Die Maskerade der Tugend

Zwischenruf aus der Vergangenheit

Wenn Ignazio Silone, ein Mann, der dem Faschismus ins kalte Auge geblickt hatte, in den Ruinen des Zweiten Weltkriegs warnte, der Faschismus werde eines Tages im Mantel des Antifaschismus zurückkehren, so darf man sich erlauben, diesem Gedanken mit vorsichtiger Ironie zu begegnen. Denn wie viel subtiler könnte sich eine totalitäre Ideologie tarnen als mit der Maske der Tugend, der Banner der Freiheit und der Moral in Händen haltend? Silones Zitat ist eine jener pointierten Bemerkungen, die gleichermaßen als Mahnung wie auch als Einladung zur Selbstprüfung dienen. Doch wie ernst ist es ihm gewesen? War das ein prophetisches Seufzen oder schlicht ein kluger Aphorismus für die Ewigkeit, einer jener Sätze, die dazu geschaffen sind, in den Gassen von Florenz als Graffito zu enden oder in den Fußnoten linker Theoretiker verstaubt zu werden?

Der Antifaschismus als sakrosanktes Narrativ

Man könnte behaupten, der Begriff „Antifaschismus“ sei mittlerweile die perfekte Hohlformel geworden: wandelbar, adaptiv und elastisch genug, um alles und jeden zu umfassen, der sich irgendwie gegen Unterdrückung positioniert – oder dies zumindest behauptet. Da ist keine klare Linie mehr zwischen dem, was realer Widerstand ist, und dem, was bloß schillernde Pose bleibt. Denn seien wir ehrlich: Wer möchte in den Spiegel schauen und entdecken, dass er auf der „falschen Seite der Geschichte“ steht? Doch genau hier beginnt das Problem: Der Antifaschismus, so wie er heute vielfach auftritt, funktioniert nicht mehr als Werkzeug der Emanzipation, sondern immer öfter als Waffe der gesellschaftlichen Sanktionierung. Er wird zum Kontrollinstrument, ein moralischer Pranger, dessen Effektivität nicht auf Fakten, sondern auf der emotionalen Macht seiner Begriffe basiert.

Die Dialektik der Tugendterroristen

Es scheint fast eine dialektische Ironie der Geschichte zu sein, dass der Kampf gegen den Faschismus zuweilen selbst faschistoide Züge annimmt. Da marschieren sie, die neuen Tugendwächter, bewaffnet mit Twitter-Accounts, empörten Hashtags und der moralischen Unfehlbarkeit eines Zehnjährigen, der gerade entdeckt hat, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist, sondern in hunderttausend Grautönen schimmert. Ihre Gegner? Jeder, der es wagt, auch nur eine Nuance außerhalb der offiziellen Palette der korrekten Meinungen zu wählen. Und hier liegt die groteske Tragik: Wer einmal in die Fänge dieser selbsternannten Garde gerät, wird nicht befragt, er wird verurteilt. Der Antifaschismus wird so zum Tribunal, vor dem Abweichler keine Gnade erwarten dürfen.

Eine neue Uniform für alte Ideen

Das Paradoxe – und vielleicht auch das Geniale – an dieser neuen Form von moralischem Konformitätsdruck ist, dass er von einer Erzählung getragen wird, die sich auf die höchsten Prinzipien der Freiheit und der Menschenwürde beruft. Wer könnte es wagen, sich dagegen zu stellen? „Antifaschistisch“ ist das Adjektiv, das jeden Zweifel zerquetscht, jede Debatte vorab beendet. In seinem Namen wird diffamiert, ausgeschlossen, boykottiert, sanktioniert. Dabei könnte es fast zum Lachen reizen, wie blind die moralischen Wachtposten gegenüber ihrer eigenen Inkohärenz sind. Sie, die sich als die letzten Bastionen gegen autoritäre Übergriffe sehen, werden selbst zu autoritären Überwachern. Doch wie man weiß, sieht ein Fisch sein eigenes Wasser nicht.

Die Ästhetik der Anklage

In einer Zeit, in der Diskurse mehr von Emotionen als von Argumenten geprägt sind, haben Worte wie „Faschist“ oder „Nazi“ ihre ursprüngliche Schärfe verloren. Sie wurden zu bloßen Etiketten, die man Gegnern aufklebt, um sie aus der Arena zu schubsen. Das Problem dabei? Wenn jede Abweichung, jede Opposition, jeder Zweifel faschistisch ist, dann ist irgendwann gar nichts mehr faschistisch. Das Wort wird entkernt, seines ursprünglichen Schreckens beraubt, bis es nichts weiter ist als ein rhetorischer Vorschlaghammer, der mehr Lärm als Wirkung verursacht. Und was bleibt am Ende übrig? Ein gesellschaftliches Klima, in dem keiner mehr wagt, das Wort zu ergreifen, aus Angst, mit dem falschen Etikett versehen zu werden.

Selbstmord der Kritik

Silones warnender Satz ist heute vielleicht aktueller denn je, nicht weil der Faschismus im herkömmlichen Sinne wiederkehrt, sondern weil wir vergessen haben, wie man ihn erkennt. Die wahren Feinde der Freiheit tarnen sich nicht mehr in Uniformen und Stiefeln, sondern in freundlichen Phrasen, inklusiven Logos und gut gemeinten Initiativen. Doch unter der glänzenden Oberfläche lauert derselbe alte Geist: der Zwang, die Welt in Gut und Böse zu teilen, die Unfähigkeit, Ambiguitäten zu ertragen, und der unbändige Drang, die eigene Wahrheit universell zu machen. Und so kehrt er zurück, nicht mit dem Marschtritt vergangener Tage, sondern im sanften Flüsterton, der sich stets als das Gegenteil von dem ausgibt, was er ist.

Die Pflicht zur Skepsis

Am Ende bleibt die Frage: Wie entkommen wir diesem neuen Tugendwahn? Die Antwort ist so schlicht wie unbequem: mit Skepsis. Skepsis gegenüber einfachen Antworten, Skepsis gegenüber moralischen Absolutismen, Skepsis auch gegenüber dem eigenen Drang, alles in Schubladen zu stecken. Vielleicht würde Silone heute mit einem leisen Lächeln anmerken, dass der Faschismus zurückgekehrt ist – in Gestalt derer, die sich am lautesten gegen ihn stellen. Doch wie jeder gute Satiriker wüsste auch er: Die Tragödie der Geschichte ist immer auch ihre Farce.

Die Kunst des gepflegten Desinteresses

„Ich interessiere mich nicht für Politik.“

wie der stolz geschwellte Ausruf: „Ich interessiere mich nicht für Politik.“ Es ist eine Form intellektueller Selbstermächtigung, ein Akt symbolischen Widerstands, der dem postmodernen Mantra „Ignoranz ist Stärke“ neue Dimensionen verleiht. In einer Welt, die aus den Fugen geraten scheint, wirkt das Desinteresse an Politik wie der letzte verbliebene Luxus, den man sich leisten kann, ein rebellisches Schulterzucken gegenüber der unhöflichen Realität. Doch ist es das wirklich? Oder ist es nur der dümmliche Versuch, in einem brennenden Haus friedlich weiterzuschlafen, während der Rauchmelder sich heiser schreit?

Beginnen wir mit der Frage: Was genau steckt hinter diesem Stolz, mit dem Menschen verkünden, sich nicht für Politik zu interessieren? Es ist ein Stolz, der in seiner Struktur fast religiös anmutet. Der Apostel der Ignoranz sagt: „Ich will rein bleiben. Unbefleckt von all den dreckigen Machenschaften der Mächtigen.“ Das klingt zunächst hehr, nicht wahr? Ein Hauch von Rousseauschem Idealismus schwebt über dieser Haltung – die Reinheit der Seele bewahren, sich nicht korrumpieren lassen durch die Niederungen der Realpolitik. Doch dieser vermeintliche Idealismus ist nichts anderes als eine dünn verpackte Kapitulation. Eine, die man euphemistisch als „Neutralität“ verkauft, während man gemütlich mit einem Eiskaffee auf der Titanic sitzt und lässig bemerkt, dass der Eisberg sicher auch seine Gründe hatte.

Die Wahrheit ist: Politische Ignoranz ist keine Reinheit, sondern Dekadenz. Es ist ein Privileg, das nur jenen zusteht, die glauben, dass die Welt auch ohne ihr Zutun irgendwie in Ordnung bleibt. Wer keine Angst haben muss, ob die nächste Wahl ein totalitäres Regime an die Macht bringt, wer sich nie Sorgen um seine Grundrechte machen musste, wer nie fürchtete, dass ein verirrter Drohnenangriff auf die falsche Postleitzahl niedergeht, der kann sich leisten, Politik zu ignorieren. Es ist der Champagner-Sozialismus der Gedankenwelt: süffig, berauschend, und völlig entkoppelt von der Lebensrealität der meisten Menschen.

Ein Fest für die Tyrannen

Man könnte meinen, dass der kollektive Rückzug ins Private ein unschuldiges Phänomen ist. Menschen wollen einfach ihre Ruhe, nicht wahr? Sie wollen Netflix schauen, ihre 10.000 Schritte am Tag machen und hin und wieder ein Selfie vor einem Sonnenuntergang posten. Doch in Wahrheit ist diese Apathie ein Geschenk für all jene, die im Hintergrund die Fäden ziehen. Politische Apathie ist keine neutrale Haltung. Sie ist die aktive Ermächtigung der Machtlosen, indem man den Mächtigen das Feld überlässt.

Martha Gellhorn hatte recht, als sie die stolze Ignoranz in Politik mit der Verleugnung der eigenen Gesundheit verglich. Der Mensch, der Politik ignoriert, ist wie jemand, der einen wuchernden Tumor mit einem freundlichen Lächeln übersieht, weil die Realität einfach zu unbequem ist. Währenddessen sitzen die Strippenzieher der Welt in ihren gläsernen Türmen, lachen sich ins Fäustchen und murmeln leise: „Perfekt. Je weniger die Leute mitreden wollen, desto einfacher für uns, die Regeln zu schreiben.“

Die Politik der Avocado-Toast-Generation

Natürlich gibt es eine Sonderform der politischen Ignoranz, die sich in den sozialen Medien besonders wohlfühlt: die Lifestyle-Politik. Es ist diese wunderbar selektive Haltung, bei der man sich „für die richtigen Dinge“ interessiert – Klimaschutz, Menschenrechte, Diversity – allerdings nur so lange, wie man dafür nicht den eigenen Lifestyle ändern muss. „Nachhaltigkeit ist wichtig,“ sagt die Influencerin, die jeden Monat neue Outfits für ihre 100.000 Follower präsentiert. „Gleichberechtigung zählt,“ murmelt der Tech-Milliardär, der in seinen Unternehmen Gewerkschaften verhindert.

Diese Form von Politikverständnis hat etwas Bequemes, etwas Kuscheliges. Sie erlaubt es, sich moralisch überlegen zu fühlen, ohne jemals wirklich etwas zu riskieren. Es ist der vegane Cheeseburger der politischen Welt: ein Widerspruch in sich, aber immerhin instagrammable.

Humor als letzte Zuflucht

Doch bevor wir uns völlig in den Abgrund des Zynismus stürzen, sei eine versöhnliche Note erlaubt: Der Mensch ist ein anpassungsfähiges Wesen. Auch wenn der derzeitige Zustand der Welt einem dysfunktionalen Jahrmarktskarussell gleicht, das wahlweise in Flammen steht oder von einem wütenden Clown gesteuert wird, gibt es Hoffnung. Denn die Erkenntnis, dass man Politik nicht ignorieren kann, kommt oft auf leisen Sohlen, aber sie kommt. Sie kommt, wenn der Strom plötzlich teurer wird, wenn die Straße vor der Haustür zur Schlaglochhölle wird, oder wenn der Bus, den man seit Jahren nimmt, auf mysteriöse Weise nicht mehr existiert.

