
oder: Von denen da oben und was sie uns unten lassen – die neue Arroganz der politischen Oberschicht
„Sollen Sie doch Kuchen essen“. Was früher das Brot war, ist heute das Klo. Und wer sich einmal mit der Frage beschäftigt hat, wie es um den Zustand der deutschen Demokratie steht, der braucht nicht in komplexe Gremienprotokolle oder Grundgesetzkommentare zu schauen – ein Blick auf die Berliner Schultoiletten reicht. Dort, wo das Volk in seiner frühesten Form lernt, was es bedeutet, zur Gemeinschaft zu gehören – also in Schulen –, beginnt nun die stille Rache der politischen Nichtzuständigkeit: Die Klos werden seltener geputzt. Das ist keine Metapher. Es ist buchstäblich.
Während im Berliner Stadtteil Lichtenberg der Verwaltung offenbar nichts Besseres einfällt, als an Hygiene, kindlicher Mobilität und öffentlichem Grün zu sparen, wird nicht weit entfernt mit schwerem Gerät ein präsidialer Palast errichtet, der mehr kostet als alle Schulkloreinigungen zusammen der nächsten Jahrzente. Und damit wären wir mitten im Herzen der neuen höfischen Politik: Die repräsentative Demokratie hat ihr Herz für den Barock wiederentdeckt – nicht im Geiste, sondern im Gebäudemanagement.
200 Millionen für ein Ersatz-Schloss, 16 Millionen Euro jährlich Miete – für einen Mann, der politisch exakt nichts zu sagen hat, dafür aber sehr schön sagt, dass er nichts sagt. Steinmeier, der wandelnde Entschuldigungsbrief der Bundesrepublik, wird mit seidener Umsicht in sein temporäres Versailles umziehen, während in Lichtenberg Grundschüler sich künftig gut überlegen müssen, ob sie die Schultoilette wirklich jetzt benutzen wollen oder lieber bis nachmittags warten. Wer weiß, wann sie das letzte Mal gewischt wurde.
Die Obenregierung – Politik als Palastbetrieb
Die politischen Eliten dieses Landes haben die Demokratie nicht abgeschafft – sie haben sie nur stilistisch rekonstruiert wie ein Feudalstaat mit WLAN. Die neuen Barone heißen nicht mehr Fugger oder Hohenzollern, sondern haben Doppelnamen, Redenschreiber und mediengerechte Pausen zwischen Sätzen. Ihre Residenzen sind keine Burgen mehr, sondern Verwaltungsneubauten mit polierter Symbolik: Es geht nicht darum, was man tut, sondern wie teuer es dabei aussieht.
Der Bundespräsident hat keine Macht, aber Stil. Das reicht heute aus, um sich ein Gebäude errichten zu lassen, in dem während des Bauprozesses bereits klar ist, dass es danach an andere Ministerien weitergereicht wird – denn leer soll es nicht stehen, das wäre Verschwendung. Im Gegensatz zu Schulkindern, die morgens im Bus sitzen, um in eine Turnhalle zu fahren, in der sie dann nicht schwimmen können, weil das Geld für Transport gestrichen wurde. Dort darf verschwendet werden: Lebenszeit, Lernchancen, Vertrauen.
Es ist, als hätte man sich kollektiv entschlossen, den Begriff „politische Entkopplung“ nicht mehr als Analyse, sondern als Regierungsform zu begreifen. Es regiert, wer es sich leisten kann. Und wer es sich leisten kann, kann auch vergessen, wie es ist, wenn das eigene Kind auf ein Klo geht, das müffelt wie das politische Klima im Bundestag nach einer Nachtsitzung.
Vom Volk zur Kulisse – Bürgerlichkeit als Bühnenbild
Der Bürger, früher Subjekt der Politik, ist längst zum Dekor geworden: geduldet, solange er leise ist, brauchbar, solange er Steuern zahlt, und vollkommen irrelevant, sobald es um Prioritäten geht. Die neue Form der Staatskunst besteht darin, öffentliche Mittel nicht mehr dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden, sondern wo sie gesehen werden. Repräsentation statt Funktion – Hochglanzbroschüre statt Putzplan.
