
Ein Sondervermögen namens Märchenstunde
Wenn Politiker*innen in jenen seltenen Momenten, da sie nicht in Mikrofone säuseln, sondern zu ihrer eigentlichen Berufung zurückkehren – der Erfindung von Euphemismen –, ein Wort wie Sondervermögen in die Welt setzen, dann geschieht dies nicht zufällig, sondern mit der filigranen Kalkulation eines Uhrmachers. Der Begriff trägt in sich bereits die halbe Propaganda: Vermögen klingt nach Besitz, nach Goldbarren im Tresor, nach Omas wertvollem Porzellanservice, das man für schlechte Zeiten unter dem Bett hortet. Wer wollte schon etwas gegen Vermögen haben? Und sonder- ist der keusche Schleier, der das profane Geld mit einer Aura von Seriosität umhüllt. Ein Sondervermögen könnte auch ein mysteriöser, nur Eingeweihten zugänglicher Fonds sein, in den sich, völlig überraschend, die ungenutzten Milliarden aus Haushaltsüberschüssen der letzten Jahre verirrt haben – und der nun, einem göttlichen Wunder gleich, für große Aufgaben mobilisiert werden darf.
Doch leider – ach, wie leider! – ist ein Sondervermögen nicht der Sparstrumpf der Nation, sondern eine Buchungstrickserei aus der Mottenkiste finanzpolitischer Taschenspielerkunst. Mit biederer Frechheit handelt es sich schlicht um neue Schulden, nur eben unter falscher Flagge. Dass man die Neuverschuldung nicht einfach so nennen mag, ist verständlich – immerhin könnte die Bevölkerung im schlafwandlerischen Dämmerzustand zwischen Netflix-Binge und Instagram-Scrollen auf die Idee kommen, sich zu fragen, warum in einer Zeit, in der jeden Tag aufs Neue eiserne Sparsamkeit gepredigt wird, plötzlich Milliardenbeträge wie Konfetti in den Wind gepustet werden. Doch mit dem Begriff Sondervermögen lässt sich diese Frage elegant umschiffen, als handele es sich nicht um schnödes Geld, sondern um eine metaphysische Kategorie.
Die Kunst des semantischen Schwindels
Die hohe Schule der politischen Kommunikation besteht ja bekanntlich darin, die Realität durch Wortschöpfungen in eine freundlichere Gestalt zu verwandeln. Wo es kracht und stinkt, spricht man von Herausforderungen. Wird irgendwo ein Krankenhaus geschlossen, heißt es, die Versorgungsstrukturen werden neu geordnet. Und wenn der Staat sich bis über beide Ohren verschuldet, um Löcher zu stopfen, die durch jahrzehntelangen Sparwahn erst aufgerissen wurden, dann ist das plötzlich ein Sondervermögen.
Was nach Wohlstand klingt, ist in Wahrheit ein Paradebeispiel jener grotesken Dialektik, die nur in spätkapitalistischen Demokratien möglich ist: Die Unfähigkeit, vorhandenes Vermögen zu erhalten oder neu zu schaffen, wird rhetorisch in sein Gegenteil verkehrt. Hier erweist sich die Sprache einmal mehr als das, was Karl Kraus einst das Wohnzimmer des Lügens nannte – ein heimeliges Refugium, in dem sich die Wirklichkeit weichgebettet und mit Spitzendeckchen versehen der Unverfälschtheit entzieht.
Die Verantwortungslosenverwaltung
Natürlich könnte man einwenden, dass es in Krisenzeiten manchmal notwendig ist, Schulden aufzunehmen, um akute Notlagen zu bewältigen. Doch darum geht es längst nicht mehr. Denn die Idee des Sondervermögens ist nicht bloß ein finanzieller Kniff, sondern ein Symptom jener pathologischen Phobie vor langfristiger Verantwortung, die das politische Personal der Gegenwart wie ein chronisches Leiden befallen hat. Da die Schuldenbremse als sakrosanktes Dogma das politische Denken blockiert wie ein Aneurysma die Blutbahn, bedient man sich immer neuer Schattenhaushalte, Nebenhaushalte, Ausgleichshaushalte – ein labyrinthisches Gewirr, in dem sich irgendwann niemand mehr zurechtfindet, nicht einmal der Bundesrechnungshof.
Der Trick besteht darin, sich selbst für den Moment zu entlasten, ohne den eigenen politischen Narrativ zu beschädigen. Ein Sondervermögen ist das perfekte Vehikel für diese Art der Verantwortungslosigkeitsverwaltung, weil es zwei entscheidende Vorteile bietet: Erstens bleibt die offizielle Schuldenquote sauber, zweitens kann man die Schuld für künftige Kürzungen auf ein ominöses Finanzkonstrukt abwälzen, das nach ein paar Jahren ohnehin keiner mehr versteht. Die Rechnung zahlen dann – wie immer – diejenigen, die sich keine Lobbyisten leisten können.
Der heimliche Humor der Bürokratie
Man könnte all das als zynische Machttechnik abtun, wäre da nicht dieser köstlich absurde Zug, der dem Sondervermögen innewohnt. Denn der Bürokrat an sich, dieser lichtscheue Aktenhorter im schlammbraunen Cordanzug, besitzt einen trockenen, gleichwohl tiefgründigen Humor. Wenn in der Käfighaltung des Ministerialapparats die Idee geboren wird, neue Schulden Vermögen zu nennen, dann liegt darin eine Chuzpe, die dem absurden Theater des Samuel Beckett würdig wäre. Es ist eine Art finanzieller Dadaismus, bei dem die Buchhalter die wahren Avantgardisten sind.
Man möchte sich die Gesichter jener Beamt*innen vorstellen, die mit federleichtem Grinsen den Haushaltsentwurf aufsetzen, während sie sich in innerster Seelenruhe ausmalen, wie das Wort Vermögen durch die Talkshows geistern wird – ein Schelmenstück der Bürokratie, das sich vor der Öffentlichkeit mit der kühlen Eleganz einer Altherrenkrawatte versteckt.
Vom Kredit als anthropologischer Konstante
Was bleibt, ist die traurige Einsicht, dass der moderne Staat sich längst von seinem ursprünglichen Versprechen verabschiedet hat, der Bevölkerung eine langfristige Perspektive zu bieten. Stattdessen regiert der Modus der fortwährenden Übergangslösung. Das Sondervermögen ist nur die logische Konsequenz einer Gesellschaft, die sich nicht mehr zutraut, über die eigene Nasenspitze hinaus zu denken.
Vielleicht ist der Kredit – ob als Hypothek, Dispo oder Staatsschuld – die wahre anthropologische Konstante des Kapitalismus: Die ewige Hoffnung, dass sich die Dinge irgendwann von selbst regeln, wenn man nur lange genug so tut, als gäbe es keine Rechnung. Und vielleicht ist das Sondervermögen ja doch in gewisser Weise ehrlich – ein letzter, unfreiwilliger Witz auf Kosten derer, die glauben, dass es im Leben um mehr geht als darum, sich von einem Zahlungsaufschub zum nächsten zu hangeln.
Denn wie sagte schon Bertolt Brecht: Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Und was ist eine neue Schuldenaufnahme gegen die Erfindung eines Sondervermögens?