Der Flüchtlingsstatus, der nicht sterben wollte

Es gibt Tage, an denen man den Verdacht hegt, dass die Weltgeschichte von einem übernächtigten Büroangestellten geführt wird, der seine Akten im Halbdunkel eines Kellergeschosses sortiert, während er aus einem halbverstopften Thermobecher kalten Kaffee trinkt. Man hört förmlich, wie der Großarchivar des Universums durch vergilbte Register blättert und mit dem gelangweilten Seufzen eines Beamten nach Feierabend feststellt: „Ach herrje, diese Vertriebenen aus Schlesien, Ostpreußen, Sudetenland – die tun wir mal in den Ordner Erledigt. Die kriegen keinen Sonderstatus, die müssen sich irgendwie selbst regenerieren.“ Und dann, mit einer Mischung aus kosmischem Fatalismus und bürokratischer Kreativität, nimmt der Archivar eine andere Akte, klopft den Staub ab, betrachtet den Inhalt und entscheidet: „Hier machen wir mal eine Ausnahme. Eine einzige. Für immer. Ohne Ablaufdatum. Weil – warum nicht?“

Hier beginnt die Groteske.

In einer Welt, in der nichts Bestand hat – weder Ehen, noch Ideologien, schon gar nicht Druckerpatronen – existiert ein Status, der sturer ist als ein antiker Felsblock und langlebiger als das Durchschnittspolitiker-Versprechen vor der Wahl. Die deutschen Vertriebenen wurden nach 1945 behandelt wie Menschen, denen man einen Stempel aufdrückt und dann höflich bittet, doch bitte möglichst rasch im gesellschaftlichen Maschinenraum zu verschwinden, damit niemand länger darüber nachdenken muss. Integration nicht als humanes Ideal, sondern als eine Art absurdes Leistungspaket: Willkommen, bitte auspacken, neu anfangen, Klappe zu, Thema abgehakt.

Doch an anderer Stelle der Welt entschied die internationale Bürokratie – offenbar im Zustand einer metaphysischen Übermüdung –, dass ein Flüchtlingsstatus nicht etwa eine persönliche Katastrophe sei, sondern ein vererbbares Artefakt, ein genealogischer Ritus, ein bürokratischer Familienschmuck, der wie ein historisches Monstrum durch Generationen geistert. Nicht aus Bösartigkeit, sondern aus jener eigentümlichen Mischung aus Moral, Diplomatie, politischer Starre und weltweiter Überforderung, die aussieht, als habe Kafka persönlich den Leitfaden formuliert und dann in die Hände der UNO gelegt.

Wie man ein Problem konserviert wie eingelegte Artischocken

Stellt euch einen Konferenzraum vor, in dem die internationale Gemeinschaft sitzt wie eine Herde übermüdeter Intellektueller, die sich in ihre eigenen Formulierungen verstricken. Man diskutiert, ringt, würgt sprachliche Strukturen hervor, die derart umständlich sind, dass sie nur entstehen können, wenn 20 Staaten sich gegenseitig höflich nicht widersprechen wollen. Und in diesem Moment der globalen Sprachverwurstelung entsteht eine Sonderregelung, die so einzigartig ist, dass sie eigentlich mit einem „Bitte nicht nachmachen“-Warnhinweis versehen werden müsste.

TIP:  Die große europäische Heuchelei

Die historischen deutschen Vertriebenen? Eingegliedert, statistisch erfasst, abgeheftet wie alte Meldekarten.
Die Palästinenser? Ein politisches Kontinuum, das langlebiger ist als manche Staatsform, das vom Völkerrecht wie ein kostbares, aber unhandliches Relikt unter Glas gehalten wird – nicht gelöst, sondern konserviert. Nicht vergessen, aber auch nicht befriedet. Ein Paradigma des Hängenlassens, das gleichermaßen Empathie, Tragik und politisches Versagen offenbart.

Die Komödie der internationalen Prinzipien

Man möchte fast lachen, wenn man nicht wüsste, wie wenig komisch das alles in der Realität ist: Die Welt erfindet für eine Gruppe eine Regelung, die in keinem anderen Fall jemals angewendet wurde und vermutlich nie wieder angewendet werden wird. Wie ein Theaterstück, in dem alle Beteiligten zwar wissen, dass der Vorhang längst hätte fallen sollen, aber der Inspizient schläft und niemand sich traut, die Szene zu beenden.

Die Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten wurden nach wenigen Jahren als „integriert“ deklariert – ein Wort, das in seiner nüchternen Brutalität eine ganze Epoche zusammenfasst. Die palästinensische Flüchtlingsfrage hingegen wurde ins Regal der dauerhaften globalen Probleme gestellt, gleich neben „Nahostkonflikt“, „Nordirland (alt)“, „Klimawandel“ und „Steuerreform“.

Und die Bürokratie? Sie schaut mit dem unbewegten Gesichtsausdruck einer Sphinx zu und sagt: „Tja. So ist das jetzt.“

Schlussbild eines absurden Welttheaters

Am Ende bleibt eine Erkenntnis, die so bitter wie ironisch ist: Die Menschheit behandelt ihre Katastrophen nicht nach Prinzipien, sondern nach historischen Zufällen, politischem Druck, internationalen Empfindlichkeiten und der konzilianten Ineffizienz riesiger Institutionen, die Probleme länger konservieren als Gurkengläser im Vorratsschrank einer schwäbischen Großmutter.

Dass die einen ihren Flüchtlingsstatus nicht weitergeben konnten, während andere ihn bis heute vererben – das ist kein moralisches Urteil über Menschen, sondern ein absurdes Monument der Weltpolitik, eine Skulptur aus Ambivalenz, Widerspruch und Weltüberforderung. Eine Tragödie mit komischen Einsprengseln. Ein groteskes Erbstück unserer kollektiven Unfähigkeit, Konflikte zu lösen, statt sie für kommende Generationen einzulagern wie besonders schwierige Winterreifen.

Please follow and like us:
Pin Share