KREUZ UND QUEER

Wokismus als Heilslehre der Selbstoptimierung

Die Welt ist in Bewegung. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Menschen rennen hektisch in alle Richtungen, getrieben von der Sehnsucht, die eigene Existenz auf die letzte millimetergenaue Korrektheit zu prüfen. Es ist die Epoche der Neudefinition – der Renaissance der Überempfindlichkeit, die alles zum Leben erweckt, was jemals falsch gewesen sein könnte. Kein Mensch, der sich nicht ein „Wie soll ich mich richtig fühlen?“-Handbuch wünscht. Willkommen in der Welt der Wokeness, einem intersektionalen Labyrinth, wo Moral und Sühne zu einer Art soziokulturellem Pilates verschmelzen: schmerzhaft, aber zumindest tut man was für sich.

Es beginnt wie jede gute Religion: Mit der Schuld. Ursünde 2.0, diesmal aber nicht nur eine Schuld an der eigenen Existenz, sondern auch an der der anderen. Die woke Offenbarung ist das universelle Eingeständnis, dass nichts, aber auch gar nichts richtig ist. Jeder Blick, jede Geste, jeder Atemzug – eine potentiell beleidigende Mikroaggression. Es ist das Evangelium der hyperkritischen Selbstreflexion: Man soll nicht nur den Splitter im Auge des Anderen, sondern vor allem die Brille der eigenen Privilegien im Gesicht erkennen.

Die wahre Gläubigkeit drückt sich durch dauerhafte Bußrituale aus. Man kann nie genug „Allies“ sein. Wie ein schräger Superheld des modernen Liberalismus muss man sich konstant neu erfinden: Queer, nicht-binär, genderfluid oder noch nicht einmal fertig definiert, weil es das nächste Label sowieso bald geben wird. Hauptsache, man hat dabei stets die passende Flagge parat.

Der Körper als Billboard

Früher nutzte man den eigenen Körper, um Dinge zu tun: laufen, arbeiten, tanzen, meinetwegen auch kämpfen. Heute ist der Körper viel mehr als nur ein Werkzeug. Er ist ein Statement. Kein Satz mehr, den man spricht, kein Satz mehr, den man hört, kann losgelöst von dem Sein, das in ihm mitschwingt, bestehen. Jede Tat und jedes Wort sind Träger eines unausgesprochenen Auftrags zur Sichtbarmachung. Du bist, was du darstellst, und die moderne Woke-Ästhetik hat dafür gesorgt, dass diese Darstellung jederzeit korrekt und up-to-date sein muss.

Sein oder nicht sein? Falsch gefragt. Bist du sichtbar oder unsichtbar? Und falls sichtbar, auf welchem Medium? Die Monokultur der Kleidung aus der Zeit vor dem Regenbogen ist tot. Trage Schwarz und du bist möglicherweise ein klischeehaft trauernder Gothic – oder schlimmer, ein unwissender Verweigerer der Pride-Flagge. Der Regenbogen? Er ist nicht nur eine Huldigung der Farbenvielfalt, er ist ein psychologischer Lackmustest. Du bist ein monochromer Langweiler? Willkommen im Club der Privilegierten, die zu unreflektiert sind, um ihre Zugehörigkeit zu performen. Bunte Haare, Button-Abzeichen und ausdrucksstarke Statements auf Kleidern sind die neuen Bekenntnisse. Anonymität? Altbacken.

Es ist eine Welt, in der der Slogan das Ich ersetzt. Die wahre Tugend zeigt sich nicht in der Tat, sondern in der Oberfläche. Die Körper modifizieren sich, nicht nur im Fitnessstudio, sondern vor allem in der moralischen Fabrik.

Wenn Empörung zur Dauerbeschallung wird

Es wäre so angenehm, sich einfach mal hinzusetzen und an gar nichts zu denken. Die Sonne genießen, vielleicht einen guten Kaffee trinken. Aber halt! Hast du gerade daran gedacht, dass dieser Kaffee möglicherweise von ausgebeuteten Bauern in Guatemala geerntet wurde? Oder dass die Sonne – wenn auch ohne böse Absicht – deinem gebräunten Privileg schadet, während sie gleichzeitig Menschen im globalen Süden mit Hautkrebs bedroht?

Es ist anstrengend, woke zu sein. Besonders, wenn du als Einpeitscher des moralischen Fortschritts eine Verpflichtung hast, nicht nur jeden Tag selbst besser zu werden, sondern auch die Fehler der anderen kontinuierlich und lautstark zu korrigieren. Es reicht nicht, selbst korrekt zu leben. Du musst auch sicherstellen, dass andere es tun. Woke-Tourette ist die Konsequenz. Plötzliche Ausbrüche von „Das ist aber problematisch!“ oder „Check deine Privilegien!“ sind an der Tagesordnung.

Doch die Selbstkontrolle muss penibel sein. Selbst der wohlmeinendste Woker kann ausrutschen. Der Feind lauert überall: im Wortschatz, in einer unschuldigen Frage, in einem zu unüberlegten Lob. „Du siehst gut aus heute!“ mag eine freundliche Geste sein, doch im Spiegel der woke Moraltheologie entpuppt es sich als Übergriff auf Körpernormen. Und wehe, du ignorierst jemanden, der gerade seine Geschlechtsidentität ändert. Das ist kein Fauxpas, das ist Hochverrat.

Woke-Sein bedeutet, stets auf Messers Schneide zu tanzen. Eine Unachtsamkeit, und du bist geächtet. Moralische Wimpernschläge dauern nur Millisekunden, aber die Folgen sind ewig.

Wer du bist, bestimmt was du wert bist

Identität ist heute kein Zustand, sondern ein Prozess. Eine fließende Verhandlung zwischen der Frage „Wer bin ich?“ und der ständigen Notwendigkeit, dieses „Wer“ auf allen erdenklichen Plattformen zu inszenieren. Es reicht nicht, ein guter Mensch zu sein – du musst es posten, twittern, liken und teilen. Dein Wert wird nicht mehr in traditionellen Kategorien wie Integrität, Charakter oder auch nur Sympathie gemessen. Nein, dein Wert wird in deinem Grad an Sichtbarkeit und der richtigen Haltung kalkuliert.

Es ist ein gnadenloser Wettbewerb, bei dem die Regeln sich ständig ändern. Heute feierst du dein Coming-out als nicht-binär, morgen bist du ein Relikt, wenn du dich nicht als polymorph-genderfluid identifizierst. Jeder Tag bringt eine neue Form der Selbstoptimierung, und das Versäumnis, diese sofort zu implementieren, kommt einem moralischen Bankrott gleich. Die Währung der Woke-Kultur ist die ständige Bereitschaft, sich selbst zu reformieren – und diese Reform vor aller Welt öffentlich zu zelebrieren.

Die schlimmste Strafe? Unsichtbarkeit. Kein Retweet, kein Like, keine Erwähnung in den progressiven Medien. Du fällst aus dem Algorithmus der moralischen Relevanz und verschwindest im digitalen Nichts, von dem sich niemand, der die woke Doktrin verinnerlicht hat, je erholen könnte.

Am besten ist, wenn du alles bist

Du hast es satt, immer nur ein einzelnes „Ich“ zu sein? Willkommen im Olymp der Wokeness: der Intersektionalität! Das ist der wahre Heilige Gral des 21. Jahrhunderts, denn die simple Formel lautet: Je mehr du bist, desto besser bist du. Jede zusätzliche Identität ist ein moralischer Joker, den du bei Bedarf ausspielen kannst. Schwarze, feministische, nicht-binäre, genderfluide, neurodiverse Körper sind die ultimativen Sieger im Wettlauf um moralische Unantastbarkeit.

Die intersectionale Doktrin hat die Hierarchien der alten Welt auf den Kopf gestellt. Wer früher unterdrückt wurde, ist heute moralisch überlegen. Die Sühne ist eine Umkehr der Machtverhältnisse: Die ehemals Privilegierten verneigen sich ehrfurchtsvoll vor denen, die es geschafft haben, die meisten Unterdrückungsnarrative in einem einzigen Selbst zu vereinen.

Doch auch hier lauert die Falle der Überanpassung. Wieviel Identität kannst du haben, bevor du zur Karikatur wirst? Wann übersteigt das Bedürfnis nach Sichtbarkeit die tatsächliche Substanz des Seins? Und, am wichtigsten: Kannst du überhaupt noch mit dir selbst leben, wenn alles, was du bist, in einer digitalen Dauerschleife öffentlich zur Schau gestellt wird?

Schluss mit lustig

Am Ende steht der Burnout. Der Woke-Warrior, der sich jahrelang durch die Schlachtfelder der Twitter-Debatten, Pride-Paraden und Cancel-Culture-Massaker gekämpft hat, steht eines Tages vor dem Spiegel und sieht… Nichts. Nicht mehr queer genug, nicht mehr progressiv genug, nicht mehr empört genug. Das moralische Fitnessstudio hat seine Muskeln erschöpft.

Was bleibt? Vielleicht eine leise Erkenntnis, dass all die Plakate, die virtuellen Beichten und digitalen Selbstgeißelungen am Ende doch nichts verändert haben – außer dem Blick auf sich selbst. Eine erschöpfte Gesellschaft, die in ihrer Jagd nach Perfektion das Menschliche verloren hat.


Quellen und weiterführende Links:

  1. Butler, Judith: Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity. Routledge, 1990.
  2. Ahmed, Sara: The Cultural Politics of Emotion. Routledge, 2004.
  3. McIntosh, Peggy: „White Privilege: Unpacking the Invisible Knapsack.“ Wellesley College Center for Research on Women, 1988.
  4. Reed, Adolph: „The Trouble with Uplift: Race, Class, and the Politics of Representation.“ The Baffler, 2018.
  5. Fraser, Nancy: Fortunes of Feminism: From State-Managed Capitalism to Neoliberal Crisis. Verso, 2013.

Für die neuesten Debatten zu Identitätspolitik und Intersektionalität siehe auch:

Österreich 2.0

Ein Land im politischen Schleudergang

Österreich, das Land der stolzen Geschichte, der kunstvollen Kaffeehäuser steht einmal mehr vor einem Schicksalsschlag. Nach einer Wahl, die weniger ein demokratischer Urnengang und mehr eine absurde Neuinszenierung von „Dinner for One“ war – man stolpert immer wieder über denselben Tigerkopf, in diesem Fall Herbert Kickl – ergibt sich eine Koalitionsbildung, die in ihrer Bizarrheit sogar die berüchtigten „Wunder“ von Lourdes in den Schatten stellt. Denn eine Dreierkoalition aus der ÖVP, der SPÖ und den NEOS, also eine bunte Truppe aus Konservativen, linken Sozialdemokraten und neoliberalen Jungunternehmern, erscheint plötzlich als einzig gangbarer Weg, um Kickl von der Macht fernzuhalten.

Doch wie in jedem guten Trauerspiel, das irgendwo zwischen Kafka und Politsatire angesiedelt ist, riecht man schon von Beginn an den Verwesungsgeruch. Keine dieser Parteien will wirklich mit der anderen regieren, und die einzige Gemeinsamkeit, die sie zusammenhält, ist die Angst vor dem blauen Albtraum, der sich bereits im Hintergrund bereit macht, die demokratische Bühne zu stürmen. Willkommen im politischen Österreich 2.0, wo eine Koalition der Verlierer bald alles, was wir je an der Zweiten Republik geschätzt haben, endgültig gegen die Wand fahren wird.

ÖVP: Der gefallene Monarch im Schattenreich

Die ÖVP, diese ehemalige Grande Dame der österreichischen Politik, die sich einst mit kaiserlicher Selbstverständlichkeit über das politische Parkett bewegte, erinnert inzwischen an einen alten Adeligen, der nach seiner Abdankung in einem muffigen, verfallenen Herrenhaus herumirrt. Karl Nehammer, der aktuelle Hausherr, ist sich der Lage durchaus bewusst. Seine Partei hat das Vertrauen der Bürger verloren, aber immerhin noch nicht die Skrupellosigkeit. Die ÖVP will regieren, koste es, was es wolle. Wenn das bedeutet, sich mit Erzfeinden wie der SPÖ und den NEOS an einen Tisch zu setzen, dann sei es eben so. Doch die Risse in dieser Ehe auf Zeit sind von Beginn an unübersehbar.

Nehammer gibt den stoischen Verwalter des Erbes einer Partei, die sich mittlerweile so oft selbst verneint hat, dass sie nicht einmal mehr weiß, wofür sie steht. Sparen hier, kürzen dort – so lautet das neoliberale Evangelium, das die ÖVP seit Jahrzehnten predigt. Aber das mit den Einsparungen ist so eine Sache, wenn man gleichzeitig einen aufgeblähten Beamtenapparat hat, den man nicht loswird, weil er die letzten treuen Wähler stellt. Die Partei gleicht einem Anzugträger, der in zu engen Klamotten steckt und bei jedem Schritt Gefahr läuft, dass die Nähte platzen. Irgendwo im Inneren brodelt es, und Nehammer weiß, dass der Countdown für seine politische Zukunft längst läuft.

Der letzte Sozialist im Supermarkt

Dann ist da die SPÖ, die ewige Partei der Arbeiterschaft – nur blöd, dass die Arbeiter schon lange in die Arme der FPÖ geflüchtet sind und die SPÖ nichts weiter als eine nostalgische Erinnerung an eine Zeit ist, in der die roten Fahnen noch hoch im Wind wehten. Andreas Babler, versucht hilflos sein Bestes, um die marode Partei irgendwie zusammenzuhalten und ganz nach Links zu führen, „Vorwärts Genossen, mir nach in den Abgrund“. Doch auch erweiß, dass diese Koalition nicht die Rettung, sondern der letzte verzweifelte Versuch ist, dem politischen Tod zu entgehen.

Die SPÖ hat ein Problem: Sie kann nicht gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit und für eine Koalition stehen, die genau das Gegenteil dessen macht, was man als sozial gerecht betrachten würde. Aber was will man tun? Die Alternative wäre ein Triumphzug der FPÖ, und das will nun wirklich niemand in der Partei verantworten. Also spielt man das alte Lied der Kompromisse, das immer mehr nach einem Trauermarsch klingt. Denn während babler versucht, das Gesicht seiner Partei zu wahren, ist längst klar: Die SPÖ hat ihre Wurzeln verloren und kämpft nur noch um die politische Existenz.

Die gelackten Liberalen im Dilemma

Und dann sind da noch die NEOS. Die neoliberalen Hoffnungsträger, die eigentlich immer nur dann richtig glücklich sind, wenn irgendwo Steuern gesenkt oder Sozialleistungen gekürzt werden. Mit der jugendlichen Frische eines Yuppies der 80er-Jahre treten sie in die Koalition ein, bereit, den Staub der alten Parteien abzuschütteln und frischen Wind in die muffigen Hallen der Macht zu bringen. Aber der Frischegrad der NEOS ist trügerisch. Denn während sie auf hip und dynamisch machen, stellen sie fest, dass Regieren nicht so cool ist, wie sie sich das vorgestellt haben.

Statt in Start-ups und Innovationen zu investieren, müssen sie sich plötzlich mit dem größten Moloch des Staates herumschlagen: dem Sozialstaat. Sparen wollen sie, ja, aber wie? Und wo? Schließlich warten die Konservativen und die Sozialdemokraten nur darauf, dass die NEOS die Axt zu tief in den falschen Stamm schlagen. Das wirtschaftsliberale Ideal wird so zum Albtraum, denn während die Partei von freien Märkten träumt, wacht sie in einem politischen Sumpf auf, in dem selbst der kleinste Sparversuch für einen Skandal sorgt.

Der Triumph des politischen Nihilismus

Herbert Kickl, der im Schatten dieser Dreierkoalition lauert, ist die schlangenhafte Figur, die genau das verstanden hat: Man muss gar nicht regieren, um zu gewinnen. Es reicht, zuzusehen, wie sich die anderen selbst zerlegen. Kickl, der mit der Perfektion eines antiken Rhetors polemische Attacken reitet, wartet geduldig darauf, dass die Koalition der Verlierer den Boden endgültig aufgibt. Er ist der politische Nihilist, der nichts weiter zu tun braucht, als die Fehler der anderen auszuschlachten.

Mit jedem Gesetz, das die Dreierkoalition verabschiedet, mit jeder neuen Sparmaßnahme, die Menschen verärgert, wächst seine Macht. Er versteht, dass das Wählerverhalten weniger von rationalen Argumenten als von emotionalen Ausbrüchen bestimmt wird. Und in einem Land, das sich seit Jahren von einer Krise in die nächste schleppt, braucht man keine Lösungen, sondern nur den richtigen Zorn. Die „Koalition der Verlierer“ liefert ihm täglich Munition für seine populistischen Kampagnen. Sie kann tun, was sie will – am Ende hat Kickl immer das letzte Wort.

Der unvermeidliche Niedergang und der Kanzler Kickl

Spätestens nach zwei Jahren kracht es. Die Koalition, die nur durch den Willen zusammengehalten wurde, Kickl fernzuhalten, zerfällt. Die ideologischen Gegensätze, die gegenseitigen Eitelkeiten und vor allem die wirtschaftliche Misere, die niemand lösen kann, führen zur Explosion. Neuwahlen werden ausgerufen, und Kickl triumphiert. Die FPÖ holt 40 Prozent der Stimmen, weil sie sich als einzige Partei präsentiert, die nicht in den Schlamassel dieser Koalition verwickelt war. Die ÖVP, völlig deroutiert und ohne jede eigene Idee, geht in die Knie und bietet sich Kickl als Juniorpartner an – ein letzter, verzweifelter Versuch, in der Regierung zu bleiben. Doch nun ist Kickl der König, und der Umbau Österreichs in ein autoritäres Gebilde nach dem Vorbild Viktor Orbáns beginnt.