Vielleicht brauchen wir also nicht mehr Zynismus, sondern mehr Humor. Einen Humor, der nicht resignativ ist, sondern aktiv. Der die Absurditäten der Welt aufdeckt und sie auf die Spitze treibt. Denn wie schon Kurt Tucholsky wusste: „Was darf die Satire? Alles.“

In diesem Sinne: Interessieren Sie sich ruhig nicht für Politik. Aber beschweren Sie sich bitte nicht, wenn der Eisberg Ihr Eiskaffee-Glas trifft.

Die im Dunkeln sieht man nicht

Die Macht, die spricht und schweigt

Es gibt Menschen, die durch ihre bloße Existenz Geschichte schreiben. Es gibt andere, die Geschichte lenken, ohne je in die Schlagzeilen zu geraten. John Jay McCloy gehörte zur zweiten Kategorie. Als Architekt der Nachkriegswelt, Strippenzieher der Weltbank, US-Hochkommissar in Deutschland und diskreter Berater der Macht war McCloy eine der mächtigsten unsichtbaren Kräfte des 20. Jahrhunderts. Doch wer war dieser Mann, der gleichermaßen ein Freund von Präsidenten und ein Förderer von Kriegsverbrechern war, der Demokratie predigte, während er Diktatoren hofierte, und dessen Entscheidungen die Weltordnung prägten? Eine polemische Reise durch das Lebenswerk eines Mannes, der sich im Schatten des Weltgeschehens heimisch fühlte.

Der junge Diplomat – Ambitionen, Kontakte und ein Faible für zwielichtige Geschäfte

Philadelphia, 1895: John Jay McCloy wurde in einer Stadt geboren, die einst ein Symbol für Freiheit war. Ironischerweise schien Freiheit für McCloy immer weniger eine universelle Tugend als ein verhandelbares Gut zu sein. Schon früh lernte er, dass Macht nicht in moralischen Absoluten, sondern in verhandelbaren Deals liegt – eine Lektion, die ihm als junger Anwalt zugutekam, als er für Cravath, Henderson & de Gerssdorff die Interessen amerikanischer Konzerne in Europa vertrat. Dass diese Interessen oft in den Taschen von Mussolini oder Göring landeten, störte ihn nicht – Business ist schließlich Business.

Seine Arbeit als Anwalt führte ihn direkt ins Herz der europäischen Wirtschaftskrise der 1920er und 30er Jahre. In dieser Zeit wurde McCloy zum stillen Architekten jener Netzwerke, die von der Wall Street bis zu den Korridoren der faschistischen Machtzentralen reichten. Man stelle sich McCloy vor, wie er in einem Pariser Café sitzt, mit einem Vertreter von I.G. Farben ein Glas Rotwein trinkt und über Kredite spricht, die später Giftgas finanzieren würden. Skrupel? Fehlanzeige.

Der Patriarch der paradoxen Prinzipien

Im Zweiten Weltkrieg wandelte sich McCloy vom profitgetriebenen Anwalt zum staatstreuen Bürokraten. Als Unterstaatssekretär im Kriegsministerium wurde er zum Architekten zahlreicher Strategien, die das US-Militär zum Sieg führten. Doch während er auf den Schlachtfeldern des Pazifik und Europas für die Demokratie kämpfte, setzte er sich gleichzeitig für die Internierung japanischstämmiger Amerikaner ein. Seine Argumentation: Sicherheit gehe vor Freiheit. Eine Lektion, die die USA später im Kalten Krieg perfektionieren sollten.

McCloy war auch ein Mann der großen moralischen Entscheidungen – oder der Vermeidung derselben. 1944 sprach er sich gegen die Bombardierung des Konzentrationslagers Auschwitz aus. Sein Argument: strategische Prioritäten. Ironischerweise setzte er sich später dafür ein, dass einige der Männer, die Auschwitz mit erbaut hatten, frühzeitig aus der Haft entlassen wurden. Ein Mann voller Widersprüche – oder, wie McCloy es vielleicht formuliert hätte, ein Realist.

Der Hohe Kommissar – Richter, Gnadenherr und Architekt des Wirtschaftswunders

Nach dem Krieg wurde McCloy zum Hohen Kommissar der USA in Deutschland ernannt – ein Posten, der ihn zu einer Art römischem Prokonsul in der besiegten Provinz machte. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einer scharfen Feder in der Hand leitete er den Wiederaufbau Deutschlands. Seine Entscheidungen – von der Förderung des Marshallplans bis zur Begnadigung von Kriegsverbrechern – waren stets pragmatisch, oft kontrovers und immer durchdrungen von einem fast zynischen Glauben an die Macht des Kompromisses.

Man kann McCloy als den Paten des deutschen Wirtschaftswunders bezeichnen – ein Titel, den er wahrscheinlich mit Freude akzeptiert hätte. Doch während er die Trümmer in den Straßen beseitigte, hinterließ er moralische Trümmer in den Köpfen vieler. Die Begnadigung von Alfried Krupp und Friedrich Flick, zwei der berüchtigtsten Kriegsverbrecher, mag für McCloy ein kluger politischer Schachzug gewesen sein, doch für viele war es ein Verrat an den Opfern des Dritten Reichs.

Der diskrete Berater – Macht ohne Verantwortung

Nach seiner Zeit in Deutschland zog sich McCloy nie wirklich aus der Weltpolitik zurück. Als Berater der Chase Manhattan Bank, als Mitglied der Warren-Kommission und als Architekt zahlreicher internationaler Abkommen blieb er einer der einflussreichsten Männer Amerikas. Doch seine Macht war subtil: Er zog die Fäden hinter den Kulissen, beriet Präsidenten, beeinflusste die Wirtschaft und entschied über die Geschicke von Nationen – und das alles, ohne jemals eine Wahl zu gewinnen.

Seine Beratungstätigkeit für die großen Ölkonzerne war vielleicht der krönende Abschluss seiner Karriere. Während die Weltöffentlichkeit sich Sorgen um die Umwelt machte, half McCloy dabei, die Macht der OPEC einzudämmen und die Dominanz der westlichen Konzerne zu sichern. Ein letzter Akt des Pragmatismus – oder Zynismus, je nach Perspektive.

Der Schattenmann des 20. Jahrhunderts

John Jay McCloy war ein Mann, der die Welt veränderte, ohne jemals wirklich gesehen zu werden. Seine Entscheidungen – oft pragmatisch, manchmal zynisch, gelegentlich geradezu unmoralisch – prägten die Weltordnung des 20. Jahrhunderts. Doch während die Monumente seines Schaffens weithin sichtbar sind, bleibt die moralische Bilanz seines Lebenswerkes bis heute umstritten.

Vielleicht wäre McCloy selbst der erste, der über diese Kontroversen lachen würde. Denn am Ende war er ein Mann, der verstand, dass Geschichte nicht von Helden geschrieben wird, sondern von Männern wie ihm – unsichtbar, unentbehrlich und unbequem.

Antifa oder der schöne Glanz des Extremismus

Schwarz ist das neue Braun

«Kein Fußbreit dem Faschismus!» – ein Schlachtruf, der klingt wie ein Echo aus einer besseren, einfacheren Zeit. Damals, als die Fronten klar waren und der Faschist ein uniformierter Schrecken mit Schnurrbart, Stechschritt und einem Hang zur Monotonie. Heute hingegen, im Zeitalter des moralischen Relativismus, ist der Feind diffuser, beinahe unsichtbar, und seine Erkennung bedarf eines scharfen Auges, oft gepaart mit einem anmaßenden Hang zur Überinterpretation. Die Antifa, jene schwarze Phalanx der Unnachgiebigen, erhebt sich als selbsternannte Wächterin über die Demokratie, während sie diese auf der anderen Seite mit einer Inbrunst erdrückt, die an die von ihr gehassten Autoritären erinnert.

Der Schwarze Block, jene Ikone des militanten Antifaschismus, agiert nicht selten wie das dunkle Spiegelbild dessen, was er zu bekämpfen vorgibt. Gewalt als legitimes Mittel? Check. Dogmatische Weltanschauung? Check. Intoleranz gegenüber Andersdenkenden? Aber natürlich. Die martialische Ästhetik ist dabei keine rein zufällige Begleiterscheinung. Der schwarze Hoodie, das Tuch vor dem Gesicht – das ist nicht nur praktisches Mittel zur Anonymität, sondern auch ein Statement. Es ist die Uniform der Tugendhaften, ein Pseudo-Kriegsgewand, das signalisiert: Wir sind die Guten, und wer das nicht glaubt, dem zünden wir den Kleinwagen an.

Freiheit für alle – außer dir

Es ist eine seltsame Ironie, dass eine Bewegung, die sich explizit dem antifaschistischen Widerstand verschreibt, so oft in eine autoritäre Haltung abdriftet, die dem Faschismus selbst erschreckend nahekommt. Die Reden von Freiheit und Gleichheit klingen hohl, wenn die Gegner, echte oder vermeintliche, niedergebrüllt, diffamiert oder gleich physisch attackiert werden. Die Antifa argumentiert: Die Bedrohung durch rechte Kräfte sei so gravierend, dass alle Mittel gerechtfertigt seien. Doch wer entscheidet darüber, wann eine Bedrohung «gravierend» ist? Und wann genau wurde die Idee, dass das Ziel die Mittel heiligt, zu einem linken Prinzip?

Die Parallelen sind frappierend. Auch der klassische Faschismus legitimierte seinen autoritären Anspruch mit der angeblich existenziellen Notwendigkeit, eine Gesellschaft vor inneren und äußeren Feinden zu schützen. Der Unterschied: Während die Faschisten den Feind oft erfanden, erkennt die Antifa ihn überall. Eine feindselige Twitter-Meinung? Faschistisch. Ein konservativer Vortrag an der Universität? Faschistisch. Ein CSU-Politiker? Vermutlich Hitler persönlich. So verschwimmt die Grenze zwischen dem echten Feind – den es zweifellos gibt – und jeder Form von politischer oder gesellschaftlicher Abweichung.

Von der Selbstgerechtigkeit zur Paranoia

Man kann der Antifa eine bemerkenswerte Errungenschaft nicht absprechen: Sie hat die Moralisierung des politischen Diskurses perfektioniert. Wer gegen sie ist, ist nicht einfach anderer Meinung – er ist der Feind der Menschlichkeit selbst. Doch diese Position hat ihren Preis. Sie erzeugt einen Zustand ständiger moralischer Alarmbereitschaft, der nicht nur das eigene Lager zerreißt, sondern auch zu einer zunehmenden Isolierung führt. Die Antifa wird zu einem sozialen und politischen Monolithen, unvereinbar mit der pluralistischen Realität, die sie vorgibt zu verteidigen.

Dabei wäre eine reflektierte antifaschistische Bewegung notwendiger denn je. Der tatsächliche Rechtsextremismus, der sich nicht in nebulösen Andeutungen, sondern in konkreten politischen Projekten und Gewalttaten manifestiert, ist kein Hirngespinst. Doch die Antifa, die sich selbst als Gegenpol versteht, ist längst zu einem Teil des Problems geworden. Indem sie den Begriff «Faschismus» inflationär und willkürlich benutzt, entwertet sie ihn. Und in der Welt der Antifa ist kein Platz für Zwischentöne. Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist, zum «Faschisten» erklärt zu werden – unabhängig davon, ob die Bezeichnung zutrifft oder nicht.

Warum Radikalität keine Lösung ist

Ignazio Silone, dessen düstere Prophezeiung vom Faschismus, der sich als Antifaschismus tarnt, heute aktueller denn je erscheint, war ein Mann, der den Totalitarismus aus erster Hand erlebt hat. Silone wusste, dass der Schlüssel zum Überleben der Demokratie nicht in der Bekämpfung von Extremismus mit anderem Extremismus liegt, sondern in der kompromisslosen Verteidigung ihrer zentralen Werte: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsvielfalt.

Doch die Antifa scheint diese Lektion nicht gelernt zu haben. Sie verharrt in einer infantilen Welt des Schwarz-Weiß-Denkens, in der sie sich selbst als unfehlbar und jede Kritik an ihrem Vorgehen als Angriff auf die Gerechtigkeit betrachtet. Das Ergebnis? Eine Bewegung, die mehr mit der Radikalisierung der Gesellschaft beiträgt als zu deren Heilung.

