
Der Ursprung des Bildes: Oder warum der moderne Antisemitismus kein Bart mehr trägt
Es ist ein unruhiges Summen, das aus den Ritzen des Internets steigt – wie das gedämpfte Gemurmel eines Marktplatzes, auf dem man nicht ganz sicher sein kann, ob gleich Äpfel verkauft oder Scheiterhaufen errichtet werden. In dieser neuen Agora, der Timeline, auf der sich Wahrheit und Fiktion ein maskiertes Tänzchen liefern, kehrt etwas wieder, das niemals wirklich ging: Das Gerücht. Doch das Gerücht, so Adorno, ist nicht bloß ein Missverständnis, ein bisschen Klatsch am Kaffeetisch der Geschichte. Es ist das Gift, das sich durch die Windungen des Bewusstseins frisst, eine zähflüssige Ideologie in Sprühdosenform. Und es hat sich angepasst, hat sich modernisiert, trägt heute keine springerstiefelige Stumpfheit mehr zur Schau, sondern eleganten moralischen Zynismus, der sich mit Hashtags und hochaufgelösten Trugbildern tarnt.
Die „Fakebilder“ aus Gaza – das ist das neue „Gerücht über die Juden“, nicht weil es sich um eine bloße Fälschung handelt, sondern weil es wie das alte Gerücht funktioniert: Es hat keinen Ursprung, aber eine Richtung. Es kommt von überall und trifft immer nur einen. Die Pixel lügen, aber nicht allein. Sie werden genährt vom Bedürfnis, zu glauben, was man glauben möchte. Der Antisemitismus unserer Zeit trägt keine Hakenkreuze – er hat ein Profilbild und nennt sich „Aktivist“.
Die Moral des Betrachters: Wie das Mitgefühl zur Komplizin der Projektion wird
Wer heutzutage mitleidet, will oft nicht verstehen – er will beweisen, dass er leidet. Der Schmerz des Anderen, so scheint es, wird zur moralischen Trophäe, zur Inszenierung einer Empathie, die weniger mit Ethik als mit Eitelkeit zu tun hat. Es ist ein voyeuristisches Humanitätsbedürfnis, das mit tränendem Blick auf Kinderfotos starrt, ohne sich je zu fragen, ob die Tränen nicht schon längst vor der Kamera künstlich erzeugt wurden – oder ob das Kind in einem anderen Kontext vielleicht plötzlich als „zionistischer Siedlernachwuchs“ gelten würde. Die Empathie, diese einst zarte Pflanze, ist zur Dog Whistle der digitalen Meute verkommen.
Und so klickt man „Teilen“, weil man „nicht schweigen kann“, auch wenn man nichts weiß. Die Empörung ist der Applaus der Ahnungslosen. Es genügt, dass das Bild das Richtige zeigt – nicht im Sinne der Wahrheit, sondern der politischen Richtung. Eine verbrannte Kinderhand, ein Mauerrest, ein weinender Vater im Staub – sobald es gegen Israel geht, ist jedes Bild plausibel, jedes Video echt genug, um Wut zu rechtfertigen, die schon vor dem Sehen bereitlag. Das Fakebild wird zur Offenbarung, nicht zur Lüge. Es spricht „Wahrheiten“, die man längst kannte – oder zumindest fühlen wollte.
Die Linke und ihr doppelter Boden: Wie man lernt, Antisemit zu sein, ohne es zu merken
Es ist ein tragikomisches Kapitel linker Ideengeschichte, dass ausgerechnet jene, die sich rühmten, „kritisch zu sein“, aus lauter Empörung blind geworden sind. Die akademisch gestählte Menschenfreundlichkeit hat ein Feindbild entdeckt, an dem sie sich moralisch wärmen kann: den Juden, der nicht mehr Opfer, sondern Staat ist. Der Jude mit Uniform passt nicht ins Narrativ der ewigen Unterdrückung. Also wird Israel zur Chiffre – nicht für Staatlichkeit, sondern für Schuld. Und die Bilder aus Gaza liefern die optische Beglaubigung dieses Ressentiments.