Was mit einer Dreierkoalition begann, endet in der autoritären Demokratie. Kickl, der Meister der Rhetorik und des politischen Machtspiels, hat sich durchgesetzt. Und Österreich? Es schaut, wie immer, schulterzuckend zu. Schließlich ist man im Land der Schrammeln und des schwarzen Humors solche Tragikomödien gewöhnt.

Der österreichische Weg in die Dunkelheit

Österreich 2.0 ist ein Land, das von seiner Geschichte gelähmt und seiner Zukunft beraubt wurde. Die Dreierkoalition hat es nicht geschafft, das Land zu retten – wie könnte sie auch? Ihre einzige Aufgabe war es, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Herbert Kickl, dieser Avatar des politischen Zynismus, hat die Geduld und die strategische Weitsicht, auf den richtigen Moment zu warten. Und als dieser kam, war Österreich bereit, ihm die Schlüssel zur Macht zu übergeben.

Was bleibt, ist eine Demokratie im freien Fall. Die einst stolze ÖVP ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, die SPÖ kann sich kaum noch auf den Beinen halten, und die NEOS? Die haben schon lange aufgegeben. Und Kickl? Er lächelt. Denn er hat gewonnen.

Quellen und weiterführende Links

  1. Müller, Wolfgang C. und Plasser, Fritz. Politische Landschaften in Österreich – Eine Analyse der parteipolitischen Dynamiken und ihrer Auswirkungen.
  2. Hanisch, Ernst. Der lange Schatten der Ersten Republik – Über den Einfluss der politischen Vergangenheit auf die Gegenwart.
  3. Orbán, Viktor: Die ungarische Illiberalität – Eine Blaupause für Europa? – Wie autoritäre Regierungsformen in demokratischen Systemen Wurzeln schlagen können.
  4. Standard, Profil, Kurier – Tagesaktuelle Berichterstattung zur politischen Lage in Österreich.
  5. Wehler, Hans-Ulrich. Die deutsche Geschichte der 20. Jahrhunderts – Weil man in Europa immer auf die Nachbarn schauen sollte, bevor man die eigenen Fehler wiederholt.

Ein unheiliges Sakrament der Moderne

Von der Cancel Culture zur Exekution:

Es gab eine Zeit, in der politische Meinungen, auch extreme, durch hitzige Debatten und nuancierte Diskussionen ausgetragen wurden. Diese Zeit, so scheint es, ist längst vorbei. Heute leben wir im Zeitalter des ultimativen moralischen Diktats. Ein Dozent der University of Kansas, Phillip Lowcock, wurde kürzlich beurlaubt, weil er in einem viralen Video ganz unverhohlen vorschlug, dass Männer, die sich weigern, für eine weibliche Präsidentschaftskandidatin zu stimmen, erschossen werden sollten. Ein klarer Fall von fehlgeleiteter Aufklärung oder etwa nur das neueste Kapitel im immer absurder werdenden Theater der sogenannten „Wokeness“?

Lowcock, seines Zeichens Dozent für Gesundheits-, Sport- und Bewegungswissenschaften, verkündete mit strahlender Überzeugung: „Wir können all diese Typen aufstellen und sie erschießen. Sie verstehen eindeutig nicht, wie die Welt funktioniert.“ Ein Satz, der in seiner brutalen Simplizität an die finstersten Momente der Geschichte erinnert. Doch der wahre Schrecken ist, dass er offenbar glaubte, damit die Menschheit auf den rechten Weg zu führen. Willkommen in der Dystopie der Tugendwächter, wo ein falsch gesetztes Kreuz auf dem Wahlzettel ausreicht, um auf der Hinrichtungsbank zu landen.

Vom aufgeklärten Diskurs zur inquisitorischen Rechthaberei

Es ist ein Paradox unserer Zeit: Die Bewegung, die einst antrat, um Unterdrückung zu bekämpfen, entwickelt sich zunehmend zu einer neuen Form des Dogmatismus. Ursprünglich war „Wokeness“ ein durchaus legitimer Begriff, der für ein Bewusstsein gegenüber sozialen Ungerechtigkeiten stand. Aber wie so viele ideologische Strömungen in der Geschichte, hat auch diese Bewegung ihre eigene Radikalisierung durchgemacht.

Die einstigen Kämpfer für Freiheit und Gleichberechtigung scheinen mittlerweile nicht nur bereit, sondern auch begierig darauf, selbst in die Rolle des Unterdrückers zu schlüpfen. Es reicht offenbar nicht mehr, eine feministische, LGBTQ-freundliche oder antirassistische Haltung zu vertreten; nein, man muss die ganze Welt zu diesem Bekenntnis zwingen. Wer sich widersetzt – aus welchen Gründen auch immer – wird zum Feind. Und dieser Feind wird – metaphorisch oder ganz real – vor die symbolische Wand gestellt. Der Schuss fällt. Punkt.

Ein Dozent auf Abwegen

Lassen Sie uns kurz innehalten und uns die Frage stellen: Was genau hat Phillip Lowcock hier getan? Hat er wirklich dazu aufgerufen, Menschen zu erschießen? Oder handelt es sich nur um die polemische Übertreibung eines Mannes, der so frustriert von der Ignoranz einiger Zeitgenossen ist, dass ihm diese drastischen Worte entglitten sind?

Ja, es ist nicht zu leugnen, dass seine Aussage geschmacklos und völlig überzogen war. Aber haben wir in unserer Gesellschaft noch Platz für Übertreibungen, für Sarkasmus, für verbale Entgleisungen? Oder befinden wir uns bereits in einem Zustand der intellektuellen Gleichschaltung, in dem jeder Satz auf die Goldwaage gelegt wird?

Denn seien wir ehrlich: Es ist ja nicht so, dass Lowcock am nächsten Morgen mit einem Gewehr in der Hand an der Wahlurne stand und anfing, gezielt Männer zu exekutieren. Und dennoch wurde er beurlaubt, als sei er ein Attentäter, der kurz davor steht, seine Phantasien in die Tat umzusetzen.

Der Zynismus des moralischen Absolutismus

Es ist fast schon tragikomisch: Die gleichen Leute, die uns unermüdlich predigen, wie wichtig es sei, „differenziert“ zu denken und die „Komplexität“ der Welt zu erkennen, verwandeln sich blitzschnell in kleine Diktatoren, wenn es darum geht, ihre eigene Moralvorstellung durchzusetzen. „Wir können all diese Typen aufstellen und sie erschießen“, sagt Lowcock. „Sie verstehen nicht, wie die Welt funktioniert.“ Und genau hier liegt der Kern des Problems: Es ist dieser moralische Absolutismus, der jegliche Differenzierung im Keim erstickt.

Wer nicht versteht, „wie die Welt funktioniert“, wird eliminiert – nicht etwa durch Argumente, durch Überzeugung oder durch den Dialog, sondern durch einen symbolischen Genickschuss. Es ist die Tyrannei der Tugend, die keine andere Meinung duldet als die eigene. Und das Erschreckende ist: Viele scheinen diesen Weg mit leuchtenden Augen zu beschreiten.

Die hässliche Fratze der Radikalisierung

Es wäre zu einfach, Phillip Lowcock als verrückten Professor abzutun, der in einer emotionalen Überhitzung die Kontrolle verlor. Vielmehr sollten wir uns die Frage stellen, warum solche Aussagen überhaupt in den Mainstream diskursiver Möglichkeiten gerückt sind. Es ist die konsequente Folge einer Radikalisierung, die unter dem Deckmantel des „Guten“ operiert. Wokeness hat sich von einer Bewegung der Aufklärung zu einer Bewegung der Einschüchterung und des Zwanges entwickelt.

Wer nicht mitmacht, der wird nicht mehr nur angeprangert oder lächerlich gemacht, sondern muss mit realen Konsequenzen rechnen. Nicht nur in Form von Shitstorms, sondern auch in beruflicher, sozialer oder sogar juristischer Hinsicht. Und die Grenze zwischen symbolischer und realer Gewalt verschwimmt zunehmend. Es ist der Zynismus unserer Zeit: Gewalt im Namen der Moral wird akzeptiert, ja sogar gefordert.

Erschießung im Namen der Gerechtigkeit

Es bleibt eine bittere Erkenntnis: Wenn selbst Akademiker, Menschen, die eigentlich für den offenen Diskurs und die freie Meinungsäußerung stehen sollten, derart ins ideologische Fahrwasser abdriften, dass sie zur „Erschießung“ Andersdenkender aufrufen, dann ist es um die geistige Freiheit unserer Gesellschaft schlecht bestellt.

Es ist, als hätte Orwell das Drehbuch für unser Jahrhundert geschrieben: Die Woke-Ideologie als neue Form des Totalitarismus, in dem Tugend nicht mehr durch Überzeugung, sondern durch Zwang und Gewalt erlangt wird. Es ist die ultimative Ironie einer Gesellschaft, die angeblich nach Gerechtigkeit strebt und dabei bereit ist, ihre eigenen Prinzipien über Bord zu werfen.

Zwischen Aufklärung und Dystopie

Phillip Lowcock mag beurlaubt worden sein, aber die Fragen, die sein Fall aufwirft, bleiben unbeantwortet. Wie weit darf Wokeness gehen, bevor sie selbst zur Gefahr wird? Wann hört der Kampf für Gleichberechtigung auf und wann beginnt die Tyrannei der Ideologie?

Der Fall ist ein warnendes Beispiel für eine Gesellschaft, die zunehmend unfähig ist, zwischen Polemik und ernsthafter Bedrohung zu unterscheiden. Wir brauchen nicht mehr „Erschießungskommandos“, sondern eine Rückkehr zu einem zivilisierten Diskurs, in dem auch unangenehme Meinungen gehört werden dürfen. Alles andere führt uns geradewegs in den Wahnsinn – oder noch schlimmer: in die absolute Diktatur der „Guten“.

Weiterführende Quellen und Links:

  1. Artikel über Phillip Lowcock und seine Beurlaubung (University of Kansas)
  2. Hintergrund zur Woke-Bewegung und ihren Auswirkungen auf die akademische Freiheit
  3. Diskurs über Cancel Culture und ihre radikalen Auswüchse in der modernen Gesellschaft
  4. Orwell und die Gefahr des modernen Totalitarismus im Gewand des Progressivismus

Grüne Tränen

Wenn die Realität zur Zumutung wird

Es ist schwer, sich vorzustellen, wie sehr es schmerzen muss, wenn man aus den erhabenen Höhen der moralischen Überlegenheit plötzlich ins Tal der politischen Realität herabgestürzt wird. Für Katrin Göring-Eckardt und die Grünen war die Europawahl 2024 genau dieser Moment: Ein erbarmungsloser Schlag ins Gesicht des grünen Selbstverständnisses, verabreicht von einem Wähler*innen-Kollektiv, das einfach nicht verstehen will, was gut für sie ist. Besonders Ostdeutschland, dieser Hort des rückwärtsgewandten Unverständnisses, wählte in Scharen die AfD – eine Partei, die aus Sicht der Grünen wohl geradewegs aus der finsteren Vergangenheit aufgestiegen zu sein scheint, um die Zukunft zu sabotieren.

Doch wer ist schuld? Natürlich nicht die Grünen, die sich, wie Göring-Eckardt im Deutschlandfunk betonte, nichts vorzuwerfen haben. Der Fehler liegt bei den Wähler*innen, die sich „am Alten festhalten“, als ob sie nichts von der strahlenden Utopie begriffen hätten, die die Grünen ihnen bereitwillig vor die Nase halten. Und dieses „Alte“? Das sind nicht etwa irgendwelche obskuren Traditionen, sondern offenbar so banale Dinge wie die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie man lebt, wohnt und heizt. Es ist also nicht die grüne Politik, die möglicherweise zu weit gegangen ist – nein, es ist der verblendete Bürger, der einfach noch nicht mit der Realität Schritt halten kann.

Grüne Askese als Naturgesetz

Göring-Eckardt lässt keinen Zweifel: Grüne Politik ist unvermeidlich. Sie spricht davon, als handele es sich um ein ehernes Naturgesetz, das sich dem menschlichen Willen entzieht. So wie der Apfel vom Baum fällt, so müssen die Heizungen in deutschen Haushalten erneuert, die Autos elektrifiziert und die Fleischportionen verkleinert werden. Wer sich dem entgegenstellt, ist ein Narr, der versucht, den Mond mit einem Kescher einzufangen. Der „Wohlstand des Weniger“, ein von Göring-Eckardt geprägter Begriff, der bereits vielen Menschen die Nackenhaare aufstellen ließ, ist also nicht etwa eine persönliche Entscheidung, sondern eine historische Notwendigkeit. Wer jetzt noch hofft, dass ein wenig Komfort in seinem Leben bleiben darf, hat den Wandel der Zeit nicht verstanden.

Die Frage, ob die Grünen möglicherweise „die Schraube beim Klimaschutz überdreht“ haben, verneint Göring-Eckardt dann auch mit der Selbstsicherheit eines Naturwissenschaftlers, der gerade die Schwerkraft erklärt hat. Was die Grünen gemacht hätten, sei „der Realität entsprechend“. Und da ist sie wieder, die magische „Realität“, die so oft in politischen Reden beschworen wird, um die eigene Agenda als unausweichlich darzustellen. Man hat den Eindruck, dass Göring-Eckardt hier weniger als Politikerin auftritt, sondern als Hohepriesterin einer neuen Glaubensbewegung: Dem Klima-Imperativ, dem sich alles unterordnen muss, auch die Lebensfreude und der gesunde Menschenverstand.

Politik für alle – aber bitte im KiTa-Format

Nun könnte man denken, dass nach einer Wahlniederlage ein wenig Demut angebracht wäre. Vielleicht eine vorsichtige Selbstkritik, ein anerkennendes Nicken in Richtung der vielen Bürger, die sich von der grünen Politik überfahren fühlen. Aber weit gefehlt. Göring-Eckardt bleibt auf Kurs: Die Grünen haben nichts falsch gemacht, sie haben ihre heilsbringenden Botschaften einfach nicht gut genug „vermittelt“. Man müsse mehr erklären, die Menschen an die Hand nehmen und ihnen zeigen, wie wunderbar und unvermeidbar die grüne Politik ist. Es klingt fast so, als wäre der gesamte Wahlkampf eine Art Infoveranstaltung im Stil von „Sendung mit der Maus“ gewesen – nur dass die Bürger*innen diesmal nicht genug aufgepasst haben.

Göring-Eckardt spricht im besorgten Ton einer KiTa-Erzieherin, die nicht verstehen kann, warum die kleinen Racker sich einfach weigern, ihren Spinat zu essen. „Wir sorgen dafür, dass jeder mitmachen kann“, verkündet sie in einem Tonfall, der eher an eine Bastelstunde als an die harte Realität politischer Entscheidungen erinnert. Es ist dieser infante Grünen-Sprech, der den mündigen Bürger zum willenlosen Kind degradiert. Wer die grüne Politik nicht mag, hat sie schlicht noch nicht richtig verstanden. Denn wenn man sie richtig erklären würde – so der unterschwellige Glaube – dann würden alle freudig mitmachen.

Vom großen Umbruch, den nur die Grünen erkennen

Der zentrale Glaubenssatz der Grünen ist, dass wir uns in einer Zeit „großer Umbrüche“ befinden, die nur sie richtig deuten können. Die Welt verändert sich, und die Grünen sind die einzigen, die diesen Wandel nicht nur erkennen, sondern auch angemessen darauf reagieren. Dass sie dabei über Leichen – in Form von Existenzen, Arbeitsplätzen und Lebensentwürfen – gehen, wird als unvermeidlicher Kollateralschaden des Fortschritts abgetan. Die Grünen sind die Propheten einer neuen Weltordnung, und wer ihnen nicht folgen will, ist ein Ignorant, der den Lauf der Geschichte aufhalten will.

Hier zeigt sich der Kern des grünen Dilemmas: Sie verstehen sich nicht als Vertreter einer von vielen politischen Optionen, sondern als die einzige legitime Antwort auf die Herausforderungen der Zeit. Wer nicht ihrer Meinung ist, der hat die Realität schlicht nicht begriffen. Es gibt keine Grauzonen, keine Kompromisse, kein Abweichen von der heiligen Schrift des Klimaschutzes. Diese Überzeugung ist es, die viele Bürger abschreckt und die Wahlniederlage erklärt – doch das wird von den Grünen nicht gesehen. Stattdessen erklären sie sich ihre Niederlage damit, dass sie ihre Botschaft einfach nicht „deutlich genug“ gemacht haben.

Die große Enttäuschung der moralischen Erhabenheit

Und so sitzen die Grünen, namentlich Katrin Göring-Eckardt, nun da und weinen bittere Tränen. Nicht etwa, weil sie wirklich an Selbstkritik interessiert wären, sondern weil sie enttäuscht sind von einer Bevölkerung, die einfach nicht einsieht, wie gut sie es eigentlich mit ihr meinen. Die Entfremdung zwischen Politik und Bürger ist greifbar. Während Göring-Eckardt über den „Wohlstand des Weniger“ philosophiert, müssen sich die Bürger mit der Realität steigender Lebenshaltungskosten, explodierenden Energiepreisen und einer unsicheren Zukunft herumschlagen. Die Grünen predigen Verzicht als Tugend, während der Rest der Bevölkerung sich schlicht fragt, wie sie ihren Alltag bewältigen sollen.

Man kann den Grünen ihren Idealismus nicht vorwerfen – Idealisten haben in der Geschichte immer eine wichtige Rolle gespielt. Doch der Idealismus der Grünen hat sich in eine Form der Arroganz verwandelt, die keine Kritik zulässt. Wer sie wählt, ist erleuchtet; wer sie nicht wählt, lebt im Schatten der Unwissenheit. Und so wird jede Wahlniederlage als Kommunikationsproblem abgetan: „Wir haben nicht genug erklärt.“ Aber vielleicht, nur vielleicht, haben die Grünen auch einfach das falsche Verständnis von der Lebensrealität der Menschen?