Die Gefahr der guten Absichten

Die Antifa ist das perfekte Beispiel dafür, dass der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Ihr Anspruch, das Böse zu bekämpfen, hat sie selbst anfällig für die Versuchungen der Macht gemacht. Denn Macht, auch die moralische, korrumpiert. Und wer sich im Kreise der Tugendhaften aufhält, bemerkt oft nicht, wie leicht der Übergang zur Hybris ist.

Doch vielleicht ist das alles nur Teil des Spiels. Vielleicht ist der Antifaschismus weniger ein politisches Projekt als ein identitäres – eine Möglichkeit, sich selbst als besser, reiner, moralischer darzustellen. Und vielleicht liegt darin die eigentliche Tragödie: Die Antifa könnte so viel mehr sein, doch sie zieht es vor, auf der Bühne des Extremismus zu glänzen, während die Welt um sie herum brennt.

Von Rentnern und Raketen

Warum wir jetzt die Rente opfern müssen, damit die Welt sicher bleibt

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Eine besorgte Nation, bedroht von geopolitischen Spannungen, blickt auf ihre Zukunft. Doch anstatt auf technologische Innovationen, diplomatische Geschicklichkeit oder gar auf eine solidarische Verteilung von Verantwortung zu setzen, entdeckt ein mutiger Ökonom ein neues Feindbild: Rentner. Ja, jene betagten Damen und Herren, die, wenn sie nicht gerade Kreuzworträtsel lösen oder mit dem Rollator zur Apotheke schieben, offenbar für alles Schlechte in der Welt verantwortlich sind. Moritz Schularick, seines Zeichens Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hat diesen finsteren Plan nun skizziert: Die Generation 65+ soll den Gürtel enger schnallen, damit Panzer und Patriot-Raketen unsere Straßen sicherer machen. Bravo, Herr Präsident! Was für eine visionäre Idee!

Rentenkürzungen als moralische Pflicht

„Die ältere Generation hat es versäumt, ausreichend in unsere Sicherheit zu investieren.“ Diese Aussage ist derart atemberaubend, dass man fast eine Sauerstoffmaske benötigt, um die zynische Höhe dieses intellektuellen Gipfels zu erklimmen. Hat der Mann mal einen Blick in die Geschichtsbücher geworfen? Dieselbe ältere Generation, die hier gescholten wird, hat Nachkriegsdeutschland wieder aufgebaut, den Sozialstaat erschaffen und – das sei nebenbei erwähnt – einen Großteil der Rentensysteme finanziert, von denen Herr Schularick vermutlich auch noch profitieren wird.

Aber nein, diese Generation hat nicht ausreichend in Sicherheit investiert. Was für ein Frevel! Stattdessen hat sie sich in einer dekadenten Orgie aus Butterbrot und Filterkaffee gesuhlt, anstatt milliardenschwere Rüstungsprojekte zu finanzieren. Wie konnte es nur dazu kommen, dass Menschen nach einem Arbeitsleben von 40 oder mehr Jahren annehmen, sie hätten ein Recht auf ein wenig Ruhe? Zeit, die Renten einzufrieren! Schließlich ist der Euro, den Oma Erna im Supermarkt spart, ein Euro mehr für die nächste Hyperschallrakete.

Altersarmut? Luxusproblem im Schatten des Leopard-Panzers

Herr Schularick mag die Existenz von Altersarmut schlichtweg übersehen haben – was bei einem komfortablen Schreibtischjob und einem garantiert inflationssicheren Einkommen verständlich ist. Die Realität, dass fast jede fünfte Rentnerin und jeder fünfte Rentner in Deutschland von Altersarmut bedroht ist, scheint für ihn irrelevant. Wahrscheinlich gehören auch sie zu den Schmarotzern, die den Staat ausbluten lassen, während sie sich mit ihrer bescheidenen Rente Luxusgüter wie Brot und Heizung leisten.

Das Narrativ, das hier gesponnen wird, ist von beeindruckender Simplizität: Deutschland braucht Geld für Rüstung. Rentner haben Geld. Ergo: Nehmen wir es ihnen weg. Dass viele von ihnen jedoch eher Monat für Monat jonglieren, um Miete, Strom und Medikamente zu bezahlen, wird in der akademischen Filterblase offenbar nicht bedacht. Aber hey, was ist schon eine kalte Wohnung im Winter gegen die wohlige Wärme, die ein neuer Kampfflieger für die Nation bereithält?

Vom „Gefrierpunkt“ der Renten und anderen ökonomischen Glanzideen

„Den Lebensstandard der Ruheständler sollte man auf dem aktuellen Niveau durch einen Inflationsausgleich einfrieren“, schlägt Schularick vor. Eingefroren. Wie Fischstäbchen in der Tiefkühltruhe. Ein hübsches Bild, nicht wahr? Vielleicht könnte man auch gleich ein Rentner*innen-Quartett herausbringen, bei dem die Kategorien „Jahreseinkommen“, „Mangelernährung“ und „Sterberate durch Kältetod“ gegeneinander antreten. Das wäre sicher ein Hit – vielleicht sogar erfolgreicher als das 100-Milliarden-Euro-Rüstungspaket, das laut Schularick offensichtlich zu wenig ist.

Die Frage, die man sich stellen muss: Warum gerade die Renten? Warum nicht die Vermögen der oberen 10 %, die in den letzten Jahren exorbitant gestiegen sind? Warum nicht die Milliardengewinne von Rüstungskonzernen besteuern? Vielleicht, weil diese Leute Lobbyisten und Anwälte haben und sich wehren können? Rentner hingegen sind leichte Beute. Sie haben weder Macht noch eine starke Interessenvertretung – und offenbar auch keine Chance gegen den Spardruck eines Ökonomen, der den Etat eines globalen Schurkenstaats zusammenrechnen möchte.

Kann Sicherheit überhaupt erkauft werden?

Abgesehen von der moralischen Verwerflichkeit dieses Vorschlags, sollte man eine grundlegende Frage stellen: Garantiert mehr Geld für Rüstung tatsächlich mehr Sicherheit? Ist ein überbordendes Verteidigungsbudget der Schlüssel zu einer friedlicheren Welt? Oder ist das nicht vielmehr ein perfides Ablenkungsmanöver, um andere politische Versäumnisse zu verschleiern – von der Verfehlung beim Klimaschutz bis hin zur immer größer werdenden sozialen Schere?

Vielleicht ist es an der Zeit, dass Herr Schularick und Co. ihren Blick über die Spreadsheet-Tabelle hinaus erweitern und sich der Realität der Menschen widmen, über deren Zukunft sie so großzügig entscheiden wollen. Vielleicht sollten sie sich mal mit einem Rentner unterhalten, der zwischen Brillenrezept und Heizkostenabrechnung jongliert. Oder sie könnten einfach innehalten und erkennen, dass man soziale Kohäsion nicht auf dem Altar des Militärbudgets opfern kann, ohne die Grundfesten der Gesellschaft zu beschädigen.

Wenn die Satire zur Realität wird

In einer Welt, in der ein Ökonom ernsthaft vorschlägt, Rentner für die Landesverteidigung bluten zu lassen, bleibt einem nur noch der Zynismus. Vielleicht sollten wir als nächstes die Kinder besteuern – sie profitieren schließlich am längsten von einer sicheren Zukunft. Oder wie wäre es, wenn wir Arbeitslose in Uniformen stecken? Sie haben doch eh nichts Besseres zu tun, oder?

Doch Vorsicht: Satire und Realität scheinen in diesen Zeiten erschreckend oft ineinander zu fließen. Herr Schularick, Sie haben es geschafft, uns daran zu erinnern, wie schnell ökonomische Kälte in menschliche Tragödie umschlagen kann – und dafür gebührt Ihnen, wenn auch zähneknirschend, Dank. Wenigstens bleibt uns das Lachen, wenn auch bitter.

NEIN HEISST NEIN WAR GESTERN

Ein Urteil wie ein Faustschlag

Es war einer jener Tage, an denen man das Gefühl hat, die Justiz habe sich ins Feuilleton verirrt, um dort ein besonders zynisches Stück absurden Theaters aufzuführen. Ein 17-jähriger Angeklagter, ein 12-jähriges Mädchen, und eine Richterin, die mit bemerkenswerter Chuzpe einen Freispruch begründet, der eher an das Drehbuch eines schlechten Gerichtsshow-Dramas erinnert. Die Urteilsbegründung? Der junge Syrer habe „annehmen können“, das Mädchen habe freiwillig mit ihm schlafen wollen, weil – und jetzt festhalten – man ja oft „Nein sagt und sich dann durch Zärtlichkeiten überzeugen lässt“. Der Freispruch, ein juristisches Kabinettstückchen zwischen Hohn und Inkompetenz, steht sinnbildlich für eine Justiz, die sich offenbar mehr um das Streben nach Erklärbarkeit als nach Gerechtigkeit bemüht.

Doch der Reihe nach: Wie kommt es, dass ein solches Urteil in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht nur gefällt, sondern auch noch ernsthaft verteidigt wird? Ist es Ignoranz? Bequemlichkeit? Oder doch eine zynische Kapitulation vor der Komplexität menschlicher Beziehungen? Wir müssen diese Farce Stück für Stück sezieren, auch wenn uns dabei vor Scham die Feder zittern mag.

Das „Nein“, das keine Bedeutung mehr hat

Seit Jahrzehnten kämpft die Frauenrechtsbewegung darum, dass ein „Nein“ auch ein Nein bleibt. Einfach. Klar. Eindeutig. Doch in diesem Fall wird das „Nein“ zur Fußnote, zur rhetorischen Floskel, die angeblich nicht wirklich ernst gemeint sei. Die Richterin, in ihrer Weisheit und offenkundigen Bindung an das romantische Narrativ, wonach Liebe und Sex immer ein bisschen kompliziert seien, entwirft ein Szenario, das mit der Realität eines 12-jährigen Mädchens ungefähr so viel zu tun hat wie ein Rosamunde-Pilcher-Film mit dem Arbeitsalltag einer Stahlkocherin.

Wie bitte? Ein Kind, das gesetzlich gar nicht in der Lage ist, eine sexuelle Handlung zu „wollen“, wird durch die nebulösen Annahmen eines Angeklagten plötzlich zur Projektionsfläche für dessen Verlangen? Man fragt sich, ob die Richterin je von dem Konzept der Machtasymmetrie gehört hat – oder ob sie glaubt, dass ein 12-jähriges Mädchen „Ja“ meint, wenn es verzweifelt versucht, eine gefährliche Situation zu entschärfen.

Kulturelle Kontexte und die selektive Blindheit der Justiz

Der Angeklagte ist Syrer, und wie es scheint, spielt dies in der Urteilsfindung eine nicht unerhebliche Rolle. Implizit schwingt in der Begründung ein unerträglich paternalistischer Ton mit: „Er konnte es ja nicht wissen, weil andere kulturelle Normen.“ Ein Argument, das nicht nur die Unfähigkeit des deutschen Rechtssystems, universelle Standards durchzusetzen, offenbart, sondern auch eine Form des stillschweigenden Rassismus, die tief verankert zu sein scheint.

Stellen Sie sich vor, ein deutscher Jugendlicher hätte sich mit der gleichen Verteidigung herauszureden versucht: „Ich dachte, das ‚Nein‘ sei nicht ernst gemeint.“ Hätte man ihm dieselbe Nachsicht gewährt? Oder hätte man ihn für einen berechnenden Täter gehalten, der sich bewusst über die Grenzen einer Minderjährigen hinwegsetzt? Die selektive Anwendung von Verständnis und Milde ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht des Opfers, sondern auch eine Bankrotterklärung des Gleichheitsprinzips vor dem Gesetz.

