Es ist ein wunderbarer Widerspruch, ein Paradoxon, das so elegant wie absurd daherkommt: Im Namen des Klimaschutzes werden tausende Hektar Regenwald für eine 13 Kilometer lange, vierspurige Autobahn zersägt, asphaltiert, betoniert und anschließend mit dem Pathos einer globalen Rettungsmission feierlich eröffnet. Die „Avenida Liberdade“ – welch herrlich ironischer Name! – Freiheit wofür? Für Autos, Abgase und diplomatische Karawanen, die sich in kugelsicheren SUVs der globalen Verantwortung entgegenstauen? Der Amazonas, die grüne Lunge der Erde, wird zur Operationsfläche für das schönste aller politischen Theaterstücke: das Gipfeltreffen der Weltverbesserer, die mit Jetlag und erhobenem Zeigefinger die Welt retten wollen, während hinter ihnen der Bagger arbeitet.
Die Freiheit, die hier gemeint ist, ist nicht die Freiheit des Tukan, des Jaguar oder der indigenen Sammlerin, sondern die Freiheit des Verkehrsflusses, die Freiheit der Effizienz, die Freiheit, einen Klimagipfel so reibungslos wie möglich abzuwickeln – egal, ob der Asphalt über den letzten Wurzeln jener Bäume liegt, die CO₂ speichern sollten, um die Katastrophe zu mildern, die man gerade bespricht. Man könnte meinen, es handle sich um eine groteske Performancekunst, wenn sie nicht so entsetzlich real wäre.
Der Klimagipfel als sakrales Spektakel
Man darf sich das nicht als gewöhnliche Konferenz vorstellen – nein, COP30 ist ein Pilgerfest der Tugend. Es ist die Wallfahrt der Weltretter, ein jährliches, wanderndes Hochamt, das von Land zu Land zieht, um dort für ein paar Tage moralische Reinheit zu zelebrieren. Man spricht über Nachhaltigkeit, während Buffetreste in Containern landen; man hält Reden über Ressourcenschonung, während Klimaanlagen im Pressezentrum gegen tropische Luftfeuchtigkeit kämpfen.
Belém, diese Stadt am Rande des Amazonas, wurde auserkoren, um die Symbolik perfekt zu inszenieren: der Regenwald als Bühnenbild, die bedrohte Natur als lebendige Kulisse, das Opfer, das den Predigern der Nachhaltigkeit den Pathos verleiht. Dass man dafür ein paar zehntausend Hektar „geschützten“ Regenwald roden musste, wird im offiziellen Programmheft sicher als „notwendige infrastrukturelle Maßnahme“ firmieren – ein Ausdruck, der ungefähr so beruhigend klingt wie „chirurgischer Eingriff“ bei einer Amputation ohne Betäubung.
Die Ökonomie der Heuchelei
Doch es wäre falsch, nur moralisch zu klagen. Man muss die ökonomische Logik würdigen! Schließlich belebt jede Baustelle die Wirtschaft, schafft Arbeitsplätze, bringt Aufträge, lässt Betonmischer brummen und Statistiken glänzen. Was ist schon ein paar tausend Jahre alter Baum im Vergleich zu einem Jahr soliden Wirtschaftswachstums? Und wer will schon die Party verderben, wenn 50.000 Delegierte mit ihren CO₂-Fußabdrücken von der Größe eines Elefanten zum nächsten Klimaversprechen eilen?
Claudio Verequete, der Mann, der einst Açaí-Beeren sammelte, ist nur eine kleine Randnotiz in dieser großen Erzählung. Sein Einkommen – eine Nebensache. Sein Land – ein Kollateralschaden der Geschichte. Man nennt das Fortschritt, und Fortschritt ist unaufhaltsam, auch wenn er über Menschen hinwegrollt. Vielleicht wird er ja eines Tages auf der Avenida Liberdade spazieren gehen, an deren Rand nun kein Baum mehr steht, und dort ein Schild sehen: „Hier begann die nachhaltige Zukunft“.
Wissenschaftliche Warnungen als Hintergrundrauschen
Natürlich gibt es warnende Stimmen. Silvia Sardinha, Veterinärin an der Federal Rural da Amazônia, erklärt, dass Tiere nicht mehr wandern können, Lebensräume zerstört werden, Populationen schrumpfen. Aber wer hört schon auf Biologen, wenn Politiker Mikrofone haben? Der Satz „Wir verlieren natürlichen Lebensraum“ klingt gut in einem wissenschaftlichen Paper, aber schlecht in einer Pressekonferenz mit Buffet. Und so rauscht die Wissenschaft im Hintergrund wie ein tropischer Regen, den man drinnen kaum wahrnimmt.
Vielleicht wird man in ein paar Jahren feststellen, dass die fragmentierten Ökosysteme tatsächlich irreparabel geschädigt sind. Dann wird man eine Studie in Auftrag geben, eine Kommission bilden, einen Fonds einrichten, einen Bericht veröffentlichen und – das versteht sich – eine weitere Konferenz abhalten, um „Lehren daraus zu ziehen“. Denn so funktioniert globale Verantwortung: zyklisch, bürokratisch, feierlich ineffektiv.
Die neue Ethik des Asphaltgrüns
Der moderne Mensch liebt Paradoxien, solange sie bequem sind. Wir sprechen vom Schutz des Amazonas, indem wir ihn zubetonieren, feiern Nachhaltigkeit in klimatisierten Räumen, und diskutieren Emissionsreduktionen auf Rollfeldern voller Privatjets. Der Glaube an den technischen Fortschritt hat die Religion der Natur ersetzt, aber die Liturgie blieb dieselbe: Man bekennt sich, man sühnt, man sündigt erneut.
Die „Avenida Liberdade“ ist in diesem Sinne ein Monument unserer Zeit – ein Mahnmal der gutgemeinten Zerstörung, ein Tempel des praktischen Idealismus. Sie zeigt, dass wir alles zugleich wollen: den Wald und den Weg, das Klima und den Komfort, das Gewissen und die Bequemlichkeit. Es ist, als würde man Vegetarier werden, um dann Tofu im Plastikmantel zu kaufen, importiert aus Übersee.
Epilog eines Absurden
Vielleicht wird man in ferner Zukunft über diese Episode lachen, so wie wir heute über mittelalterliche Ärzte schmunzeln, die Blutegel als Heilmittel für alles verschrieben. Vielleicht wird ein Historiker schreiben: „Im 21. Jahrhundert glaubte man, man könne die Erde retten, indem man sie zerstörte – aber wenigstens hatte man dabei gute Absichten.“
Und irgendwo, zwischen zwei verbliebenen Baumstümpfen am Rand der Avenida Liberdade, wird ein Vogel singen, dessen Art kurz vor dem Verschwinden steht. Sein Ruf wird klingen wie Spott, aber auch wie Erinnerung: dass Freiheit, ohne Maß und ohne Demut, nichts anderes ist als das schönste Wort für Zerstörung.