Was in Berlin geschieht, ist kein Einzelfall, sondern eine Blaupause. Man könnte meinen, die politische Klasse dieses Landes habe sich entschlossen, das Land selbst wie eine heruntergewirtschaftete Theaterkulisse zu behandeln: Vorne das glänzende Entrée, hinten bröckelt die Wand. Alles ist Fassade. Und wer sich über Schulklos beschwert, hat einfach das große Ganze nicht verstanden – oder, schlimmer noch, kein Referat im Kanzleramt.
Was kümmert den Palast, ob der Platz vor der Schule vermüllt ist? Was kümmert die Staatslimousine, ob der Schulbus nicht mehr fährt? Solange es genug Fototermine gibt, bei denen man Kindern demonstrativ die Hand schüttelt, während diese überlegen, ob sie lieber ins Gebüsch gehen sollen – weil es dort wenigstens regnet und es riecht nicht so streng wie auf der Toilette.
„Sollen sie doch Kuchen essen“ – Die neoliberale Bastardisierung der höfischen Verachtung
Marie-Antoinettes berühmter Satz – ob er nun historisch korrekt ist oder nicht – wird heute nicht mehr ausgesprochen. Er wird budgetiert. Man sagt nicht mehr offen: „Das Volk soll doch Kuchen essen.“ Man streicht einfach das Brot aus dem Haushalt und serviert sich selbst Kaviar auf der Einweihungsparty des Ersatz-Bundespräsidialamts.
Die Eliten dieses Landes – und wir reden hier nicht von sinistren Verschwörungen, sondern von sehr realen, sehr bürokratischen, sehr selbstzufriedenen Entscheidungscliquen – haben eine Sprache entwickelt, die es ihnen erlaubt, das Elend ihrer Politik in wohlklingende Floskeln zu verpacken. „Priorisierung von Ressourcen“ heißt das dann, oder „strukturelle Konsolidierung“. Gemeint ist: Wir sparen bei euch, damit wir bei uns nicht auf Stil verzichten müssen.
Denn wie sähe das denn aus, wenn der Bundespräsident Staatsgäste in einem Container begrüßte? Wo kämen wir denn hin, wenn Ministerien improvisieren müssten wie Lehrerinnen, die selbst Klopapier mitbringen? Nein, das wäre unwürdig – für sie. Für uns? Gewöhnt euch dran.
Postdemokratie mit Zierleisten – Wenn Repräsentation alles ist
Man könnte nun fordern, das alles müsse anders werden. Aber das hieße, als würde man die höfische Kultur auffordern, doch bitte etwas bürgerlicher zu werden. Als würde man Ludwig XIV. nahelegen, die Steuerlast auf die Bauern zu senken, weil die Toiletten in den Dörfern so schlecht riechen. Die Antwort wäre dieselbe wie heute: höfliches Lächeln, feierliche Reden – und weiter geht’s mit dem Marmorieren der Empfangshalle.
Inzwischen sind die Spielplätze der Republik nicht mehr Orte des kindlichen Frohsinns, sondern Sinnbilder der Sparpolitik. Instandhaltung? Kürzung. Betreuung? Zu teuer. Dafür ist die nächste Pressekonferenz über „Frühe Bildung als Staatsaufgabe“ schon angesetzt. Mit Häppchen, versteht sich.
Was bleibt, ist die stille Resignation der Mehrheit. Die leise Hoffnung, dass wenigstens einer im System bemerkt, wie grotesk das alles ist. Doch die, die es bemerken, können nichts ändern. Und die, die etwas ändern könnten, bemerken nichts – oder profitieren zu sehr davon, dass es bleibt, wie es ist.
Epilog: Der Preis des Glanzes
Europa, Deutschland, Berlin – sie alle rutschen langsam aber sicher in eine Demokratie der Dekoration. Eine Demokratie, die lieber Paläste saniert als Schulklos putzt. Die lieber Werte beschwört, als Bedingungen verbessert. Die lieber symbolisch agiert, als real.
Vielleicht wird in hundert Jahren jemand auf dieses Kapitel unserer Geschichte zurückblicken und sich fragen, wie es so weit kommen konnte. Die Antwort wird irgendwo zwischen einer vergilbten Haushaltsnotiz über Reinigungsintervalle und einem Hochglanzprospekt des Bundespräsidialamts liegen.
Und vielleicht wird ein Kind, das heute in Lichtenberg mit zugehaltener Nase auf ein verdrecktes Klo geht, irgendwann sagen:
„Sollen sie doch regieren – wir waschen uns die Hände davon.“