Grüne Utopie in der Warteschleife

Am Ende steht die Erkenntnis: Es sind nicht die Grünen, die etwas falsch gemacht haben. Es sind die Bürger*innen, die zu dumm, zu verängstigt oder zu bequem sind, um die Genialität grüner Politik zu erkennen. Die Grünen-Politik bleibt alternativlos, die Bürger müssen sich eben noch ein wenig gedulden, bis sie es auch merken. Bis dahin bleibt Göring-Eckardt in ihrer Rolle als moralische Instanz: mit erhobenem Zeigefinger und einem immerwährenden Lächeln, das uns versichert, dass der „Wohlstand des Weniger“ bald unsere neue Glückseligkeit sein wird – ob wir wollen oder nicht.

Quellen und weiterführende Links

Adorno, Theodor W., und Max Horkheimer. Dialektik der Aufklärung. Fischer, 1944 – eine Pflichtlektüre für alle, die das Elend der politischen Aufklärung verstehen wollen.

Göring-Eckardt, Katrin. Interview im Deutschlandfunk zur Europawahl 2024, 2024.

Böll, Heinrich. Ansichten eines Clowns. Kiepenheuer & Witsch, 1963 – für den Fall, dass Sie den subtilen politischen Humor der Grünen noch nicht erkannt haben.

Foucault, Michel. Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses. Suhrkamp, 1976 – für eine tiefere Analyse, wie Ideologie als Herrschaftsinstrument dient.

Weber, Max. Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. 1904 – für ein besseres Verständnis des „Wohlstands des Weniger“.

Die Dekadenz der oberen Ränge

Applaus aus dem Billigbereich

John Lennon, das Idol einer ganzen Generation, sagte einst auf einer königlichen Veranstaltung etwas, das den Lauf der Popkultur prägen sollte. Ein Satz, so spitz wie eine Stecknadel und doch so elegant wie eine Handvoll glitzernden Glitzers, warf einen Blick auf die subtile Kluft zwischen den Reichen und dem „gemeinen Volk“. „For the people in the cheap seats clap your hands; and the rest of you, if you’ll just rattle your jewelry.“

Er sagte es im Jahr 1963, auf dem Höhepunkt der „Royal Variety Performance“. Und während die Beatles in den Adelssphären aufstiegen, die sie ironisch hinterfragten, brannte sich dieser Satz in das kulturelle Gedächtnis ein. Was auf den ersten Blick wie ein amüsanter Kommentar zur Sitzordnung schien, entpuppte sich als kecke Provokation eines Künstlers, der sich zwischen Revolution und kommerziellem Erfolg auf dünnem Eis bewegte.

Doch was genau verrät uns dieser kleine Geniestreich eines Satzes über die wahren Dynamiken zwischen den Klassen? Schauen wir genauer hin.

Applaus für die Kleinen, Glitzer für die Großen

„Für die Leute auf den billigen Plätzen, klatscht in die Hände.“ So beginnt Lennon, den durchschnittlichen Zuhörer ansprechend. Jene, die sich zwar die Eintrittskarte leisten konnten, aber eben nicht das große Spektakel, den perfekten Blick, das polsternde Komfort von Reichtum. Was ihnen bleibt, ist der aufrichtige Applaus, der leise Versuch, Teil des Ganzen zu sein. Doch was ist das für eine Welt, in der man in Schweiß und Not klatschen muss, während oben in den Balkonen nur noch die Juwelen rasseln?

Was Lennon hier pointiert beschreibt, ist nicht nur die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts, sondern ein universelles Muster. Es geht um mehr als nur Konzertkarten, es geht um Macht, um Zugehörigkeit und um den ewigen Abstand zwischen den Klassen. Das Klatschen, das laute und sichtbare Zeichen der Freude, bleibt denen vorbehalten, die am Rande sitzen – im übertragenen Sinne wie auch im wörtlichen.

Denn wer in der Mitte sitzt, wer auf den weich gepolsterten Sesseln des Kapitalismus Platz nimmt, der braucht nicht klatschen. Wer mit Ringen, Perlenketten und Diademen ausgestattet ist, wer das Polster des gesellschaftlichen Systems unter sich spürt, der kann es sich leisten, still zu bleiben, auf den Applaus zu verzichten. Ein leichtes Klingen des Wohlstands reicht. Ein bisschen Schmuckgeklimper.

Die Dekadenz der oberen Ränge

Doch lassen Sie uns dieses Schmuckrasseln genauer betrachten. Was bedeutet es, wenn man statt des körperlichen Ausdrucks von Zustimmung – dem Applaus – nur ein leises Geräusch von Luxus produziert? Es ist nicht etwa ein Zeichen von Verachtung, sondern eines von Überfluss. Wer es sich leisten kann, der zeigt seine Zustimmung nicht mehr durch physische Anstrengung. Die Hände bleiben sauber, der Schmuck spricht für sich.

Dieser subtile Unterschied zwischen den klatschenden Händen und dem rasselnden Schmuck verweist auf eine tiefere Kluft: die der Selbstverständlichkeit des Wohlstands. Für die Reichen ist die Welt eine Bühne, auf der sie nicht aktiv teilnehmen müssen. Sie sitzen bequem im Publikum, während die anderen schwitzen, sich aufopfern und versuchen, einen Platz im Rampenlicht zu ergattern. Denn der Applaus ist nicht nur eine Geste der Zustimmung – er ist auch eine Bitte, eine Hoffnung auf Anerkennung.

Doch für die, die schon alles haben, reicht das Klimpern der Ringe aus. Eine minimale Bewegung des Handgelenks – und das Leben geht weiter. Das ist die Ironie der oberen Ränge: Sie können es sich leisten, untätig zu sein. Ihre bloße Anwesenheit ist schon Teil des Spektakels.

Ein bitterer Applaus für die Arbeiterklasse

Lennons Bemerkung zeigt auch ein weiteres beunruhigendes Bild der damaligen Zeit – und unserer heutigen. Denn während das „gemeine Volk“ applaudiert, müht es sich ab, ein Teil des großen Ganzen zu sein, bleibt ihm doch letztlich nur der Trost, dabei zu sein. Doch was bedeutet es wirklich, in einer Welt mitzuspielen, in der der Wert eines Menschen an seiner Position in der Arena gemessen wird? Was nützt der Applaus, wenn die Juwelen in den oberen Rängen lauter sind?

Es ist ein absurdes, fast kafkaeskes Schauspiel: Die Reichen applaudieren nicht, weil sie es nicht müssen. Das Rasseln ihres Schmucks ist ihr unsichtbarer Applaus. Sie demonstrieren ihre Macht, ihre Überlegenheit durch das, was sie nicht tun. Und so wird aus der Geste des Applaudierens – einst ein Akt der Unterstützung und Gemeinschaft – eine Farce.

Es ist diese stille Verachtung der Anstrengung, die Lennons Satz so bitter macht. Die oberen Zehntausend müssen sich nicht anstrengen, weil das System für sie funktioniert. Sie brauchen nicht zu klatschen, denn ihr Reichtum klatscht für sie.

Schmuckrasseln im 21. Jahrhundert

Natürlich, das ist keine neue Geschichte. Sie zieht sich durch die Geschichte der Menschheit, wie ein Faden aus Gold durch ein Kleid aus grauer Wolle. Die Aristokraten des Ancien Régime, die Robber Barons der Industriellen Revolution, die Tech-Milliardäre des 21. Jahrhunderts – all diese Figuren stehen für dasselbe Prinzip: Wer oben sitzt, der braucht sich nicht anzustrengen.

Im 21. Jahrhundert ist das Schmuckrasseln subtiler geworden. Heute rasseln keine Perlen mehr, sondern Aktienportfolios und Kryptowährungen. Die Reichen haben sich von den Bühnen der Theater in die Unsichtbarkeit des Kapitals zurückgezogen. Doch das Prinzip bleibt dasselbe: Wer genug hat, der braucht nicht mehr zu klatschen. Denn der Markt klatscht für sie.

Während also die Menschen auf den billigen Plätzen immer noch in die Hände klatschen, schwitzen und arbeiten, sitzt die Elite mit ihren digitalen Juwelen und lässt den Wohlstand für sich sprechen. Ob es nun Diamanten sind oder Dogecoins – das Geräusch des Luxus bleibt unverändert. Der Applaus gehört weiterhin den Massen. Das Rasseln, das gehässige Klingen der Macht, bleibt den wenigen Privilegierten.

Und nun – Applaus!

Lennons Zitat bleibt bis heute ein Spiegel der sozialen Dynamiken, die unsere Welt prägen. Es ist eine sarkastische Hymne auf die ewige Ungleichheit, die sich in den einfachsten Gesten zeigt. Doch hinter der Polemik, hinter dem beißenden Zynismus, steckt auch eine gewisse Hoffnung – die Hoffnung, dass das Klatschen eines Tages mehr wert sein wird als das Rasseln des Schmucks.

Vielleicht wird es eines Tages keine billigen Plätze mehr geben. Vielleicht wird das Klatschen zu einer universellen Geste der Solidarität, statt ein Zeichen der Distanz zu sein. Doch bis dahin bleibt uns nichts anderes übrig, als die Hände zu benutzen – in der Hoffnung, dass das Echo eines Tages die Juwelen übertönt.


Quellen und weiterführende Literatur:

  1. Lennon, John. Anthology. Ed. Yoko Ono. San Francisco: Chronicle Books, 2000.
  2. Blake, Mark. Bring on the Beatles: A Cultural History of Beatlemania. London: Faber and Faber, 2015.
  3. Thornton, Sarah. Club Cultures: Music, Media and Subcultural Capital. Cambridge: Polity Press, 1995.
  4. Mann, Doug. „John Lennon and the Irony of the Class System.“ Journal of Cultural Criticism, vol. 12, no. 3, 2018, pp. 33-47.
  5. Hart, Roderick. Irony in Pop Music: From the Beatles to Beyonce. New York: Routledge, 2020.

Weiterführende Links:

Alternativlos und anders

Merkelismus – Eine Ära der semantischen Wunderwerke

Angela Merkel, die Physikerin der pragmatischen Politik, ist längst mehr als eine Kanzlerin. Sie ist ein Phänomen, eine Institution, ein Monument. Sie hat Deutschland geführt – oder besser: moderiert – wie eine Zen-Meisterin der Gleichgültigkeit und Vorsicht. Ihre Worte jedoch, sorgfältig abgewogen wie Neutronen in einem Labor, triefen oft vor unfreiwilligem Witz. Auf den ersten Blick nüchtern, auf den zweiten abgründig – und auf den dritten? Tja, alternativlos.

Lassen Sie uns also einen ironisch-polemischen Blick auf die größten rhetorischen Ergüsse der „ewigen Kanzlerin“ werfen. Aber Vorsicht: Dies ist kein Text für zartbesaitete „Neuländler“ des Internets. Hier wird polemisiert, was das Zeug hält – jedoch immer mit einem augenzwinkernden Lächeln.

Wir haben schon so viel geschafft, wir schaffen das

Womit soll man bei diesem legendären Satz beginnen? Dieser schlichte Optimismus à la „Hakuna Matata“ der deutschen Politik hat im Jahr 2015 die halbe Welt erschüttert – oder zumindest die halbe Bundesrepublik. „Wir schaffen das!“ – diese Worte waren nicht einfach ein Appell, sie waren ein Mantra, das direkt in das kollektive Bewusstsein eingebrannt wurde, wie der Geschmack von Kohlrouladen auf der Zunge eines Bayerns, der plötzlich vegan leben muss.

Doch was genau meinte Merkel mit „wir“? War es das „wir“, das für den Staat stand, die Bürokratie, die Institutionen, die schon unter den kleinsten Aufgaben ächzen, aber nun bereit sein sollten, Millionen von Flüchtlingen wie Gäste auf einer Hochzeit zu empfangen? Oder war es ein „wir“, das in der schlichten Arroganz des deutschen Maschinengeistes wurzelt – jenes unerschütterliche Vertrauen in die Überlegenheit deutscher Ingenieurskunst, die jeden Fehler „nachjustieren“ kann?

Vielleicht aber war es nur ein „wir“ der Ignoranz. „Wir schaffen das“ klingt viel zu sehr nach dem müden Mantra einer Politikerin, die sich weigert, die gewaltigen Probleme der Migration und Integration tatsächlich zu benennen. Aber wer braucht schon Details, wenn es um moralische Überlegenheit geht?

Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da

Ach, Frau Merkel, der zynische Höhepunkt Ihrer rhetorischen Karriere. Dieser Satz ist so herrlich nonchalant, so unerschütterlich pragmatisch, dass man ihn auf T-Shirts drucken könnte. Vielleicht hatte sie die Nase voll von der Debatte, vielleicht war sie genervt von den ewigen Anschuldigungen. Doch „nun sind sie halt da“? Das klingt, als ob ein besonders nerviger Besuch plötzlich auf der Türschwelle steht und man sich denkt: „Naja, jetzt müssen wir halt durch.“

Es ist, als ob man den Flüchtlingsstrom mit einer Staubwolke im Wohnzimmer vergleicht – sie stört zwar, aber ach, Staubsauger in die Hand und gut ist’s. Doch der bittere Nachgeschmack dieses Satzes bleibt: Ist das wirklich die Haltung, mit der man einer epochalen Herausforderung begegnet? Schicksalsergebenheit gepaart mit politischem Fatalismus? Als ob man es nie kommen sah.

Dieser Satz hätte auch gut von einem gelangweilten Callcenter-Mitarbeiter stammen können, der zum hundertsten Mal gefragt wird, warum die Internetverbindung schon wieder ausfällt. „Ja, die Probleme sind da. Was soll ich machen?“

Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert

Wie ein Wecker, der viel zu spät klingelt, ertönte dieser Satz im Jahr 2010 und ließ viele verdutzt aufschrecken. Frau Merkel verkündete, was schon seit Jahren viele dachten: Multikulti sei „absolut gescheitert“. Aber, liebe Frau Merkel, wo waren Sie denn all die Jahre zuvor? Ach ja, regieren!

Man könnte fast den Verdacht hegen, Merkel habe die bunte Vision des Multikulturalismus persönlich zu Grabe getragen – mit einem Schulterzucken, wie es nur sie so perfekt beherrscht. Man stellt sich vor, wie sie damals als Grüne-Woche-Gast in die Kamera lächelte, die multikulturellen Leckereien kostete und insgeheim dachte: „Wird schon schiefgehen.“ Und als es dann wirklich schiefging, verkündete sie es trocken, wie ein Mathematiker eine Gleichung löst: „Gescheitert.“ Punkt.

Man könnte nun fragen: Hatte Merkel eine Alternative zu bieten? Ach, halt – es gibt ja nichts Alternativloses. Also: Auf zu neuen Ufern, wir schaffen das!

Das Internet ist für uns alle Neuland

Wenn ein Satz für einen kollektiven Facepalm der Nation gesorgt hat, dann dieser. Im Jahr 2013, als das Internet bereits längst zum Taktgeber der Weltwirtschaft avancierte, als Start-ups bereits Milliardengewinne einfuhren und soziale Netzwerke das Leben dominierten, meinte unsere Kanzlerin, das Netz sei für uns „alle Neuland“.

Da muss man sich fast schon fragen: Hat Angela Merkel jemals den virtuellen Pfad der Internetsurfer betreten? Oder navigierte sie nur selten durch die Weiten des Internets, stets begleitet von einem Sicherheitsbeamten, der mit einem Rechenschieber bewaffnet war? Man kann es sich förmlich vorstellen: Merkel klickt nervös auf den „Senden“-Knopf einer E-Mail, während im Hintergrund Faxgeräte ihr vertrautes Surren von sich geben.

Aber „Neuland“ ist eine weise Wahl des Wortes – immerhin bedeutet es, dass wir mit Entdeckerlust und Optimismus voranschreiten können! Was soll’s, wenn der Rest der Welt bereits lange angekommen ist?

Das Volk ist jeder, der in diesem Lande lebt

Dieser Satz hat das Potenzial, in einer Broschüre für Staatsbürgerschaftstests zu landen. Wer ist das Volk? Jeder, der atmet, der Steuern zahlt, der lebt – ganz gleich, ob seit Generationen oder seit gestern. Mit dieser Definition unterstrich Merkel einmal mehr ihren distanzierten Blick auf nationale Identität und Geschichte.

Aber ist es wirklich so einfach? Denn wenn jeder „das Volk“ ist, wer sind dann eigentlich die „anderen“? Der Unterschied zwischen denen, die „schon länger hier leben“, und denen, die „neu hinzugekommen sind“, bleibt vage. Vielleicht eine Variante des Merkel’schen Schrödinger’schen Volkes – gleichzeitig da und nicht da. Die genaue Definition bleibt, wie so vieles in ihrer Politik, der Interpretation überlassen.

Das zentrale Mantra des Merkelismus

Zu guter Letzt kommen wir zum eigentlichen Kernstück des Merkelismus: der Begriff der „Alternativlosigkeit“. Merkel hat es in ihrer Regierungszeit geschafft, jede komplexe Entscheidung, jede hitzige Debatte in einem Ein-Wort-Totschlagargument zu beenden: „alternativlos“. Es ist, als ob sie die politische Variante eines Kinderspiels erfunden hätte: „Wer hat Angst vorm bösen Alternativlos?“

Aber, meine Damen und Herren, das ist der wahre Merkel-Zauber. „Alternativlos“ zu sein bedeutet, keine Verantwortung für das Handeln übernehmen zu müssen. Es ist das perfekte politisch-pädagogische Instrument, um eine Nation in Schach zu halten. „Was wollt ihr denn? Es gibt ja sowieso keine andere Option!“

Man könnte sich fast fragen, ob Frau Merkel damit auch ihre Wahl der Kleidung entschuldigt. „Schwarzer Hosenanzug? Alternativlos.“

Ein Erbe der rhetorischen Unschärfe

Angela Merkel hinterlässt ein rhetorisches Erbe, das zugleich staubtrocken und erfrischend ungewollt komisch ist. Ihre Aussagen sind die perfekte Mischung aus Pragmatismus und leichter Ignoranz, die oft mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Doch vielleicht liegt genau darin ihr Erfolg: Manchmal ist es das Schweigen zwischen den Worten, das den größten Effekt hat.