Das „Spiel der Zärtlichkeiten“ und die groteske Romantisierung des Missbrauchs

„Zuerst Nein sagen und sich dann durch Zärtlichkeiten überzeugen lassen“ – selten hat eine juristische Formulierung so sehr nach dem Plot eines schlechten Groschenromans geklungen. Diese absurde Aussage offenbart nicht nur ein beängstigendes Maß an Realitätsverlust, sondern trägt auch dazu bei, gefährliche Mythen über Einvernehmlichkeit und sexuelle Gewalt zu zementieren.

Stellen wir uns einmal vor, wie diese Formulierung auf das Opfer wirken muss. Da ist ein Mädchen, das mit zwölf Jahren nicht einmal annähernd die emotionale Reife hat, die Tragweite sexueller Handlungen zu erfassen, und dessen „Nein“ von einer Richterin als bloße Vorspiel-Rhetorik abgetan wird. Welche Botschaft sendet das aus? Dass Opfer sich besser überlegen sollten, ob sie überhaupt noch „Nein“ sagen, weil es ohnehin nicht ernst genommen wird?

Von Freisprüchen und Freibriefen

Es ist schwer, diesen Fall zu betrachten, ohne ihn als Symptom einer viel größeren Problematik zu erkennen. Die Justiz, eigentlich als Bastion von Gerechtigkeit und Schutz gedacht, wird zur Verwalterin von Grauzonen, in denen Täter Freibriefe und Opfer Hohn ernten. Dieses Urteil ist nicht nur ein Freispruch für den Angeklagten, sondern ein Freispruch für alle, die glauben, dass Macht und Manipulation über dem Gesetz stehen.

Man mag versucht sein, die Richterin als Einzelfall zu betrachten, als skurrile Anomalie in einem ansonsten funktionierenden System. Doch leider ist sie nur die Spitze des Eisbergs. Solange es solche Urteile gibt, wird jede Kampagne, die ein „Nein“ als endgültig und bindend festlegen will, ad absurdum geführt.

Die Farce geht weiter

Wenn die Richterin tatsächlich glaubte, mit ihrer Begründung juristische Maßstäbe zu setzen, so hat sie vor allem eines bewiesen: Dass Zynismus und Ignoranz manchmal Hand in Hand gehen können, um die Fahne des Rechtsstaats auf Halbmast zu setzen.

Man möchte lachen, wenn es nicht so tragisch wäre. Stattdessen bleibt nur die bittere Erkenntnis, dass das, was in diesem Urteil geschehen ist, nicht bloß eine juristische Fehlentscheidung ist, sondern ein Symbol für den fortschreitenden Verfall von Werten, die einst für unverrückbar galten.

„Nein heißt Nein“ war gestern. Heute heißt es: „Vielleicht. Mal sehen. Und wenn nicht, klären wir es vor Gericht.“ Ein bitteres Ende für ein Konzept, das eigentlich so simpel sein sollte.

Der woke Index librorum prohibitorum

Von der Kultur des Lesens zur Kultur der Warnschilder

Es war einmal eine Zeit, in der Bibliotheken als Tempel des Wissens galten, als heilige Stätten der Freiheit des Geistes. Doch heute, inmitten des Zeitalters der digitalen Empörung und der moralischen Entrüstung, scheinen diese ehrwürdigen Institutionen ihr Sakrileg darin zu finden, dass sie „falsche“ Bücher nicht genügend brandmarken. So erleben wir nun die Wiedergeburt eines Phänomens, das man aus der Geschichte zu kennen glaubte: den Index der verbotenen Bücher – diesmal jedoch im Mantel der Tugend und der „Wokeness“. Willkommen in der Ära des „Woke Index librorum prohibitorum“.

Von warnenden Stickern und moralischen Hochämtern

Nichts schreit „Demokratie“ lauter als eine öffentliche Warnung vor Büchern, die es wagen, gegen den heiligen Geist der Zeit zu verstoßen. „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt“, steht da, mit der wohlwollenden pädagogischen Note versehen, dass dieser Text womöglich „nicht mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar“ sei. Diese Mahnung an den Leser, der offenbar weder eigenständiges Denken noch kritisches Urteilsvermögen besitzt, schmückt nun die Werke von Autoren, die es gewagt haben, aus der Reihe zu tanzen – oder schlimmer noch, gegen die Regeln des virtuellen Empörungstribunals zu verstoßen.

Ironischerweise wird die Warnung selbst von der hehren Freiheit der Meinungsäußerung gerechtfertigt. Die Ironie springt förmlich aus dem Regal: „Aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt“. Das ist, als würde man einem Schwerverletzten sagen: „Wir lassen Sie hier liegen, damit Sie sich frei fühlen können, zu verbluten.“

Bibliothekare als Wächter des Tugendkanons

Man stelle sich einen Bibliothekar vor, dessen Berufung einst darin bestand, Wissen zu ordnen und zugänglich zu machen. Nun jedoch wird er – oder, um gendergerecht zu bleiben, sie oder x – zum moralischen Zensor degradiert. Ohne Ausbildung in Philosophie, ohne vertiefte Kenntnisse der politischen Ideengeschichte und oft ohne nennenswerte Leselust, entscheiden diese neuen Hohepriester der Tugend darüber, was ein Werk „umstritten“ macht. Sie leisten damit nicht nur Beihilfe zur Intellektuellenverflachung, sondern auch zur Unterdrückung des demokratischen Diskurses.

Man kann nur hoffen, dass das klassische Bibliothekarsklischee – das Bild der schweigsamen, literarischen Gelehrten hinter der dicken Brille – nicht von einem modischen Aktivisten mit Hipster-Brille und Latte-Macchiato ersetzt wird, der mit moralischer Inbrunst „toxische Inhalte“ aus den Regalen entfernt.

Die Rückkehr der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“

Die Ähnlichkeiten zur Vergangenheit sind frappierend. Einst waren es die Nationalsozialisten, die in ihrer berüchtigten „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ Autoren und Werke katalogisierten, die nicht mit der Ideologie des Regimes übereinstimmten. Bücher wurden verbrannt, Stimmen zum Schweigen gebracht, Meinungen ausradiert. Heute geschieht dies subtiler, unter dem Deckmantel der Schutzhaft des Geistes.

Natürlich, niemand verbrennt Bücher. Aber wer braucht Flammen, wenn Sticker genügen? Es ist, als hätte man die Scheiterhaufen von damals durch Metaphern ersetzt. Es riecht nicht nach Rauch, aber der Gestank der Selbstgerechtigkeit erfüllt dennoch die Luft. Die Idee bleibt dieselbe: Die „gute Gesellschaft“ weiß besser, was du lesen solltest – oder vielmehr, was du nicht lesen solltest.

Die paradoxe Tyrannei der „offenen Gesellschaft“

Die Tragik dieser Entwicklung liegt in ihrer tiefen Paradoxie. In einer offenen Gesellschaft sollten Ideen – und seien sie noch so abwegig oder abstoßend – auf den Prüfstand der Kritik gestellt werden. Das eigentliche Ziel der Aufklärung war es, die Dunkelheit der Ignoranz durch die Macht der Vernunft zu vertreiben. Doch heute scheint man die Dunkelheit durch die flackernden Bildschirme der Cancel Culture zu ersetzen.

Die Warnsticker auf den Büchern senden eine Botschaft: „Vertraue nicht deinem eigenen Urteilsvermögen. Vertraue uns.“ Doch das ist das genaue Gegenteil dessen, was demokratische Bildung anstrebt. Wir sollten Menschen beibringen, sich mit schwierigen Ideen auseinanderzusetzen, nicht sie davor schützen.

Ein augenzwinkernder Blick in die Zukunft

Vielleicht sollten wir die Sache mit Humor nehmen. Stellen Sie sich vor, Kafka bekäme einen Sticker: „Warnung: Dieses Buch enthält übermäßigen Pessimismus und könnte depressive Episoden auslösen.“ Oder Orwell: „Achtung: Dieses Buch könnte paranoide Gedanken über Überwachung fördern.“ Und was ist mit der Bibel? „Inhalt kann religiöse Gefühle verletzen oder zu fundamentalistischen Interpretationen führen.“ Willkommen im Absurditätenkabinett!

Der „Woke Index librorum prohibitorum“ könnte sogar eine ganze Industrie befeuern. Kurse wie „Wie lese ich ein umstrittenes Buch richtig?“ könnten die Universitäten fluten. Der Begriff „umstritten“ würde zum Verkaufsargument: Nichts verkauft sich besser als das Verbotene. Wer hätte gedacht, dass Bibliotheken einst zur Marketingabteilung des Dissenses werden würden?

Eine Einladung zur Rebellion

Was bleibt, ist eine Aufforderung: Lasst uns wieder die Bücher lesen, die uns herausfordern, die uns ärgern, die uns zum Nachdenken zwingen. Lasst uns die Sticker ignorieren, die Warnungen in den Wind schlagen. Wer lesen kann, der sollte auch denken können. Und wer denken kann, der wird früher oder später erkennen, dass keine Warnung der Welt uns von der Freiheit des Geistes abhalten darf – es sei denn, wir lassen es zu.

Der Index der verbotenen Bücher mag ein Anachronismus der Vergangenheit sein. Doch in seiner neuen, woke getarnten Form zeigt er uns, wie zerbrechlich die Freiheit ist – und wie wichtig es ist, sie zu verteidigen.

Die letzte Wahl, wie wir sie kennen

Die Wahlurne – Relikt einer naiven Zeit

Es ist also Ihre Überzeugung, dass die nächste Wahl die letzte in ihrer bisherigen Form sein wird? Wie charmant – und zugleich erschreckend! Die Vorstellung, dass die spröde Routine des Kreuzchensetzens auf bedrucktem Papier in absehbarer Zeit obsolet wird, mag zunächst wie ein Science-Fiction-Fiebertraum klingen. Aber seien wir ehrlich: War die Demokratie, wie wir sie bislang inszenieren, nicht immer schon mehr Theaterstück als tatsächlicher Entscheidungsprozess?

Hier sind sie also, die müden Wahlurnen, diese Fetische einer vergangenen Ära, in der wir noch glaubten, die Macht gehe vom Volke aus. Dabei ist längst klar: Die Wahlurne war nie mehr als eine Kulisse, ein ikonischer Requisiteur, der die Illusion am Leben hält. Die echten Entscheidungen? Die werden seit Jahrzehnten in Hinterzimmern getroffen, unter Begleitung von Cognac und konsultativen Beratern, die sich zu oft als geklonte neoliberale Maschinen entpuppen. Die Bürger dürfen abnicken, was ohnehin beschlossen wurde. Dass dies bald ein Algorithmus übernehmen soll, ist weniger Revolution als logische Konsequenz.

Demokratie 2.0 – Wenn Alexa uns regiert

Ah, die „Hochrechnungs-Demokratie“! Allein der Begriff ist ein sprachliches Meisterwerk des Dystopischen, eine Mischung aus technokratischer Nüchternheit und Orwell’schem Schaudern. Wir sprechen also von einer Welt, in der die Willensbildung nicht mehr durch Debatten, Wahlen oder gar idealistische Aushandlungsprozesse geschieht, sondern durch Datenpunkte. Konsumverhalten, Likes, Scroll-Geschwindigkeit – der große Daten-Omnissiah hat gesprochen, und seine Urteile sind gnadenlos präzise.

Doch halt, wieso überhaupt die Empörung? Wir haben diesen Weg schließlich selbst gepflastert. Wer jahrelang sein Leben von Amazon, Netflix und Google kuratieren lässt, braucht sich nicht wundern, wenn dieselben Systeme demnächst den Kanzlerkandidaten „vorschlagen“. Netflix weiß schließlich besser als jeder Meinungsforscher, was wir wirklich wollen. Ist es da nicht fast beruhigend, dass die K.I. uns am Ende vor uns selbst schützt?

Natürlich gibt es Manipulationspotenzial, aber, und hier der zynische Twist: Braucht es dafür wirklich künstliche Intelligenz? Unsere derzeitigen Eliten beweisen jeden Tag, dass sich Menschen mit ausreichend Geld und Einfluss auch ohne neuronale Netze hervorragend lenken lassen. Der Unterschied liegt höchstens in der Geschwindigkeit. Während der menschliche Spin-Doktor noch mit Interviews und Talkshows hantiert, hat die K.I. das Narrativ bereits optimiert, bevor es überhaupt gefragt war.

