
Eine Elegie auf europäische Verantwortung
Es ist wieder einer dieser Tage, an dem der Lack der europäischen Idee unter dem institutionellen Alltag abblättert wie billige Farbe auf feuchtem Beton. Morgen also: das Misstrauensvotum gegen Ursula von der Leyen. Jene Dame, die sich in einer bemerkenswert nahtlosen Bewegung von der familienpolitischen Buntpapierwelt der Berliner Ministerien über das Datengrab verteilter Diensthandys bis zur goldverzierten Kanzel der Rüstungsglobalisierung emporgehoben hat. Wenn es einen politischen Lebenslauf gibt, der sich als seismografischer Ausdruck westlicher Dekadenz lesen lässt, dann ist es ihrer: Von der Verteidigung des Betreuungsgeldes zur Verteidigung der Interessen von Pfizer, Rheinmetall und geopolitischer Ambitionen – ein Kontinuum aus moralischer Akrobatik und PR-dichtem Nebel.
Man wird morgen also nicht über Europa abstimmen – dieser hermetischen, gläsernen Kathedrale der Kompromisse und Kommissionsposten –, sondern über das, was davon noch übrig ist: Demokratie, Transparenz, politische Verantwortung. Große Worte, deren Sinngehalt sich in Brüssel mittlerweile in Fußnoten, Ausschusssitzungen und grinsenden Lobbyisten auflöst. Und doch: ein Hauch von Gerechtigkeit liegt in der Luft, wie der letzte Rest Parfum in einem leeren Flakon. Das Misstrauensvotum ist kein Akt des Putsches – es ist ein politisches Placebo, das wenigstens noch versucht, Symptome zu benennen, wenn Heilung längst ausgeschlossen wurde.
Vom SMS-Schreddern zur Rüstungspäpstin – Eine Karriere wie aus dem Katalog der Unverfrorenheit
Was von der Leyen eint, ist nicht ihre Überzeugung, sondern ihre Elastizität. Eine Frau, die mit militärischer Strenge ihren eigenen Opportunismus verwaltet und dabei so tut, als sei dies europäische Staatskunst. Ihre berühmten „verschwundenen“ SMS zur milliardenschweren Impfstoffbeschaffung – 35 Milliarden Euro, irgendwo zwischen Daumen und Display verdampft – wären in jeder anderen Demokratie ein Skandal mit Rücktrittsfunktion. In der EU hingegen? Eine Fußnote. Eine unangenehme, aber eben keine folgenreiche. Korruption ist hier nicht das Problem – sie ist das System.
Und nun, mit martialischer Brillanz, lenkt sie Milliarden in die Taschen der Rüstungsindustrie, als wäre das Aufrüsten eine Art moralische Selbstreinigung. Die Ukraine wird zum Anlass, zur Bühne, zur historischen Chance – nicht für Frieden, sondern für Waffenexportstatistiken. Von der Leyen steht dort, wo einst Kommissionspräsidenten Diplomatie betrieben – und ruft nach Munition, mehr Waffen, mehr Milliarden. Aus der christdemokratischen Kinderstube ist längst ein militärindustrielles Planungsbüro geworden, inklusive PR-Kampagne für moralisch gereinigte Rüstung.
Feindbildpflege als Selbstschutz – Wenn Kritik zur Ketzerei wird
Dass Frau von der Leyen in der Kritik nun ausschließlich Impfgegner und Putin-Anhänger vermutet, ist nicht nur politisch schäbig – es ist ein intellektuelles Armutszeugnis. Denn was könnte entlarvender sein als die Reflexhaftigkeit, mit der legitime demokratische Kontrolle in die Nähe von Verschwörung und Vaterlandsverrat gerückt wird? Hier spricht keine Demokratin, sondern eine Funktionärin, die sich selbst mit der Institution verwechselt hat. Kritik an ihr? Das sei Kritik an Europa. Misstrauen gegen sie? Das sei Misstrauen gegen die Demokratie. Welch großartiger Taschenspielertrick!
In Wahrheit sind es genau solche Entgleisungen, die das Vertrauen in die europäische Idee untergraben. Denn wer politische Verantwortung durch moralische Immunisierung ersetzt, hat die Bühne der Demokratie längst verlassen. Frau von der Leyen lebt in einer Parallelwelt aus Buzzwords, Beratungsverträgen und politischer Unantastbarkeit. Sie regiert nicht, sie inszeniert – mit einer Mischung aus Selbstgewissheit und Weltfremdheit, die man sonst nur noch in Davos oder auf Rüstungskongressen findet.
Europa als Schattenkabinett – Zwischen Konzerninteressen und Rhetorikruinen
Die EU, so behaupten ihre Verteidiger, sei ein Friedensprojekt. Und tatsächlich: Frieden herrscht – vor allem zwischen Politik und Industrie. Zwischen Beratungshonoraren und Gesetzgebung. Zwischen Lobbyinteressen und intransparenten Entscheidungswegen. Wer Ursula von der Leyen beobachtet, bekommt eine Ahnung davon, was mit Europa geschieht, wenn es zur Behörde für globale Marktsteuerung verkommt. Die Kommission ist kein Ort der Vision mehr – sie ist ein Unternehmen mit angeschlossener PR-Abteilung. Frau von der Leyen ist nicht Präsidentin – sie ist CEO eines Konzerns namens Europäische Union.
Und doch: vielleicht ist dieses Misstrauensvotum mehr als ein Symbol. Vielleicht ist es der letzte Rest parlamentarischer Würde, der versucht, den Schein zu retten, wenn schon nicht die Substanz. Vielleicht ist es ein Aufbegehren gegen die Selbstermächtigung, gegen die politische Arroganz, gegen eine Form der Macht, die sich selbst nicht mehr erklären muss. Wenn man ihr morgen das Vertrauen entzieht, dann nicht, weil man gegen Europa ist – sondern weil man es retten will. Vor ihr.
Denn wer Misstrauen nicht erträgt, hat Vertrauen nicht verdient.