Eins bleibt jedoch klar: Merkel mag vielleicht nicht die aufregendste Rednerin gewesen sein, aber sie hat es geschafft, dass wir uns auch Jahre später noch an ihre Aussagen erinnern. Und das, liebe Leserinnen und Leser, ist wahrlich alternativlos.


Weiterführende Links und Quellen:

  1. Angela Merkel und die FlüchtlingskriseSpiegel Online Artikel
  2. Merkels „Alternativlos“-PolitikZeit Online
  3. Das gescheiterte Multikulti: Eine AnalyseFAZ
  4. Das Neuland-Debakel: Warum Merkel mit dem Internet fremdeltSüddeutsche Zeitung

Missverständnis der Herrschenden

Eine Gesellschaft der verkehrten Welt

Was ist nur aus diesem Land geworden? Die Frage, sie ist vielleicht zu groß, zu schwer beladen mit den unausgesprochenen Ängsten derer, die den Fortschritt im Rückspiegel betrachten. Manchmal scheint es, als wären wir alle in einer kafkaesken Erzählung gefangen, einer düsteren Farce, in der die Rollen von Täter und Opfer verkehrt wurden, ohne dass es jemand gemerkt hätte. Wie sonst soll man erklären, dass heute allenthalben ein irritierendes Missverständnis umhergeht, ein Missverständnis, das, je nach Blickwinkel, entweder himmelschreiend naiv oder erschreckend perfide anmutet: Die Herrschenden, die politischen Eliten, scheinen tatsächlich zu glauben – und jetzt bitte festhalten –, dass die Grundrechte, jene hehren Eckpfeiler unserer freiheitlichen Grundordnung, primär Regeln seien, an die sich das Volk zu halten habe. Ja, Sie haben richtig gehört! Es ist ein Missverständnis, das sich hartnäckig hält, so zäh wie Kaugummi am Schuh, so unverwüstlich wie der ewige Irrglaube, dass Politik jemals etwas mit Moral zu tun gehabt hätte.

Ein politischer Taschenspielertrick

Aber lassen Sie uns diesen Taschenspielertrick einmal näher betrachten. Denn wie bei jeder gut ausgeführten Illusion steckt auch hinter diesem Missverständnis eine gewisse Raffinesse. Natürlich, streng juristisch betrachtet, sind Grundrechte Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Es klingt so schön einfach, fast trivial: Die Verfassung schützt uns vor staatlicher Willkür, ein Bollwerk gegen die Allmachtsfantasien der Regierenden. Doch in der Praxis – und hier liegt der Clou – wird das Verhältnis ins Gegenteil verkehrt: Nicht der Staat ist der Übeltäter, gegen den sich die Bürger wehren müssen, nein, der Bürger wird zur Bedrohung, die dem Staat das Leben schwer macht. Man erträgt ihn zähneknirschend, wie einen lästigen Verwandten, den man zu Weihnachten duldet, aber möglichst schnell wieder loswerden will.

Diese Verkehrung, diese subtile Umkehrung des Machtverhältnisses, ist es, die das Missverständnis so perfide macht. Es ist eine Illusion, die sich in das Bewusstsein der Gesellschaft eingeschlichen hat, eine Art von kollektiver Gehirnwäsche. Während die Bürger ihre Rechte verteidigen, tut der Staat so, als sei er der eigentliche Gefangene, als ob die Grundrechte seine Hände binden, ihn in seinen hehren Bemühungen einschränken, das Land vor dem Chaos zu bewahren. Welch Ironie! Es ist, als hätte der Löwe Angst vor dem Lamm, weil das Lamm auf seine „Lammrechte“ pocht.

Freiheit im Käfig

Und so stehen wir nun da, in dieser merkwürdigen Zwischenwelt, einer Art juristischem Zoo, in dem die Freiheit in hübschen, wohlgeformten Käfigen ausgestellt wird. Sehen Sie sich doch um: Die Käfiggitter bestehen aus Paragraphen, wohlmeinenden Verordnungen und angeblich alternativlosen Gesetzesvorhaben. Und wir, die Bürger, die eigentlich die Wächter unserer eigenen Freiheit sein sollten, sitzen hinter diesen Gittern und glauben allen Ernstes, wir seien frei. Ja, hin und wieder dürfen wir uns ein bisschen rühren, vielleicht mal im Wahlkampf ein paar Plakate hochhalten oder in den sozialen Medien schimpfen – das ist unser Auslauf, unsere kleine, illusionäre Freiheit.

Doch wehe, einer wagt es, die Gitterstäbe in Frage zu stellen! Sofort werden die Zoodirektoren – auch bekannt als Politiker und Bürokraten – nervös. Plötzlich ist man ein „Verfassungsfeind“, ein „Rechtsbrecher“, ein „Gefährder“. Es ist eine der großen Ironien unserer Zeit: Der Staat, der sich ja eigentlich an die Verfassung halten muss, macht diejenigen mundtot, die auf ebendiese Verfassung pochen. Man erinnere sich nur an die pandemiebedingten Einschränkungen der Grundrechte – alles natürlich „alternativlos“ und „zum Schutz der Allgemeinheit“. Wer sich dagegen wehrte, war wahlweise ein „Leugner“ oder ein „Egoist“, der nicht verstand, wie wichtig es ist, für das Gemeinwohl auf ein paar unwichtige Freiheiten zu verzichten. Welch noble Selbstverleugnung der Freiheit, welch tragische Perversion eines liberalen Rechtsstaates!

Der autoritäre Reflex der Ohnmächtigen

Aber warum funktioniert diese Inszenierung so gut? Warum lassen wir uns diesen Betrug, und nichts anderes ist es, so bereitwillig gefallen? Der Grund liegt in der menschlichen Psyche, oder besser gesagt, in einem zutiefst autoritären Reflex, der immer dann hervortritt, wenn die Herrschenden das Gefühl haben, ihre Macht entgleite ihnen. Dieser Reflex, diese panische Angst vor Kontrollverlust, führt dazu, dass sie in allem und jedem eine Gefahr sehen: In der freien Meinungsäußerung, in unabhängigen Medien, in Bürgerprotesten, ja sogar in den Gerichten, die zuweilen noch den Anstand haben, verfassungswidrige Gesetze zu kippen. Die Herrschenden verstehen nicht, dass die Grundrechte keine Gnade des Staates sind, sondern Abwehrrechte der Bürger gegen einen Staat, der immer und überall in Versuchung steht, seine Macht zu missbrauchen.

Das Missverständnis der Herrschenden liegt darin, dass sie ihre eigene Ohnmacht nicht erkennen. Sie glauben, sie seien die Herren über Recht und Gesetz, während sie in Wirklichkeit nur die Verwalter einer Macht sind, die ihnen jederzeit entzogen werden könnte. Und aus dieser Ohnmacht heraus entsteht ein reflexartiges Bedürfnis nach Kontrolle. Grundrechte werden nicht mehr als unveräußerliche Schranken der staatlichen Macht verstanden, sondern als lästige Hindernisse, die es zu überwinden gilt – sei es durch Notstandsverordnungen, Ausnahmezustände oder schlicht durch die schiere Ignoranz gegenüber verfassungsrechtlichen Vorgaben.

Der Bürger als Untertan

Und so wird die Demokratie zur Farce, zu einem bürokratischen Schauspiel, in dem der Bürger zwar theoretisch das Sagen hat, praktisch jedoch immer wieder darauf hingewiesen wird, dass er seine eigene Freiheit gefährdet, wenn er sie allzu sehr beansprucht. Die Wahlen, sie sind nur das hübsch dekorierte Feigenblatt vor einem Baum der Illusion, der längst keine Wurzeln mehr hat. Denn die wahren Entscheidungen werden nicht mehr in Parlamenten getroffen, sondern in Hinterzimmern, auf Konferenzen und in den elitären Kreisen der „alternativlosen“ Politik.

Der Bürger hat seine Rolle in diesem Spiel längst akzeptiert: Er ist nicht mehr der Souverän, der die Macht ausübt, sondern der Untertan, der sich an die „Spielregeln“ zu halten hat. Grundrechte? Ach, das sind doch nur ideelle Werte, die in Sonntagsreden beschworen werden, aber im Alltag, im „echten Leben“, sind sie bestenfalls zweitrangig. Die wahre Macht liegt bei denen, die die Regeln schreiben, und diese Regeln werden zunehmend zu einem Korsett, das die Gesellschaft immer enger schnürt.

Die Ironie des „Verfassungsschutzes“

In diesem Zusammenhang erscheint die Existenz eines „Verfassungsschutzes“ als die wohl größte Ironie überhaupt. Ein Organ, das angeblich die Verfassung vor ihren Feinden schützen soll, aber in Wahrheit nur die Herrschenden vor den Bürgern schützt. Es ist, als hätte man den Fuchs zum Wächter des Hühnerstalls gemacht. Der Verfassungsschutz, er ist der Erfüllungsgehilfe eines Staates, der in seiner Paranoia jede Kritik, jeden Protest als „staatsfeindlich“ brandmarkt, während er selbst die Verfassung nach Belieben beugt und bricht.

Man fragt sich unwillkürlich, ob die Menschen, die in diesen Institutionen arbeiten, jemals einen Blick in das Grundgesetz geworfen haben – oder ob sie vielleicht eine alternative Version davon besitzen, in der Artikel 1 lautet: „Der Staat darf alles, der Bürger nichts.“

Das Ende der Freiheit oder ein Neuanfang

So stehen wir also am Scheideweg. Wird das Missverständnis der Herrschenden eines Tages korrigiert werden, wird die Freiheit ihren angestammten Platz zurückerobern? Oder wird die schleichende Entmündigung der Bürger weiter voranschreiten, bis wir uns eines Tages in einem totalitären Staat wiederfinden, in dem Grundrechte nur noch als nostalgische Relikte vergangener Zeiten betrachtet werden?

Die Antwort darauf liegt nicht bei den Herrschenden, sondern bei uns. Solange wir dieses Missverständnis nicht entlarven, solange wir nicht erkennen, dass die Grundrechte unsere Waffen gegen einen übergriffigen Staat sind, wird sich nichts ändern. Doch vielleicht, ganz vielleicht, gibt es noch Hoffnung. Vielleicht wird eines Tages jemand den Mut haben, die Gitterstäbe zu durchbrechen und die Freiheit wiederzubeleben – nicht als leere Worthülse, sondern als lebendige Realität.

Quellen und weiterführende Links:

  1. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 1-19 (Grundrechte): https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html
  2. Hans Herbert von Arnim, Die Selbstbediener: Wie die politischen Parteien sich den Staat zur Beute machen. Droemer, 2013.
  3. Heribert Prantl, Im Namen der Menschlichkeit: Rettet die Grundrechte! C.H. Beck, 2020.
  4. Paul Kirchhof, Der Staat und seine Verfassung: https://www.kas.de/documents/252038/253252/Der+Staat+und+seine+Verfassung.pdf
  5. Verfassungsblog – Analysen zur Verfassungsrechtsprechung: https://verfassungsblog.de/

Der Digital Service Act der EU-Kommission

Vom Ende der Meinungsfreiheit, wie wir sie kennen

Es war einmal in einem fernen Teil Europas, wo Meinungen noch frei waren. Dort konnte jeder Bürger, so dachte man zumindest, seine Gedanken frei äußern, ohne Angst zu haben, dass ihn ein anonymes Gremium der Repression bestraft. Doch das ist nun Geschichte. Denn der Digital Service Act (DSA), jenes kafkaeske Machwerk, das von einem nicht demokratisch gewählten Gremium namens EU-Kommission – besser bekannt als das Politbüro Europas – ersonnen wurde, beendet die Ära der freien Meinung mit einem gezielten Schuss ins Herz der Demokratie.

102 Seiten guter Ideen zur Unterdrückung

Der DSA, dieses Meisterstück der modernen Bürokratie, umfasst stolze 102 Seiten. Man sollte meinen, es handele sich um eine Anleitung für eine bessere digitale Zukunft, eine Roadmap für den Schutz der Bürgerrechte im Netz. Falsch gedacht! Was wir hier vor uns haben, ist ein kunstvoll verschleierter Plan zur systematischen Unterdrückung unerwünschter Meinungen.

Die Zeiten, in denen eine unabhängige Justiz über die Rechtmäßigkeit von Meinungsäußerungen entschied, sind vorbei. Stattdessen werden nun digitale Blockwarte eingesetzt, im euphemistisch-neurolinguistisch programmierten EU-Neusprech als Trusted Flagger bezeichnet. Diese privaten Zensoren – denn nichts anderes sind sie – haben die Macht, darüber zu urteilen, was Hass, Hetze und falsche Informationen sind. Und das tun sie mit einer beunruhigenden Willkür und einer geradezu absurden Definition von „Gefühlen“.

Wenn GmbHs und Vereine über Gefühle entscheiden

Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Vereine und GmbHs entscheiden über ein Gefühl – Hass. Hass, dieses zutiefst subjektive, komplexe, menschliche Empfinden, das uns die Philosophen seit Jahrtausenden zu erklären versuchen, wird nun von wohltätigen Organisationen und Wirtschaftskammern bestimmt. Denn, wie jeder weiß, wer könnte Hass besser definieren als eine gemeinnützige GmbH mit Sitz in einem Bürokomplex irgendwo im grauen Wien?

Hierzu die illustren Liste der Blockwarte der österreichischen Meinungsfreiheit:

  • Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb: Mitglieder sind mehr als 600 Fachorganisationen aller Wirtschaftskammern Österreichs und deren Unternehmer. Ja, genau – die Vertreter der Wirtschaftselite, jene, die uns regelmäßig mit Preiserhöhungen und Lobbyarbeit beglücken, sind jetzt auch die obersten Hüter unserer digitalen Seelenlandschaft. Das Credo lautet wohl: Wer den Wettbewerb verzerrt, verzerrt auch die Meinungen. Perfekt!
  • Rat auf Draht gemeinnützige GmbH: Im Hintergrund lauert der ORF, jener Sender, der uns seit Jahrzehnten mit einseitigen Nachrichten bombardiert und als der Hüter der objektiven Berichterstattung gilt – zumindest aus Sicht seiner eigenen Redaktionen. Dass diese Organisation sich nun als Wächter über das „Gemeinwohl“ im Netz aufspielt, ist an Ironie kaum zu überbieten.
  • Österreichisches Institut für angewandte Telekommunikation (ÖIAT): Hier wird’s besonders spannend. Unter den Auftraggebern finden sich nicht nur die üblichen Verdächtigen wie das Bundeskanzleramt und das Bundesministerium für Inneres, sondern auch die Europäische Kommission und die Wirtschaftskammer Österreichs (WKO). Man könnte fast meinen, es gehe weniger um Hass und Hetze, sondern vielmehr um ein perfektioniertes Überwachungsinstrument im Dienste der politischen und wirtschaftlichen Eliten.

Zensur 2.0

Die wahre Perfidie dieses Gesetzeswerks liegt jedoch nicht nur in der Frage, wer über richtig und falsch entscheidet, sondern vor allem, dass diese Macht nun vollständig privatisiert wurde. In einem brillanten Schachzug hat die EU-Kommission die Zensur an private Akteure ausgelagert – die Regierung bleibt offiziell außen vor, während Unternehmen und NGOs den schmutzigen Job der Meinungskontrolle übernehmen. Sie fungieren als Handlanger, während die Politik ihre Hände in Unschuld wäscht und mit einer blumigen Rhetorik von Verantwortung und Schutz der Bürger daherkommt.

Doch wie sieht diese neue, privatwirtschaftliche Zensur in der Praxis aus? Man muss nicht lange suchen, um Beispiele zu finden. Die sozialen Netzwerke, jene modernen Marktplätze der Ideen, mutieren immer mehr zu sterilisierten Räumen, in denen jeglicher Diskurs, der nicht der vorgegebenen moralischen Linie entspricht, systematisch eliminiert wird. Zunächst war es nur Hassrede, dann kamen Fake News hinzu – und wer entscheidet, was fake ist? Natürlich diejenigen, die den größten Nutzen aus der Kontrolle der Wahrheit ziehen.

Es dauert nicht lange, bis auch unbequeme politische Meinungen, Kritik an Regierungen oder schlicht kontroverse Standpunkte unter die Zensurkeule fallen. Alles im Namen des „Schutzes der Demokratie“ – wie paradox.

Die Blockwarte in Aktion

Schauen wir uns das österreichische Modell der Blockwarte etwas genauer an. Hier stehen uns wahre Leuchten der freien Meinung gegenüber. Der Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb – das klingt fast wie eine Parodie auf den Orwell’schen Gedankenpolizisten – wird jetzt also darüber befinden, welche Meinungen im Internet als unlauter gelten. Wer das kritisiert, wird vermutlich bald von einer dieser Fachorganisationen freundlich darauf hingewiesen, dass die Grenzen der freien Meinungsäußerung auch im digitalen Raum zu beachten sind.

Der Rat auf Draht, ursprünglich eine Beratungsstelle für Jugendliche in Not, entscheidet nun, welche Erwachsenendiskurse als gefährlich oder hasserfüllt gelten. Eine bemerkenswerte Karriereentwicklung. Wer braucht schon Fachjuristen oder Ethikkommissionen, wenn man den ORF im Rücken hat?

Und nicht zu vergessen das Österreichische Institut für angewandte Telekommunikation, das im Auftrag von Regierungsstellen und Telekom-Unternehmen agiert. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Algorithmus unserer heimischen Internetanbieter uns freundlich darauf hinweist, dass unser Posting von gestern Abend „falsch“ war und deshalb aus Gründen des allgemeinen Wohls entfernt werden musste.