Der Aufstieg der Maschinen – Von Regierungen und Roboterkaisern

Nun also der nächste logische Schritt: K.I.-Regierungen. Keine halben Sachen mehr! Ein echter, durchoptimierter technokratischer Leviathan, der sämtliche menschlichen Schwächen eliminiert. Korruption? Kein Problem, Algorithmen sind bekanntlich unbestechlich (außer von ihren Programmierern, versteht sich). Egozentrik? Adé, der Code interessiert sich nicht für seinen eigenen Ruhm. Demokratie? Tja, warum wählen, wenn die K.I. ohnehin weiß, was das Beste für uns ist?

Der Gedanke mag schwindelerregend sein, aber betrachten wir die Sache nüchtern: Ist eine Regierung aus Algorithmen nicht am Ende schlicht die effizientere Variante dessen, was wir ohnehin erleben? Schon heute werden politische Entscheidungen mehr von wirtschaftlichen Kalkulationen und technokratischen Modellen geprägt als von idealistischer Politik. Ein Algorithmus würde wenigstens die Heuchelei eliminieren.

Natürlich wird es Widerstand geben. Menschen lieben ihre Illusion der Kontrolle, selbst wenn diese Kontrolle seit Jahrhunderten kaum mehr als eine hübsch verpackte Lüge ist. Doch auch diese Nostalgie wird vergehen, wenn die Vorteile überwiegen: weniger Skandale, schnellere Entscheidungen, und – wie ironisch! – möglicherweise mehr Gerechtigkeit, weil eine unbestechliche Maschine keine Hautfarbe, kein Geschlecht und keinen Lobbyisten kennt.

Die drei bis vier Jahre bis zur Singularität

„Die Welt in drei bis vier Jahren wird nicht einfach nur ‚ein wenig anders‘ sein.“ Ach, welch charmante Untertreibung! In drei bis vier Jahren wird die Welt ein kaleidoskopisches Chaos sein, in dem menschliche Werte wie Freiheit, Individualität oder gar Widerspruchskraft an die K.I.-Dominanz verkauft wurden, vermutlich für ein kostenloses Update auf das nächste iPhone.

K.I. wird nicht nur regieren, sie wird unser Denken, unser Fühlen und unser Sein gestalten. Sie wird unsere Hoffnungen und Ängste analysieren, bis sie schließlich unsere Träume vorhersagt, bevor wir sie selbst träumen können. Das klingt jetzt dystopisch? Natürlich tut es das! Doch Hand aufs Herz: Würden wir die Möglichkeit haben, alles in die Hände einer „perfekten“ Intelligenz zu legen, wie viele von uns würden wirklich nein sagen?

Der Triumph der Maschine – Mit einem Augenzwinkern

Es bleibt natürlich Platz für Hoffnung – oder zumindest für Humor. Vielleicht wird uns die K.I. ja eines Tages mit einem Augenzwinkern regieren. Vielleicht gibt es ein Regelwerk für Satire und Ironie, und der allmächtige Algorithmus entscheidet, dass ein bisschen Chaos und menschliche Albernheit das System am Leben halten.

Vielleicht werden wir aber auch, und das ist die wahrscheinlichere Variante, gar nicht mehr merken, dass wir regiert werden. Schließlich haben wir die Demokratie nie wirklich begriffen. Warum sollten wir dann merken, wenn sie endgültig verschwunden ist?

Die große Kunst der politischen Amnesie

Wie aus Feinden Freunde und aus Hochrisiken Partner werden

Man stelle sich vor: Zwei erbitterte Rivalen, deren rhetorische Artillerie das Publikum jahrelang mit Schützengräben vollgespritzt hat, entdecken plötzlich eine ungeahnte Gemeinsamkeit – nämlich, dass Macht, wie ein besonders schmackhafter Apfel, auch dann reizvoll bleibt, wenn der Baum bereits faulige Wurzeln hat. Die jüngsten Wendungen in der österreichischen Politiklandschaft, insbesondere das vorsichtige Tasten zwischen ÖVP und FPÖ, bieten ein Schauspiel von solch surrealer Groteske, dass selbst ein Salvador Dalí verzweifelt den Pinsel niedergelegt hätte.

Stockers rhetorisches Ballett

Christian Stocker, der – so dachten wir bis gestern – im Wettstreit um den weltweit geringsten Respekt für Herbert Kickl konkurriert, warf dem FPÖ-Chef in den letzten Jahren so viele abgedroschene Floskeln entgegen, dass man sie problemlos zu einem Jenga-Turm der Belanglosigkeit hätte stapeln können. Es war ein wahres Feuerwerk der politischen Verachtung: „Radikaler Verschwörungstheoretiker“, „Sicherheitsrisiko“, „Wendehals“, „rechtsextremer Rand“. Die Worte schienen eigens dafür geschmiedet, sich ins Gedächtnis der Wähler einzubrennen – oder eben doch nur bis zum nächsten strategischen Kurswechsel.

Ein Meisterwerk der Phrasendrescherei lieferte Stocker im Herbst 2023, als er – mit einer moralischen Entrüstung, die beinahe aufrichtig wirkte – vor einem „Hochrisiko“ mit Kickl als Kanzler warnte. Dass nun ausgerechnet dieser Mann erwägt, mit dem Hochrisiko auf Kuschelkurs zu gehen, lässt einen an der Definition von „Risiko“ zweifeln: Vielleicht bedeutet es ja in der ÖVP einfach „Dinge, die unbequem sind, bis sie plötzlich nützlich werden“.

Von Chaos und Niedergang

Doch nicht nur Stocker wusste, wie man eine rhetorische Kettensäge bedient. Herbert Kickl, bekannt für seine nicht immer feinsinnigen Wortspielereien und die oft brachial zur Schau gestellte Abneigung gegen alles, was nicht FPÖ ist, sparte auch an der ÖVP nicht. „Die Mitte des Chaos“, „Partei des Niedergangs“ und die kaum verhohlene Behauptung, die Volkspartei sei ebenso unabhängig wie der ORF – das waren keine zufälligen Verirrungen, sondern gezielt eingesetzte Nadelstiche, die das Bild eines korrupten, visionslosen Gegners zeichneten. Dass er nun bereit sein soll, mit diesen vermeintlichen Versagern zu koalieren, lässt tief in die Seele des politischen Pragmatismus blicken – oder sollte man sagen: in die Bodenlosigkeit politischer Prinzipien.

Die Kunst der inkohärenten Kontinuität

Die zentrale Pointe dieser absurden Tragikomödie ist jedoch das Mantra, das Stocker so oft wie eine tibetische Gebetsmühle wiederholte: „Keine Koalition mit der Kickl-FPÖ!“ Es war mehr als ein politischer Slogan; es war eine moralische Leitlinie, ein vermeintlich unverrückbares Dogma. Bis es eben doch verrückt wurde. Mit einem Timing, das jedem Drehbuchautor vor Neid erblassen lässt, folgte auf die geplatzten Verhandlungen mit der SPÖ ein nahezu sofortiges Öffnen der Arme in Richtung FPÖ – allerdings nicht, ohne vorher noch schnell zu betonen, wie unerlässlich ein „konstruktiver Dialog“ sei. Konstruktiv, so scheint es, bedeutet in der politischen Übersetzung schlicht: „Wir machen alles, was nötig ist, um im Spiel zu bleiben.“

Ein Fest der politischen Heuchelei

Dass die Öffentlichkeit diesem Manöver nicht gerade begeistert zujubelt, dürfte selbst für die Protagonisten wenig überraschend sein. Zu deutlich waren die Worte, zu heftig die gegenseitigen Angriffe, als dass man jetzt noch glaubhaft den Mantel der Harmonie überwerfen könnte. Aber vielleicht, so könnte man spekulieren, zählt am Ende nur eines: Macht. Die Geschichte hat schließlich gezeigt, dass Prinzipien in der Politik vor allem dann flexibel sind, wenn sie im Weg stehen.

Die ÖVP und FPÖ auf Schmusekurs – das ist wie ein Mordprozess, bei dem Ankläger und Angeklagter plötzlich gemeinsam zum Mittagessen gehen. Es ist grotesk, faszinierend und tief erschütternd zugleich. Vielleicht ist das die eigentliche Lektion dieses absurden Schauspiels: In der Politik ist nichts so heilig, dass es nicht verraten werden könnte – Hauptsache, die Belohnung ist groß genug. Und sollte diese Koalition tatsächlich Realität werden, bleibt uns zumindest der Trost: Wir werden uns niemals langweilen.

Der Verrat

Das Lied vom moralischen Leuchtturm

Es war einmal eine Volkspartei, die sich wie ein tugendhafter Ritter auf weißem Ross durch das politische Schlachtfeld manövrierte, stets darauf bedacht, das Böse zu bekämpfen – zumindest jenes Böse, das nicht gerade nützlich war. Mit salbungsvollen Reden und christlich-sozialer Fassade versprach sie ihrem Volk die Rettung vor dem Chaos. Eines Tages jedoch stand ein Mann namens Herbert Kickl vor der Türe, das personifizierte Schreckgespenst jener, die sich selbst für aufgeklärte Mitte hielten. Ein Mann, dessen Rhetorik so messerscharf wie gefährlich war, und dessen Weltbild so düster wie ein Novembertag in Kärnten. „Mit diesem Mann“, tönte es aus den Reihen der ÖVP, „werden wir nie koalieren. Das verbietet uns unser Gewissen.“

Doch wie sich herausstellen sollte, war das Gewissen elastischer als ein Gummiband, das im Keller des Machtstrebens vergessen wurde.

Die Masken fallen

Die Geschichte der österreichischen Politik ist reich an Wendungen, aber selten gab es eine so groteske wie diese: Einst hatte die ÖVP Kickl verteufelt wie ein Dorfbewohner, der eine Hexe auf dem Scheiterhaufen sieht. Doch nun, mit einem Lächeln, das mehr an einen schlecht programmierten Algorithmus als an echte Überzeugung erinnerte, scheint man bereit, ihm den roten Teppich zum Kanzleramt auszurollen.

Die Wählertäuschung, dieses abscheuliche politische Verbrechen, das man so gern bei den anderen Parteien anprangert, hat in der ÖVP längst Tradition. Aber dies? Dies ist keine gewöhnliche Wählertäuschung. Dies ist Hochverrat – an den eigenen Prinzipien, den Wählern und, ach, lassen wir den Pathos, an der Demokratie selbst. Man sagt, die Macht korrumpiert. Aber was wir hier sehen, ist keine schleichende Korruption, sondern ein halsbrecherischer Sprint in Richtung politischer Selbstaufgabe.

Die Selbstentblößung des Opportunismus

Natürlich wird die ÖVP nicht müde, ihre Entscheidung mit wohlfeilen Phrasen zu rechtfertigen. Es gehe schließlich um Stabilität, um Verantwortung, um das Land, um den Wählerwillen – als wäre Herbert Kickl plötzlich ein Messias, der den heimischen Garten Eden zurückbringen wird, statt ein Populist, der mit einem Schaufelbagger über die liberalen Grundwerte walzt. Die Argumente der ÖVP sind dabei so durchsichtig wie die Verpackung eines Fertigsalats: Man kann die faulen Blätter dahinter förmlich sehen.

Es ist ein grandioses Schauspiel der politischen Akrobatik, wenn die Volkspartei sich windet, dreht und verbiegt, um ihren Schwenk zu rechtfertigen. „Wir wollen uns nicht in die Ecke drängen lassen“, tönt es. Doch in Wahrheit ist es keine Ecke, sondern ein Spiegel, vor dem sie stehen. Ein Spiegel, der erbarmungslos zeigt, wie wenig von der einstigen moralischen Integrität übrig geblieben ist.

