Man muss es sich einmal vorstellen: Wir leben in einer Epoche, in der der Anblick sterbender Kinder längst keine ferne Projektion mehr ist, sondern ein rhetorisches Mantra staatlicher Führer sein darf. General Fabien Mandon, Chef des französischen Generalstabs, fordert ganz nüchtern, ja mit kühler staatsmännischer Gelassenheit, dass Frankreich „akzeptieren“ müsse, seine Kinder im Krieg zu verlieren – und das nicht im poetischen Sinne, sondern wortwörtlich, um „zu schützen, was wir sind“.
Diese Worte sind so brutal, dass sie fast elegisch klingen: ein bittersüßes Epitaph, das man vor der Schlacht an die Zukunft schreibt. Aber sie sind nicht schön, sie sind ein Schock. Und das ist genau das Kalkül. Der General malt ein Bild von existenzieller Not, in dem Opfer nicht nur unvermeidlich, sondern notwendig sind: nicht als heroischer Aufopferungsgesang, sondern als nüchterner Staatsrealismus.
Die Geisteshaltung des preußisch-französischen Seelenpotenzials
Mandon spricht nicht nur von geopolitischer Abschreckung, sondern von einer „Seelenstärke“, die angeblich fehlt: „Was uns fehlt … ist die Seelenstärke, um zu akzeptieren, dass wir uns verletzen, um das zu schützen, was wir sind.“
Man spürt darin den Geist einer alten Schule, eine Art modernen Militarismus in Salonkavallerie: nicht nur Gewehre, Panzer oder Raketen, sondern eine moralische Kriegsführung – seelische Disziplin, innere Härte, die Bereitschaft, das eigene Fleisch auf dem Altar des Vaterlands zu opfern. Es ist, als würde Mandon sagen: Wir müssen innerlich so stark sein, dass wir den Verlust unserer Kinder nicht als Trauma, sondern als strategisches Asset begreifen.
Diese Rhetorik erinnert an vergangene Epochen, in denen Nationen Opfer rollten wie Opferlämmer. Aber wir leben im 21. Jahrhundert, und solche Aussagen wirken nicht nur rückwärtsgewandt, sondern geradezu zynisch. Ist das eine neue Form der Volksverteidigung – eine moralische Mobilmachung, die Eltern emotional vorbereitet, ihre Sprösslinge der Staatsraison zu überantworten?
Kriegsvorbereitung als zivilgesellschaftliches Gemeinschaftsprojekt
Doch Mandon bleibt nicht bei der bloßen Metaphysik des Opfers. Er fordert eine konkrete Bereitschaft: wirtschaftlich zu leiden, Prioritäten auf die Rüstungsproduktion zu setzen, politische Gemeindeversammlungen zum Krisengespräch zu nutzen. „Wenn unser Land … nicht bereit ist … wirtschaftlich zu leiden, weil die Prioritäten in die Rüstungsproduktion gehen werden, dann sind wir in Gefahr.“
Das klingt fast wie eine Phillip Marlowe-Variante der zivilen Mobilmachung: Bürgermeister sollen in ihren Gemeinden darüber sprechen, dass man nicht nur Panzer bauen muss, sondern auch das Bewusstsein dafür erzeugt, dass menschliches Leben – insbesondere junges Leben – ein geopolitischer Einsatzwert sein kann. Die Armee rüstet nicht nur militärisch, sondern mental. Die Nation bereitet sich darauf vor, nicht nur zu kämpfen, sondern zu leiden – kollektiv, bewusst, gleichsam rituell.
Politische Empörung und demokratisches Paradoxon
Selbstverständlich schlägt dieser Appell nicht nur Wellen, sondern Tsunamis der Empörung. Die linke Opposition – namentlich Jean-Luc Mélenchon – redet von einem General, der seine Rolle überschreitet: „Nicht seine Aufgabe, Bürgermeister zu rufen, um gewerrische Vorbereitungen zu treffen, die von niemandem beschlossen wurden.“
Hier trifft Militär auf Demokratie – und es knirscht. In einer demokratischen Gesellschaft hat der General nicht das Mandat, den Bürgern Opfer aufzuzwingen; er kann höchstens warnen, planen, mahnen. Aber die Idee, dass bestimmte Opfer bereits in Friedenszeiten akzeptiert werden müssen, berührt etwas zutiefst Antipluralistisches. Es ist nicht nur ein Appell der Härte, sondern ein Aufruf zur inneren Disziplinierung der Gesellschaft – als wäre die Nation ein Körper, der bereit sein muss, Blut zu lassen, damit er überlebt.
Die Ironie des Friedens in einem drohenden Krieg
Und dann ist da die grandiose Ironie: Wir sprechen über „die Kinder der Nation“, über zukünftige Generationen, deren Verlust man schon prognostiziert – als wäre dieser Verlust eine strategische Variable, nicht eine Tragödie. Gleichzeitig haben wir in den letzten Jahrzehnten eine Friedensordnung kultiviert, die auf Verhandlungen, auf internationale Institutionen, auf wirtschaftliche Integration setzt. Nun aber fordert ein Militärchef, dass man eben nicht nur auf Hoffnung setzt, sondern auf Bereitschaft – bis zum schlimmstmöglichen Szenario.
Es ist, als ob Mandon sagen möchte: „Träumt ruhig vom Frieden, aber haltet euer Herz bereit für den Krieg.“ Und das ist eine bittere Pille: Wenn man den Frieden so sehr liebt, dass man ihn nur durch die Akzeptanz des Krieges schützen kann, dann ist die Idee des Friedens bereits korrumpiert. Frieden wird nicht mehr als Zustand, sondern als strategisches Konstrukt gedacht – als fragile Balance, die nur durch das Bewusstsein der Verwundbarkeit erhalten werden kann.
Der Preis des Seins – philosophisch, moralisch, politisch
Am Ende drängt sich die Frage auf: Welches „Was wir sind“ ist es wert, dass wir unsere Kinder opfern? Ist „wir sind“ ein identitätsstiftendes Narrativ, ein kollektives Selbstbild, das so zerbrechlich ist, dass es nur durch Opfer stabilisiert werden kann? Oder ist es ein gefährliches Spiel mit fundamentalen menschlichen Werten – mit Familie, Mitgefühl, dem Wert jedes einzelnen Lebens?
Mandon fordert nichts Geringeres als eine Neudefinition des patriotischen Opfers in einer Ära des Kalten Friedens: nicht nur das militärische Opfer, sondern das psychologische, das ökonomische, das generationenübergreifende. Er propagiert eine Nation, die nicht nur stark im Panzerpark ist, sondern auch stark im Schmerz.
Fazit: Eine Provokation, die zum Nachdenken zwingt
Diese Äußerungen des Generals sind nicht bloße Kriegsrhetorik, sondern eine existentielle Provokation. Sie zwingen uns, über den Preis unserer Identität nachzudenken: Was sind wir bereit zu verlieren, um das zu sein, was wir zu sein glauben? Und ist das, was wir schützen wollen – dieser vermeintliche Kern unserer Identität – wirklich so wertvoll, dass wir das Fundament unseres Menschseins, unsere Kinder, aufs Spiel setzen?
General Mandon hat mit seiner Rede eine Debatte entfacht, die weit über Militärplanung hinausgeht: eine Debatte über Moral, Demokratie, das Verhältnis von Staat und Bürger, über die Grenzen des Nationalen und die Würde des individuellen Lebens. Wir müssen also nicht nur darüber reden, ob wir bereit sind, unsere Kinder zu verlieren – sondern auch, warum wir das überhaupt in erwägung ziehen sollten.