Das gute Gewissen als Exportschlager

Es gibt Güter, die der Westen erfolgreicher exportiert als Autos, Software oder Popkultur: das gute Gewissen – in der praktischen Tube, etikettiert als „Entwicklungshilfe“. Seit Jahrzehnten verschifft man Container voller Beratungsbroschüren, Strategiepapiere und Nachhaltigkeitsworkshops Richtung Süden, während dort Menschen mit einer Mischung aus höflicher Geduld und ungläubigem Kopfschütteln beobachten, wie das nächste große „Projekt“ aus Brüssel, London oder Berlin anrollt – selbstverständlich CO₂-kompensiert.

Denn wer, wenn nicht wir, die Erfinder der Vernunft, die Weltmeister der Empörung, könnte Afrikanern erklären, wie man einen Staat regiert, eine Straße pflastert oder gar eine Gesellschaft modernisiert? Die Absurdität liegt nicht darin, dass Hilfe angeboten wird – das ist menschlich –, sondern in der Überzeugung, dass jede sinnvolle Hilfe mindestens siebenstellige Budgets, ein Heer an Consultants und ein Hochglanz-Logo braucht. Die einfachen, bodenständigen Ideen sind einfach nicht teuer genug, um als ernsthaft zu gelten.

Die moralische Mechanik der Entwicklungshilfe

Die westliche Entwicklungshilfe folgt einer eigenen, eigentümlichen Physik: Je größer das Elend, desto praller die Konferenzbuffets. Je mehr Hungerbilder in den Nachrichten, desto fetter die Fördergelder. Und je dramatischer der moralische Appell, desto gesicherter der Etatposten. In dieser Welt misst man Erfolg nicht in Ergebnissen, sondern in Gefühlstemperaturen.

Afrika, so will es der westliche Mythos, ist kein Kontinent, sondern eine Dauerveranstaltung des Mitleids. „Förderfähig“, „strukturarm“, „im Wandel begriffen“ – das sind die Codewörter, mit denen ganze Karrieren gesichert werden. Denn wie die Pharmaindustrie den Virus braucht, braucht die westliche Entwicklungshilfe das Elend. Ohne Not kein Narrativ, ohne Narrativ kein Auftrag, ohne Auftrag kein Daseinszweck.

Man stelle sich nur den Skandal vor, wenn ein afrikanisches Land tatsächlich einmal seine Probleme selbst löste – ohne „Good-Governance-Workshops“, ohne Gender-Taskforce, ohne PowerPoint-Folien über Resilienz und Nachhaltigkeit. Das wäre nicht etwa ein Erfolg, sondern eine existenzielle Bedrohung für ganze Ministerien und NGOs.

Die teure Trägheit der Besserwisser

Viele afrikanische Staaten sind reich – nur ihre Bürger sind es nicht. Das Problem liegt selten im Mangel an Ressourcen, sondern im Überfluss an Machtmissbrauch. Rohstoffe, Ackerland, junges Wissen – alles da. Aber solange Regierungen sich lieber bereichern, als zu investieren, bleibt der Reichtum eingesperrt in den Tresoren der Eliten.

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Doch die westliche Antwort darauf ist stets dieselbe: mehr Geld. Nicht bessere Politik, nicht klare Bedingungen, sondern bloß höhere Summen. Die Bürokratie der Barmherzigkeit ist längst ein eigenständiger Wirtschaftszweig geworden – ihre Währung heißt „Projektphase“, ihre Sprache „Transformationsagenda“.

Dass in Benin einst ein Projekt mit Pflastersteinen lief – konkret, günstig, arbeitsintensiv, erfolgreich – und dann eingestellt wurde, weil es „nicht teuer genug“ war, ist keine Ausnahme. Es ist ein Symptom. Eine Straße aus Pflastersteinen bringt eben keine Nobelpreise, keine Gala-Einladungen, keine Fotos mit Helmen und aufgekrempelten Hemden. Sie schafft Arbeit, ja – aber kein Prestige. Und Prestige ist die eigentliche Währung des Helfens.

Afrika als Spiegel westlicher Selbstliebe

Die Entwicklungshilfe hat mit Afrika oft so viel zu tun wie ein Selfie mit Mitgefühl. Sie ist ein Spiegel, in dem der Westen sein moralisch geschminktes Gesicht bewundert. Seit die Missionare abgereist und die Kolonialbeamten pensioniert sind, braucht es neue Formen des Sendungsbewusstseins – und die Entwicklungszusammenarbeit liefert sie zuverlässig.

