
Ein Straßenname, ein Aufschrei, ein Weltgeist
Ach, die deutsche Öffentlichkeit! Was sie nicht alles in Rage versetzt: von falsch gesetzten Gendersternchen über den Benzinpreis bis hin zur „Entsorgung“ kolonialer Relikte. Und so kam es, dass ein paar Straßenlaternen später die Mohrenstraße in Berlin, dieser unauffällige Asphaltstreifen im Gewimmel der Hauptstadt, ein neues Schild erhielt. Man taufte sie feierlich zur Anton-Wilhelm-Amo-Straße, auf dass die Bewohnerinnen und Bewohner – und auch jene, die stets nur durchbrausen – künftig bei jeder Fahrplanauskunft an die glorreiche Stunde denken, da man den „Mohr“ offiziell zum Schweigen brachte. Dass Anton Wilhelm Amo tatsächlich eine faszinierende Gestalt der deutschen Geistesgeschichte war – Afrikaner, Philosoph, Jurist, Dozent, akademische Berühmtheit des 18. Jahrhunderts – tritt dabei beinahe in den Hintergrund. Denn in Wahrheit geht es, wie immer, nicht um Geschichte, sondern um das süße, moralisch kalorienfreie Dessert der symbolischen Politik.
Die Unendlichkeit des moralischen Fortschritts
Es ist ja keineswegs so, dass der „Mohr“ in den letzten Jahrhunderten friedlich auf dem Straßenschild vor sich hinvegetierte. Nein, er stand stets unter Generalverdacht: Wer den Namen las, hörte sogleich den dumpfen Nachhall kolonialer Verachtung, gleichsam als ob aus jedem Pflasterstein ein Peitschenhieb knallte. Dass das Wort „Mohr“ ursprünglich einmal neutral, manchmal gar ehrerbietig gebraucht wurde, ja dass Amo selbst eine Schrift mit dem Titel De iure Maurorum in Europa verfasste, in dem er über die Rechtsstellung der „Mohren“ disputierte – geschenkt! Heute liest man bekanntlich nie alte Texte, sondern nur die eigene Empörung. Der Fortschritt verlangt schließlich Opfer, und wenn es nur die Lexikographie ist.
Amo als Feigenblatt
Natürlich hätte man auch überlegen können, Anton Wilhelm Amo in deutschen Hörsälen mehr Aufmerksamkeit zu schenken – jenseits der Fußnote in einem Seminarplan. Man hätte seine Schriften übersetzen, kommentieren, debattieren können. Aber wozu? Eine Straße reicht doch völlig! Eine Straße ist schnell umbenannt, kostet überschaubar, erzeugt ein hübsches Pressefoto mit ernster Miene und Transparent, und schon kann man behaupten: „Wir haben das koloniale Erbe aufgearbeitet.“ Welch angenehmer Zufall, dass Amo außerdem dunkelhäutig war und also perfekt ins Drehbuch der moralischen Kompensation passte. Er selbst hätte wahrscheinlich mit spitzem Federkiel notiert, dass er in der Debatte um „Mauren“ wohl auch heute nur als Projektionsfläche dient.
Der Triumph des Schilderwesens
Man muss es nüchtern sehen: In Deutschland wird Geschichte bevorzugt durch Schilder reguliert. Wenn die Realität schmerzt, malt man ein neues Straßenschild, hängt eine Tafel an die Wand oder eröffnet eine Gedenkstele. Danach kann man beruhigt nach Hause gehen, die Welt ist wieder heil. Dass im selben Berlin Menschen ohne Wohnung in U-Bahnhöfen erfrieren, ist freilich ein Detail, das die Leichtigkeit des symbolischen Fortschritts stören würde. Wer will schon Sozialpolitik, wenn man auch Eitelkeitspolitik betreiben kann? Der deutsche Staat ist, was das betrifft, hochprofessionell: Er verwaltet Probleme am liebsten im Futur II. Es wird aufgearbeitet gewesen sein.
Der Mohr geht, Amo bleibt – oder auch nicht
Ironisch ist es natürlich schon, dass Amo selbst von den Deutschen kaum gekannt wird. Man könnte fast wetten, dass neun von zehn Befragten auf der Anton-Wilhelm-Amo-Straße nicht wissen, wer er war. Vielleicht halten sie ihn für einen Popstar, einen afrikanischen Fußballspieler oder einen veganen Kochbuchautor. Die Ironie steigert sich, wenn man bedenkt, dass Amo nach einem Leben voller akademischer Triumphe Deutschland enttäuscht den Rücken kehrte – angewidert von Rassismus und Ignoranz. Also ehrt man ihn jetzt, indem man sein Namensschild zwischen Asia-Imbiss und Backshop schraubt. Der Philosoph, der Europa intellektuell herausforderte, muss nun als Wegweiser dienen, wenn man zum Parkhaus will.
Fazit mit Augenrollen
Die Umbenennung der Mohrenstraße ist ein glänzendes Beispiel dafür, wie man sich moralisch aufputschen kann, ohne tatsächlich Verantwortung zu übernehmen. Man tauscht ein Wort gegen ein anderes, verbucht es als Fortschritt und klopft sich gegenseitig auf die Schultern. Ob Amo dadurch tatsächlich geehrt wird? Ob er nicht vielmehr als dekoratives Alibi missbraucht wird? Ob wir nicht lieber seine Schriften ernsthaft studieren sollten, anstatt sie durch ein Straßenschild zu ersetzen? – Fragen, die man im Rausch der guten Absicht lieber verdrängt.
Doch vielleicht ist das die letzte Pointe: Der Mohr hat seine Straße verloren, Anton Wilhelm Amo hat eine gewonnen – und wir alle haben die beruhigende Gewissheit, dass wir wieder ein kleines Stück besser sind, als wir gestern waren. Bis zum nächsten Straßenschild.