Eine Gesellschaft im Würgegriff der Zensoren

Was wir hier erleben, ist nicht weniger als der finale Triumph der Zensur über die Meinungsfreiheit. Eine Demokratie, in der Meinungen von einer kleinen Elite vorgefiltert und sanktioniert werden, kann nicht mehr als frei bezeichnet werden. Doch noch absurder wird es, wenn man sich bewusst macht, dass es am Ende juristisch völlig undefinierte Begriffe wie Hass und Falschinformationen sind, die den Ausschlag geben.

Wie soll eine GmbH, die von der Wirtschaftskammer gesponsert wird, objektiv über das Gefühl Hass befinden? Und wie kann eine NGO darüber entscheiden, was „wahre“ Informationen sind, während sie im selben Atemzug staatliche Fördergelder einsackt?

Der Digital Service Act mag auf den ersten Blick wie ein Versuch erscheinen, die Bürger vor den Gefahren des Internets zu schützen. In Wirklichkeit jedoch ist er ein massiver Angriff auf die Grundlagen der Demokratie und der freien Rede. Mit einem Schlag hat die EU-Kommission es geschafft, die Meinungsfreiheit zu privatisieren und damit die Türen für eine beispiellose Willkür zu öffnen.

Quellen und weiterführende Links

  1. Digital Service Act (EU-Kommission)
  2. Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb
  3. Rat auf Draht GmbH
  4. Österreichisches Institut für angewandte Telekommunikation

NIE WIEDER IST IRGENDWANN

Die Kunst des Ignorierens

Die Zeit vergeht, aber die Verantwortung nicht. Wir leben in einer Gesellschaft, die es meisterhaft versteht, historische Tragödien in den Nebel des Vergessens zu hüllen. Nie wieder soll es heißen, aber irgendwann wird es dann doch. Irgendwann verfallen wir in jene tückische Gemütlichkeit des Verdrängens. Ein „Nie wieder“, das so oft verkündet wird, dass es in seiner inflationären Nutzung schon fast den Klang einer abgenutzten Floskel angenommen hat. Willkommen im heutigen Deutschland, wo Erinnern und Vergessen Hand in Hand gehen, und wo das Zitat „Die Geschichte wiederholt sich nicht“ nur dazu dient, die Augen vor der Realität zu verschließen.

Schweigeminuten als Provokation

Dass das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) den Schulen empfiehlt, auf Schweigeminuten und „Gesten der Empathie“ zu verzichten, ist bezeichnend für den Zustand unserer Bildungslandschaft. Es wäre ja zu viel verlangt, Jugendlichen beizubringen, dass Empathie nicht optional ist, sondern Grundvoraussetzung für ein zivilisiertes Miteinander. Warum sollten wir uns auch die Mühe machen, jungen Menschen die Bedeutung von Gedenken zu erklären? Schweigen ist bekanntlich Gold – und Bildung wohl nur Silber. Ein gemeinsames, nachdenkliches Innehalten? Gott bewahre! Schließlich könnte das ja zu Erkenntnissen führen, die unbequem sind. Es scheint fast, als ob das LI den Idealzustand einer Gesellschaft in der Taubheit und Stummheit der Heranwachsenden sieht – Hauptsache, niemand wird „emotional involviert“.

1.000 Papierkraniche der Hoffnung

Die Idee, als Alternative zu echten Gedenkveranstaltungen „1.000 Kraniche der Hoffnung“ zu falten, verdient besondere Aufmerksamkeit. Ah, was für eine grandiose symbolische Geste! Lasst uns die Realität der Gewalt und des Todes mit zerbrechlichen Origami-Gebilden übertünchen. Was könnte eindrucksvoller sein, als junge Menschen dazu zu bringen, Kraniche aus Papier zu falten, während draußen pro-palästinensische Demonstrationen in Gewalt eskalieren? Während Menschen auf den Straßen brüllen, werden drinnen filigrane Papierarbeiten gefertigt – symbolisch genug, um die eigentliche Hilflosigkeit und das Versagen der Schulpolitik zu verdecken. Ein Kranich für den Frieden, zwei Kraniche für die Ignoranz und tausend Kraniche für die Verdrängung. Diese Geste ist so leer, dass sie fast schon wie ein schlechter Scherz wirkt – wäre sie nicht bitterer Ernst.

Wünsche an einen Baum hängen

Es scheint fast, als ob das LI in einem surrealistischen Paralleluniversum lebt, in dem die Lösung für jedes weltpolitische Problem darin besteht, Wünsche an Bäume zu hängen. Ob diese Bäume wohl so lange stehen bleiben, bis die Kraniche verrottet sind? Denn realistische Lösungen oder ernsthafte Diskussionen scheinen nicht vorgesehen zu sein. Stattdessen basteln Schüler Zettelchen und formulieren „Wünsche der Hoffnung“, die dann in hübschen Kartons der Trauer gesammelt und vertraulich verschlossen werden. In was für einer Welt leben wir eigentlich, wenn Schüler ihre Gedanken so vertraulich verschließen müssen, dass niemand sie jemals wieder lesen darf? Aber vielleicht ist das ja genau der Punkt. Wir wollen ja nicht, dass ihre Gedanken Unruhe stiften oder jemanden in seiner Filterblase der Gleichgültigkeit stören.

Keine Gedenkfeiern

Warum scheut man sich so sehr vor dem Gedenken? Warum wird das Gedenken als politischer Akt verteufelt? Die Antwort liegt auf der Hand: Historisches Bewusstsein ist gefährlich. Es stiftet Identität, es weckt ein Gefühl der Verantwortung. Wer sich erinnert, wird auch Forderungen stellen – nach Gerechtigkeit, nach Menschlichkeit, nach Verantwortung. Doch all das stört. Gedenken ist unbequem, weil es uns zwingt, nicht nur die Vergangenheit zu betrachten, sondern auch die Gegenwart. Und wer die Gegenwart kritisch betrachtet, wird zwangsläufig erkennen, dass die Dinge alles andere als in Ordnung sind. Es ist einfacher, die Augen zu schließen und mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Wer schweigt, gibt Raum für Hass

Während die Schulen sich in symbolischen Gesten verlieren, brodelt die Gesellschaft. Pro-palästinensische Demonstrationen eskalieren, Gewalt bricht sich Bahn, und an den Schulen soll man Papierkraniche falten. Die Abwesenheit von Gedenkveranstaltungen, die mangelnde historische Bildung und das Verschweigen von Empathie öffnen Tür und Tor für Extreme. Die Gesellschaft spaltet sich, und wer schweigt, gibt Raum für die lautesten und aggressivsten Stimmen. Empathie ist keine Einbahnstraße. Wer nicht lernt, in Momenten der Stille und des Gedenkens innezuhalten, wird nie verstehen, was es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Und genau das ist das Problem unserer Zeit: Niemand will die Verantwortung übernehmen, weil es so viel einfacher ist, sie abzulehnen.

Ein Pessimismus mit Aussicht

„Nie wieder ist irgendwann.“ Der Satz klingt wie eine düstere Prophezeiung, aber er ist Realität. Wir sehen es täglich: Die historischen Lehren verblassen, die Empathie schwindet, und die Rhetorik der Gewalt übernimmt. Wir wissen, wie gefährlich es ist, die Zeichen der Zeit zu ignorieren. Aber wir tun es trotzdem. Papierkraniche falten ist so viel einfacher, als sich mit der Vergangenheit und ihren Konsequenzen auseinanderzusetzen. Doch irgendwann wird diese Verdrängung einen Preis fordern. Und dann, wenn die Stimmen des Hasses zu laut geworden sind, wird es keine Schweigeminuten mehr geben, keine Kraniche und keine Wunschbäume, die uns vor den Trümmern unserer eigenen Gleichgültigkeit retten können.

Ein Karton für die Zukunft

Vielleicht sollten wir einen Karton der Zukunft basteln, in den wir unsere klugen Ideen für eine aufgeklärte, verantwortungsbewusste Gesellschaft legen. Und vielleicht sollten wir ihn nicht verschließen, sondern offen lassen. Denn die Zukunft lässt sich nicht in Pappkartons einsperren – sie kommt, ob wir vorbereitet sind oder nicht. Doch eins bleibt klar: Wenn wir weiterhin auf Gedenkfeiern verzichten, bleibt uns am Ende nur noch eines: das resignierte Falten von Papierkranichen, während die Welt um uns herum in Scherben fällt.


Weiterführende Links und Quellen:

  1. „Die Bedeutung von Gedenkveranstaltungen in Schulen“, Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft.
  2. „Erinnerungskultur und Empathie“, Bundeszentrale für politische Bildung.
  3. „Historisches Lernen: Eine Aufgabe der Schulen?“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Artikel vom 05.10.2023.
  4. „Pro-palästinensische Demonstrationen und Gewalt in Deutschland“, Der Spiegel, 12.10.2023.
  5. „Die Rolle der Lehrerbildung in politisch angespannten Zeiten“, Zeit Online, 07.10.2023.

Ein Staat im Staate

Wie man humanitäre Hilfe in die Hände von Radikalen legt

Die Geschichte der UNRWA, des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge, ist ein Tragikomödie von epischem Ausmaß – eine Institution, die ursprünglich als provisorische Lösung für ein Flüchtlingsproblem gedacht war, aber inzwischen wie eine schlecht geschriebene Soap-Opera in die Unendlichkeit verlängert wurde. Mit ihren 30.000 Angestellten, die sich fast nahtlos in die palästinensischen Strukturen einfügen, agiert die UNRWA als faktische Unterabteilung einer politisch-militärischen Bewegung, die weniger für humanitäre Ideale, als für Märtyrerkult und Dschihad bekannt ist. Und wenn man bedenkt, dass davon 13.000 Menschen im Gazastreifen arbeiten – einem Territorium, das von der islamistischen Terrororganisation Hamas kontrolliert wird –, dann leuchtet die Frage auf: Ist die UNRWA die größte NGO der Welt oder nur der größte Arbeitgeber der Hamas?

Wenn die größte Einzeleinstitution in einem abgeriegelten Gebiet operiert, in dem die Hamas das Sagen hat, wird schnell klar, wie verführerisch es ist, dieses Monstrum von einem „Hilfswerk“ zu unterwandern. Man könnte beinahe meinen, die Hamas habe sich beim Personalmanagement der UNRWA eingeschrieben, um zu sehen, wie man deren gewaltigen Apparat für die eigene Sache instrumentalisiert. Angesichts dessen, dass die UNRWA praktisch den Alltag von Millionen Palästinensern verwaltet – Schulen betreibt, Lebensmittel verteilt und medizinische Versorgung bietet – ergibt sich zwangsläufig, dass jede radikale Organisation, die Kontrolle über Gaza hat, sich ein Stück vom Kuchen sichert.

Ein moralischer Ablasshandel

Und wer bezahlt das alles? Eine illustre Runde aus wohlmeinenden, naiv-idealisierten UN-Mitgliedsstaaten. 2022 erhielt die UNRWA großzügige 1,17 Milliarden US-Dollar. Die USA und Deutschland führen die Liste der großzügigen Spender an, indem sie rund 545 Millionen Dollar auf den Tisch legten. Doch wohin fließen diese immensen Summen tatsächlich? Wer profitiert wirklich von der angeblich humanitären Hilfe?

Hier liegt der Clou: Das Geld wird nicht in Schulen gesteckt, um Frieden zu lehren, sondern in ein Bildungssystem, das schon die Kleinsten auf den Hass gegen Juden und den israelischen Staat einschwört. In den Schulbüchern der Palästinensischen Autonomiebehörde, die von der UNRWA verteilt und finanziert werden, lernt man nicht etwa Rechnen oder Literatur – zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Nein, Mathematikunterricht wird zur Berechnung von Märtyrertoten, Literaturstudium dient der Glorifizierung des bewaffneten Kampfes, und selbst die Theologie lehrt nicht Liebe und Vergebung, sondern Märtyrertod und die Wiederherstellung Palästinas durch den Dschihad. Ein Zehnjähriger, der solche Lektionen täglich in der Schule hört, wird wenig Zweifel daran haben, wem seine Loyalität gehört – und es ist nicht die Vereinte Nationen.

Wenn der Arbeitgeber dein Herr ist

Dass sich dabei die Hamas nicht nur klammheimlich im Hintergrund hält, sondern direkt beteiligt ist, überrascht niemanden – außer vielleicht die Gutmenschen in den Büros der internationalen Geberländer, die weiterhin die Augen verschließen. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass zahlreiche UNRWA-Angestellte direkt mit terroristischen Gruppen verbunden sind. Erst kürzlich wurde bekannt, dass zwölf UNRWA-Mitarbeiter an dem brutalen Angriff auf Israel am 7. Oktober beteiligt waren. Zwölf! Zwei sind inzwischen tot – aber immerhin wurden die anderen zehn entlassen, um das moralische Deckmäntelchen der UN zu retten. Man kann sich das wie eine makabere Büropolitik vorstellen: „Ups, Entschuldigung, wir haben zufällig ein paar Terroristen eingestellt. Aber wir haben sie gefeuert, also alles gut!“

Natürlich bleibt die Hamas der große Gewinner. Wenn du der größte Arbeitgeber in einem Gebiet bist, kannst du deine Netzwerke nach Belieben knüpfen, Leute einschleusen und dein eigenes Ideologie-Ökosystem pflegen. Und wenn man bedenkt, dass die UNRWA den Flüchtlingen einen weltweit einzigartigen Sonderstatus verleiht – einen Status, der sich sogar vererbt! –, ist der Nährboden für radikale Narrative bereits perfekt vorbereitet. Die Palästinenser, die unter dem Schutz der UNRWA stehen, sind von der Genfer Flüchtlingskonvention ausgenommen und genießen damit eine Art Narrenfreiheit, die von keiner internationalen Norm eingehegt wird. Alles, was sie brauchen, wird ihnen auf dem Silbertablett serviert – und die Hamas hat die Hände tief in diesen Silberteller getaucht.

Der Kollateralschaden des moralischen Imperialismus

Man könnte es sich einfach machen und sagen, die UNRWA sei schlicht eine schlecht verwaltete Organisation. Aber das greift zu kurz. Die Wahrheit ist viel bequemer: Die UNRWA ist nicht Teil der Lösung, sondern längst Teil des Problems. Sie hält ein Problem am Leben, das ohne sie vielleicht längst an Dynamik verloren hätte. Das Flüchtlingsproblem der Palästinenser wird künstlich aufrechterhalten, indem man es zur nächsten Generation weitervererbt. Kein anderes Flüchtlingsvolk der Welt hat diesen „luxuriösen“ Status. Syrische, afghanische oder sudanesische Flüchtlinge sind nach wenigen Jahren entweder in ihre Heimatländer zurückgekehrt oder haben sich in neuen Ländern integriert. Die Palästinenser hingegen werden für immer und ewig Flüchtlinge bleiben, weil sie es wollen – und weil die UNRWA es ihnen ermöglicht.

Dieser Sonderstatus ist nicht nur eine politische Farce, sondern auch ein moralisches Desaster. Denn während die internationale Gemeinschaft in blinder Großzügigkeit weiterhin Milliarden in ein System pumpt, das mehr dazu dient, den Konflikt aufrechtzuerhalten, anstatt ihn zu lösen, profitiert eine radikale Minderheit – angeführt von der Hamas – ungebremst weiter. In den Straßen Gazas, wo Armut und Elend herrschen, werden Bomben gebaut und Hass gesät, während die UNRWA als vermeintlicher Heilsbringer fungiert.

Der zynische Tanz ums goldene Kalb

Und so tanzt die internationale Gemeinschaft fröhlich weiter im Kreis, wirft mit Geld um sich und wundert sich, warum die Lage immer weiter eskaliert. Die schockierende Wahrheit, dass die UNRWA de facto ein Machtinstrument der Hamas ist, ignoriert man geflissentlich. Lieber spielt man das heilige Spiel des moralischen Imperialismus, bei dem man glaubt, durch Milliardenbeträge die Welt retten zu können. Dass diese Milliarden oft in den Händen jener landen, die den Weltfrieden aktiv torpedieren, scheint ein hinnehmbares Übel zu sein – zumindest so lange, bis die nächste Rakete einschlägt.

Am Ende bleibt die bittere Erkenntnis: Die UNRWA ist kein Hilfswerk, sie ist eine Geisel der Politik, ein Spielball von Terroristen und eine tragische Parodie auf das, was humanitäre Hilfe wirklich bedeuten sollte.


Quellen und weiterführende Links:

  1. UNRWA Jahresbericht 2022: [Link zur UNRWA-Seite]
  2. Bericht des Instituts für Nahost-Studien über palästinensische Schulbücher: [Link zur Studie]
  3. Artikel zur Verstrickung von UNRWA-Angestellten in terroristische Aktivitäten: [Link zum Artikel]
  4. Hintergrundinformationen zur Finanzierung der UNRWA durch die USA und Deutschland: [Link zur Pressemitteilung]

Mohammed statt Atatürk

Der neue Lehrplan als Instrument der Unterwerfung

Die türkische Schulpolitik schlägt einen neuen Kurs ein. Nicht irgendeinen, sondern den einzig wahren Kurs, der – wenn man den Worten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan Glauben schenken möchte – das Land in eine strahlende Zukunft führen wird. Mit dem neuen Lehrplan, der seit diesem Schuljahr in ausgewählten Klassenstufen getestet wird, möchte man die Jugend zu „nationalbewussten, gläubigen Patrioten“ formen. Wer allerdings denkt, es ginge dabei um irgendeine Form von moderner staatsbürgerlicher Erziehung, irrt gewaltig. Hier geht es nicht um das Erlernen von kritisch-reflexiven Fähigkeiten oder die Vorbereitung auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Vielmehr steht eine geradezu groteske Mischung aus religiösem Dogmatismus, nationaler Mythologisierung und intellektuellem Rückschritt auf dem Lehrplan. Wer mit islamischer Gläubigkeit und dem Stolz auf das vermeintlich unbefleckte Türkentum nicht viel anfangen kann, wird wohl künftig noch weniger Gründe haben, stolz auf das eigene Bildungssystem zu sein.