Hinter jedem Hilfsprojekt steht die unausgesprochene Gewissheit, dass der Westen der Maßstab aller Dinge bleibt. Der Afrikaner wird nicht als Partner gesehen, sondern als Schüler. Und wehe, er wagt es, klüger, selbstbewusster oder einfach pragmatischer zu handeln als sein Mentor! Dann wird er schnell zum „Problemfall“.

Das westliche Helferherz ist groß, aber empfindlich. Es will danken gehört, nicht widersprochen. Es will retten, nicht diskutieren. Und so wird der Kontinent zur moralischen Projektionsfläche, auf der sich der Westen in seiner eigenen Tugend sonnt.

Wenn Hilfe zur Selbsthilfe nicht teuer genug ist

Es gäbe unzählige Möglichkeiten, Hilfe zur Selbsthilfe wirklich zu praktizieren. Recyclingfabriken statt Mülldeponien. Pflastersteine statt Asphaltträume. Kredite für Rückkehrer statt Almosen für Bürokratien. Alles denkbar, alles machbar, alles zu einfach.

Doch Einfachheit hat im westlichen Entwicklungsdenken keinen Platz. Sie ist verdächtig. Wer keine „systemische Perspektive“ vorweisen kann, gilt als Dilettant. Ein Projekt, das 500 jungen Leuten Arbeit und Stolz verschafft, ist zu konkret, zu klein, zu menschlich. Man kann es weder „skalieren“ noch „digital transformieren“.

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Das Ergebnis: Man hilft weiter, wie man immer geholfen hat – mit großem Pathos, großen Summen und kleiner Wirkung. Der Kreislauf ist perfekt:

  1. Diagnose: Afrika ist arm.
  2. Therapie: Mehr Geld.
  3. Rezidiv: Geld versickert.
  4. Schlussfolgerung: Zu wenig Geld.

Und alles beginnt von vorn – diesmal inklusiver, diverser und nachhaltiger, aber inhaltlich unverändert leer.

Die vergessenen Stimmen Afrikas

Die Wahrheit wird längst in Afrika ausgesprochen – nur hört man sie im Westen nicht gern. Ökonomen wie Moeletsi Mbeki, Journalisten wie Andrew Mwenda, Intellektuelle wie Axelle Kabou – sie alle haben die Mechanismen der Abhängigkeit seziert. Ihre Botschaft ist unbequem: Die Hilfe macht abhängig, sie zementiert Macht, sie verhindert Eigenverantwortung.

Doch der Westen liebt seine Rolle als Wohltäter. Der selbstbewusste Afrikaner, der sagt: „Behaltet euer Mitleid, gebt uns faire Handelsbedingungen“, zerstört das moralische Narrativ. Und wer will schon auf seine Lieblingsrolle verzichten – die des Retters, der sich selbst applaudiert?

Die Stunde der Rückkehrer

Ein intelligenter Ansatz läge in der Förderung jener, die beide Welten kennen – afrikanische Fachkräfte, die im Westen gelernt und gearbeitet haben. Wenn sie mit Kapital, Vertrauen und Know-how in ihre Heimat zurückkehren, schaffen sie mehr Fortschritt als hundert Projekte über „Capacity Building“.

Ein Rückkehrer, der 100.000 Euro bekommt, um in Nairobi, Kigali oder Accra ein Unternehmen zu gründen, ist billiger – und nützlicher – als einer, der zwanzig Jahre lang in Europa auf staatliche Unterstützung angewiesen bleibt. Doch solche Ideen sind zu unbürokratisch, zu pragmatisch, zu – ja – billig für die westliche Hilfsindustrie. Sie bringen keine Studien, keine Panels, keine Preise. Nur Wirkung.

Fazit: Vom Helfen zum Vertrauen

Vielleicht ist es an der Zeit, den Begriff „Hilfe“ zu begraben. Afrika braucht keine westliche Rettung, sondern Partnerschaft. Keine Schulung, sondern Spielraum. Keine Belehrung, sondern Beteiligung.

Das wäre allerdings eine Revolution – eine, die die westliche Selbstgewissheit erschüttern würde. Denn wer Afrika wirklich etwas zutraut, verzichtet auf die moralische Überlegenheit, die seit Jahrzehnten das wichtigste Exportgut Europas ist.

TIP:  Wählt wie wir es wollen

Afrika braucht keine teuren westlichen Ideen. Es braucht die Freiheit, eigene zu verwirklichen. Und der Westen braucht endlich die Demut, das zu akzeptieren. Denn echte Hilfe beginnt dort, wo man aufhört, sich selbst dafür zu feiern.

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