Der gelebte Offenbarungseid – jetzt auch mit Gendersternchen

Die westliche Demokratie hat es weit gebracht. Sie hat es geschafft, sich selbst zur Karikatur ihrer eigenen Versprechen zu machen, ohne dass es allzu viele merken oder – schlimmer noch – sich daran stören würden. Die Titanic hat längst den Eisberg gerammt, aber im Bordkino läuft noch „Yes we can!“, untermalt von den klimaneutralen Geigen des öffentlich-rechtlichen Orchesters.

Politische Partizipation? Nur noch ein dekoratives Accessoire für Wahlplakat-Ästheten. Der Bürger darf alle vier Jahre ein Kreuz setzen – als rituelle Beruhigungsspritze – um sich danach wieder in die sedierende Umarmung des allzuständigen Nanny-Staats fallen zu lassen. Demokratie ist heute weniger Herrschaft des Volkes als Feelgood-Fassade für eine Verwaltung, die sich selbst genug ist.

Wir erleben das, was man einen Kollaps in Zeitlupe nennen könnte – nur dass die Zeitlupe so langsam ist, dass viele den Stillstand mit Stabilität verwechseln. Währenddessen läuft das System im Autopilot-Modus auf eine Wand zu, die groß „Komplexitätsüberforderung“ heißt. Und niemand sitzt mehr im Cockpit – aber alle sind stolz auf die Sicherheitsbroschüre.

Der Bürger: Vom Souverän zum Untertan 2.0

Wer in aufgeklärter Naivität annimmt, der Bürger sei das Zentrum der Demokratie, der möge sich bitte einmal einen durchschnittlichen Social-Media-Kommentarbereich unter einer politischen Nachricht zu Gemüte führen. Man erkennt schnell: Der mündige Bürger ist ausgestorben wie die Dodo-Ente – ersetzt durch das weichgekochte, kognitiv desinteressierte Subjekt, das reflexartig nach Regeln ruft, sobald ein Problem auftaucht.

Die Devise lautet nicht mehr „Freiheit durch Verantwortung“, sondern „Sicherheit durch Gehorsam“. Man will nicht frei sein – man will geführt werden, und zwar idealerweise von Menschen mit empathischem Blick, aber technokratischer Allmacht. Die ideale Führungskraft der neuen Demokratie ist ein empathischer Technokrat mit Influencer-Profilbild und ChatGPT als Ghostwriter.

Das Grundrecht auf Abwehr gegen den Staat? Heute eine Pointe aus der politischen Satire. Der Staat schützt den Bürger vor sich selbst, notfalls auch mit Gewalt. Wer widerspricht, wird diagnostiziert: rechts, radikal, realitätsfern oder – der neueste Schrei – „problematisch“. In einer Welt voller Triggerwarnungen ist jede echte Meinungsäußerung eine potenzielle Kriegserklärung.

TIP:  Jeder weiß, so darf es nicht bleiben.

Parteien: Die Selbsthilfegruppen der Machtbesessenen

Die westliche Parteienlandschaft gleicht einem sterbenden Zoo: Die Gehege sind leer, aber man spielt weiter Tiergeräusche vom Band. Die SPD stellt sich als Anwalt der Arbeiter dar – die es seit 20 Jahren nicht mehr gibt. Die CDU simuliert Ordnung, kann aber nicht mal ihre eigenen Parteitage organisieren. Die Grünen verwechseln Ökologie mit Erlösungssehnsucht, und die FDP hält sich für liberal, solange man sie nicht um konkrete Haltung bittet.

Neue Parteien? Treten an mit Pathos, verenden im Parteitagssumpf. Zwischen innerparteilichen Egospielchen, postmodernem Sprachdurchfall und identitätspolitischem Minenfeld geht jede inhaltliche Substanz zuverlässig verloren. Sie sind der Versuch, mit altem Werkzeug ein brennendes Haus zu sanieren.