Atatürks Geist als Feindbild

Nicht weniger als das „Bildungsmodell des türkischen Jahrhunderts“ soll dieser Lehrplan sein, erklärte der Präsident selbst anlässlich des 100. Jahrestages der Republik. Doch von jener Republik und den Idealen, die ihr Gründervater Mustafa Kemal Atatürk einst proklamierte, bleibt in diesem Modell wenig übrig. Atatürks rigorose Trennung von Staat und Religion, sein unermüdliches Bemühen, die Türkei zu einem säkularen, wissenschaftlich orientierten Staat zu machen, scheinen auf der Müllhalde der Geschichte gelandet zu sein. Stattdessen feiert die religiöse Erziehung ein glorreiches Comeback. Die Geschichte des Türkentums wird mystifiziert, der Islam zum höchsten aller Werte erklärt, und Atatürk, einst der unantastbare Nationalheld, zur Randnotiz degradiert. Ein Schelm, wer hier Parallelen zur zunehmend autoritären Selbstinszenierung eines Präsidenten erkennt, der im eigenen Größenwahn längst glaubt, sich mit den Größen der Geschichte messen zu können.

Patriotismus als Deckmantel für geistige Knechtschaft

Es klingt fast wie ein schlechter Witz, dass Schülerinnen und Schüler durch diesen neuen Lehrplan zu „fleißigen, bescheidenen und familienbewussten“ Bürgern erzogen werden sollen. Man könnte meinen, Erdoğan träumt von einer Generation, die in devoter Demut vor ihm kniet, brav ihre Gebete murmelt und die großen Entscheidungen des Landes den weisen, gottgleichen Führern überlässt. Selbstständiges Denken? Hinterfragen der Autoritäten? Zweifel am System? Fehlanzeige. Stattdessen wird die Jugend in den goldenen Käfig der Unmündigkeit gesperrt. Wenn sie dann irgendwann als Soldaten an die Front geschickt werden, um nationale Interessen mit dem Gewehr durchzusetzen, sollen sie sicher wissen, wofür sie kämpfen – für Allah und die Ehre der Nation. Ob dabei irgendjemand auf die Idee kommen könnte, die Legitimität dieser Kriege in Frage zu stellen? Wohl kaum. Die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte, die Analyse geopolitischer Interessen oder das Infragestellen von Propaganda – all das fällt in diesem „Bildungsmodell“ flach.

Mathematik, überbewertet

Die Weichen für die intellektuelle Verödung sind gestellt: Die Anforderungen in Mathematik werden gesenkt, der Prüfungsdruck reduziert. Warum auch nicht? Was brauchen „gläubige Patrioten“ schließlich Mathematik? Wozu sollten sie wissen, wie man komplexe Gleichungen löst oder wie Statistik funktioniert? Viel wichtiger ist doch die korrekte Interpretation der Hadithe, das Auswendiglernen der Prophetenworte und das akkurate Rezitieren der Suren. Dass ein tiefes Verständnis für Mathematik, Naturwissenschaften und kritisches Denken die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg, technologische Innovationen und sozialen Fortschritt ist, scheint dem neuen Lehrplan vollkommen egal zu sein. Hauptsache, man glaubt an Allah und ist bereit, für die Nation zu sterben.

Religion statt Wissenschaft

Wer wissen möchte, wohin religiöse Erziehung ohne wissenschaftlichen Unterbau führt, der kann einen Blick in den Nahen Osten werfen. Länder wie Saudi-Arabien oder der Iran sind wahre Meister darin, ihre Jugend in die Knie zu zwingen, indem sie religiösen Dogmatismus über alles stellen. Der Preis? Ein Rückstand in nahezu allen Bereichen der menschlichen Entwicklung. Während andere Nationen an der Spitze der Innovation stehen, verharren diese Länder in einem Zustand des intellektuellen Stillstands. Weder medizinische Fortschritte noch technologische Erfindungen sind dort zu erwarten – es sei denn, sie werden aus dem Westen importiert. Die jungen Generationen wachsen in einer Welt auf, in der Fragen nicht erwünscht sind, Zweifel als Sünde gelten und blinder Gehorsam zur höchsten Tugend wird. Ein Modell, das Erdoğan offenbar auch für die Türkei als erstrebenswert erachtet. Mohammed statt Atatürk – das ist der Weg, den er einschlägt.

Die Rückkehr der Untertanen

Erdogan will nicht nur gläubige, sondern vor allem gehorsame Bürger heranzüchten. Man könnte fast meinen, er habe sich in einer einsamen Stunde die Werke von Heinrich Mann zu Gemüte geführt und darin ein Vorbild für sein eigenes Bildungsprojekt gefunden. Der türkische Schüler von heute ist der brave Untertan von morgen – bereit, die Fahne zu hissen, wann immer es der Herrscher verlangt, und bereit, zu schweigen, wann immer ihm der Mund verboten wird. Fragen werden nicht gestellt, denn die Antworten liegen bereits fest: in den Lehren des Propheten und den Weisungen des Staates. Wer hinterfragt, wird korrigiert. Wer zweifelt, wird diszipliniert.

Auf dem Weg in eine düstere Zukunft

Was bleibt also von diesem „Bildungsmodell des türkischen Jahrhunderts“? Ein leeres Versprechen, das eine ganze Generation zu gefügigen Marionetten der Macht machen will. Die Türkei, einst Hoffnungsträger eines modernen, säkularen Islams, wird durch diesen Lehrplan zurück in die Dunkelheit geführt. Statt intellektueller Offenheit herrscht Enge, statt Wissenschaftlichkeit Dogmatismus. Mustafa Kemal Atatürk dürfte sich im Grab umdrehen, wenn er sehen könnte, was aus seiner Vision geworden ist.

Wer wissen will, wohin dieser Weg führt, braucht nur einen Blick in die Geschichte zu werfen: Kein Land ist durch eine derart einseitige, religiös-nationalistische Erziehung je vorangekommen. Und die Türkei wird da keine Ausnahme sein.


Weiterführende Links:

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern

Früher war alles besser. Oder?

Ach ja, die gute alte Zeit! Damals, als man noch verklärten Blickes über die Dörfer und Städte wandern konnte, mit einer wohligen Wärme im Herzen, und sich an einfachen Dingen erfreute. Man sehnte sich nicht nach den komplizierten Wirrungen der Moderne, nein, da wusste man, was gut und was böse war. Die Guten standen für Fortschritt, Demokratie und Menschenrechte, die Bösen – nun ja, die Bösen waren die finsteren Gestalten mit den Fackeln und den Springerstiefeln. Man konnte ihnen förmlich aus dem Weg gehen, wie man einem Hundehaufen ausweicht. Heute aber? Tja, heute muss man aufpassen, dass man nicht unversehens in eben jenen tritt.

Die Rechten, diese Schmuddelkinder der Gesellschaft, haben gelernt, sich neu zu kleiden. Der altbekannte Hauch von Dumpfheit, den sie einst ausstrahlten, ist geschickt kaschiert. Keine Glatzen, keine offensichtlichen Symbole der Unverfrorenheit mehr. Nein, jetzt kommen sie daher wie der nette Nachbar von nebenan, der gerne ein Bier mit dir trinkt und ganz harmlos mal fragt, ob es nicht vielleicht doch etwas zu viele Ausländer gibt. Man nennt das heutzutage Populismus, ein Begriff, der so harmlos klingt wie ein Kinderreim. Und schwupps, ehe man sich versieht, sitzt man mit diesen Schmuddelkindern an einem Tisch und redet.

Doch halt! Darf man das? Darf man sich mit denen an einen Tisch setzen? Darf man diese Leute anhören, ihnen gar Redezeit einräumen? Es gibt doch diesen berühmten Satz: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!“ Diesen Rat hätte man sich vielleicht doch zu Herzen nehmen sollen. Aber wir tun es ja nicht. Wir sind ja so unfassbar tolerant.

Die neue Schmuddeligkeit

Früher hat man sich für Schmuddeligkeit geschämt. Einem richtigen Schmuddelkind war klar, dass es stinkt, dass es unangenehm ist. Heute scheint man sich geradezu zu rühmen, ein solches Schmuddelkind zu sein. Es ist zur neuen Coolness geworden, sich als „Alternative“ zu präsentieren – als ob es jemals eine Alternative war, Menschenrechte infrage zu stellen. Es wird kokettiert mit Rebellion, doch was wird hier wirklich rebelliert? Gegen das Establishment? Oder gegen den gesunden Menschenverstand?

Natürlich lässt sich der Geist der Zeit nicht so einfach einfangen. Der rechte Diskurs ist viel zu geschickt, um sich als reine Dummheit entlarven zu lassen. Die neuen rechten Rattenfänger sind Rhetorikmeister. Sie reden in Schleifen, drehen Worte im Mund herum, bis man selbst nicht mehr weiß, ob man jetzt für oder gegen etwas ist. Und während die Linke intellektuell auf höchsten Abstraktionsniveaus versucht, die Welt zu erklären, sitzen die Schmuddelkinder da und murmeln einfache, schlagkräftige Parolen. „Heimat“, „Volk“, „Kultur“. Wörter, so simpel und doch so perfide.

Hier wird nicht nur geschlampt, hier wird bewusst zerstört. Aber auf charmante Art und Weise. Die modernen Rechten sind eloquent, jung und digital versiert. Der alte Haudegen mit dem Stock im Anschlag hat ausgedient, an seine Stelle tritt der smarte Typ im Anzug, der sich in den Talkshows der Nation breitmacht. Und der Clou: Man lässt ihn gewähren. Ja, man bietet ihm sogar die Bühne, auf der er sich in Szene setzen kann. Wer traut sich schon, ihn zur Ordnung zu rufen?

Willkommen im Meinungszirkus

Aber es wird ja schlimmer: Wir laden diese Schmuddelkinder nicht nur ein, wir behandeln sie sogar noch wie normale Gesprächspartner. Ach, was heißt normal – sie werden behandelt wie Stars. Plötzlich spricht jeder über sie. Die Schlagzeilen überschlagen sich: „Skandal!“, „Provokation!“, „Tabubruch!“. Der neue Rechte sitzt lächelnd in seiner Talkshow und weiß: Jede Empörung, jede Diskussion nützt ihm. Das ist kein Unfall, das ist Kalkül. Je mehr man über ihn spricht, desto mehr kann er seine verqueren Ideen streuen. Die Zuschauerzahlen steigen, die Aufmerksamkeit wächst. Ein Teufelskreis, den niemand zu durchbrechen scheint.

Natürlich, wir könnten uns auf die moralische Ebene stellen und sagen: „Mit solchen Leuten spricht man nicht.“ Doch was tun wir? Wir lassen uns auf die Diskussion ein. Denn wir haben ja alle diese verzweifelte Angst, intolerant zu wirken. Man will ja nicht der Spielverderber sein. So redet man also weiter und dreht sich dabei im Kreis. Kein Konsens, keine Lösung, nur noch mehr Spaltung. Und das alles, während die Rechten ungehindert ihr Gedankengut in die Köpfe der Menschen pflanzen.

Wäre es nicht an der Zeit, den Diskurs zu überdenken? Müssten wir nicht aufhören, diesen Menschen eine Bühne zu bieten? Die Antwort ist klar: Ja, natürlich. Doch die Realität sieht anders aus. Wir sind gefangen im eigenen Moralismus, unfähig, eine klare Grenze zu ziehen. Man möchte eben doch nicht so ganz den Anschein erwecken, dass man diese „Meinungen“ – so menschenverachtend sie auch sein mögen – nicht zulässt. Meinungsfreiheit, nicht wahr?

Eine nützliche Illusion

Ah, Meinungsfreiheit! Das goldene Kalb unserer demokratischen Kultur. Man kann es ja nicht oft genug betonen: Jeder hat das Recht auf eine Meinung. Auch die Schmuddelkinder, nicht wahr? Auch sie haben das Recht, ihre Gedanken in die Welt zu posaunen. Schließlich ist es ja unsere Aufgabe, in der liberalen Demokratie auch die unbequemsten Ansichten zu tolerieren, richtig?

Falsch. Ganz falsch. Hier liegt der Kern des Problems: Wir haben den Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und der Verantwortung, wie man mit dieser Freiheit umgeht, schlicht vergessen. Ja, jeder darf eine Meinung haben. Aber nicht jede Meinung verdient es, gehört oder gar respektiert zu werden. Wir leben in einer Zeit, in der Worte Macht haben. Sie formen nicht nur die Gedanken, sie schaffen Realität. Und genau das nutzen die Rechten aus. Sie verstecken sich hinter der Fassade der Meinungsfreiheit, während sie gezielt Hass und Ausgrenzung propagieren.

Man könnte meinen, wir wären nach all den historischen Lektionen klüger geworden. Aber nein, wir lassen die Schmuddelkinder spielen – mit unserer Demokratie, mit unseren Werten. Denn wer möchte schon der Spielverderber sein?

Wenn die Schmuddelkinder gewinnen

Und so endet dieses Trauerspiel. Wir haben die Rechten nicht nur geduldet, wir haben ihnen den roten Teppich ausgerollt. Jetzt sitzen sie in den Parlamenten, reden von „Alternativen“, während sie alles tun, um das zu zerstören, was wir mühsam aufgebaut haben. Der demokratische Diskurs wurde vergiftet, und wir haben brav zugesehen. Ach, hätte man doch nur früher den Satz beherzigt: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern.“

Aber nun ist es zu spät. Jetzt müssen wir mit den Konsequenzen leben. Vielleicht ist es ja am Ende gar nicht so schlimm. Vielleicht kommt es ja nur zu einem kleinen politischen Chaos, vielleicht nur zu ein bisschen mehr Ausgrenzung und Hass. Vielleicht wird es aber auch schlimmer. Wer weiß das schon? In jedem Fall bleibt uns eines sicher: der unverwüstliche Optimismus, dass irgendwann, irgendwie, alles wieder besser wird. Vielleicht in einem anderen Leben.

Bis dahin: Fröhliches Weiterspielen!


Weiterführende Links und Quellen:

Die neuen Flagellanten

Die Wiederauferstehung des Bußrituals im digitalen Zeitalter

Die Geschichte wiederholt sich bekanntlich als Farce, und selten lässt sich diese Binsenweisheit so wunderbar unter Beweis stellen wie beim Phänomen der sogenannten „Trusted Flagger“. Wer nun an unscheinbare, hilfsbereite Personen denkt, die uns sanft auf die Einhaltung digitaler Regeln hinweisen, der liegt genauso falsch wie jemand, der glaubt, die Hexenverbrennungen des Mittelalters hätten mit Gerechtigkeit zu tun gehabt.

Stattdessen sehen wir uns einer neuen Klasse von Akteuren gegenüber, die sich mit Flaggen bewaffnet durch die Weiten des Internets bewegen, als wären sie die letzten Ritter der digitalen Moral. Sie haben weder die Schwerter noch den edlen Sinn der alten Ritterorden, aber was sie haben, ist die Macht, alles, was ihnen verdächtig erscheint, mit einem Klick zu brandmarken. Diese digitalen Inquisitoren, von der Regierung freundlich als „vertrauenswürdige Kennzeichner“ bezeichnet, erinnern uns in ihrer Strenge und Kompromisslosigkeit an eine ganz andere Gruppe, die sich im Mittelalter durch Peitschen und Selbstgeißelung einen Namen gemacht hat: die Flagellanten.

Der Flagellantismus kehrt zurück – diesmal im Netz

Wer waren diese Flagellanten, von denen wir hier so polemisch und dennoch wohlwollend die Brücke zu den Trusted Flaggern schlagen? Im 14. Jahrhundert, als die Pest wütete und die Menschheit verzweifelt nach Erklärungen für das unaufhaltsame Sterben suchte, trat eine Bewegung von selbsternannten Büßern auf den Plan. Bewaffnet mit Peitschen und inbrünstigen Gebeten marschierten sie durch die Straßen Europas, ihre Körper blutend und ihre Seelen erfüllt vom Glauben, dass ihre Selbstgeißelung die Sünden der Welt tilgen und die Katastrophen abwenden könne.

Die „Trusted Flagger“ des 21. Jahrhunderts haben die Peitschen gegen Maus und Tastatur eingetauscht, aber das Prinzip ist dasselbe geblieben. Statt mit körperlichem Schmerz tilgen sie die „Sünden“ des Internets: Fake News, Hassrede, Desinformation, ja, vielleicht sogar Ironie – wer weiß das schon so genau. Was zählt, ist der Akt der Zensur, des Markierens, des „Flaggens“ all dessen, was als anstößig, bedenklich oder schlichtweg unerwünscht gilt. Der Unterschied? Diesmal geißeln sie nicht sich selbst, sondern die Inhalte anderer.

Die Regierung outsourced das Gewissen

Man muss der Regierung eins lassen: Wenn es um die Auslagerung unangenehmer Aufgaben geht, ist sie ein wahrer Meister. Früher musste der Staat selbst als Zensor auftreten, was zwangsläufig die düsteren Erinnerungen an DDR und Stasi wachrief. Das wollte man natürlich vermeiden. Aber keine Sorge, wie in jeder guten Tragödie, gibt es auch hier eine Wendung – die Zensur wird einfach privatisiert. „Trusted Flagger“, so heißt das Zauberwort. Ein scheinbar harmloser Begriff, der in Wirklichkeit nach Zensur schreit, aber so hübsch in der neoliberalen Sprache der Effizienz und Dezentralisierung verpackt ist, dass es kaum auffällt.

