sauna kein „besonders geschützter Raum“ sein soll, klingt wie eine Pointe aus einem Kafkaesken Wellness-Ratgeber: Schwitzen ja, Schutz nein.

Der Gesetzgeber als Textilarbeiter

Das Strafgesetzbuch, so lernt man, denkt in Stoffen. § 184k StGB schützt vor dem Blick unter Röcke und in Ausschnitte, also vor Körperteilen, die „gegen Anblick geschützt“ sind. Der nackte Körper hingegen – vollständig, ehrlich, textilfrei – fällt aus diesem Raster. Er ist offenbar zu konsequent nackt, um strafrechtlich interessant zu sein. Der Gesetzgeber, dieser große Schneider der Moral, hat den Menschen immer noch lieber halb bekleidet. Wer alles zeigt, zeigt zu viel – und zugleich zu wenig, um geschützt zu werden.

So entsteht die groteske Situation, dass das heimliche Fotografieren eines bedeckten Intimbereichs strafbar ist, das heimliche Filmen eines vollständig nackten Körpers aber nicht zwingend. Der Rocksaum wird zur juristischen Frontlinie, die Sauna zur rechtsfreien Dampfzone. Man möchte lachen, wäre es nicht so unerquicklich. Denn hinter der juristischen Spitzfindigkeit verbirgt sich eine alltägliche Erfahrung: das Gefühl, beobachtet, fixiert, verewigt zu werden – ohne Einwilligung, ohne Kontrolle, ohne Möglichkeit, den eigenen Körper zurückzufordern.

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Der besonders geschützte Raum und seine metaphysischen Probleme

Der Begriff des „besonders geschützten Raums“ ist ein schönes Beispiel für die metaphysischen Neigungen des Strafrechts. Er klingt nach sakraler Architektur, nach dicken Mauern und klaren Zuständigkeiten. Wohnung: geschützt. Toilette: geschützt. Umkleide: geschützt. Sauna? Nun ja. Offenbar nicht genug. Sie ist öffentlich, sagen die einen. Zugänglich für zahlende Gäste, sagen die anderen. Als ob der Eintrittspreis die Intimsphäre verdampfen ließe wie Schweiß auf heißen Steinen.

Dass Gerichte und Staatsanwaltschaften sich dabei auf ältere Rechtsprechung stützen, etwa auf einen Beschluss des OLG Koblenz aus dem Jahr 2008, wirkt wie ein Gruß aus einer vorsmartphonigen Epoche. Damals war das Handy noch kein permanenter Körperanhang, sondern ein Gerät, das man zum Telefonieren benutzte. Heute hingegen ist es Kamera, Archiv, Verbreitungsmaschine. Die Sauna von 2008 ist nicht die Sauna von 2025. Der Dampf ist derselbe, die technischen Augen sind es nicht.

Moral ist keine Straftat, aber manchmal ein Warnsignal

Mit einer gewissen juristischen Nüchternheit wird darauf hingewiesen, dass moralisch verwerfliches Verhalten nicht per se strafbar sein dürfe. Das ist richtig, wichtig und gefährlich zugleich. Denn es setzt voraus, dass Moral und Strafwürdigkeit stets sauber zu trennen sind. In der Realität aber sind moralische Intuitionen oft Frühwarnsysteme des Rechts. Wenn ein Verhalten kollektiv als übergriffig, erniedrigend, verletzend empfunden wird, lohnt es sich zumindest zu fragen, ob das Recht noch richtig kalibriert ist.

Das heimliche Filmen nackter Menschen ist kein Kavaliersdelikt, kein schlechter Witz im Wellnessbereich. Es ist ein Akt der Aneignung: Der Körper des anderen wird zum Objekt, zum Datensatz, zur potenziell ewigen Datei. In einer Zeit, in der Bilder nicht mehr verschwinden, sondern zirkulieren, kopiert, kontextlos wiederauftauchen, ist das Anfertigen der Aufnahme selbst bereits der entscheidende Übergriff. Wer hier nur auf das „Zugänglichmachen“ abstellt, verkennt die Gewalt des Moments, in dem die Kamera klickt – oder lautlos aufnimmt.

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Die Experten, der Chor und die Kakophonie

Die strafrechtliche Debatte gleicht inzwischen einem gelehrten Chor, in dem sich Sopran und Bass widersprechen. Die einen sehen eine eklatante Schutzlücke, die anderen verweisen auf systematische Zurückhaltung, Ressourcenknappheit und die Gefahr der Überkriminalisierung. Wieder andere versuchen, § 201a StGB durch bauliche Kriterien zu retten: Ist der Raum geschlossen genug? Gibt es Fenster? Könnte theoretisch jemand hineinsehen? Als ließe sich Intimsphäre mit dem Zollstock messen.

Besonders überzeugend ist dabei der Gedanke, den nackten Körper unabhängig vom Ort stärker in den Fokus zu rücken. Nicht der Raum ist das eigentliche Schutzgut, sondern die Person in ihrer körperlichen Privatheit. Der Strand, die Sauna, der Umkleidebereich – sie alle unterscheiden sich, aber sie haben eines gemeinsam: Menschen gehen dort davon aus, nicht heimlich gefilmt zu werden. Dieses Vertrauen ist kein Luxus, sondern eine Voraussetzung sozialer Freiheit.

Der Staat im Dampf der Zukunft

Dass das Bundesjustizministerium nun prüft, ist die wohl deutscheste aller Reaktionen. Prüfen heißt hoffen, hoffen heißt vertagen. Währenddessen sammeln sich Petitionen, Empörung und reale Erfahrungen von Betroffenen. Das Versprechen, Strafbarkeitslücken bei bildbasierter sexualisierter Gewalt zu schließen, steht im Koalitionsvertrag wie ein gut gemeinter Vorsatz nach Neujahr. Die Frage ist nur, wann er eingelöst wird – und ob er den Mut aufbringt, das Problem an der Wurzel zu packen.

Denn es geht um mehr als Sauna und Smartphone. Es geht um ein Strafrecht, das noch immer räumlich denkt, während Übergriffe längst digital, mobil und ortsunabhängig geworden sind. Der Voyeur von heute braucht keine Schlüssellöcher mehr. Er braucht nur eine Kamera und eine Gesetzeslücke.

Schlussaufguss

Vielleicht wird man eines Tages auf diese Debatte zurückblicken und sich wundern, dass es ernsthaft strittig war, ob heimliches Filmen nackter Menschen strafwürdig ist. Bis dahin bleibt die Sauna ein Ort paradoxaler Freiheit: nackt, aber nicht geschützt; öffentlich, aber intim; warm, aber rechtlich kühl. Der Dampf lichtet sich langsam. Die Frage ist, ob das Recht mit ihm Schritt hält – oder weiterhin beschlägt.

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