Das Parlament? Ein Spielplatz für Berufsempörer, moralische Minderleister und Blender mit solider Rhetorik bei vollständiger Weltunkenntnis. Entscheidungen werden heute getroffen nach den Kriterien:

  1. Wie sieht es im Meinungsmonitor aus?
  2. Was sagen die Social-Media-Strateg:innen?
  3. Gibt es dafür ein Hashtag?

Der Staat als All-Inclusive-Ruine

Die Bürokratie ist zum eigentlichen Herrscher avanciert – eine kafkaeske Hydra, die sich mit jedem Digitalisierungsversuch verdoppelt. Die Verwaltung produziert Regeln, Formulare und Prüfstellen in einem Tempo, das jedes private Unternehmen binnen Monaten in den Bankrott treiben würde.

Und der Bürger? Der hat sich längst daran gewöhnt, seine Existenzberechtigung in Anträgen, Förderprogrammen und Genehmigungen zu beantragen. Der moderne Mensch lebt im Wartemodus – auf das Elterngeld, den Wohngeldbescheid, die Wärmepumpe oder wahlweise das Weltende.

In dieser Atmosphäre gedeiht alles, nur keine Kompetenz. Ministerien werden mit Menschen besetzt, die von ihren Ressorts so viel verstehen wie ein Schwan vom Segelfliegen. Qualifikation spielt keine Rolle – entscheidend ist einzig, ob man im richtigen Parteikreis das Buffet gefunden hat.

Das System versagt – global, synchronisiert, effizient

Die vielleicht tragischste Pointe: All das passiert gleichzeitig, überall, fast identisch. Ob Paris, Berlin, Washington oder Rom – das politische Personal wirkt wie von derselben Castingagentur vermittelt. Mittelmaß mit Sendungsbewusstsein, flankiert von PR-Profis mit Agentursprech.

TIP:  Journalismus mit Haltung

Selbst autoritäre Systeme wirken inzwischen wie Kopien westlicher Verwaltungsapparate – nur mit schlechterer Pressearbeit. Der Unterschied zwischen liberaler Demokratie und gelenkter Autokratie schrumpft auf ein Minimum: Wahltermin ja oder nein. Ansonsten herrscht in beiden das Prinzip: Wir wissen besser, was gut für euch ist.

Letzte Hoffnung: Ironie und Zynismus – oder doch der Einzelne?

Was bleibt? Nicht viel. Vielleicht der Humor. Die Fähigkeit, über das eigene System zu lachen, während es zusammenbricht – das ist immerhin eine westliche Kernkompetenz. Die Römer hatten Brot und Spiele, wir haben Podcasts und Parlamentsdebatten auf YouTube.

Und dennoch: Vielleicht, ganz vielleicht, gibt es eine letzte Option. Nicht von oben, nicht durch Systemreform, sondern durch das radikal Unmoderne: Eigenverantwortung. Bildung. Skepsis.

Der Einzelne als letzte Bastion. Der Mensch, der sich nicht verdummen lässt. Der Bürger, der liest, denkt, widerspricht. Der sich nicht vor „falschen Meinungen“ fürchtet, sondern sie hört, prüft und – wenn nötig – zerschmettert.

Ein Idealbild, klar. Aber wenn schon Untergang – dann wenigstens mit aufrechter Stirn.


Epilog:
Die Demokratie ist nicht tot. Noch nicht. Sie ist – wie ein alternder Rockstar – betrunken, aufgedunsen, von Ja-Sagern umgeben, – in einem Zustand zwischen Selbstbetrug und Systemversagen, aber immer noch fähig zu einem letzten großen Auftritt. Wenn wir Glück haben. Wenn nicht: Auch das ist Demokratie. Wer den Ausgang sucht, muss gegen den Strom schwimmen. Wer wartet, wird weiter verwaltet.

Oder, um es mit Churchill zu sagen:
Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – außer allen anderen.

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