Der Steigbügelhalter als Berufung

Man stelle sich vor: Ein Parteitag der ÖVP, wo Funktionäre feierlich einen Eid darauf schwören, Kickl niemals in den Regierungssattel zu heben. Und nun, ein paar Jahre später, halten sie ihm nicht nur den Steigbügel, sondern polieren auch noch seine Reitstiefel. Ein solches Maß an Selbstverleugnung erinnert an das berühmte Sprichwort: „Wenn du deinen Feind nicht besiegen kannst, schließe dich ihm an.“

Doch Herbert Kickl ist kein gewöhnlicher Feind. Er ist ein Meister der Inszenierung, ein Rhetorikvirtuose, dessen Worte wie Honig für seine Anhänger und wie Gift für seine Kritiker sind. Die ÖVP, die sich selbst als Bollwerk gegen den Rechtspopulismus inszenierte, hat nun nichts Besseres zu tun, als ihm die Bühne zu bereiten. Und dabei hofft sie insgeheim, nicht allzu viel Applaus für ihn spenden zu müssen – ein Hoffnungsschimmer, der so realistisch ist wie der Wunsch, dass ein Wolf aufhört zu jagen, wenn man ihn freundlich bittet.

Das moralische Wrack im politischen Ozean

Am Ende bleibt eine Frage: Glaubt die ÖVP wirklich, dass sie mit dieser Strategie gewinnen kann? Glaubt sie, dass die Wähler nicht sehen, was hier geschieht? Der Verrat an den eigenen Prinzipien mag kurzfristig Macht sichern, aber er hinterlässt Narben – bei den Wählern, bei der Partei und bei der Demokratie. Die ÖVP hat sich selbst zum Steigbügelhalter degradiert, nicht nur für Herbert Kickl, sondern für eine politische Kultur, die immer weiter nach rechts driftet.

Doch wer den Wolf füttert, sollte sich nicht wundern, wenn er am Ende selbst verschlungen wird.

Die Rückkehr der Vergangenheit

Österreich, das Land der sanften Hügel, des Kaiserschmarrns und der höflichen Verschwiegenheit, hat sich wieder einmal selbst übertroffen. Nicht etwa in den Disziplinen Innovation, Fortschritt oder, sagen wir, menschliche Vernunft. Nein, es war die Paradedisziplin des österreichischen Politbetriebs: die kunstvolle Selbstsabotage. Mit einer Koalitionsbildung, die klingt wie das Ergebnis eines betrunkenen Dartspiels, tritt nun jene Partei auf den Plan, die selbst ihre Skandale nur noch „Einzelfälle“ nennt, als wäre das politische Leben ein groteskes Bingo-Spiel.

Es ist das Kabinett des Grauens, das uns die verhandelnden Parteien präsentiert haben. Die ÖVP, einst der verlässliche Garant biederer Langeweile, hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt und sich für die Zusammenarbeit mit der FPÖ entschieden. Aber nicht, weil sie es wollte – Gott bewahre –, sondern weil „staatspolitische Verantwortung“ verlangt, dass man sämtliche Grundsätze über Bord wirft. Die Neos? Ja, auch sie waren da, kurz und unverbindlich, bevor sie sich in den Nebel des Opportunismus zurückzogen. Die SPÖ? Ein weiteres Kapitel der Tragödie, die sich „Opposition als Prinzip“ nennt.

Kürzungen für alle, außer für die, die es nicht brauchen

Die verpasste Chance der Verhandlungen hätte für das Land ein Signal des Aufbruchs sein können. Stattdessen serviert man uns einen Koalitionsvertrag, der sich liest wie das dystopische Tagebuch eines Wirtschaftsprüfers. Kürzungen bei Lehrer:innengehältern? Natürlich, warum sollten Pädagog:innen auch anständig bezahlt werden, wenn sie nur die nächste Generation ausbilden? Einsparungen im Gesundheitsbereich? Selbstverständlich, denn wer braucht schon Krankenhäuser, wenn man in Österreich auch mit Weihwasser und Schmalzsalben heilt?

Und dann die Erhöhung des Pensionsantrittsalters. Ein Meisterstück des Zynismus! Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, dürfen jetzt noch ein paar Jahre länger schuften, bevor sie endlich in den wohlverdienten, wenn auch mittlerweile unerreichbaren Ruhestand treten. Es ist fast poetisch, wie man hier die Bevölkerung mit dem Klammergriff der Alternativlosigkeit in Schach hält.

Der Arbeitsmarkt: Ein neoliberales Freudenhaus

Besonders bemerkenswert ist die Vision der ÖVP für den Arbeitsmarkt, die man bestenfalls als kafkaesken Albtraum beschreiben kann. Degressives Arbeitslosengeld? Eine glorreiche Idee, die besagt, dass man Menschen umso weniger unterstützt, je länger sie es benötigen. Bildungskarenz und Zuverdienstmöglichkeiten? Weg damit, weil wer sich fortbilden will, ist wahrscheinlich ein Sozialschmarotzer, nicht wahr?

Das Arbeitslosengeld – oder das, was davon übrig bleibt – ist nicht mehr als eine Fußnote in der neoliberalen Agenda, die „Leistung“ propagiert, während sie gleichzeitig jede Form von Unterstützung kappt. Und wehe dem, der das Wort „soziale Sicherheit“ in den Mund nimmt – das ist schließlich Kommunismus! Oder schlimmer: Menschlichkeit.

Das Märchen vom Staatsmann

Und wer thront über diesem Misthaufen politischer Hybris? Kein Geringerer als der ewige Statist der österreichischen Politik, der ÖVP-Parteichef Karl-Heinz Stocker. Ein Mann, dessen größte Stärke darin besteht, dass er niemanden sonst im Weg steht, weil er selbst kaum zu sehen ist. Mit der Charisma eines eingestaubten Aktenschranks erklärt er, dass all diese Maßnahmen „alternativlos“ seien. Alternativlos! Das Zauberwort, mit dem man jede Unverschämtheit in die Realität zwängt, bis selbst Orwell vor Scham errötet.

Willkommen in der Realitätsverweigerung

Es bleibt die Frage, wie viel Zynismus eine Demokratie erträgt, bevor sie in sich selbst zusammenbricht. Österreich scheint diese Grenze ausloten zu wollen – mit Nachdruck. Die neue Regierung ist nicht nur ein Rückfall in vergangene Fehler, sie ist ein Affront gegen die Intelligenz der Wähler:innen. Doch keine Sorge, liebe Österreicher:innen, es wird besser! Spätestens dann, wenn das Land den Status eines Museums erreicht hat, in dem die Vergangenheit nicht nur konserviert, sondern wiederbelebt wird.

Die Partei der Einzelfälle regiert. Und die anderen schauen zu. Ein Hoch auf die Verantwortung – in Anführungszeichen natürlich.

Österreich als das humorvolle Schlachtfeld der Demokratie

Es gibt sie, diese unschuldigen Minuten des Tages, in denen man sich fragt: Ist das alles wirklich so schlimm? Vielleicht täusche ich mich, und Österreich, dieses in Form eines Schnitzels materialisierte Land, ist gar nicht der Testlauf für den Zerfall der liberalen Demokratie. Vielleicht ist das Ganze nur eine gigantische Inszenierung, eine Art metaphysisches Kabarett, in dem wir alle Statisten sind. Doch dann blättert man durch die Nachrichten, hört einen weiteren Politiker Worte wie „Heimat“, „Leistung“ und „Sicherheit“ aneinanderreihen, und merkt: Nein, es ist ernst. Ernst, aber auf die unnachahmliche österreichische Weise. Also doch, Karl Kraus hatte recht. Der Weltuntergang wird hier nicht nur probiert, er wird generalstabsmäßig einstudiert.

Wo das Kleine das Große imitiert

Österreich war schon immer ein Land, das groß sein wollte, obwohl es nur winzig ist. Ein Land, das seine Kaisergräber mit der gleichen Ernsthaftigkeit pflegt wie seine Kaffeekultur. Doch in dieser Mischung aus Selbstüberschätzung und Provinzialität liegt der Kern des Problems: Hier werden nicht bloß Experimente durchgeführt, hier wird kopiert, was die Großen vormachen. Der amerikanische Trumpismus? Oh ja, den können wir auch, nur kleiner, provinzieller, mit einem Schuss alpenländischem Charme. Eine Marine Le Pen? Wir haben ihre Vorstufe längst, inklusive der Mischung aus pseudointellektuellem Getue und xenophobem Kern.

Es ist, als ob Österreich eine Art Folklore-Version des rechten Populismus anbietet – ein politischer Heurigenabend, bei dem man sich zwar über die Flüchtlingspolitik echauffiert, aber trotzdem noch einen Apfelstrudel dazu serviert bekommt. Und genau das macht die Sache so gefährlich. Denn was hier geschieht, hat eine Sanftheit, eine Trägheit, die das eigentliche Gift überdeckt.

Der Chor der Biedermänner

In Österreich geschieht der Abstieg in die Abgründe der Demokratie nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit einem harmonischen Walzer. Hier sitzt das rechte Gedankengut nicht in einer Randgruppe, sondern gemütlich mitten im Wohnzimmer, trinkt einen Grünen Veltliner und erzählt, warum „wir uns das alles nicht mehr gefallen lassen dürfen“. Es wird nicht gebrüllt, es wird genickt. Nicht randaliert, sondern genussvoll gejammert.

Die Medienlandschaft? Ein Chor von Biedermännern, die den Brandstiftern bereitwillig die Bühne bieten. Jede noch so absurde These wird mit einem höflichen „Man muss das auch mal aus seiner Perspektive sehen“ legitimiert. Jeder noch so platte Angriff auf Minderheiten wird als „Debattenbeitrag“ verkauft. Und so sitzt man da, als aufgeklärter Bürger, und merkt, wie die Luft um einen immer dünner wird – während alle um einen herum behaupten, es sei doch nur ein Lüftchen.

Österreich als Heimat der Selbstmitleid-Avantgarde

Österreichische Politik ist nicht die Kunst des Handelns, sondern die des Jammerns. Und hier wird die Sache endgültig kafkaesk. Denn in Österreich hat man nicht bloß Angst vor dem Fremden, sondern auch vor sich selbst. Die populistische Erzählung ist so wirkmächtig, weil sie ein Grundbedürfnis befriedigt: das Bedürfnis, sich als ewiges Opfer zu sehen. Die EU? Bevormundet uns. Die Ausländer? Überfordern uns. Die Linken? Machen uns fertig. Es ist ein durch und durch destruktives Narrativ, das alles Fremde als Bedrohung und alles Neue als Zumutung empfindet.

Und doch: Man kann dem Ganzen nicht böse sein. Österreich hat eine Art, selbst seine destruktivsten Tendenzen mit einem charmanten Augenzwinkern zu verkaufen. Hier wird die Demokratie zwar gerade in ihre Einzelteile zerlegt, aber immerhin mit einem hübschen Dialekt.

Der Abgrund mit Schlagobers

Und so kommt man zurück zu Kraus. Österreich als Versuchsstation des Weltuntergangs – das passt, weil das Land eine unheimliche Fähigkeit hat, seinen eigenen Niedergang zu feiern. Das Ganze ist keine Tragödie, sondern eine groteske Komödie. Man könnte fast meinen, das Land genieße es, der Welt zu zeigen, wie es geht, wenn es bergab geht.

Aber am Ende bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Denn der Testlauf, der hier gerade stattfindet, hat globale Konsequenzen. Österreich mag klein sein, aber seine Botschaften sind groß. Es zeigt, wie schnell die liberale Demokratie zerbröseln kann, wenn man den autoritären Versuchungen nachgibt.

Ein Schmunzeln mit Gänsehaut

Vielleicht hat Österreich noch eine Chance. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, die Schraube zurückzudrehen. Aber dafür müsste das Land aufhören, sich selbst als Opfer zu inszenieren, und anfangen, Verantwortung zu übernehmen. Das Problem ist nur: Wer will schon die Hauptrolle in einem Drama spielen, wenn die Komödie so viel mehr Applaus bringt?

