„Der Führer im Flaschenhals“

Die Flasche und das Vaterland – Vinophile Verirrungen im Schatten der Geschichte

Man muss sich das einmal in aller Nüchternheit vorstellen – wobei Nüchternheit in dieser Geschichte mit Vorsicht zu genießen ist. Ein Mann aus dem Lavanttal, einer jener pittoresken Landstriche, wo die Berge sich noch scheuen, den Horizont zu verletzen, steht nun im Jahre des Herrn 2025 vor einem Geschworenengericht in Klagenfurt – nicht etwa wegen Mord, Totschlag oder Steuerhinterziehung, sondern weil er sich offenbar der schwerwiegenden Tat schuldig gemacht haben soll, eine Weinflasche mit dem Konterfei eines gewissen Adolf Hitler zur Schau gestellt zu haben. Ja, richtig gelesen: Wein. Flasche. Hitler.

Als wäre der Nationalsozialismus nicht schon historisch hinreichend verflüssigt worden, nun also auch noch als Kellereiprodukt etikettiert. Das Grauen als Retro-Chic. Das Verbrechen in Flaschenform. Der Massenmörder als Markenbotschafter. In dieser Geschichte treffen sich postmoderne Geschmacklosigkeit und geschichtliche Verantwortung in einem Schrebergarten, um sich mit einem lautlosen „Heil“ zu zuprosten – und zwar ganz ohne ironische Brechung. Oder doch?

Schrebergarten-Goebbels – Provinzposse mit ideologischem Dosenöffner

Der Tatort: eine Gartenhütte, vermutlich von Zwergerln bewacht, mit Geranien geschmückt, irgendwo zwischen Rindenmulch und Rainfarn. Dort, wo andere Gartenzwerge aufstellen oder Solarleuchten mit Farbwechsel, da stellt unser mutmaßlicher Patriot eine Flasche mit dem Führer auf. Ein Mahnmal? Ein Witz? Ein peinlich entgleister Sammlerfetisch? Oder doch ein stilles „Na endlich wieder Ordnung“-Statement?

Die Antwort kennt womöglich nur der Mann selbst, der nun auf dem harten Holz des Gerichtssaals Platz nehmen darf, flankiert von Paragraphenreitern in Robe. Dass das Ganze ein Fall fürs Geschworenengericht ist, spricht nicht gerade für seine Bagatellisierung. Man nimmt es ernst, das demokratische Antikörper-Training, selbst wenn es gegen eine Weinflasche geht. Die Demokratie hat bekanntlich viele Feinde – doch nur wenige von ihnen tragen Schraubverschluss.

Die Republik im Spiegelkabinett – Wenn der Rechtsstaat zum Stresstest wird

Und doch steht über all dem ein ernster Satz wie aus Granit gemeißelt: Für den Mann gilt die Unschuldsvermutung. Ja, auch für den mit der Hitlerflasche im Rosenbeet. Auch für ihn schlägt das große Herz des Rechtsstaates, der sich, wenn auch unter Magenkrämpfen, auch solcher „Repräsentanten“ seiner selbst annimmt. Aber wie viel Satire verträgt ein Paragraf? Wie viel historische Verblendung steckt noch in der staubigen Erde der Heimatliebe?

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Es ist ein österreichisches Lehrstück, das hier gegeben wird – irgendwo zwischen Joseph Roth und Karl Valentin, zwischen Kafka und Karl Kraus. Und es spielt in einer Gegenwart, die zunehmend ihre Geschichte zu vergessen scheint, um sie dann in grotesker Form wieder aufleben zu lassen: als Accessoire, als Social-Media-Gag, als identitärer Code in ironiefreier Zone. Die Demokratie, sagt man, sei eine zarte Pflanze – in Österreich wächst sie offenbar sogar zwischen Gartenzwergen und Hitlerflaschen.

Der letzte Tropfen – Über Geschmack, Gerichte und geschmacklose Gerichte

Nun also der Prozess. Ein Mann, eine Flasche, ein Staat. Man wird Beweisfotos zeigen, Zeugen hören, Paragrafen wälzen. Und irgendwo im Hintergrund steht sie, die große Frage: Darf man das? Und vor allem: Warum zum Teufel will man das überhaupt?

Vielleicht ist das Ganze nur der traurige Beleg für eine unstillbare Sehnsucht nach Bedeutung – nach irgendeiner Form von Relevanz in einer Zeit, die ihre Helden in Realityshows und Influencer-Videos findet. Der Mann mit der Führerflasche steht symbolisch für ein Unvermögen, die Geschichte zu verarbeiten – er hat sie stattdessen entkorkt und auf ein Regal gestellt. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Der Richter wird entscheiden, das Urteil sprechen. Aber die Farce bleibt.

Und der Rechtsstaat so: „Na servas.“

Man fragt sich: Wird die Demokratie das überstehen? Nun, sie hat Schlimmeres überlebt – aber selten in so bizarr folkloristischer Form. Es ist eine Tragikomödie auf mittlerer Hitze gekocht, in der provinzieller Dilettantismus auf den bitteren Ernst einer Vergangenheit trifft, die noch nicht verjährt ist.

Und so steht sie da, die Republik, mit gerunzelter Stirn, leicht verschämt grinsend, ein bisschen wütend, ein bisschen müde, und sagt sich vielleicht insgeheim: „Wir haben Hitler vertrieben, aber nicht die Dummheit.“
Und das ist – wie immer in Österreich – sowohl das Problem als auch die Pointe.


„Führerwein im Schrebergarten – das ist nicht nur ein Prozess, das ist ein Symptom.“

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