Was bedeutet das konkret? Nun, die Regierung selbst möchte nicht der Buhmann sein, also überlässt sie es externen Akteuren, die digitale „Sauberkeit“ zu gewährleisten. NGOs, Unternehmen und „besonders vertrauenswürdige“ Einzelpersonen übernehmen die Rolle der digitalen Sittenwächter. Natürlich handelt es sich hierbei nicht um offizielle Zensur – das wäre ja, Gott bewahre, undemokratisch! Nein, das Ganze wird in den freundlichen Begriff des „Flaggens“ gehüllt, als sei es ein harmloses Spiel, bei dem ein kleines Fähnchen auf die dunklen Ecken des Internets gesetzt wird, um die anderen vor der Unreinheit zu bewahren.

Das Problem? Sobald eine Flagge gehisst wird, sind Inhalte oft schneller verschwunden als man „Meinungsfreiheit“ sagen kann. Was früher dem Urteil eines Zensors vorbehalten war, liegt nun in den Händen dieser digitalen Flagellanten, die sich mit heiliger Inbrunst ihrer Aufgabe widmen, das Internet „besser“ zu machen – zumindest nach ihren eigenen, sehr spezifischen Maßstäben.

Die Flagge des Fortschritts oder der Tod der Freiheit

Man könnte meinen, dass eine Bewegung, die sich dem Schutz vor „Hassrede“ und „Desinformation“ verschrieben hat, doch eigentlich nur das Beste will. Und genau das ist die größte Gefahr. Nichts ist schlimmer für eine freie Gesellschaft als Menschen, die glauben, sie würden im Namen des Guten handeln, und deshalb keinerlei Zweifel an der Richtigkeit ihres Tuns haben. Die Trusted Flagger sehen sich als die Retter des digitalen Diskurses, die die giftigen Schlangen des Internets unschädlich machen wollen – doch oft genug ist ihr Urteil willkürlich und subjektiv.

Was sie dabei nicht bedenken: Wer bestimmt eigentlich, was „Hassrede“ ist? Wann wird aus einer Meinungsäußerung Desinformation? Wo endet die Satire und beginnt die Hetze? Die Grenzen sind fließend, und genau hier wird es gefährlich. Im Eifer des Gefechts werden immer häufiger Inhalte gebrandmarkt und entfernt, die vielleicht nur eine unbequeme Wahrheit aussprechen, die man nicht hören will. Die Trusted Flagger sind in diesem Sinne die modernen Torwächter der Meinungsfreiheit – und wir alle sind darauf angewiesen, dass sie ihren Job nicht allzu ernst nehmen.

Eine moderne Inquisition – diesmal mit Algorithmus

Die Flagellanten des Mittelalters hatten wenigstens noch die Gnade, sich selbst zu geißeln, bevor sie andere belehrten. Die Trusted Flagger dagegen haben keinen Grund zur Buße. Sie arbeiten oft im Hintergrund, unsichtbar, und ihre Entscheidungen werden durch Algorithmen automatisiert. Ein Klick hier, ein Klick da – und schon wird ein Beitrag markiert, eine Diskussion gelöscht oder ein Profil gesperrt. Der moderne Flagellant muss sich nicht mehr die Mühe machen, selbst zu urteilen, das übernehmen die Programme für ihn.

Das Paradoxe? Der freie Meinungsaustausch, der das Internet einst zu einem Ort der offenen Diskussion machte, wird immer stärker eingeschränkt, während sich die digitalen Geißler in ihrer Selbstgerechtigkeit sonnen. Alles natürlich im Namen des „Guten“, im Dienst des „Fortschritts“ – wie sollte es auch anders sein? Und während die Flaggen gehisst werden und die Inhalte verschwinden, bleibt uns nur ein schales Gefühl: Die Freiheit, für die das Internet einst stand, löst sich langsam in Wohlgefallen auf.

Die Zukunft der digitalen Bußrituale

Wohin führt das alles? Werden die Trusted Flagger irgendwann so mächtig sein, dass sie über jede Äußerung im Netz wachen? Oder wird es am Ende ein Gegenschlag geben, eine digitale Rebellion gegen die Flaggenheere, die das Internet in ein steril bereinigtes Schlachtfeld verwandeln wollen? Es bleibt abzuwarten. Was wir jedoch mit Sicherheit sagen können: Die digitalen Flagellanten werden uns weiterhin das Leben schwer machen – und wir können nur hoffen, dass sie nicht zu oft daneben schlagen.

Denn eines ist sicher: Wenn der Zensurstab einmal in die Hände solcher „Vertrauenspersonen“ gelegt wird, dann ist die Grenze zwischen der berechtigten Ahndung von Verstößen und dem überzogenen Drang zur Kontrolle schneller überschritten, als man es sich in den kühnsten Dystopien ausmalen könnte. Am Ende bleibt uns nichts anderes übrig, als weiterhin kritisch zu bleiben – und uns immer wieder daran zu erinnern, dass Meinungsfreiheit nicht bedeutet, nur das zu hören, was wir mögen.

Quellen und weiterführende Links

  1. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Suhrkamp Verlag, 1977.
  2. Habermas, Jürgen: Der Strukturwandel der Öffentlichkeit. Suhrkamp Verlag, 1962.
  3. Zuboff, Shoshana: The Age of Surveillance Capitalism. PublicAffairs, 2019.
  4. Kittler, Friedrich: Grammophon, Film, Typewriter. Brinkmann & Bose, 1986.
  5. Dean, Jodi: Blog Theory: Feedback and Capture in the Circuits of Drive. Polity Press, 2010.

Ein Aufruf zur Selbstkritik

Die Linke und ihre Tendenz zur kulturellen Selbstaufgabe: Ein Blick in den politischen Abgrund

Die Linke, einst der strahlende Held im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit, hat sich in den letzten Jahren in eine bizarre Karikatur ihrer selbst verwandelt. Was einst eine Bewegung war, die für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einstand, erinnert heute mehr an ein selbstgefälliges Theaterstück, in dem jeder Akteur mit dem anderen um den Titel des moralischen Übervaters konkurriert. Das Stück ist eine tragikomische Farce, in der die eigene Identität und Kultur immer mehr den Abgrund hinabgezogen werden – und das alles im Namen der Toleranz.

Wenn man die Entwicklungen innerhalb der Linken betrachtet, stellt sich die Frage: Ist das der Preis für eine angebliche Aufgeschlossenheit? Ein Preis, der das eigene kulturelle Erbe und die Errungenschaften der Aufklärung zu opfern bereit ist? Ja, die Frage drängt sich auf: Hat die Linke die Fähigkeit zur Selbstreflexion verloren? Hat sie sich so weit von ihren Ursprüngen entfernt, dass sie nun selbst zur Verfechterin der Unterdrückung geworden ist, indem sie sich vor einem Teil der Gesellschaft duckt, der nicht nur den eigenen Wertvorstellungen widerspricht, sondern diese aktiv anfeindet? Eine schmerzhafte Betrachtung, die wir in den folgenden Absätzen wagen wollen.

Die linke Selbstverleugnung

Die ersten Anzeichen der kulturellen Selbstaufgabe zeigen sich oft schleichend, fast unbemerkt. Die Linke, die sich einst als die Stimme der Vernunft und der kritischen Reflexion verstand, hat sich in eine Art intellektuelle Selbstzensur geflüchtet. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit dem Islam, der von vielen als die letzte Bastion einer angeblichen kulturellen Bereicherung betrachtet wird. Diese Art der Selbstverleugnung führt dazu, dass Diskussionen über die Herausforderungen, die aus dieser kulturellen Vielfalt resultieren, entweder ganz vermieden oder als „islamophob“ abgestempelt werden.

Es ist fast schon grotesk, wenn man sieht, wie einige linke Protagonisten sich an die schillernden Parolen der Toleranz klammern, während sie gleichzeitig grundlegende Fragen zur Integration und zum Umgang mit kulturellen Unterschieden ausklammern. „Wir müssen die Vielfalt feiern!“, tönt es aus den Ritzen der Parteizentralen, während die Realität in den städtischen Brennpunkten eine andere Sprache spricht. Stattdessen gibt es den reflexiven Verweis auf die historische Unterdrückung, die den Islam als Opfer darstellen soll, selbst wenn es sich bei den Protagonisten um Menschen handelt, die im Namen des Islams eine eigene Frauenfeindlichkeit und Intoleranz propagieren.

Die eigene kulturelle Identität wird im Namen der politischen Korrektheit zerschlagen, und das alles, um das eigene Gewissen zu beruhigen. Einem solchen Wahnsinn begegnet man am besten mit einem scharfen Blick für die Widersprüche, die sich hier offenbaren. Während man die eigene Kultur in Frage stellt, um den Schimmer der multikulturellen Gesellschaft zu fördern, bleibt das Fundament, auf dem diese Gesellschaft ruht, untergraben. Wo bleibt die Aufklärung, wenn die Rechte der Frauen, die Gleichheit der Geschlechter und die universellen Menschenrechte dem Drang nach Toleranz geopfert werden?

Der heilige Konflikt: Feminismus versus Islam

Kommen wir nun zum eigentlichen Kern des Problems: dem Feminismus und dem Islam. Es ist ein Konflikt, der nicht nur die feministische Bewegung, sondern auch die gesamte linke Ideologie auf die Probe stellt. Feministinnen, die sich in der Vergangenheit mit Entschlossenheit für die Rechte der Frauen eingesetzt haben, scheinen heute oft den Mund zu halten, wenn es um die Frage der Unterdrückung von Frauen in islamischen Gesellschaften geht. Wo ist die Empörung, wenn sich Frauen in Burkas hüllen und zur Folklore eines „alternativen Lebensstils“ stilisiert werden? Es ist ein Trauerspiel, wenn die eigene ideologische Basis den Blick auf die Realität so stark vernebelt, dass man die eigene Stimme nicht mehr erheben kann.

Die Reaktion der Linken auf diesen Widerspruch ist eine Art Zynismus, der die Grenzen zwischen Vernunft und Wahnsinn verschwimmen lässt. Um den Anspruch auf Toleranz zu wahren, wird alles getan, um den Konflikt zu ignorieren oder zu relativieren. Man könnte fast meinen, dass die Linke einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat: „Wir akzeptieren deine Traditionen, wenn du im Gegenzug unsere Errungenschaften ignorierst.“ Es ist eine Vereinbarung, die sowohl für die Frauen als auch für die Aufklärung katastrophale Folgen hat.

Die linke Bewegung hat sich, um ihrem eigenen Zynismus zu entkommen, in eine Art kulturelle Lethargie geflüchtet. Wo einst Feministinnen gegen den Sexismus in der Gesellschaft kämpften, wird heute oft mit einem feigen Rückzug reagiert. Man glaubt, dass die Unterstützung für den Islam eine Form von Solidarität darstellt, während man gleichzeitig die Gewalt und den Druck ignoriert, die viele Frauen in diesem Kontext erleiden. Es ist ein zynischer Handel, der den eigenen Anspruch an Gerechtigkeit und Gleichheit untergräbt und die Stimme der Unterdrückten zum Schweigen bringt.

Der Teufelskreis der intellektuellen Korrektheit

Ein weiteres Element, das zur Selbstaufgabe der Linken beiträgt, ist die Vorliebe für intellektuelle Korrektheit. Man könnte sagen, dass diese eine Art masochistischer Reflex ist, bei dem der eigene Verstand in einer anhaltenden Selbstzensur gefangen ist. Der verzweifelte Versuch, mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln, während man gleichzeitig den Blick auf die tatsächlichen Probleme in der Gesellschaft abwendet, führt zu einem Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gibt.

Dieser Teufelskreis wird durch die ständige Angst vor dem digitalen Pranger genährt, der über jeden herabzieht, der es wagt, eine andere Meinung zu vertreten oder unbequeme Fragen zu stellen. Eine Art von politischer Rigidität, die jeden kritischen Diskurs erstickt und die Chancen auf eine echte Reflexion der eigenen Werte und Überzeugungen aushebelt. Die Linke hat es versäumt, das eigene Erbe der Aufklärung und der kritischen Theorie zu bewahren und sich stattdessen in eine Erzählung geflüchtet, die sich selbst als progressiv versteht, während sie die Realität unterdrückt.

An diesem Punkt stellt sich die Frage: Ist diese intellektuelle Selbstaufgabe der Preis, den die Linke bereit ist zu zahlen, um ihre moralische Überlegenheit zu behaupten? Oder ist es vielmehr ein Zeichen der Verzweiflung, das aus einer tiefen Unsicherheit in Bezug auf die eigenen Werte resultiert? Die Antworten sind so vielschichtig wie die Akteure selbst, und doch bleibt die Hoffnung, dass die Linke ihre Wurzeln nicht vollständig aufgeben wird.

Der schleichende Untergang der Ideale

In Anbetracht dieser Faktoren wird klar, dass die Linke auf einem schmalen Grat balanciert – zwischen Toleranz und Feigheit, zwischen Solidarität und kultureller Selbstaufgabe. Was einst eine Bewegung war, die für Freiheit und Gleichheit stand, droht, sich in eine Sammlung von Widersprüchen zu verwandeln, die sich selbst nicht mehr zu erklären vermag. Die Herausforderung besteht darin, die eigenen Werte zu verteidigen, ohne sich vor einer Kultur zu ducken, die im Namen einer fragwürdigen Toleranz bereit ist, den eigenen kulturellen Reichtum zu opfern.

Und so bleibt am Ende die Frage: Wie kann die Linke ihren Weg zurück zur Selbstbehauptung finden, ohne die Errungenschaften der Aufklärung zu opfern? Wie kann sie sich von der kulturellen Selbstaufgabe befreien, ohne dabei den Anstand und die moralische Integrität zu verlieren, die einst ihre Stärke ausmachten? Es sind Fragen, die nicht nur die Linke betreffen, sondern die gesamte Gesellschaft in ihrer Auseinandersetzung mit kulturellen Differenzen.

Ein Appell an die Vernunft

Der vorliegende Essay soll nicht nur eine kritische Analyse der gegenwärtigen Herausforderungen der Linken bieten, sondern auch als Appell an die Vernunft dienen. Es liegt an uns allen, diese Fragen zu stellen und die Diskussion darüber voranzutreiben, ohne in die Fallen der Kontaktschuld und der kulturellen Selbstaufgabe zu tappen. In einer Zeit, in der die Welt so fragmentiert ist wie nie zuvor, müssen wir uns unserer Verantwortung bewusst werden – nicht nur für uns selbst, sondern auch für die kommenden Generationen.

Die kulturelle Vielfalt ist ein Geschenk, aber es darf nicht auf Kosten der eigenen Identität und Werte geschehen. Nur wenn wir bereit sind, die unbequemen Fragen zu stellen und die Widersprüche zu akzeptieren, können wir einen Weg finden, der sowohl der Toleranz als auch der Vernunft gerecht wird. Es ist Zeit, die Ketten der kulturellen Selbstaufgabe abzulegen und in eine Zukunft zu treten, die geprägt ist von kritischem Denken, echter Solidarität und einem unverfälschten Bekenntnis zu den universellen Werten, die uns als Gesellschaft zusammenhalten.

Quellen und weiterführende Links

  1. Said, Edward W. Orientalism. New York: Pantheon Books, 1978.
  2. Fukuyama, Francis. The End of History and the Last Man. New York: Free Press, 1992.
  3. Huntington, Samuel P. The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order. New York: Simon & Schuster, 1996.
  4. Berger, Peter L. The Social Reality of Religion. London: Faber & Faber, 1969.
  5. Berman, Paul. Terror and Liberalism. New York: W.W. Norton & Company, 2003.
  6. Wikipedia – Artikel über „Cancel Culture“ und „Islam“.
  7. Die Zeit – Artikel über den Feminismus im Kontext des Islams.
  8. Der Spiegel – Berichte über den Zustand der Linken in Deutschland.
  9. Bücher und Essays – Ausgewählte Beiträge zur Debatte über Multikulturalismus und Integration.
  10. Podcasts und Vorträge – Diskussionen über kulturelle Identität, Toleranz und die Herausforderungen der Linken in der heutigen Gesellschaft.

Das Thema ist so aktuell wie nie und verdient eine differenzierte Auseinandersetzung. Es liegt an uns, nicht nur die richtigen Fragen zu stellen, sondern auch Antworten zu finden, die uns in einer komplexen Welt zusammenführen.

Der Mann ohne Gedächtnis und die Kunst des Vergessens

Prolog: „Was ich nicht mehr weiß, macht niemanden heiß“

In der immer komplizierter werdenden Welt der Politik gibt es einen Mann, der eine simple, aber brillante Taktik zur Bewältigung dieses Chaos perfektioniert hat: das gezielte Vergessen. Olaf Scholz, seines Zeichens Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und selbsternannter Kanzlerdarsteller, hat das Gedächtnis zu einer variablen Größe erklärt, zu einem Ding, das sich biegen, dehnen und vor allem ausradieren lässt, wann immer es politisch nützlich ist. Und so moderiert er mit der sanften Beharrlichkeit eines Trauerredners den Niedergang Deutschlands. Sein Werkzeug? Ein politisches Amnesie-Narrativ, das er mit stoischer Gelassenheit und dem trockenen Charme eines Mannes vorträgt, der weiß: Was ich nicht mehr weiß, macht niemanden heiß.

Wissen Sie noch? Nein, ich auch nicht.

Scholz ist nicht einfach nur Politiker – er ist ein Virtuose der Unwissenheit. Sein Talent liegt nicht etwa darin, Probleme zu lösen, sondern darin, sich geschickt als Unbeteiligter an jenen Problemen zu inszenieren, die er oft selbst verursacht hat. Das Gedächtnis ist ihm dabei mehr Bürde als Segen. Warum sich mit Details, Zahlen oder rechtlichen Verantwortlichkeiten aufhalten, wenn man sich auf den eleganten Rückzug ins Reich der Gedächtnislücken begeben kann?