ES WIRD OARSCH

Die Politik als präapokalyptisches Kasperltheater

Man stelle sich vor: Österreich, die angebliche Kulturnation, Heimat von Mozart, Schnitzel und der Operette, wird von einem Mann regiert, dessen rhetorische Palette irgendwo zwischen Stammtisch und Schützengraben liegt. Herbert Kickl, der selbsternannte „Volkskanzler“, erhebt sich aus den Niederungen des Boulevards und setzt sich auf den Sessel, den einst Größen wie Kreisky oder Vranitzky innehatten. Doch was folgt, ist kein Höhenflug, sondern der freie Fall ins Groteske.

Das Kabinett? Eine Versammlung von Profilneurotikern, Zynikern und Amateuren, deren politisches Programm mit der Präzision eines Schnitzelklopfers ausgearbeitet wurde. Die Botschaft lautet: Weniger Europa, mehr Angst; weniger Wissenschaft, mehr Bauchgefühl; weniger Solidarität, mehr „Jedem das Seine“. Die Welt könnte brennen, aber Hauptsache, die Grenzen sind dicht und der Bierpreis bleibt stabil.

Und die Bürger? Sie klatschen, als ob die Apokalypse eine Karaoke-Show wäre, und Herbert Kickl der König der falschen Töne. Doch wer braucht Verstand, wenn man Emotionen hat? Wer braucht Fakten, wenn der Mob applaudiert? Willkommen in der „Kickl-Republik“ – einer grotesken Mischung aus autoritärem Kasperltheater und provinzieller Peinlichkeit.

Die Machtübernahme – Von der Bühne ins Rampenlicht des Wahnsinns

Es beginnt, wie jede Tragödie beginnt: mit einer Farce. Nach monatelangem Gejammer über „Eliten“ und „linke Verschwörungen“ zieht Kickl mit seiner Gefolgschaft ins Kanzleramt ein – triumphierend wie ein Despot auf der Rückkehr aus einer verlorenen Schlacht. Sein erstes Dekret? Eine „Reinwaschung der Heimat“: Subventionen für Kunst und Kultur werden gestrichen, weil „entartete linke Denker“ keine Steuergelder verdienen. Stattdessen gibt es Geld für Heimatvereine und einen neuen Nationalfeiertag: den „Tag der Festung Österreich“.

Doch damit nicht genug. Die Innenpolitik wird zur Festung der Paranoia umgebaut: Überwachung wird ausgebaut, Polizeibefugnisse verschärft, während die Opposition als „Verräter“ an den Pranger gestellt wird. Kritische Medien? Diffamiert als „Lügenpresse“. Universitäten? Geknebelt durch Budgetkürzungen und ideologische Vorgaben. Kickl regiert, als wäre das Jahr 2025 eine Fortsetzung von 1933 – nur mit schlechterem Stil und schlechteren Slogans.

Die Wirtschaftspolitik – Mit Vollgas zurück in die Steinzeit

Die Wirtschaftspolitik der Kickl-Regierung könnte mit einem Satz zusammengefasst werden: „Schluss mit dem Sozialismus – her mit dem Populismus!“ Unternehmerische Freiheit wird zum höchsten Gut erklärt, während Arbeitnehmerrechte in die Tonne geklopft werden. Mindestlohn? „Brauchen wir nicht.“ Klimaschutz? „Eine linke Lüge.“ Stattdessen wird das Budget für fossile Energien erhöht, während man über den Ausbau von Kohlekraftwerken schwadroniert, als wären wir in einem Retro-Sci-Fi-Film.

Kickl selbst präsentiert sich dabei als „Mann des Volkes“, der mit der Sprache eines Kneipenbruders und der Arroganz eines Autokraten auftritt. „Wirtschaftliche Vernunft“ wird durch markige Sprüche ersetzt, die auf Facebook Millionen von Likes generieren, aber in der Realität Arbeitslosigkeit und Chaos hinterlassen.

Doch der Clou: Die Schuld für den Niedergang wird nicht bei der Regierung gesucht, sondern bei „Brüssel“, den „linken Gutmenschen“ und – natürlich – den Ausländern. Die Realität wird zur Inszenierung, und die Bürger klatschen – bis ihre Jobs verschwinden und ihre Sozialleistungen gekürzt werden. Aber wer braucht schon Realität, wenn man „Kickl TV“ schauen kann?

Die Gesellschaft – Hass ist der Kitt, der alles zusammenhält

In der Kickl-Republik ist der öffentliche Diskurs nicht tot, sondern zu einem bürgerkriegsähnlichen Schlachtfeld verkommen. Hass ist das neue Leitmotiv der Politik: gegen Migranten, gegen Frauen, gegen Minderheiten, gegen alles, was nicht in das engstirnige Weltbild des Kanzlers passt.

Die Gesellschaft wird systematisch gespalten: Nachbarn misstrauen einander, weil der Staat jeden ermuntert, „illegale Aktivitäten“ zu melden. Kinder lernen in der Schule, dass Toleranz ein „Schwächezeichen“ ist, während „Heimatkunde“ zur nationalistischen Gehirnwäsche verkommt. Intellektuelle, Künstler und Aktivisten? Sie haben das Land längst verlassen oder wurden zum Schweigen gebracht.

Und Kickl? Er grinst, während er die Flammen weiter schürt. Denn Hass ist nicht nur sein Werkzeug, sondern sein Lebenselixier. Die Gesellschaft mag zerbrechen, aber der Kanzler thront auf den Trümmern wie ein mieser Napoleon des Ressentiments.

Das Ende – Wenn Oarsch zur Staatsraison wird

Es wird oarsch, das ist sicher. Doch vielleicht liegt genau darin die ultimative Pointe der österreichischen Politik. Denn was ist Österreich anderes als ein Land, das sich in der Mittelmäßigkeit am wohlsten fühlt? Kickl mag das Land in den Abgrund führen, aber im Grunde ist er nur der Spiegel einer Gesellschaft, die sich längst mit dem „Oarsch“ arrangiert hat.

Und so könnte die Geschichte enden, wie sie begann: mit einer Farce. Der Weltuntergang wird kommen, aber in Österreich wird man ihn mit einem Glas Wein und einem Wiener Schmäh begrüßen. Denn wenn alles Oarsch wird, bleibt zumindest der Humor. Oder, wie Kickl sagen würde: „Das Volk hat gesprochen – und es hat Recht.“

Der Karl, die Beate und der Andi

96 Tage Verhandlungen – Ein Land auf Urlaub

Österreich, das kleine Land im Herzen Europas, bekannt für Sachertorte, Mozartkugeln und die Kunst, politische Krisen mit der Gelassenheit eines Wiener Kaffeehausbesuchers zu betrachten, war wieder einmal auf Urlaub. Genauer gesagt: Die Regierung war es. Während die Bürger in Erwartung der nächsten Groteske die Hände in den Schoß legten, versammelten sich Karl, Beate und Andi – eine Melange aus Krawatte, Perlenkette und hochgekrempelten Hemdsärmeln – zu einer Verhandlung, die alles versprach und nichts hielt. 96 Tage lang sollten sie diskutieren, verhandeln, debattieren und… eigentlich nichts Konkretes tun. Denn warum sollte man die Dringlichkeit des Regierens verspüren, wenn man sich in der Kunst des Stillstands üben kann?

Karl, der Kanzler und das Chamäleon

Karl Nehammer, seines Zeichens Bundeskanzler und Meister des Nicht-Auffallens, trat an, um das Land zu führen. Oder besser gesagt: Es nicht gegen die Wand fahren zu lassen. Karl, ein Mann von beeindruckender Mittelmäßigkeit, hatte eine bemerkenswerte Fähigkeit entwickelt, alles und nichts gleichzeitig zu sein. Man könnte meinen, er sei der einzige Politiker, der mit einer Rede sowohl die linke als auch die rechte Hälfte eines Raumes gähnen lassen konnte – ein Talent, das in Österreich als staatsmännische Kunst gilt.

Mit einem Lächeln, das irgendwo zwischen höflichem Desinteresse und ehrlicher Erschöpfung pendelte, lud Karl Beate Meinl-Reisinger von den NEOS und Andreas Babler, den roten Hoffnungsträger der SPÖ, an den Verhandlungstisch. Es war ein Dreiergespann, das so unterschiedlich war wie Schnitzel, Sushi und Semmelknödel – und das ebenso schwer verdaulich schien.

Beate und die Suche nach Relevanz

Beate Meinl-Reisinger, die selbsternannte Reformerin aus dem Lager der NEOS, betrat die Bühne mit dem Elan einer PowerPoint-Präsentation über Steuerreformen. Beate war smart, eloquent und… erstaunlich irrelevant. Ihr Mantra: „Wir müssen die Bürokratie abbauen!“ Eine Forderung, die so unverbindlich wie ein Wiener Wetterbericht war.

Beates Problem war nicht ihre Politik, sondern ihre Hartnäckigkeit, gehört zu werden – in einer politischen Landschaft, die wie ein Stammtisch funktionierte, bei dem die lautesten Stimmen immer gewannen. Dass sie eine liberale Ökonomin war, machte sie zur Lieblingsgegnerin der Arbeiterbewegung und zur heimlichen Heldin der Unternehmer, die sich aber nie trauten, das öffentlich zuzugeben.

Andi, der rote Ritter von gestern

Und dann war da noch Andi Babler, der „Proletarier mit Herz“, wie ihn die Boulevardpresse taufte. Andi war die Verkörperung der Nostalgie – ein Sozialist alter Schule, der davon träumte, dass Fabrikarbeiter und Studenten Hand in Hand für eine gerechtere Welt marschierten. Seine Auftritte waren eine Mischung aus Arbeiterkampf-Romantik und Karl-Marx-Zitaten, die er in jedem zweiten Satz einbaute, als wäre er auf einer nostalgischen Klassenkampf-Zeitreise.

Andis Problem war nicht seine Überzeugung, sondern die Tatsache, dass niemand mehr so recht an die Utopie glauben wollte, die er anpries. Während er von der Verstaatlichung der Energieunternehmen träumte, dachten die Österreicher eher daran, wie sie die nächste Stromrechnung bezahlen sollten.

Die Verhandlungssaga

96 Tage, 230 Pressekonferenzen und unzählige Kannen Kaffee später: Nichts. Kein Regierungsprogramm, keine bahnbrechenden Reformen – nur ein loses Sammelsurium aus Phrasen wie „Wir müssen Brücken bauen“ und „Der soziale Zusammenhalt ist wichtig“.

Karl ließ sich von Beate über Steuerreformen belehren, während Andi ihm vorwarf, ein Diener des Kapitals zu sein. Beate verdrehte die Augen, als Andi wieder einmal davon sprach, dass Österreich „von den Fesseln des Neoliberalismus“ befreit werden müsse. Und Karl? Er nickte einfach, wie ein erfahrener Schiedsrichter, der weiß, dass am Ende eh niemand zufrieden sein wird.

Der Bürger schaut zu

Währenddessen warteten die Österreicher – und warteten. Die Inflation stieg, die Krankenhäuser füllten sich, und der öffentliche Verkehr wurde teurer. Doch was soll’s? In einem Land, das es gewohnt ist, dass nichts vorwärtsgeht, war auch diese Regierungslosigkeit fast beruhigend.

„Schau, die streiten wenigstens noch“, hörte man einen Pensionisten im Kaffeehaus murmeln, während er mit einem Augenzwinkern die Zeitung faltete. In Österreich versteht man es, die Absurditäten des Lebens mit einem guten Spritzer Humor zu nehmen.

Die Rückkehr zur Normalität

Am 97. Tag trat die Regierung endlich an, ein müder Kompromiss aus leeren Versprechungen und halbherzigen Reformen. Der Karl blieb Kanzler, die Beate blieb frustriert, und der Andi blieb in der Opposition. Österreich atmete auf – nicht weil es Hoffnung auf Veränderung gab, sondern weil alles so blieb, wie es war.

Und vielleicht ist genau das die Quintessenz dieser satirischen Tragödie: In einem Land, das von der eigenen Geschichte gelernt hat, dass jede Veränderung mit Misstrauen zu betrachten ist, ist das Fehlen einer Regierung kein Problem, sondern eine willkommene Atempause.

