Der Fetisch der Mitte

Eine Gebrauchsanleitung für den politischen Stillstand

Es gibt in Mitteleuropa eine rührend naive Vorstellung, die sich beharrlich hält, obwohl sie längst in den archäologischen Fundus politischer Irrtümer gehört: Die Idee, dass sich in der „Mitte“ automatisch der Verstand aufhalte. Dort, so flüstern es sich deutsche wie österreichische Politologen und öffentlich-rechtliche Kommentatoren ins gut klimatisierte Ohr, wohnen Vernunft, Maß und Mitte. In der Mitte, da ist die Welt noch heil, da wird nicht übertrieben, da wird moderiert, nicht polarisiert. Kurz: In der Mitte regiert die Weisheit – sagt die Mitte selbst. Das erinnert ein wenig an jene Firmenmeetings, in denen der Abteilungsleiter das Wort ergreift, um langatmig zu erklären, warum der Vorschlag der Geschäftsführung, den er selbst vertritt, ohnehin der einzig vernünftige sei. Die anderen nicken, weil sie wissen: Wer widerspricht, muss den Parkplatz weiter hinten nehmen.

Doch leider hat die politische Wirklichkeit den unverschämten Charakter, sich nicht an PR-Vokabeln zu halten. Wer heute „die Mitte“ anruft, meint meist nicht Ausgleich, sondern Unentschlossenheit. Die Mitte ist längst nicht mehr der Ort des Kompromisses, sondern der Ort der Kompromittierung. Sie ist das komfortable Versteck für alle, die zwar regieren wollen, aber nicht gestalten können. Für jene, die fürchten, beim Anpacken könnte man sich die Hände schmutzig machen – und da man in der Politmitte nun mal lieber mit Handcreme als mit Schaufel hantiert, bleibt alles beim Alten.

Der große Koalitions-Gulasch: Österreichs politische Lieblingssuppe

Nehmen wir Österreich, jenes politisch beschauliche Land, das den Stillstand in der großen Koalition zur Hochkultur erhoben hat. Seit den seligen Tagen der Sozialpartnerschaft glaubt man hier, dass die beste Regierung jene ist, bei der niemand genau weiß, wer regiert und wer blockiert – was in der Praxis bedeutet: alle blockieren und niemand regiert. SPÖ und ÖVP wechseln sich in der Rolle des Verhinderungsweltmeisters ab, wobei die SPÖ in den letzten Jahrzehnten die Disziplin „Pensionsreform verhindern“ mit solch eiserner Konsequenz betrieben hat, dass selbst nordkoreanische Propagandaminister neidisch nach Wien schielen. Das Motto lautet: Wer den Sozialstaat retten will, darf ihn auf keinen Fall modernisieren – sonst geht womöglich noch etwas kaputt.

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Dass Sebastian Kurz ins Kanzleramt einmarschierte wie ein Influencer in den VIP-Bereich des Opernballs, lag nicht daran, dass er das Land mit brillanten Ideen verzauberte, sondern weil die Leute den muffigen GroKo-Gulasch nicht mehr sehen konnten. Die große Koalition war ein bisschen wie kalter Schweinsbraten: früher vielleicht mal lecker, heute nur noch fettig und fade.

Blockieren als Selbstzweck: Die SPÖ und der Retro-Sozialismus

Die Sozialdemokratie hat aus der Besitzstandswahrung ein politisches Dogma gemacht. Für die SPÖ ist Politik nicht das Lösen von Problemen, sondern das Verteidigen alter Gewohnheiten. Jede ineffiziente Sozialleistung wird bewacht wie der Schrank mit den Altglasbons im Gemeindeamt von Güssing. Dass man dabei die eigene Klientel langfristig schädigt, ist nebensächlich. Hauptsache, die reflexhafte Parole „Wir gegen die da oben“ funktioniert noch. Und wenn es gar nicht mehr anders geht, dann wird eben ein Retro-Sozialist wie Andi Babler zum Parteichef gewählt – ein Mann, der den Klassenkampf von 1972 im Original verlegt und mit Fußnoten versehen wiederauflegt. Sozialismus als Folkloreveranstaltung, garniert mit Gewerkschaftsjargon und der unvermeidlichen Androhung weiterer Betriebsratsjause.

Die Migrationspolitik der Mitte: Wenn Wegschauen Programm wird

Das Versagen der politischen Mitte offenbart sich besonders drastisch in der Migrationspolitik. Seit 2015 übt man sich in einer eigenwilligen Form der kognitiven Akrobatik: Man akzeptiert Millionen Zuwanderer, die sich weder integrieren noch assimilieren, behauptet aber gleichzeitig, dass alles beim Alten bleibe. Wien wird schrittweise zur islamisch geprägten Metropole? Kein Problem, sagen die Parteien der Mitte – wer das kritisiert, ist sowieso rechts, also pfui. Und das wissen wir ja alle: In der politischen Mitte darf man alles sein, nur nicht pfui.

Dass Österreich es in 14 Jahren geschafft hat, exakt einen (!) kriminellen Syrer abzuschieben, ist keine Panne, sondern gelebte Mitte-Politik. Man will ja niemandem wehtun, schon gar nicht den NGOs, den linken Journalisten oder den moralisch überlegenen Twitter-Philosophen, die jeden Abschiebeflug für ein Menschenrechtsverbrechen halten. Dass dabei der Sozialstaat kollabiert, ist nebensächlich – schließlich sind wir alle irgendwann tot, und bis dahin kann man noch ein paar Mahnwachen abhalten.

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Europäischer Mittelmaß-Marathon: Auf dem Weg in die relative Verarmung

Doch nicht nur in der Migrationspolitik glänzt die politische Mitte durch Selbstverzwergung. Auch wirtschaftlich zieht Europa fröhlich an den eigenen Bremsseilen. Während die USA technologisch und wirtschaftlich mit Elon Musk auf dem Mars landen wollen, feiert man in Brüssel den neuen Gender-Leitfaden für Baukräne. Europa verarmt gegenüber den USA? Kein Problem, sagen die Parteien der Mitte – solange der Gender-Pay-Gap bei den letzten 3% ausgeglichen wird, ist der Kontinent gerettet. Kinder werden auch kaum mehr geboren, aber wer braucht schon eine Zukunft, wenn die Gegenwart so woke dekoriert ist?

Dass eine alternde Gesellschaft ohne Nachwuchs und mit massenhafter Migration aus kulturell inkompatiblen Regionen vielleicht nicht das Rezept für den wirtschaftlichen Aufschwung ist, weiß eigentlich jeder. Nur sagen darf man es nicht, denn das wäre – Sie ahnen es – pfui.

Fazit: Die Mitte als Schutzraum für Verantwortungslosigkeit

Früher galt die Mitte als Ort des Ausgleichs. Heute ist sie der Sammelplatz für all jene, die keinen Mut haben, Entscheidungen zu treffen. Die politische Mitte ist der politische Äquivalent eines veganen Buffets: Für alle ist irgendetwas dabei, aber satt wird niemand.

Wer echte Reformen will, wer strategisches Denken einfordert, der muss sich von der Illusion verabschieden, dass die Mitte immer recht hat. Die Mitte hat meistens nur eines: Angst. Angst vor klaren Worten, vor schmerzhaften Reformen, vor den Schlagzeilen der „Zeit im Bild“. Deshalb bleibt alles beim Alten – bis der Druck der Realität das Kartenhaus zusammenfallen lässt.

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