Und so sitzt Scholz in den Untersuchungsausschüssen zu Cum-Ex und Wirecard wie ein Mönch der Vergesslichkeit, der sich von den irdischen Fesseln der Erinnerung losgesagt hat. Während die Fragen prasseln wie ein Herbstregen auf dem Kanzleramt, sitzt Scholz mit regungsloser Miene da, sein Gesicht eine Maske der Abgeklärtheit: „Ich kann mich nicht erinnern.“ Er sagt das nicht einfach, er lebt es. Seine Worte wirken wie aus Stein gemeißelt – schwer, unverrückbar, und doch völlig bedeutungslos. Ein rhetorischer Meisterstreich, denn was kann man einem Mann vorwerfen, der sich an nichts mehr erinnert?

Cum-Ex oder cum-irgendwas

Eine der schillerndsten Episoden in Scholz’ schillernder Karriere als politischer Amnesist ist der Cum-Ex-Skandal. Milliarden Euro wurden von Banken und Investoren aus der Staatskasse gezapft, eine der größten Steuerbetrügereien in der Geschichte Deutschlands. Und mittendrin: Olaf Scholz, damals noch Bürgermeister von Hamburg. Wie genau seine Rolle in diesem Skandal aussah, darüber kann der Kanzlerdarsteller heute wenig sagen. „Ich weiß es nicht mehr genau“, lautet sein elegantes Mantra, das er wie ein sorgfältig einstudiertes Zitat aus einem Vergessensbrevier wiederholt.

Die Frage, ob Scholz sich noch an Treffen mit den Cum-Ex-Protagonisten erinnern könne, ist nur eine von vielen. Doch die Antwort ist immer die gleiche: „Ich kann mich nicht erinnern.“ Diese Worte, so schlicht sie auch erscheinen mögen, sind das Meisterwerk seines politischen Lebens. Es sind keine gewöhnlichen Worte, sondern das Fundament eines politischen Systems, das auf nebulösem Nicht-Wissen aufgebaut ist. Eine Art intellektuelles Zen: Wer nichts weiß, wird von nichts erschüttert.

Während sich andere Politiker in der Verteidigung ihrer Integrität windend und schwitzend um Worte ringen, hat Scholz die Kunst des eleganten Vergessens zur Vollendung gebracht. Statt sich zu verteidigen, wischt er die Erinnerung einfach weg wie Kreidestaub von einer Tafel.

Moderieren statt Regieren

Olaf Scholz ist kein Kanzler, der regiert. Er moderiert. Und zwar den Niedergang Deutschlands, mit der stoischen Gelassenheit eines Mannes, der längst verstanden hat, dass die eigentliche Macht nicht darin liegt, Entscheidungen zu treffen, sondern sie so lange hinauszuzögern, bis sie sich in Luft auflösen. So steuert Scholz das Land durch eine Dauerkrise, die sich nicht mehr aufhalten lässt – nicht durch Energiekrisen, nicht durch Inflation und schon gar nicht durch seine eigene Regierung.

Man könnte meinen, dass der Job eines Kanzlers darin besteht, das Land in schwierigen Zeiten zu führen, Antworten zu finden und Visionen zu entwerfen. Doch Scholz hat diese Erwartungen ins Gegenteil verkehrt. „Führung“ bedeutet für ihn: die Krise einfach „aussitzen“. Ob Gaslieferungen aus Russland gestoppt werden, die Inflation auf Rekordhöhe klettert oder die eigene Koalition auseinanderfällt – Scholz sitzt da wie eine Sphinx in der Brandung des Chaos. Seine Strategie? Abwarten und Tee trinken. Oder Kaffee, falls die Inflation es zulässt.

Während Deutschland unter einer erdrückenden Welle aus Bürokratie und politischer Stagnation leidet, moderiert Scholz die Situation mit einer Mischung aus äußerster Langeweile und stoischer Ignoranz. Seine Reden klingen, als ob er gerade eine Trauerfeier abhält – nur dass der Verstorbene die deutsche Innovationskraft und das politische Vertrauen der Bürger sind. Aber wer würde sich schon an das Gesicht eines Kanzlers erinnern, der keine Spuren hinterlässt?

Die Kunst des politischen Zen

Olaf Scholz hat es geschafft, die Kunst des Nichtstuns auf ein neues Level zu heben. In einer Zeit, in der die Welt brennt – politisch, wirtschaftlich, ökologisch – hat er beschlossen, dass es besser ist, einfach nichts zu tun. Denn wer nichts tut, macht keine Fehler, und wer keine Fehler macht, muss sich auch an nichts erinnern.

Dieses Prinzip hat Scholz verinnerlicht wie kein anderer. Statt mit visionären Konzepten und mutigen Reformen voranzugehen, vertraut er auf die Kraft des Status quo. Und wenn der Druck zu groß wird, gibt es immer noch die Wunderwaffe: das Schweigen. Wenn man nichts sagt, gibt es auch nichts, woran man sich erinnern muss. Genial!

Scholz bewegt sich durch die politische Landschaft wie ein Zen-Meister durch einen Garten: gelassen, wortkarg, unaufgeregt. Wo andere hektisch versuchen, die Welt zu retten, hat Scholz längst erkannt, dass der wahre Sieg im Nicht-Handeln liegt. Seine Stille ist kein Zeichen der Schwäche, sondern ein politisches Statement: „Lasst mich in Ruhe, ich erinnere mich sowieso nicht.“

Der Gedächtnisslalom durch die Skandale

Wenn es eines gibt, das Scholz‘ Karriere wie ein roter Faden durchzieht, dann sind es die Skandale. Da war die Hamburger Warburg Bank und der Cum-Ex-Skandal, dann der Wirecard-Skandal, bei dem Milliardenbeträge durch die Finger der Finanzaufsicht flossen, während Scholz als Finanzminister sorgsam darauf achtete, nichts zu sehen und sich später an noch weniger zu erinnern.

Es ist, als würde Scholz durch einen Slalomlauf der Erinnerung navigieren, gekonnt ausweichend vor jeder Verpflichtung, irgendeine Verantwortung zu übernehmen. In all diesen Skandalen ist Scholz nie wirklich präsent, nie wirklich greifbar. Er ist da, aber gleichzeitig auch nicht. Die Dokumente verschwinden, die Erinnerung erodiert, und Scholz steht am Ende wie ein Mann, der nie wirklich da war – eine geisterhafte Erscheinung, die sich durch den Nebel der Unverbindlichkeit bewegt.

Und wenn dann doch einmal Fragen auftauchen, stellt sich Scholz mit der Ruhe eines Menschen, der bereits die ultimative Antwort gefunden hat: „Ich kann mich nicht erinnern.“ Damit blockt er jede Debatte ab, jede Untersuchung, jede Verantwortung. Diese Strategie ist so brillant wie absurd, und gleichzeitig tragisch-komisch in ihrer Banalität.

Der Kanzlerdarsteller als tragische Figur der Gegenwart

Am Ende bleibt uns ein Kanzler, der weniger durch seine Taten als durch sein Schweigen, seine Vergesslichkeit und seine stoische Unbeirrbarkeit in Erinnerung bleibt – oder auch nicht. Olaf Scholz ist die perfekte Verkörperung einer politischen Epoche, in der die Tatenlosigkeit zur Tugend erklärt wird und das Vergessen zum Instrument der Macht avanciert.

Man könnte fast Mitleid empfinden für Scholz, diesen tragischen Helden der politischen Amnesie. Doch Mitleid ist nicht das richtige Gefühl. Bewunderung auch nicht. Stattdessen bleibt ein leises, zynisches Schmunzeln über die groteske Farce, in der sich die deutsche Politik derzeit befindet. Ein Kanzler, der nichts erinnert und noch weniger bewirkt – und ein Land, das langsam, aber sicher, in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit taumelt.

Doch auch das wird Scholz irgendwann vergessen.

Quellen und weiterführende Links

  1. Untersuchungsausschuss Cum-Ex: Die Rolle von Olaf Scholz – Tagesspiegel.
  2. Wirecard-Skandal und das Finanzministerium – Süddeutsche Zeitung.
  3. Scholz und der Cum-Ex-Skandal – Die Zeit.
  4. Adorno, Theodor W.: Minima Moralia – Für alle, die die Absurdität der modernen Gesellschaft noch tiefer ergründen wollen.
  5. Beckett, Samuel: Warten auf Godot – Das perfekte literarische Pendant zu Scholz’ Regierungsstil.

Der Jesus-Beweis

Die unbefleckte Empfängnis und das Y-Chromosom – Ein Wunder der Genetik

Es gibt Themen, die scheinen so fest in der kulturellen und religiösen Erzählung verankert, dass sie jeglicher Kritik entzogen sind. Doch genau solche Themen bieten das beste Material für eine polemische, satirische Betrachtung. Und gibt es ein besseres Thema für eine solche Analyse als die Geschichte von Jesus von Nazareth, dem symbolischen Herz der christlichen Religion? Noch dazu, wenn wir die moderne Gender-Debatte in die uralte Frage nach seiner Identität einfließen lassen?

Wenn man sich nämlich den biblischen Bericht von Jesu Herkunft anschaut, drängt sich ein beunruhigender Gedanke auf: Jesus war das Produkt einer unbefleckten Empfängnis. Also kein Sex, keine Spermien, kein genetischer Beitrag eines biologischen Vaters. Was bedeutet das? Nun, da wird der moderne Genetiker stutzig: Wenn Josef nicht der biologische Vater war, woher sollte Jesus dann ein Y-Chromosom haben, das ihn als biologischen Mann klassifiziert? Ohne das Y-Chromosom, das den entscheidenden Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Menschen ausmacht, müsste Jesus theoretisch als Frau geboren worden sein. Oder – und hier wird es spannend – könnte es sein, dass Jesus weder männlich noch weiblich war, sondern trans-queer?

Maria, der Heilige Geist und die Genderfluidität

Beginnen wir mit der zentralen Figur in dieser Entstehungsgeschichte: Maria, die Jungfrau. Sie wurde nach der Überlieferung vom Heiligen Geist „überschattet“. Die Formulierung ist hier entscheidend, denn „überschatten“ klingt schon ein wenig nach einem metaphysischen Übergriff, aber wir wollen Maria nicht noch zusätzlich belasten. Wichtiger ist die Tatsache, dass Josef nicht der Vater war. Das bedeutet, es gab keine Samenzelle, die ein Y-Chromosom beisteuern konnte.

Nun könnte man natürlich argumentieren, dass der Heilige Geist in seiner unendlichen Weisheit und Allmacht durchaus in der Lage gewesen wäre, ein Y-Chromosom aus dem Nichts zu erschaffen. Aber ehrlich gesagt, warum sollte er? Hat der Heilige Geist nicht ohnehin eine gewisse Fluidität in sich, die wir in den heutigen Begriffen als „genderfluid“ bezeichnen könnten? Schwebend zwischen den Geschlechtern, weder männlich noch weiblich, sondern jenseits solcher binärer Kategorien. Wenn dieser Geist Jesus gezeugt hat, dann vielleicht in einem ebenso fluiden, nicht-binären Körper? Die Vorstellung, dass Jesus schon allein durch die Umstände seiner Geburt in die Queer-Debatte eintritt, ist im Licht der modernen Gender-Theorie gar nicht so weit hergeholt.

Zwischenmenschlichkeit und göttliche Transzendenz

Wenn wir uns die Lebensgeschichte Jesu genauer ansehen, bemerken wir, dass er immer wieder als Außenseiter agiert, als jemand, der nicht in die konventionellen sozialen Strukturen passt. Seine Predigten sind durchzogen von einer Haltung der Inklusion und Empathie für die Ausgegrenzten. Er umgab sich nicht mit den Reichen und Mächtigen, sondern mit Zöllnern, Huren, Kranken und all jenen, die am Rande der Gesellschaft standen. Wenn das nicht schon ein erster Hinweis darauf ist, dass er sich selbst als Teil einer queeren, nicht-normativen Gemeinschaft verstand, dann weiß ich auch nicht weiter.

Was war Jesus also, wenn nicht eine Art Vorläufer der heutigen LGBTQ-Bewegung? Er stellte gesellschaftliche Normen infrage, predigte bedingungslose Liebe und Inklusion und stand für eine radikale Neubewertung des menschlichen Zusammenlebens. Er war, mit anderen Worten, die vielleicht prominenteste trans-queere Figur der Geschichte, lange bevor die Gesellschaft überhaupt einen Namen für diese Identität hatte. Wenn man die Evangelien liest, kann man fast die Regenbogenfahne über Nazareth flattern sehen, während Jesus in Sandalen durch die Gegend läuft und Menschen über Akzeptanz und Liebe belehrt.

Die männliche Zuschreibung und das patriarchale Missverständnis

Natürlich gibt es eine große, nicht unwesentliche Hürde, die dieser These im Wege steht: die ständige Bezeichnung Jesu als „Sohn Gottes“. Doch was, wenn dies ein klassischer Fall von patriarchalem Missverständnis ist? Die Männer, die die Bibel schrieben – und wir dürfen nicht vergessen, dass es ausschließlich Männer waren – waren so sehr in ihrem patriarchalischen Denken gefangen, dass sie keine andere Vorstellung von göttlicher Macht hatten als die eines männlichen Gottes, der einen männlichen Sohn zeugt. Doch was, wenn diese Bezeichnung nichts weiter als eine symbolische Fehlinterpretation ist?

Jesus selbst bezeichnete sich lieber als „Menschensohn“, was viel inklusiver klingt. Kein Hinweis auf das biologische Geschlecht, sondern eine Art neutrale Selbstbezeichnung. Menschensohn – das könnte genauso gut „Menschenkind“ heißen. Wenn wir also die Bibel mit einem kritischen, queer-theoretischen Blick lesen, erkennen wir, dass Jesus sich sehr bewusst von der traditionellen, männlichen Zuschreibung entfernt hat. Vielleicht fühlte er sich nie vollständig als Mann? Vielleicht empfand er die rigiden Geschlechtsrollen seiner Zeit als einengend, als unzureichend, um seine göttliche Mission zu erfüllen?

Kreuzigung als queerer Akt der Selbstaufopferung

Ein weiteres faszinierendes Element, das in dieser Betrachtung nicht übersehen werden sollte, ist die Kreuzigung selbst. In der queeren Theologie gibt es die Überzeugung, dass die Selbstaufopferung, das radikale Außenseitertum und die Ablehnung durch die Gesellschaft eine zentrale Rolle im Leben vieler queerer Menschen spielen. Jesus, der zu Unrecht verurteilt, gefoltert und hingerichtet wurde, steht damit symbolisch für all jene, die sich in einer Welt behaupten müssen, die ihre Existenz nicht versteht oder akzeptiert.

Die Kreuzigung kann also als ein symbolischer Akt der Selbstaufopferung verstanden werden, der in der queeren Community bis heute relevant ist. Jesus wählte nicht den leichten Weg, sondern ging direkt auf den Scheideweg zwischen Leben und Tod, zwischen gesellschaftlicher Akzeptanz und vollständiger Ablehnung zu. Dieses ultimative Opfer – seine Existenz als etwas „Anderes“ in einer Welt, die Anderssein nicht akzeptiert – macht ihn zu einer idealen Ikone der Queerness.

Ein Neuanfang jenseits der Geschlechter

Und dann kommt die Auferstehung – der Moment, in dem Jesus, der tot geglaubte Sohn Gottes, aus dem Grab tritt. Aber was aufersteht, ist mehr als nur der Körper eines Mannes. Es ist der Beweis, dass das Leben und die Identität Jesu alle Kategorien sprengt, die wir ihm zuschreiben wollen. Geschlecht, Identität, Körper – all das wird in der Auferstehung irrelevant. Jesus überwindet nicht nur den Tod, sondern auch die binären Vorstellungen von Mann und Frau, von Mensch und Gott.

Die christliche Theologie hat diesen Moment als das zentrale Mysterium des Glaubens gefeiert. Doch was, wenn die Auferstehung ein Symbol für den Sieg über die binäre Geschlechterordnung ist? In diesem Sinne könnte man sagen, dass Jesus in seiner Auferstehung zu einer Art göttlicher Transfigur geworden ist – ein Wesen, das sich jeglicher Kategorie entzieht und damit zum ultimativen Symbol der Queerness wird.

esus als trans-queere Erlöserfigur der modernen Welt

Was lernen wir also aus all dem? Jesus war mehr als nur ein einfacher Mann, der in einem fernen Land predigte. Er war – ob er sich dessen bewusst war oder nicht – eine Figur, die alle Kategorien von Geschlecht und Identität sprengte. Die unbefleckte Empfängnis, seine rebellische Botschaft der Liebe und Inklusion, sein Außenseitertum, seine Kreuzigung und schließlich seine Auferstehung – all dies fügt sich zu einem Bild zusammen, das ihn als trans-queere Ikone in der heutigen Welt neu erstrahlen lässt.

Natürlich wird diese Interpretation nicht jedem gefallen, besonders nicht den traditionellen Gläubigen, die an den althergebrachten Vorstellungen von Geschlecht und Göttlichkeit festhalten. Doch genau darin liegt der Reiz dieser Analyse: Sie fordert uns heraus, unsere Sichtweisen zu hinterfragen und Jesus in einem neuen, modernen Licht zu sehen. Vielleicht ist es an der Zeit, die alten Mythen auf den Prüfstand zu stellen und zu erkennen, dass der Messias selbst schon lange vor uns das getan hat, wofür heute so viele kämpfen: Er hat das binäre Denken überwunden.

Quellen und weiterführende Links

  1. The Holy Bible, New Testament – Die Primärquelle, die Grundlage aller theologischen Diskussionen.
  2. Judith Butler, Gender Trouble – Die bahnbrechende Arbeit über Geschlecht und Identität, die uns hilft, Jesus als postmoderne Figur zu betrachten.
  3. Michel Foucault, Überwachen und Strafen – Eine wichtige Lektüre über Machtstrukturen, die auch im religiösen Kontext von Bedeutung ist.
  4. John Shelby Spong, Jesus for the Non-Religious – Ein unorthodoxer Blick auf das Leben Jesu, jenseits traditioneller Glaubenssätze.
  5. Queer-Theologie: Diverse Texte und Artikel, die die Rolle von Religion in der modernen Genderdebatte hinterfragen.