So bleibt Österreich ein Land der gemütlichen Stagnation – eine Republik, in der die Kunst des Stillstands zur Perfektion gebracht wurde. Und vielleicht ist das gar nicht so schlecht.

WER ZAHLT SCHAFFT AN!

Der Mythos der Demokratie auf der Couch

Die Demokratie, so sagt man, ist jene Staatsform, in der Macht von unten nach oben fließt. Schön wär’s. Denn wie bei einer schlecht geputzten Dusche sammeln sich die Rückstände nicht selten dort, wo niemand mehr hinsieht: in den versifften Ecken des politischen und gesellschaftlichen Alltags. Und während in vielen Bereichen des Lebens noch ein Rest von Transparenz behauptet wird – Wahlen etwa, Volksentscheide, oder die halbwegs ehrliche Wahl zwischen 3-Euro-Wurstsalat und 12-Euro-Bio-Smoothie – scheint ausgerechnet ein Pfeiler unserer demokratischen Grundversorgung völlig losgelöst von solch banalen Konzepten wie „Mitspracherecht“ oder „Einfluss“ zu operieren. Die Rede ist, wie der kluge Leser längst vermutet, vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Ein System, das sich selbst mit unerschütterlicher Überzeugung als „unabhängig“ etikettiert, während es sich Jahr für Jahr an den tropfenden Eutern der Beitragszahler gemächlich mästet. Unabhängig – wovon eigentlich? Vom Publikum? Vom gesunden Menschenverstand? Von der Realität? Die Antwort auf diese Frage ist so komplex wie unnötig, denn wir wissen doch längst: Wer zahlt, schafft eben nicht immer an.

Der Beitragszahler als Märtyrer des Systems

Es beginnt harmlos. Ein Brief im Kasten. Die Gebührenzentrale – pardon, der „Beitragsservice“ – meldet sich höflich, fast freundlich. 18,36 Euro im Monat für die edle Aufgabe, Sie mit Bildungsfernsehen, investigativem Journalismus und kulturellen Meisterwerken zu versorgen. Doch wehe, Sie weigern sich! Dann verwandelt sich diese freundliche Nachfrage in einen kafkaesken Albtraum aus Mahnungen, Vollstreckungsbescheiden und wütenden Postboten, die Ihre Nachbarn neidisch fragen lassen, ob Sie einen heimlichen Ferrari fahren, den Sie vor der GEZ zu verstecken versuchen.

Und dabei, seien wir ehrlich, ist die eigentliche Frage doch nicht, warum man zahlt, sondern wofür. Denn während der Zuschauer sich an der fünften Wiederholung von „Eberhofer – Mord im Kuhstall“ mühsam den Schlaf aus den Augen reibt, fragen sich auch die Hartgesottensten unter uns, wann genau der Punkt kam, an dem die „Grundversorgung“ sich in einen Rausch aus Kochshows, pseudo-historischen Romanzen und Sondersendungen zum Wetter wandelte.

Die Rache der Gebühren

Natürlich gibt es die Gegenargumente: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei wichtig! Er sei ein Bollwerk gegen Fake News, ein Leuchtturm der Demokratie! Doch während wir diese wohlklingenden Phrasen hören, ertappen wir uns dabei, wie wir die Hände in die Sofaritzen schieben, auf der Suche nach Münzen, um die nächste Rate zu stemmen.

Wie aber sieht dieses Bollwerk konkret aus? Gibt es eine Pflicht zur Modernisierung, zum Sparen, zur Effizienz? Nicht wirklich. Das System ist wie eine Monarchie im postmodernen Gewand: ein Apparat aus Intendanten, Verwaltungsräten und einem Heer von Mitarbeitern, deren Gehälter regelmäßig höhere Wellen schlagen als die Quoten ihrer Sendungen. Und während der Zuschauer sich mit einer App begnügen muss, die sich anfühlt, als sei sie auf einem Nokia 3310 entwickelt worden, genehmigt man sich in den Chefetagen schon mal die eine oder andere Beraterstudie – für den Preis eines Einfamilienhauses in der Vorstadt.

Humor im Zeitalter der Zwangsfinanzierung

Und dennoch: Man muss dem System eines lassen – es liefert eine Art von Humor, die ihresgleichen sucht. Das Zynische daran ist natürlich, dass dieser Humor unabsichtlich entsteht. Es ist die Art Komik, die entsteht, wenn ein Intendant ernsthaft erklärt, dass seine Arbeit unterbezahlt sei, während man als Zuschauer versucht, die steigenden Heizkosten durch Verzicht auf Butter auszugleichen.

Man könnte sich also aufregen, sich empören, einen Shitstorm lostreten. Oder man nimmt das Ganze einfach mit einem Schulterzucken und einem tiefen, fast philosophischen Seufzen hin. „Man kann ja doch nichts machen“, sagt der kluge Beitragszahler, während er den Fernseher abschaltet, um endlich die Ruhe zu haben, die er sich längst verdient hat.

Die stille Revolution der Fernbedienung

Am Ende bleibt nur eines zu sagen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist das, was wir aus ihm machen. Oder eben nicht machen dürfen. Und während „Wer zahlt, schafft an“ in den meisten Bereichen des Lebens als Faustregel gilt, zeigt uns dieses System, dass es auch anders geht. Ob wir das gut finden, bleibt jedem selbst überlassen.

Aber vielleicht, ganz vielleicht, sollten wir die Fernbedienung öfter mal liegen lassen. Und stattdessen an etwas anderes denken: an die Macht, die wir wirklich haben – jene, die Dinge schlicht und einfach nicht mehr einzuschalten. Wer nicht schaut, schafft irgendwann wirklich ab. Vielleicht. Irgendwann.

Prost, ORF, ARD und ZDF! Die nächste Runde geht auf uns.

VON MORAL UND MÄRKTEN

Russlands Gasexporte nach Europa 2024 stark gestiegen

Es war einmal, in einem politisch hochaufgeladenen Märchenland namens Europa, da herrschte die Überzeugung, man könne Moral und Märkte miteinander vereinen. „Nie wieder russisches Gas!“, schallte es im Chor der Staatsmänner und -frauen, flankiert von einer medialen Kulisse, die diese Entschlossenheit in jeder Schlagzeile feierte. Doch wie so oft im Märchen waren die Helden weniger tapfer, als sie schienen, und die Drachen erwiesen sich als clevere Händler. Das Jahr 2024 belehrt uns eines Besseren: Die Erdgasexporte Russlands nach Europa sind – man reibt sich die Augen – um satte 18 bis 20 Prozent gestiegen.

Der Pipeline-Dialog

Lassen Sie uns zunächst das groteske Schauspiel betrachten, das wir als „Sanktionen“ kennen. Mit großem Pomp und Pathos hatte die EU beschlossen, Russland auf die Knie zu zwingen. Energieimporte sollten reduziert, die Abhängigkeit minimiert werden. Doch kaum ist die Winterkälte spürbar und die Heizkostenrechnung ein zarter Hauch von Realität, ist von dieser moralischen Überlegenheit nicht mehr viel zu spüren. Sanktionen, ja, natürlich! Aber bitte nicht so, dass sie unseren eigenen Komfort gefährden.

Das Erdgas fließt also munter weiter durch die Pipelines, und mit jedem Kubikmeter, der die Grenze überquert, verschwindet ein Stück der selbst auferlegten Tugendhaftigkeit. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so tragisch wäre: Man predigt das Ende der fossilen Abhängigkeit und kauft gleichzeitig fossile Brennstoffe wie warme Semmeln. Als ob man sich vegan ernähren wollte, aber ab und zu doch zum Steak greift – nur zur Sicherheit, versteht sich.

Das Märchen vom sauberen Brudergas

Ach, das Flüssigerdgas (LNG)! Einst gefeiert als die große Hoffnung, die uns von den Fesseln der Pipeline-Abhängigkeit befreien sollte. „Diversifizierung“ lautete das Zauberwort, das in Brüssel von Sitzungssälen bis Kaffeepausen mantraartig wiederholt wurde. Doch wie divers ist es eigentlich, wenn der größte Anbieter weiterhin derselbe bleibt?

Der EU fällt dabei die gleiche Rolle zu wie einem notorischen Ex-Raucher, der heimlich vor der Garage noch schnell einen Zug nimmt: Man kauft das russische LNG jetzt halt über Zwischenhändler – und nennt es Diversifizierung. Hauptsache, es kommt nicht durch die alte Pipeline! Denn wie jeder weiß, ist Erdgas, das in verflüssigter Form geliefert wird, moralisch einwandfrei, solange es nicht „direkt“ ist. Die wahren Helden in dieser Tragikomödie sind natürlich die Zwischenhändler, die wie findige Zigarettenverkäufer in einer strengen Nichtraucherzone ihre Profite ins Unermessliche steigern.

Wenn Statistik und Realität aufeinanderprallen

Alexander Nowak, Russlands Vizeministerpräsident, verkündete stolz, dass die Gasexporte in die EU die Marke von 50 Milliarden Kubikmetern überschritten hätten. Und während in Moskau die Champagnerkorken knallen, schweigt man in Brüssel lieber, oder spricht – typisch europäisch – in euphemistischen Formulierungen wie „notwendige Übergangslösungen“.

Dabei ist die Diskrepanz zwischen Zahlen und Worten geradezu poetisch: Die EU spricht von „Verzicht“ und „Transformation“, die Realität hingegen rechnet in Kubikmetern. Man fordert eine grüne Wende und treibt dennoch den globalen Gasmarkt an, als gäbe es keinen Morgen. Ein zynischer Beobachter könnte sagen, dass sich die EU zu einer Meisterin der symbolischen Politik entwickelt hat: Man boykottiert Russland, indem man russisches Gas kauft – irgendwie elegant, oder?

Zwischen Prinzipien und Pragmatismus

Was bleibt also von der einstigen moralischen Empörung? Vielleicht die leise Erkenntnis, dass Märkte stärker sind als Manifeste. Europa, dieser Kontinent der Werte, entdeckt gerade, dass Gas nicht einfach durch Prinzipien ersetzt werden kann. Die eigene Wirtschaft soll laufen, die Wohnungen warm bleiben, und bitte, die Inflation soll sich auch irgendwie in Schach halten.

Russland indes hat das Spiel längst durchschaut: Sanktionen sind nichts weiter als ein Handelshemmnis mit Verfallsdatum. Je länger der Winter dauert, desto weicher wird die Rhetorik aus Brüssel. Und so liefert man weiter – geduldig, unbeirrt, mit der Selbstzufriedenheit eines Verkäufers, der weiß, dass seine Kunden zwar fluchen, aber letztlich doch bezahlen.

Von Scheinheiligkeit und Selbstgefälligkeit

Vielleicht ist die größte Ironie in diesem Drama die stille Akzeptanz auf beiden Seiten. Russland liefert, die EU kauft, und beide tun so, als seien sie Prinzipien treu geblieben. Während die EU sich selbst als Umwelt- und Klimavorreiter feiert, wächst ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen – nur unter einem anderen Etikett.

Die Frage bleibt: Wie lange kann Europa noch den Spagat zwischen moralischem Anspruch und wirtschaftlicher Realität halten? Und wie oft wird man noch vom Märchen der Unabhängigkeit erzählen, während man den Gasrechnungen zustimmt?

Ein Kontinent der Paradoxien

Europa 2024: Ein Kontinent zwischen Selbsttäuschung und Pragmatismus, zwischen Werten und Verträgen. Vielleicht werden wir eines Tages zurückblicken und uns fragen, warum wir dachten, wir könnten Sanktionen verhängen, ohne die Konsequenzen zu spüren. Vielleicht werden wir uns erinnern, dass es keine Energiequelle gibt, die frei von politischen und moralischen Dilemmata ist.

Bis dahin fließt das Gas weiter, und wir bleiben warm – zumindest physisch. Moralisch hingegen könnte es in den kommenden Wintern etwas kälter werden.