Das Diskursproblem als Komfortzone

Es gibt Momente, in denen das Wort „Diskursproblem“ wie ein Sofa wirkt: weich, breit, einladend, ideal zum Hineinsinken, wenn die Wirklichkeit stachelig wird. Luisa Neubauer hat dieses Möbelstück jüngst im Funke-Podcast neu bezogen, und zwar mit dem Stoff der eigenen Befindlichkeit. Nicht der 7. Oktober 2023, nicht die Massaker, nicht der eruptive Judenhass, der seitdem wieder aus Kellern und Kommentarspalten quillt, stehen im Zentrum ihrer Erzählung, sondern das Gefühl, missverstanden, unter Druck gesetzt, ja fast: bedrängt worden zu sein. Man könnte sagen, das ist die hohe Kunst der Perspektivverschiebung, eine Art rhetorisches Feng-Shui: Man rückt die schweren Dinge an den Rand und stellt die Zimmerpflanze der eigenen Panikattacke ins Licht. Dass das Ganze als „kritische Selbstreflexion“ verkauft wird, gehört zum Handwerk; dass es dabei unerquicklich riecht, ist der Preis des Handwerks.

Empathie nach Bedarf, Moral im Baukastensystem

Neubauers Bedauern darüber, Fridays for Future habe „nicht nachdrücklich genug“ Repressionen gegen Palästina-Aktivisten verurteilt, ist ein bemerkenswerter Satz. Er ist bemerkenswert, weil er ohne Subjekt auskommt – wer repressiert hier eigentlich wen? – und ohne Objekt – was genau ist geschehen? –, aber mit einer klaren Stoßrichtung: Die Opfer sind jene, die sich „für Menschenrechte in Palästina und Gaza“ eingesetzt haben. Das ist ein schöner, warmer Satz, wie ein Wollschal, der allerdings die Tatsache verdeckt, dass in diesem Land Demonstrationen stattfanden, auf denen „From the river to the sea“ skandiert wurde, als handle es sich um einen Wellness-Slogan. Empathie, so scheint es, ist bei Neubauer keine Kategorie der Zumutung, sondern der Auswahl. Man verteilt sie wie Solarpaneele: bevorzugt dort, wo sie gut ins eigene Energiekonzept passt.

Die internationale Familie und der deutsche Sonderweg

Der Hinweis auf die internationale Mutterorganisation von Fridays for Future, die sich früh auf die Seite der Palästinenser schlug und dabei antisemitische Entgleisungen billigend in Kauf nahm, wirkt wie eine Entlastungsstrategie mit eingebauter Notausgangstür. Der deutsche Ableger habe sich ja distanziert, sagt man, und Luisa Neubauer sagt es mit der Ernsthaftigkeit einer Schülerin, die darauf hinweist, dass sie zwar im falschen Bus saß, aber rechtzeitig ausgestiegen sei. Das Problem an dieser Erzählung ist nicht ihre faktische Fragwürdigkeit, sondern ihre moralische Bequemlichkeit. Wer eine globale Bewegung repräsentiert, kann sich nicht in nationale Unschuld flüchten, wenn es international brennt. Global denken, lokal entschuldigen – das war einmal ein Werbeslogan, kein ethisches Prinzip.

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Greta, die Reflektierte, und der Umgang, der nicht zu rechtfertigen ist

Die Verteidigung Greta Thunbergs gehört zum Ritual. Greta sei „sehr reflektiert“, sagt Neubauer, und man nickt höflich, denn Reflexion ist in diesen Kreisen eine Tugend wie früher die Keuschheit. Dass Thunberg sich nicht nachdrücklich zum 7. Oktober geäußert habe, wird eingeräumt, aber sofort relativiert: Der Umgang mit ihr sei „unter keinen Gesichtspunkten zu rechtfertigen“. Unter keinen. Das ist ein großer Satz, ein Satz mit der Wucht einer Bannbulle, der allerdings erneut die Blickrichtung verschiebt: vom Inhalt zur Form, vom Gesagten zum Umgang damit. Wer so argumentiert, verteidigt nicht die Sache, sondern den Status. Die Ikone darf nicht fallen, also muss der Kontext weichen.

Das historische Ding, oder: Wie man den Holocaust in Klammern setzt

Am unerquicklichsten wird es dort, wo Neubauer Verständnis für internationale Aktivisten äußert, die Deutschland mit einem „Heult leise“ bedenken, weil hierzulande von einem „Diskursproblem“ die Rede sei – Staatsräson, „noch das historische Ding“. Dieses „historische Ding“ ist kein Ding. Es ist der industrielle Massenmord an sechs Millionen Juden. Es ist der Grund, warum dieses Land eine besondere Verantwortung trägt, nicht als folkloristische Bürde, sondern als ethische Verpflichtung. Wer den Holocaust in der Umgangssprache zum „Ding“ verkleinert, macht ihn handhabbar, abheftbar, relativierbar. Das ist kein Ausrutscher, sondern eine Haltung: Geschichte als lästiges Möbelstück, über das man im Eifer der Gegenwart stolpert.

Panikattacken als politisches Argument

Natürlich ist es ernst zu nehmen, wenn jemand von einer Panikattacke berichtet. Psychische Belastungen sind real, und öffentlicher Druck kann krank machen. Aber wenn die eigene Panik zum narrativen Höhepunkt einer Erzählung wird, die von einem beispiellosen antisemitischen Terrorakt handelt, dann stimmt die Gewichtung nicht mehr. Dann wird das Private zum Maßstab des Politischen, und das Politische zur Kulisse des Privaten. Bundespolitiker hätten in ihr Telefon „reingebrüllt“, sagt Neubauer, ohne Namen zu nennen. Das Bild ist stark, fast filmisch, aber auch bequem: Es immunisiert gegen Nachfragen. Wer brüllt, hat Unrecht; wer leidet, hat Recht.

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Satirisches Fazit: Die Klimaerwärmung der Moral

Luisa Neubauer steht exemplarisch für eine Generation politischer Akteure, die moralische Dringlichkeit mit moralischer Eindeutigkeit verwechselt. Das „Diskursproblem“ ist dabei kein analytischer Begriff, sondern ein Rettungsring. Man wirft ihn sich selbst zu, wenn die Wellen der Wirklichkeit zu hoch schlagen. Satirisch betrachtet könnte man sagen: Die Moral hat sich erwärmt, sie ist flüssig geworden, sie passt sich jeder Form an. Ernst betrachtet bleibt die Frage, ob eine Bewegung, die die Welt retten will, es sich leisten kann, beim Thema Antisemitismus so erstaunlich selektiv zu sein. Denn während man über Diskurse spricht, zählen andere noch immer die Toten. Und das ist kein „historisches Ding“, sondern eine Gegenwart, die mehr verlangt als augenzwinkernden Zynismus.

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