Natürlich, es geht ja nicht um Juden, heißt es dann. Es geht um „die Politik“. Um „Besatzung“. Um „Verhältnismäßigkeit“. Doch man merke: Wer im syrischen Bürgerkrieg keine Kinderbilder teilte, wer zu Aleppo schwieg, zu Xinjiang stumm blieb, aber bei jedem israelischen Luftschlag plötzlich erwacht, der hat kein moralisches Problem, sondern ein selektives. Die Fakebilder – oft Jahre alt, aus Syrien, Libanon, Irak – funktionieren nur, weil niemand prüft, solange sie gegen die richtigen Täter sprechen. Und siehe da: Der Jude, also der Israeli, ist wieder Täter. Endlich. Die Geschichte macht eine Pirouette – und viele klatschen Beifall.
Der Zynismus der Aufgeklärten: Warum sie alles wissen, aber nichts verstehen
Die Selbstgewissheit der digitalen Weltbürger ist atemberaubend. Zwischen einem Flat White und einem Flug nach Tel Aviv (um dann „gegen die Apartheid“ zu protestieren), tippt man mit französischem Maniküre-Finger „Free Palestine“ in die Kommentarspalte, löscht alte israelische Freunde – „nichts Persönliches“ – und teilt ein verwackeltes Video, das angeblich ein Massaker zeigt, aber in Wahrheit aus einem Netflix-Kriegsfilm stammt. Man glaubt, man sei Teil eines globalen Gewissens, dabei ist man bloß Teil eines Algorithmus, der Hass besser verkauft als Zweifel.
Zweifel – dieses einstige Markenzeichen der Aufklärung – ist zum Hindernis geworden. Wer heute fragt, ob ein Video authentisch ist, wird verdächtigt, „Propaganda“ zu verteidigen. Die Tatsache, dass Hamas ihre zynische Medienstrategie längst perfektioniert hat – Kinder als menschliche Schutzschilde, Leichen in die Kamera gehalten, Statisten in Krankenwagen – ist bekannt, aber irrelevant. Die Wahrheit stört nur, wenn sie der Wut im Wege steht.
Der Antisemitismus der Bilder: Warum Pixel töten können
„Worte können töten“, sagte man einst. Heute sind es Bilder – oder besser: die Kombination aus Bild und Behauptung. Der Pixel ist das neue Pogrom, das Meme die moderne Karikatur, das Video der neue Mythos vom Brunnenvergifter. Nur dass diesmal kein Der Stürmer nötig ist – die Leute machen es selbst. TikTok ist die neue antisemitische Volksaufklärung, Instagram der digitale Wandschmierer. Und die Wirkung? Verheerend. Synagogen werden angegriffen, jüdische Schüler verstecken ihre Identität, der Mob steht nicht mehr vor den Häusern, sondern in den Kommentaren – und oft genug draußen in Neukölln gleich mit.
Und wie nennt sich das Ganze? „Solidarität“. Ein Euphemismus, der so glatt ist, dass man auf ihm bequem in den Abgrund gleiten kann.
Letzte Worte eines Unglaubenden: Warum man lachen muss, um nicht zu verzweifeln
Vielleicht ist das Lachen das Letzte, was uns bleibt – nicht das Lachen der Schadenfreude, sondern das Lachen des Schmerzes. Das Lachen, das einem ausbricht, wenn man sieht, wie sich gebildete Menschen zum Tribunal versammeln, während sie ein CGI-generiertes Trümmerfeld für ein Massengrab halten. Das Lachen über den Umstand, dass man für das Teilen eines Holocaust-Memorials weniger Applaus bekommt als für einen schlecht gemachten Gaza-Reel.
Adorno schrieb, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben sei barbarisch. Heute wäre es vielleicht barbarisch, ein Meme zu posten. Aber man tut es trotzdem. Und vielleicht ist es unsere letzte Aufgabe als aufrechte Zyniker mit Restverstand, darauf hinzuweisen, dass der Antisemitismus nicht tot ist – er ist nur gephotoshopt.