DANKE, GENOSSE ANDI!

Kickl wird’s freuen.

Es gibt Momente in der politischen Choreographie, da kann man nur ehrfürchtig den Hut ziehen. Wenn die große Symphonie des Neoliberalismus mit chirurgischer Präzision genau jene Töne trifft, die in den Ohren der Besitzlosen wie blanker Hohn klingen, dann bedarf es keiner weiteren Kritik mehr – die Farce steht für sich. Also: Danke, Genosse Andi! Die soziale Frage ist gelöst, und zwar mit der feinen Spitzhacke einer bürgerlichen Elitenverwaltung, die es vorzieht, die Armen diskret unter der Armutsgrenze zu versenken, anstatt sie mit unschicklicher Gleichheit zu belästigen.

Der Chef des WIFO, Gabriel Felbermayr, seines Zeichens wissenschaftlicher Einflüsterer der politischen Mittelmäßigkeit, hat sich nun also bemüßigt gefühlt, in seiner Rolle als intellektuelle Rückendeckung der österreichischen Version von Sozialabbau mit humanitärem Antlitz das Offensichtliche zu bestätigen: Die Schwachen trifft es härter. Die Armen sind ärmer, die Reichen reicher – who would have thought? Was in der Kabarettkunst als Plattitüde gelten würde, ist im akademisch-technokratischen Politiksprech offenbar eine bahnbrechende Erkenntnis. Möge man ihm einen Nobelpreis für angewandte Banalisierung verleihen!

Wenn das System Armut produziert – und die Ampel sie verwaltet

Die herrschende Ideologie der Gegenwart, jener liberale Marktfetischismus mit sozialdemokratischer PR-Maske, versteht sich nämlich blendend darauf, die Ungleichheit nicht zu beseitigen, sondern bloß so zu moderieren, dass sie hübsch aussieht. Es ist die hohe Kunst der rot-grün-gelben Tranquilizer-Politik: Man gibt ein paar Brosamen ab, schmiert ein wenig Almosenbutter auf die trockene Brotkruste, verteilt ein paar Heizkostenzuschüsse an die chronisch Unterkühlten – und nennt das Ganze dann „sozial ausgewogen“. Dass währenddessen die Immobilienhaie weiter ihre Zähne im weichen Fleisch der Wohnungsnot versenken, die Energiekonzerne ihre Profitexzesse unter dem Deckmantel der Klimawende feiern und die Superreichen ihre Depots mit jenen Hilfspaketen füllen, die für die Unterschicht gedacht waren – geschenkt.

Felbermayrs Beitrag zur Debatte gleicht einem meteorologischen Bericht aus der Hölle: Es wird wärmer, besonders für jene, die kein Dach über dem Kopf haben. Dass die unteren Einkommensschichten „weniger Möglichkeiten haben, es sich zu richten“, ist eine so unfassbare Untertreibung, dass man fast ein Denkmal für diese Form der Sprachvermeidung errichten möchte. Tatsächlich haben die Betroffenen keinerlei Möglichkeiten, sich irgendetwas zu richten – außer vielleicht das Haltbarkeitsdatum von abgelaufenen Lebensmitteln im Supermarktcontainer.

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Der neue Klassenkampf – von oben nach unten

Währenddessen müht sich die Ampelkoalition redlich, den längst entschiedenen Klassenkampf von oben nach unten in ein philanthropisches Missverständnis umzudekorieren. Man verteilt die Armut mit der gleichen Gerechtigkeit, mit der ein Altwarenhändler den Sperrmüll auf dem Gehsteig verteilt: Jeder darf sich bedienen, aber nur, wenn er es sich leisten kann, früh genug dort zu sein. Die eigentliche Pointe ist, dass der moralische Kredit für diese Art der Gnadenverwaltung trotzdem bei den Grünen und Sozialdemokraten verbucht wird – während die FPÖ in aller Ruhe das Unzufriedenheitskapital verzinst.

Das größte Kunststück in diesem ganzen Spektakel besteht allerdings darin, die soziale Kälte als natürliche Begleiterscheinung des Klimawandels zu verkaufen. Während die Welt draußen überhitzt, frieren die Menschen in ihren Wohnungen – das ist jene Form von Ironie, die in der Literatur als geniale Groteske durchgehen würde, in der Politik aber schlicht als Sachzwang firmiert. Wer da noch von Verschwörungstheorien redet, hat den wahren Geist der Epoche nicht verstanden.

Solidarität als Standortnachteil

Die heilige Dreifaltigkeit der zeitgenössischen Wirtschaftspolitik lautet: Wettbewerbsfähigkeit, Standortattraktivität und Marktanpassung. Übersetzt bedeutet das: Solidarität ist ein Standortnachteil, Armut eine marktgerechte Verhaltensanpassung und soziale Gerechtigkeit eine sentimentale Marotte aus einer längst vergangenen Ära. Der Kapitalismus unserer Tage gibt sich nicht einmal mehr die Mühe, seine hässliche Fratze hinter dem sozialen Puder des Wohlfahrtsstaats zu verstecken – stattdessen wird das nackte Elend mit bürokratischer Kälte verwaltet.

Dass sich Kickl darüber freut, ist nicht etwa ein bedauerlicher Kollateralschaden – es ist Teil des Plans. Die Mitte entkernt sich selbst, die Linke vertagt ihre Revolution auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, und die Rechten übernehmen den Rest. Man nennt das in der politischen Betriebsanleitung wohl „alternativlose Realpolitik“.

Danke, Genosse Andi!

Danke dafür, dass du in der großen Tradition der Sozialdemokratie die soziale Frage gleich selbst mitbeerdigst, bevor sich irgendjemand daran erinnert, dass es auch anders ginge. Danke, dass du den neoliberalen Klassenkampf so geschmeidig moderierst, dass die Betroffenen gar nicht merken, wer ihnen gerade die letzte Hoffnung abräumt. Danke, dass du dem autoritären Populismus schon mal die rote Teppichbrücke über den sozialen Abgrund baust.

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Kickl wird’s freuen – und er muss nicht einmal etwas dafür tun. Er braucht nur zu warten, bis der Markt die Armen erzogen hat.

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